Bilanzierung von Nahrungsmitteln. Orientierung für VerbraucherInnen?

Schwerpunkt: Lebenszyklusanalysen in der Nachhaltigkeitsbewertung

Bilanzierung von Nahrungsmitteln

Orientierung für VerbraucherInnen?

von Niels Jungbluth, ESU-services GmbH, Uster, Schweiz

Die Bereitstellung und Zubereitung von Nahrungsmitteln verursachen einen bedeutenden Teil der Umweltbelastungen, die durch unsere Konsumhandlungen entstehen. In Ökobilanzstudien wurden viele Optionen zur Reduktion dieser Belastungen untersucht. Dem Verhalten von KonsumentInnen kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Im Vordergrund stehen eine Reduktion des Konsums von tierischen Produkten sowie der Verzicht auf besonders umweltbelastende Produkte (z. B. Gemüse aus dem Gewächshaus oder eingeflogene Waren). Das Denken in Lebenszykluszusammenhängen ist in den Köpfen vieler Konsumenten verankert und hilft so, die Umweltbelastungen aus dem Nahrungsmitteleinkauf zu verringern. Problematisch ist allerdings die Verallgemeinerung von einzelnen Fallstudien, da deren Ergebnisse oftmals wesentlich durch die Rahmenbedingungen der Untersuchung bestimmt werden. Wichtig sindÖkobilanz-Fallstudien vor allem für einzelne Akteure der Nahrungsmittelproduktion.

1     Einleitung

Wer hat nicht schon einmal vor dem Gemüseregal des Supermarktes gestanden und sich gefragt, ob nun die Biokarotten aus Italien oder der Blumenkohl aus dem eigenen Land die ökologischere Auswahl für das nächste Mittagessen sind, und dann vielleicht doch beim leckeren Spargel aus Mexiko zugegriffen? Auf Grund der öffentlichen Diskussion sind KonsumentInnen in der Regel gut über ökologische Verhaltensregeln informiert. In der konkreten Einkaufssituation können sie nur aus dem vorhandenen Angebot auswählen und müssen dabei eine Vielzahl von teilweise gegenläufigen Empfehlungen mit den eigenen Wünschen in Einklang bringen. In diesem Artikel wirdherausgearbeitet, welche Hilfestellungen Ökobilanzen dabei geben können.

2     Umweltrelevanz der Ernährung

Durch die Ernährung wird weltweit ein bedeutender Teil der Umweltbelastungen verursacht. In den Industrieländern werden für die Befriedigung dieses Bedürfnisses etwa 15 Prozent der insgesamt durch Haushalte verbrauchten „Grauen Energie” verbraucht. Die entsprechende Energierechnung berücksichtigt nicht nur den direkten Energieaufwand (z. B. fürs Kochen), sondern auch die „indirekten Aufwendungen“ für Anbau, Verarbeitung und Transporte der Lebensmittel, die als „Graue Energie“ bezeichnet werden. Letztere sind für etwa zwei Drittel des ernährungsbedingten Energieverbrauchs verantwortlich. Der summierte Primärenergieverbrauch für Nahrungsmittel beträgt in der Schweiz etwa 2.400 Megajoule pro Person und Monat, dies entspricht etwa 75 Litern Benzin.

Neben dem Energieverbrauch sind bei der Ernährung auch andere Umweltbelastungen relevant. Die Treibhausgase Methan, Lachgas und Ammoniak stammen zum größten Teil aus der Landwirtschaft. Hinzu kommen Emissionen aus der Verbrennung von Treibstoffen für die Landwirtschaft, in der Lebensmittelindustrie und beim Transport von Nahrungsmitteln. Die Belastung von Böden und Gewässern durch die Ausbringung von Pestiziden, Kunstdüngern, Gülle und Klärschlamm mit vielfältigen Problemstoffen (z. B. Phosphat, Nitrat, Ammoniak, Schwermetallen oder medizinische Wirkstoffe) bereiten weitere erhebliche ökologische Probleme.

