Workshop: Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Kulturelle Vielfalt und neue Medien (Klagenfurt, Österreich, 9. - 11. Dezember 2007)

Tagungsberichte

Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Kulturelle Vielfalt und neue Medien

Bericht vom Workshop des Klagenfurter Instituts für Medien- und Kommunikationswissenschaft und des CULTMEDIA-Netzwerks an der Universität Klagenfurt
Klagenfurt, 9. - 11. Dezember 2007

von Oliver Parodi, ITAS[1]

1     Hintergrund, Fragestellung

Diagnosen und Analysen, die die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien als Motor und Katalysator kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen ins Zentrum rücken, haben seit den 1990er Jahren durch die deutlich hervortretenden und sich intensivierenden Folgen der Globalisierung zum einen und die Präsenz des Internet zum anderen zugenommen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint die Gegenwartsdiagnose eines Informationszeitalters – verbunden mit Begriffen wie Informationsgesellschaft, Medienzivilisation, Netzwerkgesellschaft etc. – common sense zu sein. Doch welche Konturen und Perspektiven, Möglichkeiten und Potenziale unterscheiden die sich herausbildende Cyber-Society von früheren kulturellen und gesellschaftlichen Formationen?

Ziel des Workshops „Die Zukunft der Informationsgesellschaft. Kulturelle Vielfalt und neue Medien“ war es, in einem transdisziplinären und internationalen Dialog über die Kultur neuer Medien den informationellen Charakter der Gegenwart und der Zukunft zu analysieren und zu verstehen. Im Mittelpunkt standen dabei die Veränderungen kultureller Praxen durch und über das Internet.

2     Ausrichter und Ablauf

Der internationale Workshop wurde an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt in Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft unter Leitung von Prof. Rainer Winter und dem CULTMEDIA-Netzwerk ausgerichtet. An der dreitägigen Veranstaltung nahmen um die 40 Interessierte aus Wissenschaft und Lehre – darunter zahlreiche Studenten – aus Österreich, Deutschland, Polen, der Tschechischen Republik und Spanien teil.

Der Workshop folgte inhaltlich den wissenschaftlichen Aktivitäten des Klagenfurter Instituts, das den Zusammenhang von Medien, Kultur, Technik und Gesellschaft ins Zentrum seiner Forschung und Lehre stellt, und stand ganz im Zeichen des „International Network on Cultural Diversity and New Media“ (CULTMEDIA), einem interdisziplinären und multinationalen Kooperationsverbund, der sich um die Jahrtausendwende als Folge einer Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) zu bisherigen und zukünftigen Auswirkungen der Entwicklung Neuer Medien auf den Kulturbegriff, die Kulturpolitik, die Kulturwirtschaft und den Kulturbetrieb[2] formierte. CULTMEDIA widmet sich in seinen Forschungsaktivitäten den kulturellen Veränderungen in Folge „Neuer Medien“ und bezieht sich dabei vorrangig auf das Internet als deren Repräsentanz. Im Fokus liegen kulturelle Praxen, die sich in den lebensweltlichen und systemischen Zusammenhängen der alltäglichen Nutzung dieses soziotechnischen Mediums verändern.[3]

Ermöglicht und finanziert wurde der Workshop durch die Alpen-Adria-Universität, deren Rektor Prof. Heinrich C. Mayr, der – speziell in Verbindung mit den Klagenfurter Lehrinhalten – das Thema Informationsgesellschaft für wichtig erachtet und in seiner Eröffnungsrede versiert Stellung bezog. Die Universität Klagenfurt ist die führende Bildungs- und Forschungsinstitution Kärntens und richtet ihr Programm an der grenzüberschreitenden Wissensproduktion im Alpen-Adria-Raum aus.

3     Auszüge der wissenschaftlichen Beiträge

Die 16 Beiträge der Vortragenden verteilten sich auf vier thematisch gegliederte Blöcke. Gerhard Banse, Kopf des Netzwerkes CULTMEDIA, führte im Eröffnungsvortrag mit Anmerkungen zum Begriff der Informationsgesellschaft und zur Ethik als Reflexionswissenschaft in den Workshop ein. Er stellte einer kulturellen Diversität in der Lebenswelt eine Diversität der Wissens- und Forschungskulturen zur Seite, mit der es – auch an diesem Workshop – umzugehen und die es fruchtbar zu machen gelte.

Die erste Sektion „Die Informationsgesellschaft – revisited“ bot Raum für theoretische und konzeptionelle Überlegungen, wie beispielsweise für die von Andrzej Kiepas (Katowice) aufgeworfene Frage nach der Übersichtlichkeit der Informationsgesellschaft. Christian Fuchs (Salzburg) polarisierte – als bekennender Kommunist – durch seinen philosophischen Vortrag „Gesellschaftskritik und Gesellschaftstheorie im Zeitalter des Internets“ die Zuhörerschaft. Er stellte dem Prinzip der Kooperation das der Konkurrenz entgegen und erklärte diesen Antagonismus als konstituierend für den heutigen Kapitalismus. Anhand von Beispielen aus dem Bereich der Neuen Medien führte er aus, dass unter heutigen Gesellschaftsbedingungen in einer dialektischen Bewegung das Prinzip der Konkurrenz letztlich stets dominant sei und dieses Kooperation kolonialisieren müsse. Dies setze sich in Zeiten des Internets vertieft fort. Was helfe? Das Geschenk, denn im Akt des Schenkens werde der herrschende Kapitalismus transzendiert.

