Lebenszyklusanalysen und Entscheidungswissen. Initiativen, Chancen und Perspektiven

Schwerpunkt: Lebenszyklusanalysen in der Nachhaltigkeitsbewertung

Lebenszyklusanalysen und Entscheidungswissen

Initiativen, Chancen und Perspektiven

von Christian Bauer, Liselotte Schebek, ITC-ZTS, und Mario Schmidt, Hochschule Pforzheim

Die Lebenszyklusanalyse stellt Entscheidungswissen bereit, indem Daten aus unterschiedlichen Bereichen aggregiert, kontextualisiert und bewertet werden. Für richtungssichere Entscheidungen ist eine Durchgängigkeit der Datenkontexte von der Bereitstellung bis zur Ebene des Anwenders notwendig. Die für die Entscheidungsebene konfektionierte Abbildung der Realität und der oftmals implizit lineare Umgang mit Umwelteffekten, Wirkungszusammenhängen und Marktmechanismen erfordern Sorgfalt in der Anwendung der Methode sowie bei der Interpretation der Ergebnisse. Politische Initiativen, Akteursnetzwerke und Forschungsprojekte unterstützen dies durch Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene.

1     Einleitung

Unser Umgang mit komplexen Problemen ist geprägt durch eine naturwissenschaftlich basierte, analytische Herangehensweise: Wir zerlegen komplizierte, vernetzte Sachverhalte in Teilprobleme und Subsysteme, um sie dann überschauen, verstehen und lösen zu können. Diese Strategie ist einerseits sehr erfolgreich und führte insbesondere zu einer Vielzahl technologischer Entwicklungen, mit denen gesellschaftsrelevante Probleme adressiert wurden. Andererseits beinhaltet sie die Gefahr, bei der Lösung eben dieser Teilprobleme stehenzubleiben und das „große Ganze“ aus den Augen zu verlieren.

Demgegenüber erweitert das Paradigma des Life Cycle Thinking (Denken in Lebenszyklen) den Betrachtungshorizont erheblich.[1] Der Strom kommt nicht mehr nur aus der Steckdose oder dem nächsten Kraftwerk, sondern plötzlich müssen der Steinkohleabbau in Südafrika und die Erdgasförderung in Sibirien mit berücksichtigt werden. Will man mit Biokraftstoffen die CO2-Emissionen der Autos verringern, so muss man nicht nur die Energieaufwendungen der Traktoren auf den Feldern und für die Düngemittelproduktion einbeziehen, sondern auch die anderen Umweltauswirkungen (z. B. die Verteilung von Pestiziden in der Umwelt) beachten und gegeneinander abwägen.

Dem Denken in Lebenszyklen liegt systemanalytisch das Life Cycle Assessment (LCA – zu Deutsch: Ökobilanz) zugrunde, das seit 1997 durch die International Standardisation Organisation (ISO) genormt ist. Das Wesen des LCA liegt in der Vernetzung einer riesigen Zahl von Subsystemen: Diese Subsysteme beruhen auf vielen Einzelprozessen und Produktionen, die jeder und jede für sich genommen nicht mehr ausreichen, den Einfluss eines Produktes oder einer Dienstleistung auf Ressourcenverbrauch und Umwelt adäquat darzustellen. Zusammen ergeben sie jedoch ein verlässliches Bild.

Trotz, oder gerade wegen der komplexen Sichtweise, die dem LCA zugrunde liegt, findet dieser Ansatz sowohl in der Umweltpolitik als auch in der Wirtschaft zunehmend Anwendung in der Entscheidungsunterstützung bei der Identifikation von Steuerungsmechanismen für eine nachhaltige Entwicklung.

