TA-Projekte
Gendoping. Vom Phantom zur realen Gefahr?
Gendoping
Vom Phantom zur realen Gefahr?
von Katrin Gerlinger, Thomas Petermann, Arnold Sauter, Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag
Aus der Übertragung der weitreichenden Ziele und Visionen der Humangenomforschung und ihrer potenziellen Anwendungsmöglichkeiten in die Welt des Sports ist vor etlichen Jahren ein Phantom entstanden: Gendoping. Aufgrund der langen und ungebrochenen Tradition des Dopings im Sport erscheint es durchaus plausibel, dass in diesem illegalen und betrügerischen Umfeld eine besondere Bereitschaft besteht, trotz Verbot und Sanktionen hochriskante und medizinisch kaum geprüfte Mittel und Verfahren auszuprobieren und anzuwenden. Die Dopingmöglichkeiten werden durch gezieltere und subtilere Manipulationstechniken dramatisch zunehmen, und der Nachweis wird immer schwieriger und aufwendiger.
Angesichts der sich abzeichnenden Brisanz haben sich die Gremien des Deutschen Bundestages mit dem Thema „Gendoping“ befasst. Auf Initiative des Sportausschusses und im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages untersuchte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) den Stand der Genom- und Proteomforschung aus der Perspektive eines möglichen Missbrauchs zur Leistungssteigerung im Sport, damit einhergehende gesundheitliche Risiken, Nachweismöglichkeiten, wahrscheinliche Einfallstore und mögliche Hürden, die eine Verbreitung von Gendoping zumindest verzögern könnten (Gerlinger et al. 2008). Dieser Beitrag gibt einen Überblick über zentrale Projektergebnisse.
1 Definition Gendoping
Der Begriff „Gendoping“ wird häufig sehr eng gefasst, nämlich als Missbrauch gen- und zelltherapeutischer Strategien, bei denen genetisches Material in Form von DNA oder RNA einer Zelle, einem Organ oder einem Organismus zugeführt wird (Gendoping im engeren Sinn [i. e. S.]). Das TAB folgte in seiner Analyse der weiten begrifflichen Fassung von Gendoping, die auch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) verwendet. Entsprechend ihrer Verbotsliste ist Gendoping explizit auch eine Beeinflussung der Genaktivität mit anderen Methoden (Gendoping im weiteren Sinn [i. w. S.]). Laut WADA (2008) ist Gendoping „die nichttherapeutische Anwendung von Zellen, Genen, Genelementen oder der Regulierung der Genexpression, welche die sportliche Leistungsfähigkeit erhöhen kann“ (Abb. 1).
Abb. 1: Mögliche Grundlagen für Gendoping: Gentherapie und Modulation der Genexpression
Quelle: Eigene Darstellung
Die wissenschaftliche Basis neuer (Gen-) Dopingmöglichkeiten bilden die zunehmenden Kenntnisse über molekulare Mechanismen der Zellfunktion und die darauf aufbauenden immer avancierteren molekularbiologischen Techniken, von denen sich die Medizin neue Therapieansätze gegen Krankheiten erhofft, die jedoch auch zu (Gen-)Dopingzwecken missbraucht werden könnten.
1.1 „Gendoping i. e. S.“: Missbrauch der Gentherapie
Als Gentherapie werden Strategien zur Behebung genetischer Defekte bezeichnet, bei denen Gene bzw. genetische Elemente in Zellen mittels Transportvektoren („Genfähren“) eingebracht werden (DFG 2006). Diese therapeutischen Gene können theoretisch in jede Zelle, d. h. in normale Körperzellen (somatische Zellen) wie auch in Keimbahnzellen (Ei- oder Samenzellen) eingebracht werden. Sowohl in Deutschland als auch weltweit gibt es jedoch einen weitreichenden Konsens, dass lediglich somatische Gentherapieversuche am Menschen wissenschaftlich und ethisch vertretbar sind. Bisher am Menschen getestete somatische Gentherapieversuche richteten sich vor allem gegen Krebserkrankungen, monogene Erbkrankheiten, Infektionskrankheiten (v. a. HIV) und kardiovaskuläre Störungen. Der Gentransfer erfolgt entweder
- ex-vivo, d. h. spezifische Zellen, meist Stammzellen, werden dem Körper entnommen, erhalten das entsprechende therapeutische Gen und werden anschließend wieder in den Körper eingebracht (bisher konnten nur wenige Arten somatischer Zellen in Kultur genommen werden und nur bei wenigen gelang die Rückübertragung in den Körper), oder
- in-vivo, d. h. das therapeutische Gen wird direkt im Organismus in Zellen eingeschleust (auch hier traten bisher unterschiedliche praktische Schwierigkeiten auf, für die auch die verwendeten Vektoren verantwortlich gemacht werden; die Prozesssteuerung ist bisher kaum möglich).
