Risikowahrnehmung und -kommunikation in der Öffentlichkeit. Diskurse zu elektromagnetischen Feldern als Herausforderung für das Bundesamt für Strahlenschutz

Schwerpunkt: Mobilfunk - Risikodiskurse in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit

Risikowahrnehmung und -kommunikation in der Öffentlichkeit

Diskurse zu elektromagnetischen Feldern als Herausforderung für das Bundesamt für Strahlenschutz

von Christiane Pölzl, Bundesamt für Strahlenschutz, Oberschleißheim

Das Deutsche Mobilfunk-Forschungsprogramm (DMF) wurde im Juni 2008 abgeschlossen. Im Rahmen der Abschlussphase des Programms waren zahlreiche Fachgespräche mit Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zur Forschung im Bereich der elektromagnetischen Felder (EMF) durchgeführt worden. Dabei wurde wiederholt konstatiert, dass die eigentliche Herausforderung erst jetzt, nach Abschluss des Programms, damit beginne, die vorliegenden Ergebnisse und Bewertungen des Forschungsprogrammsgegenüber der Öffentlichkeit zu vermitteln. Der folgende Beitrag widmet sich den Aspekten, die das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bei diesem Prozess besonders zu beachten hat: Welches sind die zentralen Herausforderungen in der Kommunikation der Erkenntnisse und Bewertungen aus dem DMF? Welche grundlegenden Erkenntnisse sind zu den Themen der Risikowahrnehmung und Informationsaufnahme und -verarbeitung aus der Forschung bekannt? Wie lässt sich die Bevölkerung in Bezug auf ihre Wahrnehmung des Themas Mobilfunk charakterisieren? Und schließlich: Wie geht das BfS mit diesen Fragen um?

1     Praktische Erfahrungen und deren empirische Überprüfung

1.1   Ausgangslage

Mit dem Ausbau der Mobilfunknetze und der zunehmenden Verbreitung der Mobilfunktechnologie in der Bevölkerung seit Mitte der 1990er Jahre spielten die Themen der Wahrnehmung eines potenziellen Risikos durch EMF eine immer größere Rolle. Zahlreiche Artikel, Aufsätze und Studien befassten sich mit Erklärungen darüber, wie der hohe Stellenwert dieses Risikodiskurses in der Öffentlichkeit zu erklären sei. Untrennbar damit verbunden ist der in der Öffentlichkeit ausgetragene Diskurs unter Wissenschaftlern oder zwi-schen Wissenschaftlern und anderen – teilweise „selbst ernannten“ – Experten.

In der Presseberichterstattung wurden insbesondere stets neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zu möglichen EMF-Risiken thematisiert, die mangelnde Transparenz bei der Errichtung von Mobilfunk-Sendeanlagen und damit verbunden die Ängste der Bürger, die in Bürgerversammlungen, Bürgerinitiativen und zahlreichen Protesten ihren Ausdruck fanden. Beim BfS häuften sich schriftliche und telefonische Anfragen besorgter Bürger. Seit 2002 ist sowohl in der Presseberichterstattung als auch in den Anfragen beim BfS ein Rückgang zu beobachten (Grummich 2007). Dennoch wenden sich bis heute (September 2008) zahlreiche Bürger an das BfS, um sich über die Strahlung von Sendeanlagen, der Gefahr durch Handynutzung und der Gefährlichkeit neuer Kommunikationstechnologien zu erkundigen.

Zum Höhepunkt der öffentlichen und medialen Diskussion gab es für das BfS und andere involvierte Institutionen und Behörden keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die möglichen Gefahren des Mobilfunks ein gesamtgesellschaftlich relevantes Problem geworden waren, deren Konflikt- und Besorgnispotenzial noch weiter ansteigen könnte.

1.2   Erkenntnisse aus empirischen Studien

Um die Maßnahmen der Information und Kommunikation zum Thema Mobilfunk sinnvoll zu strukturieren, war es für das BfS wichtig festzustellen, welchen Stellenwert das Thema Mobilfunk und damit verbundene mögliche Risiken für die Menschen in Deutschland haben. Das BfS gab dazu im Rahmen des DMF verschiedene Untersuchungen in Auftrag. Jährlich durchgeführte Umfragen zwischen 2003 und 2006 sollten dazu beitragen, mögliche Veränderungen des Risikodiskurses im Zeitverlauf zu identifizieren (Infas 2007).