2     Entscheidungswissen

Die moderne Gesellschaft ist geprägt von immensen und stetig wachsenden Beständen an Daten, die prinzipiell für jedermann zugänglich sind. Damit besteht einerseits die Möglichkeit, andererseits ist aber auch der Anspruch gestiegen, gesellschaftliche und persönliche Entscheidungen auf den unterschiedlichsten Ebenen unter Einbeziehung „aller“ vorhandenen Informationen „wissensbasiert“ zu treffen. Daten sind jedoch nicht gleich Informationen, und Informationen sind bekanntlich nicht gleich (Entscheidungs-)Wissen. Daten im Sinne einzelner Angaben zu messbaren Größen (Länge, Gewicht, Zeit...) erhalten für uns erst durch Kontextualisierung einen Sinn, sprich sie werden zu einer „Information“. Eine Gewichtsangabe kann z. B. eine Information über die Beladung eines Fahrzeugs darstellen; eine Zeitangabe kann über die Abfahrt eines Zuges informieren. Entscheidungsrelevantes Wissen wiederum entsteht erst durch die Verarbeitung von Informationen im menschlichen Bewusstsein: Sie müssen verstanden werden, Folgerungen müssen abgeleitet werden und diese bewertet werden, damit Entscheidungswissen als Befähigung der Bewertung von unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten entsteht. Ist mein Fahrzeug also überladen und wäre es gefährlich, damit eine Fahrt anzutreten? Reicht die Zeit, um den Zug zu erreichen oder muss ich den nächsten nehmen?

Vor diesem Hintergrund kann das LCA als ein typisches Instrument der Wissensgesellschaft angesehen werden: Das Verstehen möglicher Handlungsalternativen für Entscheidungssituationen unserer hochkomplexen Gesellschaft und Wirtschaft benötigt einerseits eine Vielzahl an Daten, aber andererseits auch Modelle und Methoden als Hilfsmittel, die eine Aggregation und Kontextualisierung von Daten und die Aufbereitung der relevanten Informationen für ein Verständnis von Sachverhalten und die Bewertung von Handlungsvarianten leisten. Dies tut das LCA durch das Zusammenführen von Wissensbeständen im Sinne von Daten und Methoden aus unterschiedlichen Bereichen. Dazu gehören:

LCA beabsichtigt damit bereits vom Konzept her die Entstehung von Entscheidungswissen durch einen mehrstufigen Prozess der Synthese von Daten und Kontexten.

3     Daten und Kontexte im LCA

Wie bei jeder quantitativen Methode hängen auch bei dem LCA die Aussagekraft der Modellierung des Gesamtsystems und die Verlässlichkeit der darauf bauenden Entscheidungen von der Qualität jedes einzelnen Datensatzes und der Anschlussfähigkeit an die anderen Datensätze ab. Da die Recherche oder gar Erhebung der zahlreichen benötigten Datensätze zeit- und kostenaufwendig ist, versucht man so weit wie möglich auf vorhandene Datenbestände zurückzugreifen. Datenbanken für das LCA, die häufig mehrere tausend Datensätze aus allen wesentlichen Sektoren der Wirtschaft beinhalten, werden heute kommerziell angeboten. Spezifische Datenangebote gibt es auch von Verbänden und von wissenschaftlichen Organisationen. Angesichts dieser zahlreichen Möglichkeiten scheint die Datengrundlage für das LCA auf den ersten Blick gewährleistet. Es ist jedoch offensichtlich, dass ein LCA-Datensatz nur in einem bestimmten Kontext zu sinnvollen Ergebnissen führt. So kann der aktuelle Datensatz „Strommix Deutschland“ natürlich nicht für die Stromproduktion in China oder für die Stromproduktion in Deutschland in 20 Jahren verwendet werden. Neben diesen offenkundigen Diskrepanzen verdienen weitere Aspekte des Zusammenhangs zwischen Daten und Kontexten einer eingehenderen Betrachtung.

Zunächst täuschen die Begriffe „Daten“ oder „Datensatz“ darüber hinweg, dass nicht einzelne Größen als Primär- oder Sekundärdaten angeboten werden (wie z. B. Messdaten zu Emissionen aus einem Kraftwerk). Bereits jeder LCA-Datensatz ist schon ein kleines Modell: Er beschreibt einen Prozess zur Transformation von Materie und Energie mittels linearer Koeffizienten, die sich beliebig skalieren lassen, und greift dabei auf den Ansatz der linearen Aktivitätsanalyse aus den Wirtschaftswissenschaften zurück. Teilweise sind diese Datensätze selbst das Ergebnis noch komplexerer Modellierungen.