3     Verursacher der Umweltbelastungen

Umweltbelastungen durch die Produktion und Zubereitung von Nahrungsmitteln gehen von verschiedenen Beteiligten in der gesamten Akteurskette vom Nahrungsmittelanbau bis hin zur Entsorgung der Abfälle aus. Alle am Lebenszyklus beteiligten Akteure können also direkt zueiner „Ökologisierung“ beitragen. Hierzu bestehen gemäß verschiedener ausgewerteter Ökobilanzstudien im Wesentlichen folgende Optionen:

Erfolg versprechend ist nur die gleichzeitige Umsetzung aller drei Optionen. Aufgrund der Vielzahl von möglichen Umweltfolgen (z. B. Treibhauseffekt oder Überdüngung von Gewässern) müssen zur Bewertung der Umweltbelastungen geeignete Analysemethoden verwendet werden. Mit Hilfe der Methode der Ökobilanzierung wurden die Umweltbelastungen im Verlauf solcher Lebenszyklen bereits für Hunderte von Lebensmitteln untersucht.

Eine Auswertung verschiedener Untersuchungen zeigt, dass für niedrig verarbeitete Produkte zumeist die landwirtschaftliche Produktion die Hauptbelastungen verursacht. Für verarbeitete Produkte können weitere Produktionsstufen die gesamten Umweltbelastungen dominieren. Für viele Getränke (z. B. Mineralwasser und Bier) sind hingegen Verpackung und Transport von besonderer Bedeutung. Dem Verhalten von KonsumentInnen kommt dann eine bedeutende Rolle zu, wenn die Nahrungsmittel z. B. mit dem PKW in den Haushalt gebracht werden. Die Ökobilanzen zeigen insgesamt, dass Handlungshinweise für eine umweltgerechte Ernährung nicht immer Allgemeingültigkeit haben und oft die Abwägung verschiedener Faktoren notwendig ist. Die Ergebnisse solcher Abwägungen und Gewichtung von Handlungsoptionen auf Grundlage von Ökobilanzen werden in diesem Artikel diskutiert.

4     Einflussmöglichkeiten der Akteure

Der Spielraum und die Strategien der verschiedenen betroffenen Akteure zur Verringerung von Umweltbelastungen unterscheiden sich beträchtlich. BäuerInnen können die Umweltauswirkungen ihrer Tätigkeit durch eine etwas extensivere Bewirtschaftung verringern. Große Bedeutung kommt dabei einer umweltgerechten Düngung zu.

In der Lebensmittelverarbeitung können die Umweltbelastungen durch effiziente Energienutzung und Vermeidung von Abwässern minimiert werden. Der Handel hat geringe direkte Einflussmöglichkeiten, diese liegen vor allem im Bereich der Kühlung und der Verpackung. Wie das Beispiel der Bioprogramme von COOP und MIGROS in der Schweiz zeigt, kann der Handel jedoch die Produktionsweise und das Angebot indirekt beeinflussen.

Einen großen Spielraum für umweltgerechtes Verhalten haben dagegen die KonsumentInnen. Ein Freilandprodukt verursacht z. B. nur ein Zehntel des Energieverbrauchs im Vergleich zu einem Produkt aus dem Gewächshaus (Jungbluth 2000). Durch ihr Kaufverhalten können KonsumentInnen dafür Sorge tragen, dass besonders umweltbelastende Produkte vom Markt verschwinden. Besonders umweltbewusste KonsumentInnen könnten Energieverbrauch und CO2-Emissionen durch ihre Ernährung auf minimal etwa die Hälfte gegenüber den Durchschnittsbürgern reduzieren (Taylor 2000).

5     Ökobilanzen von Nahrungsmitteleinkäufen

Handlungsspielräume und ökologische Konsequenzen des Nahrungsmittelkonsums waren Gegenstand einer Untersuchung im Rahmen des Schweizerischen Schwerpunktprogramms Umwelt. Für die Studie wurden die Umweltbelastungen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Produktmerkmalen (z. B. Verpackung oder Herkunft) stehen, für Fleisch und Gemüse untersucht. Für die zu erarbeitende Ökobilanz wurde der Lebenszyklus in verschiedene Module aufgeteilt, die entsprechend der durch die KonsumentInnen erkennbaren Merkmale des Produktes definiert sind (Jungbluth et al. 2000; Jungbluth 2000). Die hier entwickelte vereinfachte Methodik ermöglicht es, für eine Reihe von Nahrungsmitteln inkurzer Zeit Ökobilanzen zu erstellen.