Entgegen der Erwartungen zeigte die Befragungsreihe aber über die Jahre hinweg eine hohe Konstanz der Ergebnisse. In den zentralen Befragungsthemen der Wahrnehmung und des Umgangs mit der Mobilfunkthematik, der Besorgnis und den empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen wegen EMF sowie der Informiertheit bzw. Beschäftigung mit dem Thema konnten keine Veränderungen beobachtet werden. Die im Folgenden dargestellten empirischen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Aufmerksamkeit für das Thema EMF, bezogen auf die gesamte Bevölkerung und gemessen an der hohen Nutzungsquote, als eher gering einzuschätzen ist. Nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung spielt das Thema EMF eine wichtige und zu Besorgnis führende Rolle.

So beantworteten z. B. über die Jahre hinweg konstant ca. 30 Prozent der Befragten die Frage mit „Ja“, ob sie sich wegen elektromagnetischer Felder, die von Mobilfunk-Sendeanlagen, Handys oder Schnurlostelefonen ausgehen, gesundheitliche Sorgen machen. Diese Zahl erscheint zunächst recht hoch. Andererseits lag über alle Befragungsjahre die Besorgnis wegen EMF des Mobilfunks weit unter dem Grad der Besorgnis wegen möglicher gesundheitlicher Gefährdungen durch Luftverschmutzung, Nebenwirkungen von Medikamenten, Verzehr von Fleisch unbekannter Herkunft, starken Zigarettenrauchens sowie der Teilnahme am Straßenverkehr.

Dieses Ergebnis, dass möglichen Risiken durch EMF aus Bevölkerungssicht eine eher mittlere bis untergeordnete Bedeutung im Vergleich zu anderen Umwelt- und Gesundheitseinflüssen zukommt, wird durch andere Studien gestützt (Schreier et al 2006; Zwick, Renn 2002). Besonders hohe Anteile an Personen, die wegen EMF besorgt sind, sind unter anderem in der Altersgruppe der 35- bis 64-Jährigen zu verzeichnen, bei Personen mit (Fach-)Abitur, und in Süddeutschland, also Bayern und Baden-Württemberg (Infas 2007; Schreier et al. 2006). Dabei zeigt sich, dass die Sorge wegen EMF kein isoliertes Phänomen ist: Je mehr sich Personen wegen anderer möglicher Gesundheitseinflüsse Sorgen machen, um so eher sind sie auch wegen EMF besorgt (Infas 2007).

Die Frage, ob sie sich wegen elektromagnetischer Felder, die von Mobilfunk-Sendeanlagen, Handys oder Schnurlostelefonen ausgehen, gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, beantworteten ca. neun Prozent über die Jahre hinweg mit „Ja“. Dabei wurden am häufigsten Kopfschmerzen, Schlafprobleme und allgemeines Unwohlsein in Form von Schlappheit genannt. Die Mehrzahl (etwa 60 Prozent) konnte allerdings bei Nachfrage keine genauen gesundheitlichen Beschwerden benennen (Infas 2007). Eine weitere Untersuchung kommt zum Schluss, dass die Personen, die gesundheitliche Beschwerden bereits einmal auf EMF zurückgeführt haben, eine sehr heterogene Gruppe darstellen (Ulmer, Bruse 2006). Die tatsächliche Beeinträchtigung des täglichen Lebens durch EMF erwies sich als sehr unterschiedlich. Feste Verknüpfungen zwischen „Symptom“ und „Auslöser“ („immer wenn..., dann...“) wurden von den Befragten eher im Ausnahmefall getroffen.

Über verschiedene Studien hinweg wurde ein geringer objektiver und auch subjektiv empfundener Informationsstand in der Bevölkerung festgestellt. Dies betrifft sowohl eine geringe Kenntnis mobilfunkrelevanter Begriffe in der Bevölkerung, als auch eine mangelnde Kenntnis über die tatsächliche bzw. vergleichende Exposition durch verschiedene Haushaltsgeräte und Hochfrequenz-Quellen. Es zeigte sich zudem, dass mit steigender Informiertheit die Wahrscheinlichkeit steigt, zu der Gruppe der Besorgten zu zählen. Nur in der Gruppe der sehr gut Informierten fällt dieser Anteil wieder in etwa auf den Bevölkerungsdurchschnitt zurück (Büllingen, Hillebrand 2005; Infas 2007).