Eine weitere Frage, die auf Inkonsistenzen in Datenbeständen hinweist, betrifft den Umgang mit den Aufwendungen für Infrastrukturleistungen. Während bei Produktionsprozessen anfangs nur die Input- und Outputflüsse während des Betriebes (z. B. eines Kraftwerkes oder einer Fabrik) berücksichtigt wurden, hat es sich inzwischen eingebürgert, auch die Bereitstellung der Anlagen und der Infrastruktur mit zu berücksichtigen. Für eine rückblickende Ökobilanz macht die Einbeziehung solcher „Vorleistungen“ Sinn: Der Kilowattstunde Strom sollte auch der im Kraftwerk verbaute Beton oder dem Gütertransport auch der in Straßen verbaute Asphalt angerechnet werden. Geht es aber um die Frage, wie die Umwelt durch zukünftige Entscheidungen entlastet werden kann, führt dieses Vorgehen in die Irre: Die Infrastrukturen existieren, die dadurch verursachten Umweltbelastungen sind bereits aufgetreten und nicht mehr rückholbar. Nur die Folgen des unmittelbaren Betriebs lassen sich „einsparen“.

Gleiches gilt für die, in den vorkonfektionierten Modulen aus LCA-Datenbanken mehr oder weniger transparent vorgenommene, Allokation. Da sich das LCA auf eine funktionelle Einheit, also auf ein Produkt oder eine Dienstleistung bezieht, ist es modellierungstechnisch unerwünscht, dass Nebenprodukte entstehen, die das Ergebnis verfälschen würden. Das erfordert Zurechnungsvorschriften („Allokationen“), wie sie auch in der Kostenrechnung mit den Zurechnungsvorschriften bei Kuppelprozessen üblich sind. Was bei der Datenakquisition aufgrund der Datenmodularität künstlich getrennt wird, fehlt also möglicherweise bei der Analyse; es sind eben nur noch Partialmodelle eines ursprünglichen Globalsystems.

Auch bei der Frage nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Elementarflüsse an der Systemgrenze, die für die Umwelt von Bedeutung sind, unterscheiden sich die Module erheblich. In der Praxis hat sich kein einheitlicher Kanon an Stoffen und Indikatoren entwickelt, die bei solchen Analysen in ihren Mengenflüssen quantifiziert werden sollen. Heute versucht man oft, alle verfügbaren Informationen einzubeziehen. Dies führt dort zu Asymmetrien, wo Module mit unterschiedlichen „Datenbreiten“ kombiniert werden. Die Frage nach einem sinnvollen Kanon an Elementarflüssen kann nicht abschließend beantwortet werden, da sie von der Problemstellung der betreffenden Analyse in dem jeweiligen Entscheidungskontext abhängt und damit die Ergebnisrelevanz eines einzelnen Elementarflusses stark wechseln kann.

4     Entscheidungsebenen aus Sicht der Anwender

Viele der heute verfügbaren Datensätze sind aus einer „Vogelperspektive“ heraus entstanden: Die Abbildung supranationaler, nationaler oder regionaler Durchschnittswerte für Technologien eignet sich zur übergeordneten Bewertung von politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen, wie dies in der Vergangenheit beispielsweise im Verpackungsbereich oder Papierbereich erfolgte oder heute beim Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen relevant ist. Anders sieht aber möglicherweise die Entscheidungssituation in der konkreten Produktentwicklung einzelner Unternehmen aus. Hier sind keine Durchschnittswerte, sondern die konkreten Prozesse und Lieferbeziehungen wichtig, die darüber entscheiden, wie umweltfreundlich ein Produkt ist oder nicht. Denn schließlich sollen diese Prozesse dann auch im Hinblick auf die Kosten und unerwünschte Nebenfolgen optimiert werden.