Ziel einer Ökobilanz ist es, die Umweltbelastungen eines Produktes oder einer Dienstleistung von der Wiege bis zur Bahre, also über den ganzen Lebensweg zu bilanzieren und zu bewerten. Dabei werden alle relevanten Schadstoffemissionen und Ressourcenverbräuche über den Lebensweg bilanziert. Zur Bewertung der verschiedenen Emissionen werden diese hinsichtlich ihres jeweiligen Beitrages zu bestimmten Umweltproblemen gewichtet und aufaddiert.

Die Systemgrenzen der Module für die Sachbilanz des Gemüseeinkaufs sind Abbildung 1 zu entnehmen. Im Modul Gemüseprodukt (bzw. Fleischprodukt) werden die Umweltbelastungen für das eigentliche Produkt bilanziert. Hierzu gehört die Herstellung in der Landwirtschaft bis zum Verkauf des Produktes an den Großhandel. Im Modul Herkunft wird eine Analyse für verschiedene Transportvorgänge ausgehend von den Angaben zur Herkunftsregion vorgenommen. Im Modul Verpackung wird die Verpackung und deren Entsorgung bilanziert. Im Modul Konservierung erfolgt eine Abschätzung der Aufwendungen in der Lebensmittelindustrie und im Handel, differenziert nach der Verarbeitungsstufe und der vorgenommenen Konservierungsart.

Für die modulare Ökobilanz wurden zunächst eine Reihe unterschiedlicher Einzelschadstoffe (z. B. Nitrat-, CO 2- und Methanemissionen) über den gesamten Lebenszyklus bilanziert. Für die Auswertungen müssen diese verschiedenen Umweltbelastungen in der so genannten Wirkungsabschätzung zu einer geeigneten Kenngröße zusammengefasst werden. Hierzu wurde die Methode „Eco-Indicator-99“ ausgewählt (Goedkoop, Spriensma 2000). Mit dieser Methode werden der Ressourcenverbrauch sowie die unterschiedlichen Emissionen und deren Auswirkungen auf die Gesundheit und die natürliche Umwelt zunächst hinsichtlich ihres Beitrages zu bestimmen Problembereichen (Treibhauseffekt, Energieverbrauch etc.) charakterisiert. In einem zweiten Schritt erfolgt die Zusammenfassung zu einem Gesamtpunktwert. Die Gewichtungsfaktoren für verschiedene Problembereiche sind dabei das Ergebnis einer Expertenbefragung. Der Punktwert ermöglicht einen relativen Vergleich der Umweltbelastungen. Er kann allerdings nicht direkt mit einem bestimmten Umweltschaden gleichgesetzt werden.

Abb. 1: Abgrenzung der Module für die Ökobilanzierung von Gemüseeinkäufen

Abb. 1: Abgrenzung der Module für die Ökobilanzierung von Gemüseeinkäufen

Quelle: Jungbluth 2000

Abb. 2: „Eco-Indicator-99“-Punkte für alle Ausprägungen der untersuchten Module pro kg Gemüseeinkauf. GH - Gewächshaus, IP - Integrierte Produktion

Abb. 2: „Eco-Indicator-99“-Punkte für alle Ausprägungen der untersuchten Module pro kg Gemüseeinkauf. GH - Gewächshaus, IP - Integrierte Produktion

Quelle: Jungbluth 2000

Abbildung 2 zeigt die „Eco-Indicator-99“Punkte für die verschiedenen Module der Bilanz für den Gemüseeinkauf. In diesem Fall verursachen alle Merkmale Umweltbelastungen in vergleichbaren Größenordnungen. Für die verschiedenen Ausprägungen eines Merkmals können sich die Umweltbelastungen beträchtlich unterscheiden. Besonders umweltrelevant ist ein Import von frischem Gemüse von außerhalb Europas, für den ein Flugtransport angenommen wird. Die Verpackung hat im Vergleich zu den weiteren Merkmalen bei den untersuchten Produktgruppen (Fleisch und Gemüse) eine relativ geringe Bedeutung.

Für diese Untersuchung wurden Produkte aus Integrierter Freilandproduktion[1] (IP in der Grafik) mit Bioprodukten verglichen. Die Ergebnisse hierzu weisen verschiedene Unsicherheiten auf, die dazu führen, dass ein genereller ökologischer Vor- oder Nachteil für Bioprodukte nicht aus den in Abbildung 2 gezeigten Daten abgeleitet werden kann. Deutlich höher als bei der Freilandproduktion sind die Umweltbelastungen von Gemüse aus beheizten Gewächshäusern (GH).

