R.A. Pielke Jr.: The Honest Broker. Making Sense of Science in Policy and Politics

Rezensionen

Die Alternative zum Schiedsrichter und Advokat: der ehrenhafte Vermittler

Pielke, R.A. Jr.: The Honest Broker. Making Sense of Science in Policy and Politics. New York: Cambridge University Press, 2007, 198 S., ISBN 978-0-52169481-0, € 23,99

Rezension von Silke Beck, UFZ

Immer mehr Themen von der Lösung alltäglicher Probleme bis hin zur globalen Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sind heute ohne den Beitrag von Wissenschaftlern kaum noch denkbar. Trotz der wachsenden Bedeutung von Wissenschaften herrscht eine gewisse Rat- und Orientierungslosigkeit über die politische Rolle von Experten in der globalen „Wissensgesellschaft“. Beklagt wird häufig die zunehmende Politisierung von Wissenschaft, die die Kehrseite der relativ erfolgreichen Verwissenschaftlichung von Politik darstellt. Damit verbunden entsteht der Eindruck, dass der beteiligte Wissenschaftler nur zwischen Scylla und Charybdis wählen kann, d. h., entweder mitten in das politische „Gefecht“ zu geraten oder sich in seinen „Elfenbeinturm“ zurückzuziehen.

Offensichtlich entsteht in zunehmendem Maße Nachfrage nach Arbeiten, die sich systematisch mit der Rolle von Wissenschaftlern in ihrem politischen Kontext befassen. Diese Lücke versucht Roger Pielke jr. mit seinem Buch zu füllen. Pielke vertritt mit Nachdruck die These, dass Wissenschaftler Wahlmöglichkeiten haben, wenn sie im politischen Kontext tätig werden, und diese auch – wenn hinreichend reflektiert – konstruktiv nutzen können, um gleichzeitig zu effektiver Politik in demokratischen Gesellschaften und zum langfristigen Überleben von Forschung beizutragen. Im Mittelpunkt seiner Arbeiten steht der Versuch, Fragen der naturwissenschaftlichen mit Fragen der politikwissenschaftlichen Klimaforschung zu verbinden.

1     Idealtypische Rollen für Wissenschaft in der Politik

In Kapitel 1 führt Pielke systematisch in die Rollen ein, die Wissenschaftler im politischen Kontext einnehmen können. Er unterscheidet dabei vier idealtypische Rollen:

In Kapitel 2 und 3 zeigt Pielke, dass der Kontext maßgeblich bestimmt, welche Rolle Wissenschaft in der Politik spielen kann und soll. In Kapitel 2 tritt Pielke den Nachweis der These an, dass die idealtypischen Rollen von Wissenschaftlern auf Konzeptionen von Demokratie und von Wissenschaft beruhen (S. 11). Pielke unterscheidet auf der einen Seite zwischen dem Interessengruppenpluralismus-Modell (Madison-Modell) und dem Wettbewerbsmodell der Demokratie (Schattschneider-Modell) und auf der anderen Seite zwischen dem linearen Modell und dem interaktiven Modell von Wissenschaft. Bedauerlicherweise knüpft Pielke hier nicht an die berühmten Diskussionen um Modelle der Politikberatung an (wie beispielsweise die Diskussionen um Technokratie), um seine Klassifikation einzuordnen und zu zeigen, wo er selbst über bestehende Modelle hinausgeht und worin sein eigentlicher Beitrag zu dieser Diskussion besteht. Das Ziel von Pielke ist allerdings nicht modellplatonischer, sondern praktischer Natur. Es geht ihm im Wesentlichen darum, einfache Kriterien zu entwickeln, die fruchtbar angewendet werden können, um eine konstruktive Rolle von Wissenschaftlern im politischen Entscheidungsprozess zu ermitteln (S. 18).

2     Zwischen wissenschaftlichen Unsicherheiten und umstrittenen Werten

Dazu weist Pielke in Kapitel 3, 4 und 5 nach, dass der politische Kontext maßgeblich die Verwendung von Wissenschaft in der Politik bestimmt. In Kapitel 3 greift er auf die in der Politikwissenschaft geläufigen Unterscheidungen zwischen dem Prozess der Verhandlung, der bestimmt, wer was wann wie erhält (Politics), und Ergebnisse des politischen Prozesses im Sinne einer Entscheidung zugunsten einer bestimmten Option unter verfügbaren Alternativen (Policy) zurück (S. 30-38). Diese Unterscheidung scheint die Unterscheidung nach Konzeptionen der Demokratie zu replizieren. Was Pielke nicht explizit, sondern implizit tut, ist, beide Konzeptionen nach der Art der Verwendung von Wissenschaft im politischen Entscheidungskontext zu unterscheiden. Im Schattschneider-Modell und im „Policy“-Kontext werde Wissenschaft praktisch-instrumentell, d. h. als Ressource zur Information genutzt (S. 12). In „Politics“ und im Madison-Modell hingegen werde Wissenschaft ausschließlich symbolisch-instrumentell verwendet, d. h. als Ressource zur Legitimation partikularer politischer Interessen.