Zusammengefasst ist festzustellen, dass die lange Zeit durch viele Akteure vertretene Annahme, dass generell ein hohes Informationsbedürfnis in der Bevölkerung zu EMF bestehe, und dass man nur ein „Mehr“ an Informationen bereitstellen müsse, um ein „Mehr“ an Wissen in der Bevölkerung zu erreichen, kritisch hinterfragt werden muss. Es wurde deutlich, dass bei einem Großteil der Bevölkerung die tatsächliche Bereitschaft gering ist, sich mit technisch und wissenschaftlich komplexen Themen wie diesem auseinanderzusetzen. Bei dem Teil der Bevölkerung, der dazu bereit ist oder sich sogar besorgt zeigt, zeigten sich meist ein höherer Wissensstand und eine bereits erfolgte Meinungsbildung. Die sich daraus ergebende schwierige Situation ist eine der zentralen Herausforderungen für die Risikokommunikation.

2     Der unterschiedliche Umgang mit Risikoinformationen

Neben empirischen Erkenntnissen haben die Wahrnehmung von Risiken und die Verarbeitung von (wissenschaftlichen) Informationen in der Öffentlichkeit Einfluss auf den Kommunikationsprozess, in dem die Bewertung der Risiken von Wissenschaft und Bevölkerung aufeinander treffen.

Abb. 1: Risikowahrnehmungen im Vergleich (2003-2006)[1]

Abb. 1: Risikowahrnehmungen im Vergleich (2003-2006)

Quelle: Infas 2007

Der wissenschaftlichen Risikobewertung liegt der Prozess der Risikoabschätzung zu Grunde. Dieser beruht auf der Gefahrenidentifizierung und der Bestimmung der ExpositionWirkungs-Beziehung. Die Studien müssen nach streng wissenschaftlichen Kriterien durchgeführt worden sein, um möglichst belastbare Aussagen zuzulassen. Die Risikobewertung betrachtet schließlich die Erkenntnisse im gesamtgesellschaftlichen Kontext.

Die gesellschaftliche Wahrnehmung und Bewertung von Risiken unterliegen anderen Kriterien. Verschiedene soziale, psychologische und kulturelle Faktoren wirken auf die Informationsaufnahme und -verarbeitung sowie die Urteilsbildung ein.

Ein dominierender Ansatz für die Erklärung der Risikowahrnehmung in der Gesellschaft ist der „psychometrische Ansatz. Hier wird davon ausgegangen, dass verschiedene qualitative Dimensionen von Risiken und der Risikosituation die subjektive Risikowahrnehmung beeinflussen. Dazu gehören z. B. die Gewöhnung an die Risikoquelle, die Wahrnehmbarkeit der von ihr ausgehenden Gefahr oder das ihr innewohnende Katastrophenpotenzial. Weitere die Situation betreffende Aspekte sind z. B. die Freiwilligkeit der Risikoübernahme, die Kontrollierbarkeit des Risikos, die Wahrnehmung einer gerechten Risiko-Nutzen-Verteilung (Fischhoff et al. 1978; Jungermann, Slovic 1993; Slovic 1987).

Die „Cultural Theory“ geht hingegen davon aus, dass unterschiedliche Werttypen die Grundlage für die unterschiedliche Wahrnehmung von sozialen, technischen und wirtschaftlichen Risiken bilden (Douglas, Wildavsky 1982). Als zentrale Werttypen werden die „Individualisten“, „Hierarchisten“ und „Egalitaristen“ beschrieben. Sie lenken ihre Aufmerksamkeit jeweils auf unterschiedliche Risiken. Dementsprechend ist auch das Interesse und die Aufmerksamkeit für Informationen selektiv. Diese Theorie bildete den Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Erklärungsansätze.

Bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung spielt die Dissonanztheorie eine besondere Rolle (Festinger 1978). Demnach haben Menschen das Bedürfnis nach einem „inneren Gleichgewicht“. Das bedeutet, dass verschiedene Informationselemente zueinander passen müssen. In dem individuellen Streben nach Vermeidung von kognitiver Dissonanz werden Informationen, die nicht zu der persönlichen Einstellung passen, gemieden oder auch selektiv vergessen. Verschiedene „Heuristiken helfen dem Menschen, mit der bestehenden Informationsflut umzugehen. Beispiele dafür sind die „Verfügbarkeitsheuristik“ oder die „Repräsentativitätsheuristik“. Nach der Verfügbarkeitsheuristik schätzen Menschen die Häufigkeit von Ereignissen umso höher ein, je leichter sie sie sich vorstellen oder daran erinnern können (Schütz, Wiedemann 2003). Bedeutsam ist auch die „Repräsentativitätsheuristik“, nach der bereits Einzelfälle oder kleine „Proben“ für ein Kollektiv als repräsentativ angesehen werden. Letztere zeigte sich auch eindrucksvoll in den zahlreichen Gesprächen, die das BfS in den vergangenen Jahren mit Betroffenen, Vertretern von Interessensgruppen oder kritischen Ärzteinitiativen führte.

„Vertrauen“ wird von Institutionen, die Risikokommunikation in der Praxis betreiben, oftmals als ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine gelingende Risikokommunikation genannt. Als wichtige Voraussetzungen für Vertrauen gelten z. B. wahrgenommene Kompetenz, Objektivität, Fairness, Konsistenz, Ehrlichkeit, guter Wille. In der Forschung herrscht weitgehende Einigkeit, dass Vertrauen zwar notwendig, aber nicht hinreichend ist. Uneinigkeit besteht aber darin, welche Bedeutung Vertrauen tatsächlich für die Risikokommunikation im Zusammenhang mit der Aufnahme von Informationen und für die Risikowahrnehmung spielt.[2]

Jeder dieser Ansätze und Theorien liefert nahe liegende Erklärungen für die Risikowahrnehmung im Bereich Mobilfunk. Anhand des psychometrischen Paradigmas wird z. B. schnell nachvollziehbar, warum sich die Ängste und Proteste der Menschen deutlich stärker auf die Sendeanlagen beziehen als auf das Handy.

Dennoch fand in den vergangenen Jahren eine kritische Betrachtung der zentralen Paradigmen der Risikowahrnehmung statt (insbesondere des psychometrischen und kulturtheoretischen Ansatzes), da sie in wissenschaftlichen Experimenten nicht die notwenige Erklärungskraft bewiesen. Neben Vertrauen ist die Rolle von „Emotionen“ bei der Risikowahr-nehmung ein aktueller Forschungsschwerpunkt. Diskutiert wird z. B., ob Emotionen eine irrationale Grundlage für die Bewertung von Risiken darstellen oder ob sie eher Ausdruck einer zugrunde liegenden Werthaltung sind (z. B. Kahan 2008). Es bleibt abzuwarten, inwieweit die neueren Erkenntnisse die Risikokommunikation unterstützen können.

3     Zentrale Herausforderungen für die Risikokommunikation des BfS

Ausgehend von den bisherigen vielfältigen praktischen Erfahrungen des BfS und seiner Mitarbeiter, den zahlreichen Befragungsdaten zur Wahrnehmung des Themas EMF in der Öffentlichkeit und den Erkenntnissen aus der sozial- und kognitionspsychologischen Forschung erachtet das BfS die im Folgenden angeführten zentralen Themenfelder und Aspekte für die Risikokommunikation als besonders bedeutsam.

3.1   Vermittlung komplexer wissenschaftlicher Sachverhalte

Eine grundlegende Anforderung an die Risikokommunikation des BfS ist zunächst, die Bewertung eines komplexen und umfangreichen wissenschaftlichen Sachverhalts sprachlich und in der Form der Darstellung so aufzubereiten, dass auch Laien eine Chance haben, die Informationen für ihre Urteilsbildung heranzuziehen. Diese Anforderung mag vor dem Hintergrund der Diskussionen um Wahrnehmung und Informationsverarbeitung banal wirken. Sie stellt aber den Kern allen zukünftigen Vorgehens dar. Besondere Sorgfalt muss dabei dem Aspekt gelten, die Bedeutung wissenschaftlicher Unsicherheiten für die Risikobewertung auch für Laien verständlich und nachvollziehbar zu gestalten. Es muss vermieden werden, dass unbedachte Formulierungen zu Verunsicherung in der Bevölkerung führen oder gar einen Vertrauensverlust in die Wissenschaft bewirken. Das BfS bearbeitet dieses Thema im Rahmen des Umweltforschungsplans des Bundesumweltministeriums.

