Schwarzer Peter neu gezogen? Flexibilisierung und Weitergabe von Risiken

Schwerpunkt: Wandel der Arbeit

Schwarzer Peter neu gezogen?

Flexibilisierung und Weitergabe von Risiken

von Jörg Flecker, Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, Wien

Zur Sicherung von Kapitalrenditen bemühen sich Unternehmen darum, durch eine Flexibilisierung der Arbeit Kosten zu senken und Risiken der Auslastung und des Ertrags abzuwälzen. In einzelnen Branchen erfolgt dies bevorzugt durch atypische Beschäftigungsverhältnisse, was zu einer verstärkten Segmentierung des Arbeitsmarkts führt. Gestützt auf informationstechnische Vernetzung werden Flexibilitätsanforderungen vielfach auf externe Zulieferer und Dienstleister überwälzt. Internationale Unterschiede zeigen, dass die Regulierung des Arbeitsmarkts und die aktuelle Arbeitspolitik die gewählten Flexibilisierungformen beeinflussen und somit entscheidend für das Ausmaß und die Form der „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“ sind. Bei Maßnahmen der internen Flexibilisierung bleibt das Normalarbeitsverhältnis zwar der Form nach bestehen, aber sein Inhalt wird vielfach ein anderer, insofern auch für die Kernbelegschaften die Risiken steigen. Die Konkurrenz zwischen ungesicherten Randbelegschaften und den formal gesicherten Kernbelegschaften verstärkt diesen Trend. Wer die Risiken der Flexibilisierung zu tragen hat, ist also heute nicht mehr so klar anhand der Beschäftigungsverhältnisse zu erkennen wie früher.

1     Einleitung

Dass der Wandel der Arbeit von der Globalisierung angetrieben wird, zieht wohl niemand in Zweifel. Der Konsens endet aber bei der Frage, was denn die Globalisierung sei und wie sie konkret auf die Arbeit wirke. Die gängige Antwort lautet, dass der Abbau von Handelshemmnissen zur Verschärfung der Konkurrenz und zu höherer Dynamik auf allen Produktmärkten geführt habe. Dies ist nicht nur im europäischen Binnenmarkt, sondern auch im globalen Maßstab in vielen Wirtschaftsbereichen der Fall. Ständige Bemühungen um Kostensenkung und Steigerung der Flexibilität sind die Folge. Noch stärkere Auswirkungen auf die Entwicklung der Erwerbsarbeit in Europa dürfte jedoch die Entwicklung auf den Finanz- und Kapitalmärkten haben. Hier hat die Deregulierung zu globalen Märkten und zur Abkopplung der Finanzsphäre von der realen Ökonomie geführt. Die hohen mit Finanzanlagen und Spekulationen erzielbaren Renditen schlagen sich auch in gestiegenen Renditeforderungen der Kapitaleigner an die Unternehmen nieder und treiben so die Rationalisierung und Umstrukturierung von Betrieben und Unternehmen voran. Die Forderung nach höheren Renditen kann aufgrund geänderter Eigentumsstrukturen und Formen der Unternehmenssteuerung leichter durchgesetzt werden. So dominieren Finanzinvestoren ohne Interessen an langfristigen realökonomischen Entwicklungen bereits vielfach die Unternehmen. Das Gewinninteresse ist kurzfristig, mangels gesellschaftlicher Einbettung um andere Interessen bereinigt und damit zwingender geworden. Daher ist Kapital auch in den Ländern des rheinischen Kapitalismus ungeduldig geworden und begnügt sich nicht mehr mit einem Residualeinkommen. Vielmehr sollen sich nunmehr die Arbeitskräfte mit dem zufrieden geben, was übrig ist, wenn die vorgegebene Kapitalrendite abgerechnet wurde (Deutschmann 2007).

Eine solche Umkehr der betriebswirtschaftlichen Logik setzt aber voraus, dass Arbeitskräfte nicht mehr aufgrund gesicherter Statusrechte beschäftigt und nach kollektiven Verträgen entlohnt werden. Sollen sie tatsächlich ein Residualeinkommen erhalten, setzt das eine umfassende Flexibilisierung der Beschäftigung in dem Sinn voraus, dass die Ausgaben für Löhne und Gehälter an die Ertragslage des Betriebes gebunden werden. Dafür wird der Personaleinsatz an die Auslastung angepasst und das Arbeitsentgelt von Umsatz und Gewinn abhängig gemacht. Im folgenden Beitrag möchte ich ausführen, welche Formen der Flexibilisierung der Erwerbsarbeit vor diesem Hintergrund zu beobachten sind. Dabei gehe ich insbesondere der Frage nach, ob sich die Flexibilisierung primär in atypischer und prekärer Beschäftigung ausdrückt oder ob sie auch tief in die bisher geschützten Beschäftigungsverhältnisse, also das so genannte Normalarbeitsverhältnis, eindringt. Während bisher relativ klar war, dass die Randbelegschaften der LeiharbeiterInnen, der befristet Beschäftigten, der WerkvertragsnehmerInnen etc. bei der Flexibilisierung den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen, zeigen jüngste Forschungsergebnisse, dass dies immer häufiger auch auf Mitglieder der Kernbelegschaften zutrifft.