In den folgenden Kapiteln zeigt Pielke,dass der Grad der Übereinstimmung über Werte (Kapitel 4) und das Ausmaß der wissenschaftlichen Unsicherheit (Kapitel 5) die Rahmenbedingungen sind, die das Verhältnis des Wissenschaftlers zur Politik bestimmen. Auch wenn Pielke eine gewisse Sympathie für den ehrenhaften Vermittler hegt, betont er, dass die Rollen von Wissenschaftlern generell gleichwertig seien und jede über ihre spezifische Funktion und ihren besonderen Stellenwert verfüge, um den Anforderungen in unterschiedlichen Kontexten (Grad des Konsens oder Dissens über Werte) Rechnung zu tragen. Gleichzeitig hebt Pielke auch die Grenzen von Wissenschaft hervor. Entgegen der landläufigen Erwartung könne und dürfe es nicht die Aufgabe von Wissenschaft sein, politische Konflikte zu lösen oder Wertdifferenzen auszuräumen (S. 50). Gleichzeitig sei davon auszugehen, dass Wissenschaft in vielen Fällen endemisch unsicher und in Folge divers bleibe. Das führe dazu, dass aufgrund der unvermeidlichen Ungenauigkeit und Unschärfe immer wieder verschiedene Interpretationen der wissenschaftlichen Ergebnisse möglich seien (S. 18). Werden Werte geteilt und sind die wissenschaftlichen Unsicherheiten niedrig, dann handele es sich um die Stunde des „Schiedsrichters“ und des „reinen Wissenschaftlers“. In Situationen, in denen keine Übereinstimmung über Werte und hohe Unsicherheit herrsche, komme der „Advokat“ und der „ehrenhaften Vermittler“ zum Zuge (S. 105).

3     Formen der Politisierung von Wissenschaft

Eines der zentralen Themen von Pielke ist die Politisierung von Wissenschaft. Wenn Werte umstritten und Unsicherheiten hoch sind, dann neigen die gegnerischen politischen Parteien dazu, sich diejenigen wissenschaftlichen Informationen herauszuglauben, die ihre partikulare, politische Agenda unterstützen (S. 139). Dieser Trend erweise sich in dem Maße als pathologisch, in dem die politische Debatte in die Wissenschaft verlagert und als Kontroverse über unterschiedliche, konkurrierende wissenschaftliche Erklärungsansprüche ausgetragen werde, was häufig zu einem „Exzess der Objektivität“ führe (Sarewitz). Pielke lenkt nun die Betrachtung auf eine interessante Folgeentwicklung und setzt damit eigene Akzente in der Diskussion um Politikberatung: Am Beispiel der Klimapolitik zeigt er, wie die Diskussion auf eine partikulare politische Option, Vermeidung von Treibhausgasemission oder das Kyoto-Protokoll, eng geführt wird, wobei andere, politisch anschlussfähigere und effektivere Optionen außer Acht gelassen werden. Gleichzeitig werden wissenschaftliche Ergebnisse ausschließlich im Hinblick auf ihre politischen Implikationen bewertet und mit politischen Stellungsnahmen gleichgesetzt, d. h., es geht nur noch darum, ob sie das Kyoto-Protokoll unterstützen oder nicht.