3.2   Darstellung der tatsächlichen Expositionssituationen

Einer der wichtigen Gegensätze von wissenschaftlicher Risikobewertung und öffentlicher Risikowahrnehmung zeigt sich in der Gegenüberstellung von Mobilfunk-Sendeanlagen und Handys. Zahlreiche standortbezogene Proteste gegen die Errichtung von Sendeanlagen drücken diese Angst der Menschen vor der räumlichen Nähe zu Basisstationen aus. Die Sichtbarkeit der Sendeanlage von der Wohnung spielt eine wichtige Rolle für die empfundene Bedrohung. Dies bestätigen auch die Anfragen beim BfS. Viele Menschen übersehen in der wahrgenommenen Bedrohlichkeit der Sendeanlagen, dass diese für die eigenen Handytelefonate zwingend notwendig sind. Elektromagnetische Felder, denen der Mensch beim Telefonieren mit dem Handy ausgesetzt ist, sind zudem ungleich höher als die Exposition durch die Felder der Mobilfunk-Basisstationen.

Betrachtet man die Bedenken gegenüber Basisstationen etwas genauer, so sieht man, dass es auch hier wieder Personen zwischen 35 und 64 Lebensjahren und Personen mit den höchsten Schulabschlüssen sind, die eher Bedenken wegen Mobilfunk-Sendeanlagen haben. In der Besorgnis wegen EMF und der empfundenen Beeinträchtigung (allgemein sowie bezogen auf Sendeanlagen) kann ein deutliches „Nord-Süd-Gefälle“ beobachtet werden: Die größten Bedenken und (wahrgenommenen) Beeinträchtigungen wegen Basisstationen zeigten sich in Bayern (Berg et al. 2007; Schreier et al. 2006). Auch Mobilfunkbürgerinitiativen sind in Süddeutschland deutlich aktiver. Entsprechend treten auch die häufigsten Konflikte bei der Standortbestimmung für Mobilfunk-Sendeanlagen in Bayern und Baden-Württemberg auf (Difu 2008).

In Befragungen zeigte sich weiterhin, dass nicht das Wissen um eine Mobilfunk-Sendeanlage in der Nähe des Wohnortes mit einer erhöhten Risikowahrnehmung im Zusammenhang stand, sondern vielmehr die Frage, ob dieser Standort auch als in unmittelbarer Nähe des Wohnortes empfunden wurde (Infas 2007; Siegrist et al. 2005).

Dem gegenübergestellt ist das Handy für viele Lebensbereiche so wichtig geworden, dass vielen Menschen ein Verzicht auf das Handy selbst unter der Annahme eines Nachweises von gesundheitsschädigenden Einflüssen schwer fallen würde (Infas 2007). Bei den (wenigen) Nichtnutzern von Handys besteht überwiegend einfach kein Bedarf an der Nutzung. Gesundheitliche Aspekte spielen als Grund für die Nichtnutzung nur eine sehr untergeordnete Rolle.

3.3   Empfehlungen zur Reduzierung der Exposition

Das BfS kommt in seiner aktuellen Bewertung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zu dem Schluss, dass die derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse keinen Anlass geben, die Schutzwirkung der bestehenden Grenzwerte in Frage zu stellen. Es konnten aber keine abschließenden Antworten auf die Fragen möglicher Langzeitrisiken für Handynutzungszeiten von mehr als zehn Jahren gegeben werden, und auf die Frage, ob Kinder empfindlicher reagieren als Erwachsene (s. hierzu den Beitrag von Weiss et al. in diesem Heft). Im Sinne des vorbeugenden Gesundheitsschutzes empfiehlt das BfS daher, die bestehenden Grenzwerte durch Maßnahmen zur vorsorglichen Reduzierung der Exposition zu ergänzen. Diese Empfehlungen berücksichtigen das Grundprinzip des Strahlenschutzes, möglichst auf eine Reduzierung der persönlichen Exposition zu achten, ebenso wie die stets zunehmende Exposition der Verbraucher durch die multiple Nutzung funkgestützter Technologien.