Bei gentherapeutischen Behandlungsstrategien spielen die Transportvektoren eine wichtige Rolle. Es gibt unterschiedliche Arten, die auf jede Therapieform abgestimmt werden. Bisher wurden meist abgewandelte Viren eingesetzt.
Da diese jedoch für etliche Nebenwirkungen mitverantwortlich gemacht werden, testet man zunehmend auch neue Transportmöglichkeiten bis hin zu sog. „nackter DNA“ (Gerlinger et al. 2008, S. 31ff.).
1.2 „Gendoping i. w. S.“: Missbrauch von Verfahren zur Regulation der Genexpression
Andere therapeutische Strategien versuchen das Einbringen von zusätzlichen Genen zu umgehen und zielen stattdessen auf die Veränderung des Expressionsprozesses einzelner vorhandener Gene (z. B. durch Aktivierung, Verstärkung, Abschwächung oder Blockade). Dabei ist jeder einzelne Schritt der Genexpression (vom Ablesen der genetischen Information über die Produktion bis zur Wirksamkeit der Proteine) einer physiologisch hochkomplexen Regulierung unterworfen und bietet Ansatzpunkte zur Modifikation (Abb. 2 nächste Seite).
Die zugrunde liegenden biochemischen und physiologischen Prozesse sind jedoch, sowohl auf der Ebene der Zellen als auch auf der Ebene der Gesamtregulation im Körper, in ihrer Komplexität bisher nur teilweise verstanden. Aus der Erforschung der vernetzten Regelkreise leistungsphysiologisch relevanter Eigenschaften resultiert eine Vielzahl von Ansatzpunkten für pharmakologische und molekularbiologische therapeutische Interventionen, die jedoch auch zum Doping missbraucht werden können (Gerlinger et al. 2008, S. 26ff.).
1.3 Was Gendoping nicht ist
Eine häufig anzutreffende Vorstellung vom Ziel möglichen Gendopings ist die einer „Verbesserung“ der genetischen Ausstattung (Gendisposition) von Athleten – z. B. mittels gezielten Austauschens oder Hinzufügens von Genvarianten oder gar mittels pränataler Auslese. Eine detaillierte Untersuchung der Ergebnisse der Genomanalyse ergab jedoch, dass das molekulargenetische Wissen zu „Hochleistungsgenvarianten“ bislang äußerst begrenzt, unscharf und widersprüchlich ist, sodass „Erfolg versprechende“
Verfahren zur gezielten Veränderung der genetischen Disposition auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich sind. Das TAB-Projekt hat also keinerlei Hinweise darauf erbracht, dass Strategien der Menschenselektion oder -züchtung für sportliche Leistungssteigerungen in absehbarer Zukunft technisch umsetzbar wären. Entsprechende Vor- und Darstellungen zu einem zukünftigen Gendoping sind wissenschaftlich derzeit nicht untermauert.
2 Ziele, Entwicklungsstand, Nachweisbarkeit
Die Ansatzpunkte eines möglichen Gendopings unterscheiden sich wahrscheinlich nicht wesentlich von bisherigen Dopingstrategien. Sie werden in drei physiologischen Bereichen und deren molekularer Regulation gesehen:
- Skelettmuskulatur: Wachstum, Struktur, Kraft, Ausdauer, Regeneration (molekulare Ziele: Myostatin, HGH / IGF / MGF, Pax7, PPAR-delta)
- Sauerstoffversorgung: Hämoglobinkonzentration, Blutgefäßversorgung (molekulare Ziele: EPO, HIF, VEGF)
- Energiebereitstellung: Fettsäure- und Glucosestoffwechsel in Leber und Muskel (molekulare Ziele: FATPs, GLUTs, PTP-1B)
Konkrete Hinweise auf eine in manchen Darstellungen angeführte Beeinflussung der Schmerzempfindlichkeit mittels Gendoping konnten nicht gefunden werden.