2     Flexibilisierung und minder geschützte Beschäftigungsformen

Auch wenn eine generelle Tendenz darin besteht, ökonomisches Risiko auf die Arbeitskräfte abzuwälzen, um Schwankungen der Auslastung und der Ertragslage weniger stark auf die Gewinne durchschlagen zu lassen, so setzt Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung doch mit sehr unterschiedlichen Maßnahmen auf ganz verschiedenen Ebenen an (Vickery, Wurzburg 1996; ILO 1998; Keller, Seifert 2005):

Nun können finanzielle, zeitliche und funktionale Flexibilisierung auf verschiedene Arten erreicht werden:

Es ist üblich, in diesem Sinne zwischen externer und interner Flexibilisierung zu unterscheiden, wobei lange Zeit der externen nachteilige Wirkungen für die Arbeitskräfte zugeschrieben wurde, während für die interne Flexibilisierung sozusagen eine Humanisierungsvermutung galt. In letzter Zeit werden hingegen auch die Risiken der internen Flexibilisierung betont (Flecker 2005).

Beginnen wir jedoch mit der externen Flexibilisierung, die sich unter anderem in der Arbeitsmarktstatistik als Zunahme von „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen ausdrückt. Insbesondere bei geringfügiger Beschäftigung (Mini- und Midi-Jobs), befristeter Beschäftigung, Leiharbeit und neuer Selbständigkeit oder freien Dienstverträgen fehlen soziale Rechte (wie Kündigungsschutz, Mindesteinkommen, Sozialversicherung etc.), die das Beschäftigungsverhältnis in gewissem Maße stabil und das Einkommen in gewissem Maße planbar machen sowie eine soziale Absicherung gewähren. Daher erlauben es diese Beschäftigungsformen, Risiko vom Unternehmen auf die Beschäftigten abzuwälzen und die Arbeitskraft zu verbilligen. Die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind deutlich zu erkennen. Auch wenn in bestimmten Branchen, wie etwa in den Medien und der Kulturindustrie, auch die fest Angestellten sehr flexibel eingesetzt werden, so kulminieren die Risiken projektförmiger Arbeit doch bei jenen, die kein Anstellungsverhältnis haben (Mayer-Ahuja, Wolf 2005).

In Deutschland und Österreich stieg die Zahl minder geschützter, „flexibler“ oder „atypischer“ Beschäftigungsformen deutlich an, was häufig als Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“, also der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung, interpretiert wurde. Doch Totgesagte leben länger: Der arbeits- und sozialrechtlich geschützte Dienstvertrag ist keineswegs ein Auslaufmodell, sondern dürfte sich in den Kernbereichen der Wirtschaft auf Dauer behaupten. In den letzten 20 Jahren nahmen zwar die für Unternehmen „flexiblen Beschäftigungsformen“ deutlich zu, aber es handelt sich aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive „kaum um dramatische Änderungen“ (Rudolph 2005, S. 99).

In einzelnen Branchen dominieren jedoch minder geschützte Beschäftigungsformen, wie etwa Beispiele aus Österreich zeigen:

2.1     Callcenter als Beispiel

In diesem Zusammenhang ist gerade die Callcenter-Branche ein sehr interessantes Beispiel: Diese Betriebe bieten Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen an, die Betreuung von KundInnen bzw. BürgerInnen am Telefon für sie durchzuführen und stützen sich dabei intensiv auf neue Informations- und Kommunikationstechnologien. Zum Teil decken sie auch nur „Spitzen“ ab, also jene Anrufe, die intern nicht mehr bewältigt werden können. Interessant ist nun, die Beschäftigungsverhältnisse von internen Callcentern (in Versicherungen, Banken, Handels- und Industriebetrieben etc.) und externen Callcenterbetrieben zu vergleichen: Während in internen Callcentern unbefristete Dienstverträge üblich sind, hat die Mehrheit der überwiegend weiblichen Beschäftigten der meisten externen Callcenter freie Dienstverträge, die eine Mischung aus selbstständiger und unselbstständiger Arbeit darstellen, insofern zwar eine dauerhafte Einbindung in den Betrieb gegeben ist, aber nur nach Arbeitseinsatz bezahlt wird und weder Kündigungsschutz noch Sozialversicherungspflicht besteht (Schönauer 2005, Scherz 2006).