Eine der geeigneten Möglichkeiten, die persönliche Strahlenexposition zu reduzieren liegt darin, auf die Benutzung eines Handys mit einem geringen SAR-Wert zu achten (SAR = „Spezifische Absorptionsrate“). Der SAR-Wert hat sich als ein geeigneter und praktikabler Orientierungswert herauskristallisiert. Der in Deutschland für Handys gültige SAR-Wert ist 2 W/kg. Das BfS bemüht sich, den SAR-Wert für den Verbraucher als Orientierungshilfe für die Strahlenbelastung und als Möglichkeit für den persönlichen Handlungsspielraum bei der Kaufentscheidung eines Handys „verständlich“ zu machen. Im Jahr 2002 wurden Vergabegrundlagen für den „Blauen Engel“ für Handys beschlossen. Der „Blaue Engel“ kann für Mobiltelefone beantragt werden, deren SAR-Wert 0,6 W/kg nicht überschreitet. Daneben sind weitere Aspekte der umwelt- und recyclingfreundlichen Produktion der Geräte einzuhalten. Der erste Blaue Engel für ein Handy wurde erst im Juli 2007 beantragt und vergeben.

Das BfS ließ die Bedeutung des SAR-Wertes für die Kaufentscheidung eines Handys in der Bevölkerung erfassen (Infas 2007). Es zeigte sich, dass der SAR-Wert nur einem guten Viertel der Befragten bekannt war (in 2006: 27 Prozent), die Bekanntheit ist in den vergangenen Jahren auch nicht gestiegen. Dazu kommt die geringe handlungsleitende Wirkung dieses Merkmals, auch wenn diese im Zeitvergleich zugenommen hat: In 2006 haben sich erst 15 Prozent derer, die den SAR-Wert kennen, bei einer Entscheidung über die Anschaffung eines Handys am SAR-Wert orientiert.

Ein geringes öffentliches Interesse am SAR-Wert spiegeln auch die Jahresgutachten der Mobilfunknetzbetreiber 2007 wider, in der die Mitarbeiter von betreibereigenen Mobilfunkshops über ein geringes Interesse der Kunden an den SAR-Werten von Handys berichten (Difu 2008).

Bezogen auf die Wahrnehmung des SAR-Wertes führte Wiedemann Untersuchungen durch, ob und in welcher Weise der SAR-Wert ein Sicherheitsmerkmal für die Öffentlichkeit darstellt (Wiedemann et al. 2008). Es zeigte sich, dass das Sicherheitsurteil der Befragten umso höher ausfällt, je geringer der SAR-Wert ist. Allerdings bietet kein SAR-Wert den Probanden eine 100-prozentige Sicherheit für die Gesundheit, auch wenn der Grenzwert deutlich unterschritten wird. In den Experimenten hatte weder die Zusatzinformation, dass das BfS einen Vorsorgewert von 0,6 W/kg empfohlen hat, noch der Hinweis, dass dieser Wert von Verbraucherschutzverbänden empfohlen wurde, einen Einfluss auf die Sicherheitsurteile der Laien. Je höher das Risiko des Mobilfunks eingeschätzt wurde, um so geringer wurde die Sicherheit des SAR-Wertes beurteilt, und umso bedeutender wurde der SAR-Wert für die Kaufentscheidung im Vergleich zu anderen Merkmalen eines Handys (wie Kamera, Preis, Design und Internetzugang). Trotz möglicherEinschränkung der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reale Kaufsituationen schlussfolgert Wiedemann, dass die Verbraucher dem SAR-Wert möglicherweise mehr Bedeutung beimessen würden, wenn er beim Verkauf von Handys stärker mit in den Vordergrund gerückt würde (Wiedemann et al. 2008).

3.4   Kontroverse um Vorsorgeempfehlungen

Die Herangehensweise, bestehende Grenzwerte durch Vorsorgemaßnahmen zu ergänzen, wird seit einigen Jahren weltweit diskutiert. Die Kontroversen beziehen sich dabei insbesondere auf die Frage, ob „Vorsorgeempfehlungen“ zu einer Erhöhung der Besorgnis führen. Man geht davon aus, dass Vorsorgeempfehlungen als Eingeständnis eines unkalkulierbaren und größeren Risikos verstanden werden könnten.