In den genannten Bereichen gibt es unterschiedliche Forschungsansätze und Entwicklungsvorhaben zur Behandlung von Krankheiten (Muskel-, Blut- oder Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes, Adipositas), denen aufgrund der direkten leistungssteigernden Wirkung ein unmittelbares Missbrauchspotenzial innewohnt. Von den im Rahmen des TAB-Projekts identifizierten, in klinischer Erprobung befindlichen Verfahren hatte bislang lediglich eines einen explizit gentherapeutischen Ansatz (Induktion der Expression von VEGF-2 im Herzmuskel mittels „nackter“ DNA). Verschiedene andere Verfahren versuchen die Genaktivität zu verändern (der Missbrauch wäre Gendoping i. w. S.). Allein vier zielen auf die Hemmung von Myostatin, wodurch das Muskelwachstum nicht mehr abgebremst wird. Die Verfahren befanden sich meist im präklinischen Stadium (Tierversuche; über Anwendungen am Menschen wurde bisher noch nicht berichtet). Bisher führte jedoch noch kein therapeutisches Forschungsvorhaben zu einer Zulassung (Gerlinger et al. 2008, S. 35-54).
Auch die allgemeinere Analyse des Entwicklungsstandes gentherapeutischer Strategien ohne direkten Bezug zu leistungssteigernden Strukturen zeigte, dass bisher nur wenige Studien die klinische Phase III (Wirksamkeitsnachweis) erreicht haben, nach deren erfolgreichem Abschluss eine Zulassung erteilt werden kann. Zur Behandlung von seltenen Tumorerkrankungen wurde bisher eine Zulassung in Europa und eine in China erteilt. Am Menschen erfolgreich waren bisher nur Ansätze der Genaddition (ein therapeutisches Gen wird in eine Zelle eingeschleust, ohne das ursprüngliche zu entfernen) oder der Geninaktivierung (verschiedene Möglichkeiten auf DNA- oder RNA-Ebene, siehe Abb. 2). Anders als vielfach angenommen, gelangen die Veränderungen bisher meist nur vorübergehend. Verfahren der Genkorrektur, des Genersatzes und der Genaktivierung sind bisher lediglich im Tierversuch geglückt (Gerlinger et al. 2008, S. 28ff.).
Abb. 2: Ansatzpunkte für eine Modifikation der körpereigenen Genaktivität
Quelle: P. Diel, unter Verwendung einer Abbildung der Fa. Roche
Trotz der nach wie vor frühen Entwicklungsphase von gentherapeutischen oder genregulativen Verfahren, bleibt festzuhalten, dass Gewebshormone (z. B. Wachstumsfaktoren), also diejenigen Moleküle, die bereits heute in der „konventionellen“ Dopingpraxis interessant sind, besonders häufig Studiengegenstand waren.
Es erscheint durchaus plausibel, dass zukünftig die Möglichkeiten einer gezielten und subtilen, vermutlich immer schwerer nachweisbaren Manipulation zunehmen werden. Obdies durch die Übertragung von genetischem Material im eigentlichen Sinn (DNA oder RNA) oder sonst wie pharmakologisch erfolgt, ist zwar für die Entwicklung von Nachweis- und Kontrollverfahren wichtig, für eine darüber hinausgehende Folgenbetrachtung und Vorsorgeforschung insbesondere unter dem Blickwinkel zukünftiger Antidoping-Maßnahmen jedoch weitgehend irrelevant.
Da nach wie vor nicht bekannt ist, auf welche Art und Weise Gendoping manifest wird, gibt es auch noch kein exaktes Nachweisverfahren. Sehr wahrscheinlich wird der Nachweis noch aufwendiger als bisher und infolge dessen werden die Anforderungen an die Dopingkontroll- und -sanktionssysteme ebenfalls weiter steigen. Die WADA fördert bereits seit mehreren Jahren Projekte zum Nachweis von Gendoping, die jedoch mehrheitlich der Grundlagenforschung zuzuordnen sind. Der Weg bis zu einem anwendbaren Test, der vor einem Gericht als Beweismittel standhält, ist voraussichtlich noch lang. Ohne einen gerichtsfesten Beweis greifen jedoch die bestehenden Dopingkontroll- und -sanktionssysteme des organisierten Sports nicht (wie es heute schon beim Doping mit Wachstumshormonen und Formen des Blutdopings der Fall ist).
