Flexibilität, Entgrenzungen und Internationalisierung der TA

Editorial

Flexibilität, Entgrenzungen und Internationalisierung der TA

Technikfolgenabschätzung (TA) hat ihre historischen Wurzeln an der Schnittstelle von Wissenschaft und Parlament. Ausgehend vom amerikanischen Kongress und dem 1972 gegründeten Office of Technology Assessment (OTA) hat sich TA in vielfältiger Hinsicht diversifiziert und differenziert. Dies betrifft sowohl die Adressaten in Politik und Gesellschaft als auch die Konzeptionen, Institutionen und Forschungsrichtungen. Gleichwohl ist der „parlamentarische Zweig“ der TA nach wie vor eine besonders prägnante Ausprägung – zwar nicht mehr in den USA als dem Herkunftsland der TA, aber in vielen europäischen Ländern.

Der hohe Stellenwert, den TA als wissenschaftliche Politikberatung an Parlamenten hat, zeigte sich jüngst in Berlin. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union hatte die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Forschung, Bildung und Technikfolgenabschätzung, Ulla Burchardt, die Vorsitzenden der europäischen Forschungsausschüsse für den 10. und 11. Juni zu einer ersten gemeinsamen Konferenz eingeladen. Neben einer Förderung der Vernetzung unter den parlamentarischen Forschungspolitikern standen zwei inhaltliche Themen auf dem Programm: die Gestaltung des europäischen Forschungsraumes (sicher nicht überraschend) und eben die Rolle der TA an Parlamenten. Die Diskussion nach den zwei Impulsvorträgen, die Gerhard Schmid (früherer Vizepräsident des Europäischen Parlamentes) und der Autor dieses Editorials (Leiter des ITAS und TAB) hielten, zeigte vor allem das große Interesse derjenigen Staaten, die keine TA an ihren Parlamenten institutionalisiert haben. Erweiterungen des Netzwerks parlamentarischer TA in Europa (EPTA, http://www.eptanetwork.org) zeichnen sich ab. Schweden und Polen denken an Mitgliedschaften. In den letzten Jahren ist EPTA pro Jahr im Schnitt um ein Mitgliedsland gewachsen – ein zwar langsames, aber vielleicht „nachhaltiges Wachstum“.

Auch in qualitativer Hinsicht hat sich in den letzten Jahren viel getan. War EPTA früher eher ein Forum zum Meinungsaustausch, hat es sich mittlerweile zu einer arbeitsfähigen Organisation entwickelt. So werden inzwischen gemeinsame EPTA-Projekte durchgeführt, die die europäische Dimension in den Blick nehmen. Abgeschlossen sind bereits ein Projekt zu „Privacy“ und ein Kurzüberblick über energiepolitische Fragen in den EPTA-Ländern, der die Basis für die EPTA-Konferenz 2006 in Oslo bildete. Aktuell wird an einem gemeinsamen Projekt über gentechnisch modifizierte Pflanzen und Nahrungsmittel gearbeitet. Der Weg von einem losen Netzwerk hin zu einer operativen Einrichtung ist zwar nicht einfach. Aber was wäre ein Fortschritt, der nicht erst erarbeitet werden muss?

TA, vielfach an nationale oder auch regionale Fragestellungen und Entscheidungssysteme gebunden, macht sich auf diese Weise auf den Weg der Europäisierung und Internationalisierung, ohne aber auf der anderen Seite die Bindung an die nationalen Adressaten und Entscheidungssysteme zu verlieren. Man bemerkt hier im Tagesgeschäft der TA Entwicklungen, die als Reaktionen auf die zunehmende Bedeutung der „Mehrebenenpolitik“ interpretiert werden können.

Was jedenfalls auch beobachtet werden kann, ist die Europäisierung und Internationalisierung auf Seiten der TA-relevanten Forschung. Wie das Schwerpunktthema dieses Heftes als eines unter vielen Beispielen zeigt, formiert sich auch TA-Forschung zunehmend auf der internationalen Bühne. Auch in der TA zeigt sich, wie sich das Arbeitsfeld „Wissenschaft“ verändert. Flexibilitätsanforderungen, Entgrenzungen und Internationalisierung prägen die Praxis. TA auf dem Weg in die „Weltgesellschaft“, wie dies die letzte Konferenz des Netzwerks TA thematisiert hat, lässt grüßen. Eine der Herausforderungen wird sein, in diesem Prozess auf dem Boden zu bleiben – d. h. den Kontakt mit den politischen Entscheidungssystemen nicht zu verlieren. Und dies führt zur Ausgangsbeobachtung zurück, dass nach wie vor die parlamentarische TA einen Eckpfeiler der TA insgesamt bildet.