Eine dazu durchgeführte experimentelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Vorsorgemaßnahmen (untersucht für die Maßnahmen: Expositionsminimierung, besonderer Schutz sensibler Bereiche, Vorsorgegrenzwerte) die Besorgnis über EMF verstärken sowie das Vertrauen in den Gesundheitsschutz verringern könnten (Wiedemann, Schütz 2005). Eine Wiederholungsstudie fand nur für die Nennung „Schutz sensibler Bereiche“ einen signifikanten Effekt auf eine erhöhte Risikowahrnehmung (Wiedemann et al. 2006). Für das Vertrauen in den Gesundheitsschutz fanden sich hier allerdings keine Effekte. Die Nennung von Vorsorgeempfehlungen zeigte in beiden Studien keinen Effekt auf die wahrgenommene Qualität des wissenschaftlichen Kenntnisstandes.

Zur weiteren Erforschung der Thematik koordiniert die Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik im Forschungszentrum Jülich derzeit ein internationales Forschungsprojekt zur Wirkung von Vorsorgemaßnahmen auf die Risikowahrnehmung der Bevölkerung.[3]

4     Konsequenzen für die Risikokommunikation des BfS

Die dargestellten Aspekte bestätigen das BfS in seinem eingeschlagenen Weg, dem Thema Risikowahrnehmung und Risikokommunikation im Prozess der wissenschaftlichen Risikobewertung einen wichtigen Stellenwert einzuräumen. Dabei muss das Bewusstsein auf Seiten der Wissenschaft weiter erhöht werden, dass der wissenschaftlichen Risikobewertung andere Maßstäbe und Anhaltspunkte zu Grunde liegen als der Bewertung durch Laien. Eine wichtige Aufgabe ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse noch stärker „laiengerecht“ zu formulieren. Weiterhin ist auf eine nachvollziehbare Darstellung des Wissens, des verbleibenden Nichtwissens und der Grenzen dessen, was Wissenschaft leisten kann, zu achten. Der Sprachgebrauch muss verstärkt darauf hin überprüft werden, ob die verwendeten Begriffe zur Beschreibung von Erkenntnissen und Bewertungen von Laien, die keinen Einblick in die wissenschaftlichen Prozesse haben, in der intendierten Form verstanden werden.[4] Letztlich bedeutet das, noch stärker auf die Grundlagen guter Wissenschaftskommunikation zu fokussieren, um die Voraussetzung für das Verständnis von Informationen zu ermöglichen.

In Anbetracht der stetig steigenden Exposition muss die Anwendung des Vorsorgeprinzips auch weiterhin Anwendung finden. Es ist z. B. davon auszugehen, dass die Intensität der Handynutzung im Zuge der immer günstigeren Angebote von Flatrates und Kombinationen von „mobil“ und „zu Hause“ in Zukunft weiter steigen wird. Zur Reduzierung der Exposition wird sich das BfS auch weiterhin um eine stärkere Wahrnehmung des SAR-Wertes bemühen, um diesen als einen Aspekt in der Kaufentscheidung zu etablieren. Die Erkenntnisse zur Wahrnehmung von Vorsorgemaßnahmen zeigen, wie wichtig es ist, gegenüber der Öffentlichkeit die Herleitung des Vorsorgeprinzips im Bereich der nicht-ionisierenden Strahlung nachvollziehbar zu erläutern. Einem möglichen Effekt einer Erhöhung von Besorgnis oder Risikowahrnehmung kann damit möglicherweise entgegen gewirkt werden.

Die Ausführungen hier zeigen ebenso, dass der Wunsch nach Informationen nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung besteht. Besorgnis und teils schon erfolgte Meinungsbildung erschweren die Kommunikation mit diesen Personengruppen. Eine mögliche Lösung, unterschiedlichen Informationsbedürfnissen und Informationsverhalten in der Bevölkerung gerecht zu werden, besteht aus Sicht des BfS in einem kontinuierlichen Austausch mit Multiplikatoren und Stakeholdern, die jeweils Ansprechpartner für verschiedene Bevölkerungsgruppen sind und auch die spezifischen Eigenschaften ihrer jeweiligen „Zielgruppe“ am besten kennen. Die geplante Fortführung des „Runden Tisches zum Deutschen Mobilfunk-Forschungsprogramm“ (RTDMF) als „Runder Tisch“ rund um Themen der neuen Funktechnologien könnte eine geeignete Plattform für einen entsprechenden Informationsaustausch bieten.