In der zweiten Sektion wurde die Beziehung der Neuen Medien zur Politik thematisiert. Matthias Werner (Graz) fragte nach einer Neugestaltung zwischen Staat und Bürgern im Zuge der Installation von IuK-Technologien im Verwaltungswesen und des Electronic Government. Im weiteren Verlauf war die Politisierung vonÖffentlichkeit mit und über Neue Medien Gegenstand dreier Vorträge. Veronika Kneipp (Siegen) stütze in ihren Untersuchungen zur Kampagnenöffentlichkeit die These von Della Porta und Mosca: „There is no sign that offline and online environments are alternative to each other. Since they are more and more integrated and overlapping, human activities such as protest also take place in both environments.“ (della Porta et al. 2006, S. 116) Diese These wurde auch von Mundo Yang (Berlin) bekräftigt, der Webseiten als „Hinterbühnen-Öffentlichkeit“ bezeichnete, die heute einen zunehmend wichtigeren Teil des politischen Medientheaters darstelle. Karin Bruns (Linz) stellte in einem illustrativen und intensiven Vortrag die Medialisierung des Wetters zur Schau, in dessen Folge die Frage im Raum stand, ob die anthropogene Klimaerwärmung überhaupt im „real life“ stattfinde oder gänzlich mediale Konstruktion sei.

Mediale Bildung und Kompetenzen für die Informationsgesellschaft waren Thema des dritten Workshopabschnitts. Österreichische, deutsche und polnische Beiträge widmeten sich unterschiedlichen (länderspezifischen) Aspekten und legten damit die Vermutung nahe, dass das Internet und seine Nutzung kulturell differieren, kulturspezifische (pädagogische) Probleme aufwerfen und je anders thematisiert werden. Carsten Winter (Hannover) rundete den Programmpunkt mit seinen Ausführungen zu „Medienentwicklung und der Aufstieg einer neuen Kultur und Beziehungskunst“ ab.

In der abschließenden Sektion „Medien zwischen Kultur und Technik“ wurden zum einen kulturelle Unterschiede im Staatenvergleich empirisch aufgezeigt (Robert Hauser und Hans-Joachim Petsche, Karlsruhe und Potsdam), zum anderen kulturelle Implikationen crossmedialer Inszenierung am Beispiel der Castingshow Starmania (Caroline Roth, Klagenfurt) und „neue“ kulturelle Praxen, wie das Bloggen, untersucht. Klaus Schönberger (Hamburg) zeigte, dass Blogs in der Tradition des Tagebuchlesens und -schreibens stehen und überwiegend von weiblichen Nutzerinnen erstellt und gelesen werden. Erkennbar war, dass soziokultureller Wandel nicht allein aus den sozialen Potenzialen neuer Medien erklärt werden kann, sondern vielmehr aus der Persistenz bestehender Praktiken und dem Enablingcharakter neuer Medientechniken.

4     Ausblick

Der Workshop hielt eine interessante Mischung von konzeptionell-theoretischen und empirischexemplarischen Beiträgen aus mehreren Wissenschaftsdisziplinen und Wissenschaftler-Generationen bereit, welche der geplante Protokollband in der CULTMEDIA-Reihe „e-Culture“ hoffentlich widerspiegeln wird. Als weitere Ergebnisse entwuchsen dem Workshop das Vorhaben einer thematisch ähnlichen, größeren Veranstaltung im Jahre 2009 und die Gründung eines Nachwuchswissenschaftlernetzwerks, das versuchen wird, über die Deutsche Forschungsgemeinschaft Fördergelder zu organisieren.

Wer „Die Zukunft der Informationsgesellschaft“ wissen wollte, wurde – ganz im aufklärerischen Sinne – auch auf diesem Workshop enttäuscht. Die Zukunft der Informationsgesellschaft bleibt auch weiterhin ungewiss. In gelungener Weise aber konnte der Workshop heutige (und zukunftsweisende) kulturelle Aspekte der neuen Medien und ihrer Nutzung herausheben.

Anmerkungen

[1]  Matthias Wieser, federführender Organisator des Workshops, und Andreas Hudelist, beide Universität Klagenfurt, sei für die Versorgung mit Hintergrundinformationen gedankt.

[2]  Die Ergebnisse dieser Vorstudie veröffentlichte das TAB im November 2001 in einem TAB-Arbeitsbericht: Paschen, H., Banse, G., Coenen, Chr., Wingert, B., 2001: Neue Medien und Kultur. TAB-Arbeitsbericht Nr. 74, Berlin

[3] Vgl. CULTMEDIA; http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/inst/petsche/CultMedia-Netzwerk.htm (download 14.4.08); hg.von Prof. Dr. Hans-Joachim Petsche, Universität Potsdam

Literatur

della Porta, D.; Andretta, M.; Mosca, L. et al., 2006: Globalization From Below: Transnational Activists and Protest Networks. Minneapolis: Univ. of Minnesota Press