3 Risikoabschätzung
Die theoretisch „elegante“ Gentherapie ist in der Praxis schwierig und nach wie vor extrem risikobehaftet. Komplikationen wie heftige Immunreaktionen, leukämieähnliche Zustände oder gar Todesfälle gehen mit ihr einher (Diel, Friedel 2007). Bewertungen der gentherapeutischen Resultate, die auf einer Abwägung des Krankheitsverlaufs mit und ohne Therapeutikum basieren, sind nach wie vor kontrovers und nur in Zusammenhang mit der Schwere der Krankheit zu sehen. Dementsprechend zielen medizinische Forschungsansätze auf die Behandlung kranker Menschen, und die klinische Prüfung fokussiert auf die spezifische Wirkung dieser Therapien innerhalb eines bestimmten Krankheitsverlaufs. Nebenwirkungen und potenzielle Risiken der missbräuchlichen Verwendung durch gesunde, zum Teil physisch extrem belastete Sportler sind hingegen kein Gegenstand medizinischer Forschung. Deshalb können die gesundheitlichen Risiken eines Missbrauchs für Dopingzwecke auf der Basis klinischer Medikamentenprüfungen prinzipiell nicht abgeschätzt werden. Zusätzlich zu den spezifischen Nebenwirkungen einzelner Medikamente traten durch Überdosierungen, die gleichzeitige Einnahme verschiedener Mittel und extreme physische Belastungssituationen auch in der Vergangenheit bei einzelnen dopenden Sportlern Gesundheitsschäden, zum Teil mit Todesfolge, auf. Aus dieser Per-spektive können auch Gendopingmethoden kaum noch riskanter sein.
Die derzeitige Dopingsituation zeigt jedoch, dass sich einzelne Sportler auch durch unbekannte gesundheitliche Risiken und mögliche Nebenwirkungen bis hin zur möglichen Todesfolge nicht abschrecken lassen. Auch ist anzunehmen, dass einzelne Personen nicht warten werden, bis wissenschaftlich fundierte Therapiezulassungen vorliegen.
4 Einfallstore und Barrieren
Über diese extrem risikobereiten Personen wird Gendoping Eingang finden in die Sportwelt. Auch wenn Aussagen zur Risikobereitschaft von Sportlern eher Vermutungen als gesicherte Erkenntnisse sind, scheint es plausibel, dass Gendoping an der Leistungsspitze des Wettkampfsports sowie im besonders ehrgeizigen Bodybuilding zuerst manifest werden wird. Dies wird durch die bestehenden Gendoping-Verbotstatbestände des Arzneimittelgesetzes und der in weiten Teilen des Wettkampfsports gültigen organisationsinternen Regelungen aufgrund der offenen Nachweisfrage kaum verhindert werden können. Wie schnell und stark sich Gendoping von dort ausbreiten kann, wird von einer Reihe weiterer Barrieren abhängen.
4.1 Spitzensport
Die Vermutung, dass ein Einfallstor für Gendoping im Wettkampfsport besteht, gründet sich darauf, dass
- sportlicher Wettbewerbserfolg teilweise extrem honoriert wird, dieser jedoch nur durch jahrelange und ausschließlich auf dieses Ziel ausgerichtete Vorbereitung möglich ist und sich Alternativen für den einzelnen Athleten schrittweise reduzieren (Bette, Schimank 2006);
- das Verletzungsrisiko parallel zu den kontinuierlich steigenden Wettbewerbsanforderungen steigt, dies mit einer vergleichsweise starken Medikalisierung des Sportalltags einhergeht und in eine kontinuierliche Reduktion der pharmakologischen Hemmschwellen mündet (Singler, Treutlein 2007);
- Doping in einzelnen Bereichen ohnehin weitverbreitet ist und der Druck, nicht nachweisbare Dopingmethoden anzuwenden, dort besonders hoch ist;
- aufgrund der hohen Kommerzialisierung finanzielle Mittel in vergleichsweise großen Mengen vorhanden sind und
- internationale Strukturen (Labore, Personal, Transport) bereits teilweise aufgebaut sind.
