International Conference: Intelligentes Heilen durch Pervasive Computing (Tampere, Finnland, 30. Januar - 1. Februar 2008)

Tagungsberichte

Intelligentes Heilen durch Pervasive Computing

Bericht von der 2nd International Conference on Pervasive Computing Technologies for Healthcare
Tampere, Finnland, 30. Januar – 1. Februar 2008

von Asarnusch Rashid, FZI

1     Durchführung und vorbereitende Workshops

Drei Tage lang drehte sich auf der internationalen Konferenz „Pervasive Computing Technologies for Healthcare“ alles darum, wie mit modernsten Technologien der Sensorik, Drahtlosnetzwerken und Informationsverarbeitung die aktuellen Herausforderungen in der medizinischen Versorgung gemeistert werden können. Nach der ersten erfolgreichen Tagung im Jahr 2006 in Innsbruck tagte man nun zum zweiten Mal – diesmal in Tampere, Finnland. Über 100 Wissenschaftler und Praktiker aus der ganzen Welt waren angereist, um ihre Studien und Konzepte zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen.[1]

Mit Fokus auf Anwendungen des Pervasive Computing für das Gesundheitswesen, kurz „Pervasive Health“, bildete sich mit dieser Konferenz eine Community aus bisher zwar verwandten, aber getrennt geführten Themengebieten, u. a. zu Ubiquitous Computing, Wearable Computing, Mobile Computing, Wireless Computing, Pattern Recognition und Pervasive Computing, Biomedizinische Messtechnik, eHealth, Ambient Assisted Living. Die Teilnehmer stammten aus sehr unterschiedlichen – meist technischen – Disziplinen, wobei die Themen hauptsächlich durch Elektroingenieure vertreten wurden. Zu geringen Anteilen nahmen auch Akademiker aus den Bereichen Informatik, Maschinenbau, Sozialwissenschaften und Wirtschaftsinformatik teil.

Im Vorfeld der Tagung war bereits zu drei Workshops eingeladen worden, die sich jeweils speziellen Anwendungsgebieten des Pervasive Computing für das Gesundheitswesen gewidmet hatten und auf denen Konzepte und Erfahrungen ausgetauscht werden konnten. Im Workshop MODIES waren Einsatzmöglichkeiten von Pervasive Computing in Notfall- und Massenanfalleinsätzen diskutiert worden. Beim Workshop CMPC hatte sich alles um telemedizinische Technologien zur häuslichen Betreuung von Patienten und älteren Personen gedreht. Der Workshop ATDMCP hatte sich in die Umgebung eingebetteten Systemen gewidmet, die die Diagnose und Behandlung von chronischen Krankheiten unterstützen sollen.

Die Tagung selbst war mit acht aufeinander folgenden Sessions mit jeweils vier bis fünf Beiträgen angesetzt. Es gab eine spezielle In-dustrie-Session, in der Konzerne wie z. B. Philips und GE Healthcare in Kurzbeiträgen ihre Sicht auf die aktuelle Situation wiedergaben und in einer Podiumsdiskussion mit allen Beteiligten aktuelle Herausforderungen und zukünftige Perspektiven diskutieren.

2     Hintergrund zu Pervasive Computing – die nächste Generation des Computing

Trotz der zahlreichen Fortschritte in den letzten Jahren, besitzt die Beschreibung von Pervasive Computing, wie es Friedemann Mattern im Jahr 2001 im Informatiklexikon der Gesellschaft für Informatik e.V. wiedergibt[2], noch Gültigkeit:

„Internetfähige Handys und Spielkonsolen sowie PDAs, die drahtlos mit anderen Geräten ihrer Umgebung kommunizieren, sind erste Vorboten des kommenden „Post-PC-Zeitalters“, welches u. a. dadurch charakterisiert ist, dass aus Anwendersicht das Internet mit Mobilkommunikationssystemen wie z. B. UMTS zusammenwächst („mobile internet“) und dass sich Anwendungen vom PC oder Server emanzipieren und in kleine eigenständige, spezialisierte „information appliances“ abwandern. Ermöglicht wird dies durch den weiter anhaltenden Fortschritt der Informationstechnik – das Moore’sche Gesetz mit seiner postulierten anderthalbjährlichen Verdoppelung der Leistungsfähigkeit von Prozessoren und Speicherbausteinen (bzw. der entsprechenden Verkleinerung und Verbilligung bei konstanter Leistungsfähigkeit) dürfte noch eine ganze Reihe von Jahren seine Gültigkeit behalten. Aber auch neue Entwicklungen der Materialwissenschaft (z. B. kleinste Sensoren, „leuchtendes Plastik“, „elektronische Tinte“) und Fortschritte der Kommunikationstechnik, insbesondere im drahtlosen Bereich, tragen in technischer Hinsicht dazu bei, dass es bald kleinste und spontan miteinander kommunizierende Rechner im Überfluss geben wird. Diese sollten dann allerdings oft kaum mehr als solche wahrgenommen werden, da sie in Gebrauchsgegenstände eingebettet werden und so mit der alltäglichen Umgebung verschmelzen.“