Als zweite Produktgruppe wurden in der Untersuchung auch Fleischeinkäufe modelliert. Aufgrund der hohen Umweltbelastungen dominiert bei Fleischeinkäufen die landwirtschaftliche Produktion in der Regel das Gesamtergebnis. Das bedeutet, dass weitere Produktmerkmale für Fleischeinkäufe von untergeordneter Bedeutung sind. Lediglich Flugtransporte erhöhen die Belastungen des verkaufsfertigen Produktes beträchtlich (Jungbluth 2000).

In einem weiteren Forschungsprojekt wurden die Daten zur Umweltbelastung mit erhobenen Informationen zum Einkauf verschiedener Persongruppen verknüpft (Abb. 3). Die Personengruppen wurden auf Grundlage als relevant angenommener Einflussfaktoren beim Lebensmitteleinkauf definiert (z. B. Re-gio-Fan kauft regionale Produkte vor allem, um die regionale Wirtschaft zu stärken). Bewertet wurden die Umweltbelastungen mit dem „EcoIndicator-95“, einer älteren Version der vorher gezeigten Bewertungsmethode. Die Auswertung bestätigt in etwa die Rangfolge des vorhergesagten „ökologischen Bewusstseins”. Personen mit positiver Einstellung gegenüber regionalen und biologischen Lebensmitteln bzw. mit höherem ökologischem Wissen verursachten geringere Umweltbelastungen als VerbraucherInnen, bei denen z. B. Zeitersparnis im Vordergrund stand (Arnold et al. 1999). Die Grafik zeigt auch, dass für alle Personengruppen noch ein Handlungsspielraum besteht, um die Umweltbelastungen zu verringern.

Abb. 3: Mittlere Umweltbelastung für den Einkauf eines Gemüseproduktes (linke Skala) bzw. eines durchschnittlichen Gesamteinkaufs von Fleisch und Gemüse (rechte Skala) durch verschiedene KonsumentInnen-Typen*

Abb. 3: Mittlere Umweltbelastung für den Einkauf eines Gemüseproduktes (linke Skala) bzw. eines durchschnittlichen Gesamteinkaufs von Fleisch und Gemüse (rechte Skala) durch verschiedene KonsumentInnen-Typen*
* Einheit 10-9„Eco-Indicator-95“-Punkte pro durchschnittlichem Einkauf

Quelle: Jungbluth 2000

6     Handlungshinweise für VerbraucherInnen

6.1     Auswahl von Produkten

Zur Gewichtung und Ausarbeitung von Handlungshinweisen wurde in der Studie des Autors der Frage nachgegangen, welche Änderungen im Konsumverhalten zu den bedeutendsten Änderungen bei den durchschnittlich verursachten Umweltbelastungen führen würden (Jungbluth 2000). Es konnte gezeigt werden, dass die größten Veränderungen bei den verursachten Umweltbelastungen sich über eine veränderte Nachfrage nach frischen Produktenaus Übersee erzielen lassen. Ein Verzicht auf eingeflogene Produkte ist somit der wichtigste Hinweis für die VerbraucherInnen.

Welchen Einfluss das Kaufverhalten auslösen kann, zeigt Abbildung 4. Gemüse, das außerhalb der eigentlichen Saison konsumiert wird, verursacht ein Vielfaches des Energieverbrauchs und der Umweltbelastungen im Vergleich zu einheimischem, im Freiland angebauten Produkten. Die Umweltbelastungen steigen besonders stark an, wenn Produkte mit dem Flugzeug importiert werden (z. B. Spargel und Bohnen im Winter). Eine relevante Erhöhung verursacht auch die Produktion im Gewächshaus bzw. der weitere Transport von Produkten, wenn diese außerhalb der regionalen Anbausaison gekauft werden (Tomaten und Bohnen im Winter). Zu beachten ist, dass im Frühling auch bei Tomaten eine Verdoppelung der Umweltbelastungen zu beobachten ist. Diese werden aber in diesem Beispiel niemals eingeflogen.