Wie bereits heute werden Sportarten, bei denen Erfolg direkt mit vergleichsweise singulären physiologischen Leistungen verknüpft ist und mit großem ideellen und materiellen Nutzen einhergeht, sowie Sportarten, in denen Dopingverhalten wenig thematisiert und wenig effizient bekämpft wird, am ehesten betroffen sein.
Barrieren für die Erstanwendung bzw. die Verbreitung von Gendoping innerhalb des Spitzensports sind die wahrscheinlich noch bestehende Nichtverfügbarkeit bzw. Nichtzugänglichkeit der Verfahren sowie wirksame Nachweisverfahren als Schlüssel für die Sanktionierung. Auch wenn es bizarr klingt, ist die Nichtnachweisbarkeit derzeitiger Dopingmittel und -methoden vermutlich eine wirksame Anwendungsbarriere für Gendoping: Solange aktuell praktizierte Methoden nicht nachgewiesen werden können, ist der Druck, auf andere mit noch unbekannterem Risiko verbundene Methoden auszuweichen, vergleichsweise gering. Auch die Art und Weise der Anwendung wird die Verbreitung beeinflussen (je einfacher die Anwendung, desto größer die Verbreitungsgefahr). Als diesbezüglich besonders besorgniserregend sind die im März 2008 publizierten Ergebnisse einer chinesischen Forschungsgruppe einzuordnen, die durch dem Futter beigemischte Myostatin siRNA einen deutlichen Zuwachs an Muskelmasse bei Mäusen erzeugten (Liu et al. 2008). Eine Zellentnahme, eine Kultivierung und Rückführung sowie eine Injektion waren dafür nicht nötig.
4.2 Bodybuilding
Erfolgte in der Vergangenheit die Erstanwendung von Dopingmitteln zuerst im Spitzensport und breitete sich von dort weiter aus, könnte Gendoping mehr oder weniger parallel zum Spitzensport oder sogar noch früher auch im Sport zur individuellen Körperformung Eingang finden; einige Personen aus dem Bodybuildingbereich bieten sich bereits heute proaktiv als Testpersonen an. Die Vermutung, dass ein Einfallstor für den Missbrauch der neuen Behandlungsstrategien auch zum individuellen Bodybuilding besteht, gründet sich unter anderem darauf, dass
- der Wunsch nach einem athletischen Körper als Sinnbild für Stärke und Erfolg gesellschaftlich relativ fest verankert ist;
- (Gen-)Doping als selbstschädigendes Verhalten außerhalb von Sportorganisationen nicht verboten und damit nicht kontrollierund sanktionierbar ist, sodass der Missbrauch von Arzneimitteln zur körperlichen Leistungssteigerung dort ebenfalls zu beobachten ist (laut Boos, Wulff [2001] gaben 19 Prozent von ca. 450 befragten Fitnessstudiobesuchern Doping zu);
- die Medikalisierung des Alltags auch in diesem Bereich fortgeschritten ist bzw. geringe pharmakologische Hemmschwellen vorhanden sind, die mit tendenziell geringer Risikowahrnehmung und einseitiger Informationsgenerierung aus dopingbefürwortenden Milieus verbunden sind;
- bestehende Regelungen des Arzneimittelbereiches in Bezug auf Informationsbeschränkung, Werbung, Zugangswege und Überwachung im Zeitalter des Internets und der Globalisierung immer weniger greifen und in dopingbefürwortenden Milieus Hersteller und potenzielle Kunden schnell zueinander finden;
- internationale Strukturen, die auch den Drogenmarkt bedienen, bereits bestehen (Donati 2007) und diese „einfach“ zu applizierende (Gen-)Dopingmittel wahrscheinlich auch herstellen, fälschen, beschaffen und / oder verteilen können.