Dies ist auch beim Einsatz von LCA-Daten im betrieblichen Kontext zu beachten. So müssen für die Umweltberichterstattung von Unternehmen natürlich die jeweiligen Produktionsanlagen mit ihren spezifischen Verbrauchswerten und konkreten Emissionen zugrunde gelegt werden. LCA-Daten würden hier unnötigerweise Durchschnittswerte für Technologien abbilden, die auf betrieblicher Ebene viel besser erfasst und vor allem dann auch beeinflusst werden können. Denn nur so kann im Betrieb entschieden werden, ob eine Technologie besser durch eine andere ausgetauscht werden sollte. Fehlen dem Unternehmen aber Daten für Hilfsprozesse, Lieferanten oder externe Dienstleistungen, so können die LCA-Daten hier weiterhelfen, um eine Vorstellung von den Mengenverhältnissen und der Relevanz der verschiedenen Beiträge zur Ökobilanz zu bekommen. So wird kein Unternehmen beginnen, die Emissionen seiner betriebseigenen Lkw zu messen, sondern dafür gängige Datensätze von durchschnittlichen Lkw verwenden. Es kann aber möglicherweise die Daten auf seinen modernen Fuhrpark anpassen, also z. B. die entsprechenden Abgasnormen seiner Fahrzeuge berücksichtigen. Auch beim externen Stromeinsatz kann es sinnvoll sein, vom gängigen Strommix-Datensatz abzuweichen – z. B. dann, wenn das Unternehmen emissionsarmen „grünen“ Strom bezieht.

Die unterschiedlichen Dimensionen, die zusammen den Systemrahmen der Entscheidung bilden, werden in Abbildung 1 schematisiert dargestellt.

Abb. 1: Unterschiedliche Systemrahmen im Life Cycle Assessment

Abb. 1: Unterschiedliche Systemrahmen im Life Cycle Assessment

Quelle: Bauer et al. 2007

Jedes Modul in dieser schematischen Abbilung beinhaltet die Nutzung von Materialen und Rohstoffen (M), den Energiebedarf (E), einen Anteil an Transportaufwendungen (T) und Recycling / Entsorgung (R). Um vorteilhafte Alternativen zu erkennen oder auch die Vorteilhaftigkeit von Verfahrensalternativen zu belegen, müssen äquivalente Systeme abgebildet werden. Vier Situationen sind in Abbildung 1 dargestellt, welche sich durch eine unterdschiedliche funktionelle Einheit, einen unterschiedlichen Referenzfluss und den berücksichtigten Stufen im Lebenszyklus auszeichnen (A, B, C, D). Die unterschiedlichen Entscheidungsebenen sind in Tabelle 1 typisiert. Neben diesem – eher technischen – Bezug unterscheidet man für die Anwendung des LCA zum einen den zeitlichen Einfluss der

Tab. 1: Entscheidungsebenen im Life Cycle Assessment

Vergleich Funktionelle Einheit Referenzfluss Lebenszyklusstufen Beispiel
Typ A: Vergleich zweier Prozesse mit dem gleichen Output Produzierte Menge mit bestimmten Eigenschaften Produktionsraten Prozessbilanz gate to gate Unterschiedliche Konstruktionsweisen
Typ B: Unterschiedliche Güter mit entsprechend unterschiedlichen Vorketten Leistung im Funktionszusammenhang Menge oder Masse eines Produkts cradle to gate Stahl vs. Aluminium
Typ C: Vergleich zweier funktioneller Äquivalente Produktleistung in der Nutzungsphase Erforderliche Menge Produkt zur Erfüllung der Funktion cradle to grave Fernseher und Beamer

Quelle: Eigene Darstellung (nach Bauer et al. 2007)

Abb. 2: Anwendungen von Life Cycle Assessment

Abb. 2: Anwendungen von Life Cycle Assessment

Quelle: Rebitzer 2005

Entscheidung sowie den Entscheidungsbereich. In Abbildung 2 werden LCA-Anwendungen nach diesen Kriterien sortiert.

Wichtig ist hier, dass insbesondere der Blick in die Zukunft in der Anwendung vom LCA eine grundsätzliche Richtungsentscheidung verlangt: Die Verwendung durchschnittlicher Daten (z. B. der durchschnittlichen Produktionsbedingungen einer kWh Strom) bilanziert streng genommen ja immer nur eine Ex-Post-Situation. Man kann damit sagen, dass das Produkt XY im Durchschnitt soundso viel elektrische Energie benötigt hat und anteilig für soundso viel CO2-Emissionen verantwortlich war.