Anmerkungen

[1]  Telefonische Bevölkerungsbefragung für das BfS in mehreren Wellen in den Jahren 2003 bis 2006; je Welle 2.500 Interviews.

[2]  Schütz (2008) bietet einen zusammenfassenden Überblick über die wissenschaftlichen Diskussionen zum Thema Vertrauen.

[3]  Siehe dazu das Projekt „Mobilfunk: eine internationale Studie zum Einfluss von Vorsorgemaßnahmen auf die Risikowahrnehmung und Vertrauen“. http://www.fz-juelich.de/inb/inb-mut//projekte/projekte_aktuell.html (download 10.9.08).

[4]  Eine umfassende Abhandlung über die Darstellung von Evidenz findet sich bei Wiedemann, Schütz (2008).

Literatur

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Büllingen, F.; Hillebrand, A., 2005: Zielgruppenanalyse zur differenzierten Information über Mobilfunk und Gesundheit; http://www.emf-forschungsprogramm.de/forschung/risikokommunikation/risikokommunikation_abges/risiko_030.html (download 14.12.08)

Difu – Deutsches Institut für Urbanistik, 2008: Jahresgutachten 2007 zur Umsetzung der Zusagen der Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber. Mai 2008, Berlin; http://edoc.difu.de/edoc.php?id=X7G3PCAZ (download 14.12.08)

Douglas, M.; Wildavsky, A., 1982: Risk and Culture. University of California, Berkeley, CA

Festinger, L., 1978:. Theorie der kognitiven Dissonanz. Bern Fischhoff, B.; Slovic, P.; Lichtenstein, S. et al., 1978: How Safe is Safe Enough? A Psychometric Study of Attitudes Towards Technological Risks and Benefits. In: Policy Sciences 9/1 (1978), S. 127-152

Infas – Institut für angewandte Sozialwissenschaften, 2007: Ermittlung der Befürchtungen und Ängsteder breiten Öffentlichkeit hinsichtlich möglicher Gefahren der hochfrequenten elektromagnetischen Felder des Mobilfunks – jährliche Umfragen; http://www.emf-forschungsprogramm.de/home/forschung/risikokommunikation/risikokommunikation_abges/risiko_021.html (download 14.12.08)

Grummich, K., 2007: Überblick und Analyse der Berichterstattung deutscher Printmedien aus den Jahren 2002 – 2007; http://www.bioethik-diskurs.de/documents/Gutachten_Startseite/Studie_Medienreflex (download 14.12.08)

Jungermann, H.; Slovic, P., 1993: Die Psychologie der Kognition und Evaluation von Risiko. In: Bechmann, G. (Hg.): Risiko und Gesellschaft. Grundlagen und Ergebnisse interdisziplinärer Risikoforschung. Opladen

Kahan, D.M., 2008: Two Conceptions of Emotion in Risk Regulation. In: University of Pennsylvania Law Review 156/3 (2008), S. 741-766

Schreier, N.; Huss, A. et al., 2006: The Prevalence of Symptoms Attributed to Electromagnetic Field Exposure: a Cross-sectional Representative Survey in Switzerland. In: Sozial- und Präventivmedizin 51/4 (2006), S. 202-209

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Wiedemann, P.M.; Schütz, H. (Hg.), 2008: The Role of Evidence in Risk Characterization. Making Sense of Conflicting Data. Weinheim

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Wiedemann, P.M.; Thalmann, A.T.; Grutsch, M.A. et al. , 2006: The Impacts of Precautionary Measures and the Disclosure of Scientific Uncertainty on EMF Risk Perception and Trust. Journal of Risk Research 9/4 (2006), S. 361-372

Zwick, M.M.; Renn, O., 2002: Wahrnehmung und Bewertung von Risiken. Ergebnisse des Risikosurvey Baden-Württemberg 2001. Arbeitsbericht der TA-Akademie Nr. 202, Stuttgart

Kontakt

Christiane Pölzl
Bundesamt für Strahlenschutz
FB Strahlenschutz und Gesundheit
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