Barrieren für die Erstanwendung bzw. die Verbreitung von Gendoping innerhalb des Bodybuildings sind ebenfalls die wahrscheinlich noch bestehende Nichtverfügbarkeit bzw. Nichtzugänglichkeit der Verfahren. Eine weitere Barriere ist in Zusammenhang mit der Anwendungsform und der Frage zu sehen, ob eine Eigenanwendung möglich ist. Innerhalb des Bodybuildings bilden anabole Steroide heute den Vergleichsmaßstab. Solange die Bilanz aus Wirksamkeit, unmittelbaren Nebenwirkungen, Anwendungsform und Kosten von Gendoping ungünstiger als die von anabolen Steroiden ist, bildet diese ebenfalls eine Barriere.
5 Ansatzpunkte für Sport und Politik
Damit Erfolge im Anti-Doping-Kampf nicht entwertet werden, müssten aus Sicht des TAB vier Elemente einer spezifischen Anti-Gendopingstrategie umgesetzt werden:
- kontinuierliche Beobachtung gendoping relevanter wissenschaftlicher Trends und pharmazeutischer Entwicklungsvorhaben im Sinne eines Frühwarnsystems
- Forschung und Entwicklung im Bereich Nachweis, Test und Kontrollverfahren
- Konkretisierung der Doping-Verbotsliste, um die Bestimmtheit der bestehenden Straftatbestände zu gewährleisten
- Aufklärung und Information (Gendoping-Prävention sollte als eigenständige Aktivität losgelöst vom Dopingkontroll- und -sanktionssystem etabliert werden und alle Risikogruppen in den Blick nehmen)
Wesentliche Ergebnisse des TA-Projekts „Gendoping“ wurden im März 2008 auf einer gemeinsamen öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und des Sportausschusses präsentiert. Die Kombination aus der Ergebnispräsentation durch das TAB mit einer anschließenden offenen, lebhaften und sachlichen Diskussion zwischen den anwesenden Mitgliedern des Deutschen Bundestages, dem TAB-Team, sieben Projektgutachtern, Medienvertretern undder interessierten Öffentlichkeit schlug sich in einer starken medialen Resonanz nieder. Diese ist sicher auch der besonderen Brisanz des Themas zuzuschreiben, denn im Gendoping bündelt sich wie in einem Brennglas die übergreifende Thematik des Dopings im Sport. Es sollte für alle in der Verantwortung stehenden Akteure ein starkes Argument für die Fortführung und Weiterentwicklung der bestehenden Anti-Doping-Aktivitäten sein.
Literatur
Bette, K.H.; Schimank, U., 2006: Doping im Hochleistungssport. Frankfurt a. M.
Boos, C.; Wulff, P., 2001: Der Medikamentenmissbrauch beim Freizeitsportler im Fitnessbereich. Öffentliche Anhörung zum Doping im Freizeit- und Fitnessbereich. Protokoll der 38. Sitzung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, 14. Wahlperiode, S. 115-152
DFG – Deutsche Forschungsgemeinschaft, 2006: Entwicklung der Gentherapie. Stellungnahme der Senatskommission für Grundsatzfragen der Genforschung. Mitteilung 5, Bonn
Diel, P.; Friedel, U., 2007: Gendoping: Techniken, potenzielle biologische Ziele und Möglichkeiten des Nachweises. Gutachten im Auftrag des Deutschen Bundestages, Deutsche Sporthochschule Köln
Donati, A., 2007: World traffic in doping substances; http://www.wada-ama.org/rtecontent/document/Donati_Report_Trafficking_2007-03_06.pdf (download 27.6.08)
Gerlinger, K.; Petermann, Th.; Sauter, A., 2008: Gendoping. Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Endbericht, TAB-Arbeitsbericht Nr. 124, Berlin
Liu, C.-M.; Yang, Z.; Liu, C.W. et al., 2008: Myostatin antisense RNA-medicated muscle growth in normal and cancer cachexia mice. In: Gene Therapy 15 (2008), S. 155-160
Singler, A.; Treutlein, G., 2007: Doping in demokratischen Gesellschaftssystemen. Gutachten im Auftrag des Deutschen Bundestages, Heidelberg
WADA – Welt-Anti-Doping-Agentur, 2008: The Prohibited List 2008. http://www.nada-bonn.de/fileadmin/user_upload/nada/Downloads/Listen/080403_Verbotsliste-WADA-2008-deutsch.pdf (download 27.6.08)
Kontakt
Dr. Katrin Gerlinger
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