Eine völlig andere Situation ist es, wenn danach entschieden werden soll, zu welcher tatsächlich zusätzlichen Umweltbelastung ein neues Produkt XY führen wird. Damit benötigt man Wissen über die Bereitstellung (oder Vermeidung) einer zusätzlichen kWh Strom. Hierfür werden aber spezielle Anlagen zugebaut (oder abgeschaltet), die im LCA als „Grenztechnologien“ bezeichnet werden. Die Diskussion, von welchen Daten man dabei ausgeht, wird in der wissenschaftlichen Diskussion um LCA bereits seit Längerem geführt. Die Bezeichnung „attributional“ (attributiv) hat sich für solche LCAs eingebürgert, die anteilig Umweltbelastungen auf einen Referenzfluss beziehen. Solche LCAs, die eine Veränderung studieren, werden als „consequential“ (entscheidungsorientiert) bezeichnet. Für beide Sichtweisen braucht man unterschiedliche Daten: einmal Durchschnittsdatensätze („Strommix“) und zum anderen Datensätze der Grenztechnologien (modernes GuD-Kraftwerk usw.). Damit muss in einem LCA auch Zukunftswissen verarbeitet werden.

5     Initiativen, Chancen, Perspektiven

Die flexible Definition von Fragestellung und Systemrahmen machen das LCA für ein großes Spektrum von Entscheidungssituationen und Akteuren zunehmend attraktiver. Schließlich kommt dem LCA gleichzeitig das moderne Verständnis von Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik entgegen, wie es sich seit Mitte der 1990er Jahre entwickelt hat. Dieses moderne Verständnis beinhaltet eine Abkehr von einer vorwiegend interventionistischen Politik auf Basis von Grenzwerten und Vorgaben hin zu einer Kontextsteuerung auf Basis allgemeiner Zielsetzungen, von Anreizsystemen und der Mitwirkung der Interessengruppen. Die Politik setzt heute stärker als noch vor einigen Jahren auf dezentrale Strukturen, Akteursnetzwerke und soziale Lernprozesse. Damit ist LCA heute also eingebettet in „moderne“ dezentrale Governance-Strukturen, mit denen unsere Gesellschaft die großen Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung angehen will.

Die stetige Weiterentwicklung des LCA, die Anpassung des methodischen Rahmens und die Harmonisierung von (Daten-)Grundlagen werden von unterschiedlichen Trägern derzeit vorangebracht. Ausgewählte Initiativen werden hier vorgestellt; die Darstellung orientiert sich an verschiedenen Typen von Akteuren:

  1. Das EU DG Environment als politischer Akteur:
    Die Integrierte Produktpolitik (IPP) des DG Environment der EU ist eine wesentliche Triebkraft des Life Cycle Thinking in Europa. Im Rahmen dieser Politikrichtlinie wird bis 2008 ein Europäisches Referenzdatensystem entwickelt (ELCD), welches einer Harmonisierung von LCA-Daten und -Methoden für typisierte Anwendungen zur Unterstützung der IPP dienen soll. Dieses Referenzdatensystem ist eingebettet in ein „information hub“, also eine Informationsplattform, die zum Ziel hat, Anwender von LCA mit Informationen, Methoden und Daten zu versorgen. Insbesondere zielt diese Plattform auf die Unterstützung der europäischen Politik und Industrie (http://lca.jrc.ec.europa.eu). In Deutschland steht dieser Initiative institutionell die „Datenbibliothek für Prozessorientierte Basisdaten für Umweltmanagement-Instrumente“ gegenüber (ProBas), die vom Umweltbundesamt betrieben wird (http://www.probas.umweltbundesamt.de).
  2. Akteursnetzwerke und Forschungsprojekte:
  3. 2.1   UNEP/SETAC als supranationaler Akteur
    Mit der Verankerung im Programm zu nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Produktion der Vereinten Nationen (Sustainable Consumption and Production Programme) wird von dem United Nations Environmental Programme gemeinsam mit der Society for Environmental Toxicity and Chemistry die „UNEP/SETAC Life Cycle Initiative“ seit 2002 betreut (http://lcinitiative.unep.fr). Ziel dieser internationalen Initiative ist es, die Anwendung des LCA zu fördern und insbesondere für nicht industrialisierte Länder stärker nutzbar zu machen. So ist das derzeitige Arbeitsprogramm in methodische Arbeiten, sektorale Aktivitäten in den Bedürfnisfeldern Wohnen, Mobilität und Ernährung sowie dem „capacity building“ insbesondere in Lateinamerika, Afrika und Asien aufgeteilt. Die Ausrichtung des Programms zielt eher auf die Integration und Verbreitung von Daten und Methoden, als auf die standardisierte Integration in Geschäftsprozesse.