In Kapitel 6 führt Pielke diese Form der Politisierung von Wissenschaft auf das lineare Modell zurück, das, obwohl es faktisch ein Mythos bleibt, die gegenwärtige Forschungspolitik und Politikberatung dominiert. Dem linearen Modell zufolge werden die Kontroversen um Politik in der Wissenschaft entschieden. Die unterstellte Überlegenheit von Wissenschaft über Politik erklärt, warum es in vielen Diskussionen um Umweltpolitik anstatt um politische Alternativen selbst hauptsächlich um ihr wissenschaftliches Fundament geht (S. 121-128). Pielke zufolge erfreut sich dieses Modell großer Wertschätzung, da alle in der Forschungspolitik und Politikberatung beteiligten Parteien von diesem Modell profitieren (S. 131). Das strukturelle Merkmal und Problem dieses Modells besteht darin, dass es in dieser Konstellation den Advokaten überlassen bleibt, wissenschaftliche Ergebnissen in die Politik zu übersetzen, da Politiker dazu neigten, schwierige Entscheidungen an den Wissenschaftler zu delegieren, dieser sich selbst aber aus dem „chaotischen Tagesgeschäft“ heraushalte. Auf diese Weise schaffe das lineare Modell, das von der strikten Trennung zwischen Wissenschaft und Politik ausgeht, paradoxerweise strukturelle Anreize zur Politisierung von Wissenschaft.

In Kapitel 7 zieht Pielke eine provokative Parallele zwischen dem Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik und der Erstschlag-Doktrin in der Außenpolitik. Die Gemeinsamkeit bestehe darin, dass beide politische Strategien darstellen, bei denen wissenschaftliche Unsicherheiten selbst nicht mehr als Begründung dafür genommen werden, abzuwarten, sondern dafür, politische Maßnahmen einzuleiten.

In Kapitel 8 führt Pielke anhand der Lomborg-Kontroverse[1] aus, dass und auf welche Weise Wissenschaftler selbst dazu beitragen,Forschung zu politisieren (S. 119). Ähnlich wie in der Diskussion um den Klimawandel handeln auch in dieser Kontroverse alle beteiligten Wissenschaftler, als ob Umweltpolitik tatsächlich in der Wissenschaft entschieden werde (S. 118). Dies führt ironischerweise dazu, dass Lomborg seinen Kritikern, die so tun, als ob er faktisch großen Einfluss auf die Umweltpolitik habe, mehr verdankt als den Inhalten seiner Publikationen. Pielke zeigt anhand von verschiedenen Fällen, wie Wissenschaftler dadurch, dass sie politische Ergebnisse vorwegnehmen bzw. wissenschaftliche mit politischen Stellungsnahmen gleichsetzen, notwendigerweise zu „heimlichen“ Advokaten werden. Die Parteinahme für eine bestimmte politische Option fände nicht offen, sondern heimlich statt, da Wissenschaftler das Privileg der unwiderlegbaren Wahrheit und der Unparteilichkeit in Anspruch nehmen, das ihre besondere Autorität in politischen Auseinandersetzungen begründen soll (S. 143). Das faktische Übergewicht der Advokaten ist Pielke zufolge dann problematisch, wenn es auf Kosten des ehrenhaften Vermittlers gehe (S. 135).

4     Die Alternative in Gestalt des ehrenhaften Vermittlers

In Kapitel 9 zieht Pielke Lehren und macht konstruktive Vorschläge für Wissenschaftspolitik und Politikberatung. Pielke bestreitet, dass der wissenschaftliche Konsens tatsächlich eine so entscheidende Rolle in der Politik spielt, wie es von Vertretern des linearen Modells unterstellt wird. Pielke plädiert hingegen dafür, dass Wissenschaft in demokratischen Gesellschaften nicht den politischen Entscheidungsprozess ersetzen und Politik zu einer bestimmten Entscheidung nötigen kann und soll. Gerade dann, wenn Wissenschaft hinzugezogen wird, um politischen Konsens zu forcieren (S. 140), hat dies faktisch zu endlosen Kontroversen und zum politischen Stillstand geführt. Als einen möglichen Ausweg schlägt Pielke vor, dass Wissenschaft in Gestalt des ehrenhaften Vermittlers die Verantwortung für die Interpretation von wissenschaftlichen Ergebnissen und ihre Übersetzung in die Politik übernimmt. Anstelle dieser Form von Bevormundung sei es jedoch die Aufgabe von Wissenschaft, Entscheidungsalternativen und Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen, aus welchem politische Entscheidungsträger dann die beste Option wählen können. Wissenschaft könne dazu beitragen, komplexe Vorgänge zu verstehen und zu zeigen, was geschieht, wenn wir dies oder das tun (S. 152). Dabei sollte sie, statt die Diskussion wie im Fall Klimawandel auf eine politische Option zu reduzieren, die wissenschaftlich und politisch äußerst umstritten bleibt, die Diskussion um robuste politische Alternativen anstoßen und das gesamte Spektrum an politischen Handlungsoptionen aufzeigen, das mit dem Stand der Forschung konsistent ist (S. 142). Auf diese Weise könnte Wissenschaft neue und innovative politische Optionen aufzeigen, die den Kompromiss zwischen den Konfliktparteien trotz bestehenden Interessenskonflikten, Wertdifferenzen und Unsicherheiten ermöglichen (Beispiel Saurer Regen oder Ozonloch).