Abb. 4: Erdölverbrauch für vier Sorten Gemüse nach Kalendermonaten (in Litern Erdöl pro kg Gemüse)

Abb. 4: Erdölverbrauch für vier Sorten Gemüse nach Kalendermonaten (in Litern Erdöl pro kg Gemüse)

Quelle: Eigene Darstellung

6.2     Ökologisierung der Ernährungsweise

In Bezug auf unterschiedliche Produktkategorien machen Fleisch- und Milchprodukte etwa die Hälfte des gesamten Energiebedarfs für die Bereitstellung von Nahrungsmitteln aus (Abb. 5). Ihr Anteil an der Versorgung mit Kalorien für die menschliche Ernährung liegt jedoch deutlich unter 50 Prozent. Gemüse verursacht den zweitgrößten Anteil des Energieverbrauchs, insbesondere aufgrund der Gewächshausproduktion (Faist 2000; Jungbluth 2000).

Abb. 5: Aufteilung des Gesamtenergiebedarfs für die Produktion und Bereitstellung von Nahrungsmitteln auf die verschiedenen Nahrungsmittel-Gruppen

Abb. 5: Aufteilung des Gesamtenergiebedarfs für die Produktion und Bereitstellung von Nahrungsmitteln auf die verschiedenen Nahrungsmittel-Gruppen

Quelle: Faist 2000

Neben den Detailentscheidungen zu verschiedenen Produktmerkmalen beim Einkauf spielen deshalb auch grundsätzliche Entscheidungen zur Kostform eine wichtige Rolle für die verursachten Umweltbelastungen. Taylor (2000) hat exemplarisch den Primärenergieverbrauch auf Grund der Ernährung von Ovo-lacto-VegetarierInnen, VollwertköstlerInnnen[2] und DurchschnittsesserInnen verglichen. Die Ergebnisse in Abbildung 6 zeigen, dass die Reduktion des Fleischkonsums zu einer deutlichen Verringerung des ernährungsbedingten Energieverbrauchs führt.

6.3     Zusammenfassung der Handlungshinweise

Für die EndkonsumentInnen lassen sich aus der Auswertung verschiedener Untersuchungen (Carlsson-Kanyama 1999; Faist 2000; Jungbluth 2000; Kramer 2000; Schlich, Fleissner 2003; Taylor 2000) zu den Umweltfolgen des Nahrungsmittelkonsums die folgenden Hinweise für ein umweltorientiertes Verhalten ableiten. Die Orientierung an diesen Einkaufs- und Verhaltensregeln trägt zur Entlastung der Umwelt bei:

  1. Reduktion des Konsums von Fleisch und tierischen Produkten zu Gunsten von Getreide-, Obst- und Gemüseprodukten,
  2. Verzicht auf frische Produkte aus Übersee (oder Europa), bei denen nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass sie eingeflogen wurden.[3] Einkauf von Produkten aus der Schweiz bzw. der Region,
  3. Kauf von Saisongemüse und Verzicht auf Gemüseprodukte aus dem beheizten Gewächshaus,
  4. Vermeidung von Lebensmittelabfällen und Reduktion des Energieverbrauchs im Haushalt (Kochen, Kühlschrank, etc.) und beim Einkaufen (Auto),
  5. Einkauf von frischen bzw. gekühlten statt tiefgekühlten Produkten.

Abb. 6: Vergleich des Primärenergieverbrauchs pro Jahr für verschiedene Kostformen in Deutschland

Abb. 6: Vergleich des Primärenergieverbrauchs pro Jahr für verschiedene Kostformen in Deutschland

Quelle: Taylor 2000

Von vielen KonsumentInnen werden Produkte aus biologischer Produktion als eine wesentliche Möglichkeit zur Reduktion der Umweltbelastungen genannt. Zurzeit ist es aber schwierig, einen abschließenden Vergleich von Produkten aus biologischem, integriertem oder konventionellem Anbau auf der Grundlage von Ökobilanzen zu präsentieren. Die Bioproduktion vermeidet Umweltbelastungen durch den Einsatz von Pestiziden und Kunstdüngern, benötigt dafür aber aufgrund geringerer Erträge mehr landwirtschaftliche Fläche. Dies führt wiederum zu höherem Maschineneinsatz, wenn dieser auf die produzierte Menge umgerechnet wird. Außerdem führt die Verwendung von Hofdünger zur Freisetzung von umweltbelastenden Stickstoffverbindungen. Eine Ausweitung des Konsums von Bioprodukten bedingt auch eine Reduktion des Konsums von tierischen Nahrungsmittelprodukten (Seemüller 2001). Zu diesem Thema sind somit weitere Forschungsarbeiten notwendig, um klare Empfehlungen ableiten zu können.