    2.2   Das Netzwerk Lebenszyklusdaten

    In Deutschland wurde zur Förderung des wissenschaftlich fundierten LCA etwa zeitgleich das Netzwerk Lebenszyklusdaten ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk wurde von 2004 bis 2007 mit Projektmitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert und ist eine nationale wissenschaftliche Initiative mit 30 teilnehmenden Einrichtungen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung ( http://www.netzwerklebenszyklusdaten.de). In Trägerschaft des Forschungszentrums Karlsruhe fördert das Netzwerk die Wissenschaftskooperation zur Harmonisierung von Datengrundlagen, zur Bereitstellung von konsistenten Datenmodellen sowie die Aktualisierung der Datenbestände.

    2.3   EU-Projekt CALCAS

    Als Forschungsprojekt wird vom GD Forschung der EU seit September 2006 das Projekt CALCAS gefördert. CALCAS steht für „Coordination Action for Innovation in Life Cycle Analysis for Sustainability” (http://www.calcasproject.net). Innerhalb des Projektes werden drei Richtungen für eine Weiterentwicklung des LCA untersucht:

6     Fazit

Das LCA führt in der Anwendung nicht zwingend und geradlinig zu mehr Nachhaltigkeit, aber es ist eine unabdingbare Methode, um im Bereich der ökologischen Bewertung von Produkten und Dienstleistungen Entscheidungswissen transparent und nachvollziehbar zu generieren. Der holistische Ansatz hilft in einer Reihe von Anwendungsfeldern bei der Entscheidungsfindung in Richtung einer umweltgerechten und ressourcenorientierten Gestaltung von Produkten und Dienstleistungen.

Durch die Flexibilität, sich an unterschiedliche Fragestellungen anzupassen und unterschiedliche Entscheidungssituationen zu unterstützten, ist das LCA hervorragend für eine „Governance-Kultur“ mit dezentralen Entscheidungsstrukturen geeignet. Paradoxerweise folgt aus der Fähigkeit des LCA, sich auf unterschiedliche Fragestellungen flexibel einzustellen, ein neues konzeptionelles Problem. Es ist nämlich nicht offensichtlich, wie sämtlichen Anspruchsgruppen der gleiche Kontext des Wissens auf unterschiedlichen Entscheidungsebenen zur Verfügung gestellt werden kann und sie das Wissen zielführend – auch in einem anderen Kontext – einsetzen können.

Im Hinblick auf die Generierung von Entscheidungswissen durch das LCA lassen sich zusammenfassend die folgenden kritischen Punkte identifizieren:

Bei allen methodischen und datentechnischen Fortschritten im LCA-Bereich bleibt offen, wie mit „Nichtwissen“ über mögliche ökologische Auswirkungen von Produkten und Dienstleistungen umgegangen werden kann. Hier gibt es noch einen erheblichen Forschungsbedarf, der für die Praxis eine hohe Relevanz hat.

Anmerkung

[1]   Der Begriff Lebenszyklus ist bildlich definiert als der Weg eines Produktes von der „Wiege bis zur Bahre“ entlang der Wertschöpfungskette.

Literatur

Bauer, C.; Buchgeister, J.; Hischier, R. et al., 2007: Towards a framework for life cycle thinking in the assessment of nanotechnology. In: Journal of Cleaner Production; online verfügbar seit 5. Juli 2007. Im Erscheinen

Rebitzer, G., 2005: Enhancing the application efficiency of life cycle assessment for industrial uses. Lausanne, Schweiz (Dissertation an der EPFL; Nr. 3307)

Kontakt

Dr. Christian Bauer
Forschungszentrum Karlsruhe GmbH
Institut für Technische Chemie
Zentralabteilung Technikbedingte Stoffströme (ITC-ZTS)
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1
76344 Eggenstein-Leopoldshafen