3     Themengebiete

Die auf der Konferenz vorgestellten Arbeiten lassen sich grob nach Art der Technologie und nach ihrer medizinischen Anwendung klassifizieren. Die technologischen Entwicklungen konzentrierten sich auf Sensorik, Sensornetzwerke, mobile Informationssysteme und multimodale Benutzerschnittstellen. Der Bereich Sensorik umfasste Arbeiten zu diversen Sensoren und der Verarbeitung der Sensordaten. Sensoren werden am Körper von Menschen oder an Gegenstände in der Umgebung angebracht und sollen Daten der Realwelt (Vitaldaten von Menschen, Zustand der Räume, etc.) erfassen und damit Informationen über den aktuellen Zustand der Umgebung aufbereiten. Diese Informationen sollen durch rechnergestützte Systeme verarbeitet werden, die intelligent und unterstützend reagieren können. Kombiniert man Sensoren, spricht man von Sensornetzwerken. Ziel von Sensornetzwerken ist es, mit Hilfe von mehreren Sensoren zusätzliche Daten aus der Umgebung zu erhalten und damit bessere Informationen ableiten zu können. Mobile Informationssysteme dienen dabei zur drahtlosen Mensch-Maschine-Interaktion mit dem Sensornetzwerk. Auf mobilen Geräten, z. B. PDA, Handy, etc. werden Informationen angezeigt bzw. wird um Eingabe von Informationen gebeten. Außerdem werden durch das Paradigma des Pervasive Computing neue multimodale Benutzerschnittstellen notwendig, sodass eine vernetzte Interaktion mit der zukünftig intelligenten Umgebung effizient und bedienerfreundlich möglich ist.

In den aufgeführten medizinischen Einsatzszenarien sollen vor allem unterstützende Systeme bei der Behandlung von chronischen Krankheiten, der Förderung von Fitness und Training sowie der Erhaltung der Selbstständigkeit von älteren bzw. körperlich und geistig eingeschränkten Menschen entwickelt werden.

Einen besonderen Schwerpunkt der sonst auffällig technologisch orientierten Konferenz bildete das Thema „User Needs“, bei dem verstärkt den Bedürfnissen und der Akzeptanz von Seiten der Patienten und der Ärzte Beachtung geschenkt wird.

4     Ausgewählte Arbeiten

Marco Benocci stellte ein Projekt aus Bologna / Italien mit dem Titel „Validation of a Wireless Portable Biofeedback System for Balance Control“ vor, bei dem am Rücken von Menschen Beschleunigungssensoren angebracht wurden. Ziel war es, Patienten bei ihren physiotherapeutischen Übungen zu unterstützen. Mit Hilfe der Sensoren sollte erkannt werden, wie gut das Gleichgewichtsgefühl des Patienten beim Stehen ausgebildet ist. In Echtzeit wurden die Daten ausgelesen und dem Patienten Hinweise über einen Bluetooth-Kopfhörer gegeben, wie er seine Köperhaltung und Gewichtsverlagerung optimal anpassen solle, um stabil zu stehen. Damit sollte vor allem bei Parkinson-Patienten die Diagnose erleichtert und die physiologischenÜbungen verbessert werden.

Bei Untersuchungen zum Thema „ADL Recognition Based on the Combination of RFID and Accelerometer Sensind“, die Maja Stikic und ihre Kollegen aus Darmstadt durchführten und vortrugen, wurde das Ziel verfolgt, Alltagsarbeiten von älteren Personen zu erfassen, um zukünftig die Selbstständigkeit der älteren Personen besser einschätzen zu können. In der Studie trugen Testpersonen ein Armband mit integrierten Beschleunigungssensoren. Zusätzlich wurden typische Haushaltsgeräte (z. B. Spülhandschuhe, Eimer, Bügeleisen, Staubsauger) mit RFID-Sensoren versehen. Ziel war es, anhand der Bewegung des Handgelenkes und der räumlichen Nähe zu den „markierten“ Gegenständen festzustellen, welche Aktivität die Person gerade durchführte. Beispielsweise konnte über die Daten aus dem Armband erkannt werden, dass die Person eine putzende Bewegung ausführte (z. B. ständige kreisende Handbewegung). Mit den RFID-Sensoren konnte außerdem erkannt werden, ob gerade das Fenster oder das Geschirr geputzt wurde. Die Forscher zeigten, dass durch die Kombination der beiden Sensortypen der Kontext einer Person genauer bestimmt werden kann.

Im Vortrag „Encouraging Physical Activity in Teens“ wurde gefragt: „Can technology help reduce barriers to physical activity in adolescent girls?“. Die Vortragende Tammy Toscos und ihre Kollegen aus Indiana / USA hatten untersucht, wie fettleibige Kinder durch Computerunterstützung besser zum Laufen motiviert werden können. Hierfür hatten Kinder, alle Freunde in einer Clique, über mehrere Wochen Pedometer getragen und jeden Tag die Anzahl ihrer gelaufenen Schritte ins Handy eintragen. Sie konnten sich auch die gelaufenen Schritte ihrer Freunde ansehen und sich gegenseitig Nachrichten senden. Da die Studie nur über einen kurzen Zeitraum verlief, konnten lediglich erste Erkenntnisse über die Verhaltensweise der Kinder gesammelt werden. Sie zeigte Tendenzen, dass eine Langzeitmotivation der Kinder durch das System sehr wahrscheinlich nicht erreicht werden kann und dass in diesem Gebiet vermehrt geforscht werden müsste.