In einer Diplomarbeit wurden die wesentlichen Ergebnisse der Ökobilanz so aufbereitet, dass KonsumentInnen die Umweltfolgen ihrer Nahrungsmitteleinkäufe auf einer Internet-Homepage (http://www.ulme.ethz.ch) selber bestimmen können (Epp, Reichenbach 1999). Hierbei werden auch die direkten Auswirkungen im Haushalt betrachtet (Heimtransport, Kochen, etc.). Durch den Vergleich dieser Ergebnisse mit Zielwerten für ein ökologisches Einkaufsverhalten werden die KonsumentInnen zu umweltbewussteren Einkäufen motiviert. Unterstützt werden sie hierbei durch Handlungshinweise, die das bisherige Verhalten individuell berücksichtigen (ebd.).

Die Untersuchung hat die Notwendigkeit gezeigt, ökologische Handlungshinweise über mehrere Entscheidungsebenen hinweg zu gewichten. Im untersuchten Beispiel für den Gemüse- und Fleischeinkauf gibt es eine übergeordnete Bedeutung des Ausmaßes des Fleischkonsums für die verursachten Umweltbelastungen. Detailentscheidungen, wie z. B. die Auswahl einer bestimmten Verpackung, sind auf Grund viel wichtiger Entscheide auf höheren Entscheidungsebenen weniger umweltrelevant.

7     Kontroverse Diskussion von Ökobilanzergebnissen

Wie bereits vorher angedeutet, sind die Ergebnisse einer Ökobilanz stark von den gesetzten Rahmenbedingungen, den untersuchten Produktalternativen und den berücksichtigten Umweltindikatoren abhängig. Dies führt dazu, dass es eine Reihe von einzelnen Fallstudien gibt, die einzelnen der vorher gezeigten Handlungshinweisen widersprechen oder gar gegenteilige Empfehlungen abgeben. Besondere Aufmerksamkeit in den Medien haben z. B. Veröffentlichungen zur so genannten „Ecology of Scale“ bekommen (Schlich, Fleissner 2004). Die Autoren leiten aus ihren Untersuchungen ab, dass weit transportierte Produkte einen geringeren Energieverbrauch verursachen, wenn sie in größeren Betrieben produziert werden können. Es ist zu beobachten, dass Studien, die den bisher gültigen Weisheiten tendenziell widersprechen, von Medien eher veröffentlicht werden als Studien, die das bisher bekannte nur bestätigen. Die Ergebnisse werden dabei in der Öffentlichkeit kaum kritisch hinterfragt (Demmeler et al. 2005; Jungbluth, Demmeler 2005).

Umfangreiche Erfahrungen mit der Ökobilanzierung zeigen, dass sich Einzelergebnisse von Fallstudien kaum verallgemeinern lassen. Zu unterschiedlich sind die gesetzten Systemgrenzen und die Rahmenbedingungen. Zu vielfältig sind die möglichen Einflussfaktoren.

8     Zusammenfassung zum Nutzen vonÖkobilanzen

Ergebnisse aus Ökobilanzen von Nahrungsmitteln genießen ein hohes öffentliches Interesse. Viele Veröffentlichungen in Medien verbreiten die Ergebnisse von einzelnen Studien. Grundsätzlich ist dies positiv, da VerbraucherInnen so zu Verhaltensänderungen angeregt werden können. Mediale Aufmerksamkeit wird sonst oft nur durch Skandale oder Sensationen geweckt. Die zwar wissenschaftlich korrekte Ökobilanz, die schon Bekanntes bestätigt, wird eher weniger beachtet.

Von Seiten der VerbraucherInnen werden dabei Aspekte der Umweltverschmutzung durch die Produktion der Nahrungsmittel und die Sorge um die eigene Gesundheit unter Umständen nicht klar getrennt. Die positive Einstellung gegenüber biologisch produzierten Produkten beruht zu einem wichtigen Anteil auch auf der Sorge um die eigene Gesundheit. Deshalb wird umweltbewusstes Einkaufen oftmals gleichgesetzt mit dem Konsum von biologisch produzierten Lebensmitteln, die mit einem entsprechenden Label ausgezeichnet sind.

Ein weiteres Thema in der Öffentlichkeit sind so genannte „food miles“, also eine Zusammenfassung der Transportkilometer über den Lebenszyklus (Carlsson-Kanyama 1999; anonym 1992). Die einfache Addition der Transportentfernungen sagt jedoch wenig über die Umweltbelastungen eines Produktes aus, da verschiedene Transportmittel sich beträchtlich unterscheiden und weitere Transporte unter Umständen durch bessere Produktionsbedingungen ausgeglichen werden (Smith et al. 2005).