5     Zusammenfassung

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass das Buch verständlich geschrieben und klar strukturiert ist und überzeugend in Gestalt des ehrenhaften Vermittlers einen Ausweg aus den Dilemmata der Politikberatung zeigt.

Wünschenswert wäre aber eine stärkere Auseinandersetzung mit bereits vorliegenden Arbeiten in diesem Themenkomplex, wie sie beispielsweise in den „Science and Technology Studies“ vorliegen. Zum einen vernachlässigt Pielke den Strang der Diskussion von Jürgen Habermas über Yaron Ezrahi bis hin zu Frank Fischer und Sheila Jasanoff, der sich mit der demokratischen Legitimität von Expertisen beschäftigt. Wenn denn die These zutrifft, dass Wissenschaftler mehr Einfluss auf die Politik erhalten, dann ist sicherlich auch die Frage nach den demokratietheoretischen Implikationen dieser Entwicklungen nicht von der Hand zu weisen. Zum anderen könnte das reiche Material an Fallstudien, das bereits vorliegt, mit Hilfe des Bezugsrahmens von Pielke systematisch ausgewertet werden. Im Anhang skizziert Pielke, wo das Modell des ehrenhaften Vermittlers – wie im Falle des Office of Technology Assessment (OTA) und den europäischen Enquète-Kommissionen – bereits ansatzweise verfolgt wird (S. 141). Nicht zuletzt könnte Pielke seinen Thesen mehr Gewicht verleihen, wenn er denn aufzeigen würde, in welchen aktuellen forschungspolitischen Debatten diese bereits diskutiert werden.

Was die Anschlussfähigkeit für das deutsche Publikum anbetrifft, sollte auch erwähnt werden, dass Pielke auf den US-amerikanischen und internationalen Kontext Bezug nimmt und dabei viele Kenntnisse voraussetzt, die dem deutschen Publikum nur bedingt geläufig sind. Darüber hinaus haben viele der Entwicklungen, wie beispielsweise die Politisierung von Forschung gerade auch unter George W. Bush – so in Deutschland nicht stattgefunden. Damit stellt sich die Frage, ob Pielkes Schlussfolgerungen nur auf den amerikanischen Kontext zutreffen, oder ob sie sich auch auf den deutschen Kontext übertragen lassen. Interessanterweise erhebt Pielke den Anspruch, sich dem politischen Kontext systematisch zu nähern, vernachlässigt dabei aber nationale Differenzen, die sich durch die Einbettung in den respektiven politische Kultur erklären lassen.

Um das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, das Buch stellt sicherlich einen wichtigen Input in die Diskussion um Politikberatung dar und bietet einen übersichtlichen und gut strukturierten Leitfaden für Wissenschaftler, um sich im unübersichtlichen Terrain der Politik zu orientieren. Es demonstriert nachdrücklich, dass die bis dato noch dominante Idee des „Schwimmens ohne nass zu werden“ illusorisch ist und weist gleichzeitig überzeugende Alternativen aus. Zu wünschen wäre, dass das Werk von Pielke als ein Beitrag dazu wahrgenommen würde, diese Diskussion auch in der Praxis zu eröffnen, das lineare Modell zu hinterfragen, und dadurch dem ehrenhaften Vermittler mehr Gehör zu verschaffen.

Anmerkung

[1]  Es handelt sich um die Kontroverse, die der dänische Statistiker und Politikwissenschaftler Bjórn Lomborg mit seinem Buch „Apocalypse No! The Skeptical Environmentalist” ausgelöst hat. Der selbst ernannte „skeptische Umweltschützer” greift die weit verbreitete Ansicht von „Apokalyptikern” an, dass sich der allgemeine Zustand der Umwelt zunehmend verschlechtere. Damit verbunden bezweifelt Lomborg zwar nicht die Existenz von Problemen wie dem Klimawandel, vertritt aber die These, dass sich bei Problemen wie Aids oder der Wasserknappheit mit einem Bruchteil des Aufwands ein Vielfaches der Wirkung erzielen lässt (http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,507445,00.html; download 10.4.08).