Die Ergebnisse der Benutzerakzeptanzanalyse zu den Fallstudien „Stroke Angel” und „MS Nurses“ aus dem Projekt PerCoMed wurden ebenfalls vorgestellt (siehe dazu auch Wölk et al. in diesem Heft).

5     Schlussbemerkungen

Die Konferenz lieferte einen guten Überblick über aktuelle Forschungsarbeiten. Auch wenn die Ziele des Pervasive Computing hohe Anforderungen widerspiegeln, konnte man sich auf der Tagung der technologischen Vision einen deutlichen Schritt nähern. Anwendungen des Pervasive Computing sollen in den Alltag integriert, unsichtbar, exakt, effizient und am besten für wenig Geld zu haben sein. Diese Erwartungen sind die durchaus realistisch für (tele-)medizinische Einsatzszenarien und müssen für zukünftige erfolgreiche Innovationen auf dem Markt erfüllt werden.

Schlüsseltechnologie ist die Sensorik, bei der erst verstanden werden muss, wie Daten im Alltag sinnvoll erfasst und verarbeitet werden können. Im Zuge der fortschreitenden Entwicklungen wird jetzt schon sehr deutlich, dass mit den technischen Lösungen auch jetzt schon andere Disziplinen herausgefordert sind, Barrieren durch soziotechnische, politische, ökonomische und juristische Rahmenbedingungen zu beseitigen und dadurch einer neuen Generation der Medizintechnik die Türen zu öffnen.

Auffällig ist jedoch, dass die Evaluation der Systeme meist nur in kleinen Experimenten mit einer Laufzeit von wenigen Wochen und weniger als 30 Versuchspersonen erfolgt. Der medizinische Hintergrund wird zwar als Motivation herangezogen, allerdings wird die Problemstellung dann auf technische Fragestellungen reduziert und bei der Evaluation mit einem technischen Machbarkeitsbeweis abgeschlossen. Der Nachweis eines medizinischen Nutzens wird nur in wenigen Fällen anvisiert. Das liegt u. a. am frühen Stadium, in dem sich die Entwicklungen befinden sowie der derzeitig stark technologiegetriebenen Forschung, bei der zunächst die technologischen Möglichkeiten ausgereizt werden müssen. Dabei geht es den Entwicklern weniger um theoretisch konstruierte Systeme als vielmehr um Lösungen für besondere Herausforderungen des Alltags. So ist beispielsweise abzuwägen, welche Ungenauigkeiten in Kauf genommen werden können, um andere Bedingungen, wie z. B. Gewichtsreduktion oder Akkuleistung zu verbessern, Übertragungsgeschwindigkeit zu erhöhen, oder Kosten zu senken.

Daher sind die auf der Konferenz vorgestellten Arbeiten wichtige Meilensteine und lassen auf eine interessante dritte Konferenz in zwei Jahren hoffen.

Besonders erwähnenswert ist auch, dass in den meisten Arbeiten als Ziel nicht Kosteneinsparungen durch Personalkürzungen sondern Qualitätssteigerungen durch eine verbesserte, komplexere (nicht von Menschen durchführbare) Informationsverarbeitung angestrebt werden.

Wehrmutstropfen ist, dass diese (und auch verwandte) Konferenzen sehr selten von Medizinern besucht werden. Deren Teilnahme würde sicherlich einen Schub in den Diskussionen erzeugen und die Welten aus Technik und Medizin einander deutlich näher bringen. Dafür müssten solche Veranstaltungen allerdings auch ihr Profil attraktiver für andere Disziplinen gestalten und Räume für interdisziplinäre Forschung öffnen bzw. sich mit anderen Veranstaltungen der Mediziner kreuzen. Wie das Forschungsprojekt PerCoMed zeigt, befinden sich Mediziner in einer sehr speziellen Domäne, die von außen schwer zu durchdringen ist. Können Mediziner für Projekte begeistert werden, ist deren intensive Mitarbeit ein wichtiger Erfolgsfaktor. Dies bedeutet jedoch auch deutlichere Mehrarbeit in der Kommunikation und der ausdrücklichen Berücksichtigung der Ziele der Mediziner, um so auch die Mediziner als Mitentwickler und Lösungsanbieter zu verstehen.

Anmerkungen

[1]  Zur Tagung ist ein digitaler Tagungsband erschienen, der im Laufe der nächsten Wochen über IEEE Explore (http://ieeexplore.ieee.org) zur Verfügung gestellt wird.

[2]  Pervasive / Ubiquitous Computing – Aktuelles Schlagwort. In: Informatik Spektrum, 24(3), S. 3