Ernährung bedingt täglich eine Vielzahl von umweltrelevanten Entscheidungen. Die richtige Entscheidung kann durch einige grundsätzliche Verhaltenshinweise erleichtert werden. Für die normale KonsumentIn ist es aber nicht möglich, das Detailwissen vieler einzelner Fallstudien beim Einkauf zu berücksichtigen.

Für viele Bedürfnisse wird aus ökologischer Sicht eine quantitative Verringerung des Konsums, z. B. der Verzicht auf Autofahrten gefordert. Im Bedürfnisfeld Ernährung können Umweltentlastungen allerdings nur zu einem geringen Maß durch eine Reduktion der konsumierten Menge erreicht werden. Notwendig wäre hier vielmehr eine Abkehr von den weiter steigenden Ansprüchen nach ständiger Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in großer Auswahl. Die objektiven Handlungsmöglichkeiten der VerbraucherInnen erscheinen eher klein im Vergleich zu anderen Konsumbereichen. In den Bereichen Mobilität oder Wohnen verursachen einzelne Entscheidungen (z. B. Flug ja oder nein) absolut gesehen sehr viel größere positive oder negative Effekte.

Alle am Lebenszyklus eines Produktes oder einer Dienstleistung beteiligten Akteure können direkt zu einer Ökologisierung beitragen. Aus Sicht der beteiligten Wirtschaftskreise (wie Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Vermarkter) haben Ökobilanzen keine so große Bedeutung wie in anderen Industriebereichen. Sehr viel mehr Interesse genießt die Verwendung von Labels, die einzelne Aspekte aus dem Produktzyklus herausheben. Aber auch hier werden Ökobilanzen oftmals eingesetzt, um Produktionsabläufe aus Umweltsicht zu optimieren (Andersson 1998; Berlin 2005; Høgaas-Eide 2002).

Das Denken in Lebenszyklen hat sich bei vielen Personen durchgesetzt – insbesondere aufgrund von Beispielen aus dem Nahrungsmittelbereich. Wie die Untersuchungen aus der Schweiz zeigen, führt dieses Wissen auch zu messbar geringeren Umweltbelastungen beim Nahrungsmitteleinkauf. Den größten Nutzen bringt die Methode aber weiterhin für konkrete Entscheidungen bei den Akteuren der Nahrungsmittelproduktion und -verarbeitung.

Anmerkungen

[1]  In der Integrierten Produktion werden Dünge-und Pflanzenschutzmitteleinsatz beschränkt und kontrolliert. Eine unkontrollierte konventionelle Produktion gibt es in der Schweiz kaum noch.

[2]  Ovo-lacto-VegetarierInnen essen Milchprodukte und Eier, aber kein Fleisch. Zur Vollwerternährung siehe http://www.uni-giessen.de/fbr09/nutrecol/ernae_main.php. Bei reduziertem Fleischkonsum wird eine vielseitige Ernährung vorgeschlagen.

[3]  Von Flugtransporten muss immer dann ausgegangen werden, wenn die Produkte frisch verkauft werden und leicht verderblich sind (z. B. Fisch, Spargel, Kirschen, Erdbeeren, etc.). Schiffstransporte von (tiefgefrorenen) Produkten sind demgegenüber weniger problematisch. Einige Lebensmittelvermarkter sind inzwischen bereit, eingeflogene Produkte entsprechend zu kennzeichnen (z. B. http://www.coop.ch/by-air/).

Literatur

anonym, 1992: Transport – Beziehungen eines Erdbeer-Joghurts. In: fairkehr 7 (1992), S. 15-18

Andersson, K., 1998: Life Cycle Assessment (LCA) of Food Products and Production Sytems. Doctoral thesis. Chalmers University of Technology. Gothenburg, Sweden

Arnold, S.; Tanner C.; Wölfing-Kast S., 1999: Die Wirkung ausgewählter Kontextbedingungen auf das ökologisch nachhaltige Einkaufsverhalten: Resultate einer Tagebuchstudie. Ergebnispapier 5, Forschungsbericht aus dem Psychologischen Institut der Universität Bern, Schweiz

Berlin, J., 2005: Environmental Improvements of the Post-Farm Dairy Chain: Production Management by System Analysis Methods. Ph.D. Chalmers

Carlsson-Kanyama, A., 1999: Consumption Patterns and Climate Change: Consequences of eating and travelling in Sweden. Doctoral Thesis. Stockholm University, Sweden

Demmeler M., Heißenhuber A., Jungbluth N. et al.,2005: Ökologische Bilanzen von Lebensmitteln aus der Region – Diskussion der Ergebnisse einer Forschungsstudie (Ecological balances of Regional Food – Discussion of the Results of a Case Study). In: Natur und Landschaft, 3 (2005), pp. 110-111

Epp, A.; Reichenbach, A., 1999: Rückmeldung an KonsumentInnen zu den Umweltfolgen ihrer Lebensmitteleinkäufe. Diplomarbeit Nr. 26/99. Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich; http://www.ulme.ethz.ch/Diplomarbeit.pdf; download 14.12.2007

Faist, M., 2000: Ressourceneffizienz in der Aktivität Ernähren: Akteurbezogene Stoffflussanalyse. Dissertation Nr. 13884. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich; http://e-collection.ethbib.ethz.ch/ecolpool/diss/fulltext/eth13884.pdf; download 14.12.2007

Goedkoop, M.; Spriensma, R., 2000: The Ecoindicator 99: A Damage Oriented Method for Life Cycle Impact Assessment. PRé Consultants, Amersfoort, The Netherlands; http://www.pre.nl/download/EI99_methodology_v3.pdf; download 14.12.2007

Høgaas-Eide, M., 2002) Life Cycle Assessment (LCA) of Industrial Milk Production. Ph.D. Chalmers, Göteborg, Sweden

Jungbluth, N.; Tietje, O.; Scholz, R., 2000: Food Purchases: Impacts from the Consumers’ Point of View Investigated with a Modular LCA. In: International Journal of Life Cycle Assessment, 5/3 (2000), pp. 134-142

Jungbluth, N., 2000: Umweltfolgen des Nahrungsmittelkonsums: Beurteilung von Produktmerkmalen auf Grundlage einer modularen Ökobilanz. Dissertation Nr. 13499. Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, Umweltnatur- und Umweltsozialwissenschaften, dissertation.de, Berlin, Germany; http://www.esu-services.ch/download/jungbluth2000-umweltfolgen.pdf; download 14.12.2007

Jungbluth, N.; Demmeler, M., 2005: Letter to the Editor: ‚The Ecology of Scale: Assessment of Regional Energy Turnover and Comparison with Global Food’ by Elmar Schlich and Ulla Fleissner. In: International Journal of Life Cycle Assessment, 10/3 (2005), pp. 168-170

Kramer, K.J., 2000: Food matters: On Reducing Energy Use and Greenhouse Gas Emissions from Household Food Consumption. Ph.d. Thesis. Center for Energy and Environmental Studies of the University of Groningen (IVEM RUG), The Netherlands

Schlich, E.H.; Fleissner, U., 2003: Comparison of Regional Energy Turnover with Global Food. In: Gate to EHS/Global Food/LCA, Case Studies, June 2003, pp. 1-6; http://dx.doi.org/10.1065/ehs2003.06.009; download 14.12.2007

Schlich, E.H.; Fleissner, U., 2004: The Ecology of Scale: Assessment of Regional Energy Turnover and Comparison with Global Food. In: International Journal of Life Cycle Assessment 9 (Spec. Iss., 2004), pp. 219-223

Seemüller, M., 2001: Ökologische bzw. konventionell-integrierte Landbewirtschaftung: Einfluss auf die Ernährungssicherung in Deutschland in Abhängigkeit vom Konsumanteil tierischer Lebensmittel. In: Zeitschrift für Ernährungsökologie 2/2 (2001), S. 94-96

Smith, A.; Watkiss, P.; Tweddle, G. et al., 2005: The Validity of Food Miles as an Indicator of Sustainable Development. Final Report produced for DEFRA; http://statistics.defra.gov.uk/esg/reports/foodmiles/final.pdf; download 14.12.2007

Taylor, C., 2000: Ökologische Bewertung von Ernährungsweisen anhand ausgewählter Indikatoren. Inauguraldissertation. Justus-Liebig-Universität Gießen; http://bibd.uni-giessen.de/gdoc/2000/uni/d000074.pdf; download 14.12.2007

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