Der Unterschied zwischen den internen und den externen Callcentern zeigt, dass es nicht das technisch-organisatorische Arbeitsmodell des Callcenters ist, das eine bestimmte Form der Beschäftigung nahe legt. Vielmehr beruht das Geschäftsmodell der neuen Branche der Callcenterbetriebe nicht unwesentlich auf „flexiblen“ Beschäftigungsverhältnissen. Die billigere Arbeitsform und auch die Flucht aus dem Tarif- bzw. Kollektivvertrag machen häufig erst die Auslagerung der Kundenbetreuung an einen externen Dienstleistungsanbieter rentabel, und diese können sich so als kostengünstige Flexibilitätspuffer anbieten.

Bereichen mit stabiler Beschäftigung in Normalarbeitsverhältnissen stehen also wachsende Bereiche mit flexibler und minder geschützter Beschäftigung gegenüber. Wir haben es also weniger mit einer generellen Erosion des Normalarbeitsverhältnisses als vielmehr mit einer verschärften Segmentierung des Arbeitsmarktes zu tun. Dabei ist offensichtlich, dass der institutionelle Rahmen, insbesondere Arbeitsrecht und Kollektivverträge, und die aktuelle Arbeitspolitik eines Landes entscheidend dafür sind, wie der generelle Druck in Richtung Flexibilisierung in konkrete Arbeitsformen umgesetzt wird. So zeigte eine europäische Vergleichsstudie, dass in verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten teils flexible Arbeitszeiten, teils externe Arbeitskräfte, teils Überstunden und teils das Einstellen und Entlassen von ArbeitnehmerInnen die bevorzugten Mittel zur Erhöhung der Flexibilität der Arbeit sind (Schief 2006).

Tab. 1: Dominante Merkmale bei der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse im Ländervergleich

Land Dominante Merkmale
Deutschland Arbeitszeitflexibilität
Frankreich Externe Arbeitskräfte
Großbritannien Überstunden
Niederlande Überstunden, externe Arbeitskräfte
Portugal Überstunden, Einstellen und Entlassen

Quelle: EUCOWE, Schief 2006

Eine internationale Studie über Callcenter bestätigt diese internationalen Unterschiede in der Form der Flexibilisierung: In Spanien haben 40 % aller Arbeitskräfte in Callcentern eine befristete Beschäftigung, in Deutschland hingegen 26 % und in Österreich nur 5 %. Dagegen sind in Österreich 31 % der Callcenterbeschäftigten freie DienstnehmerInnen, und in Deutschland und Österreich machen Callcenter starken Gebrauch von geringfügiger Beschäftigung, die fast ein Viertel der Arbeitsverträge in Callcentern ausmacht (Shire u. a. 2007).

Das Ausmaß und die Form der Flexibilisierung und Prekarisierung von Arbeit sollten also nicht als unvermeidbare Auswirkung des „Finanzmarkt-Kapitalismus“ (Windolf 2005), sondern als Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen und Verteilungskämpfe gesehen werden. So gab es in Österreich in letzter Zeit Initiativen der Krankenkassen und der Gewerkschaft gegen freie Dienstverträge in Callcentern, um die Umgehung von Anstellungsverhältnissen zu bremsen. Mit Erfolg: Callcenterbetriebe stellen unter diesem Druck auf Anstellungsverhältnisse um, die vollständig der Sozialversicherung unterliegen.

Das Muster der Entwicklung scheint also folgendes zu sein: Der Gesetzgeber versuchte, abweichende Beschäftigungsverhältnisse, insbesondere neue Formen der Selbständigkeit zu regulieren, um Beiträge zur Sozialversicherung sicherzustellen. Dadurch entstand aber ein breiteres Angebot an minder geschützten Beschäftigungsverhältnissen, aus dem die Unternehmen auswählen können. Unternehmen nützen dies, wenn sie versuchen dem Normalarbeitsverhältnis auszuweichen, um Kosten zu sparen und Risiken abzuwälzen. Im Fall der Callcenter wurde damit gar ein neues Geschäftsmodell etabliert. Solange es keinen Widerstand gibt, können Beschäftigungsformen (wie freie Dienstverträge) auch so verwendet werden, wie es das Gesetz nicht vorsieht: Wo kein Kläger, da kein Richter. Damit ergibt sich de facto eine Deregulierung oder – wie es Tálos formuliert hat – eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch Flucht aus dem Arbeitsrecht. Treten allerdings Kläger auf, ist es durchaus möglich, dass die Entwicklung korrigiert wird.

3     Flexible Betriebe und das Normalarbeitsverhältnis

Das Beispiel der Callcenterbetriebe illustriert genau genommen zwei verschiedene Formen flexibler Arbeit: Abgesehen von den Beschäftigungsverhältnissen ist schon die Auslagerung (‚outsourcing') von Arbeit eine Maßnahme zur Flexibilisierung, weil Risiken insbesondere der Auslastung an Zulieferer und Dienstleister weiter gereicht werden. Die Auslagerung von Reinigung, Kantine, EDV, Buchhaltung, Produktion etc. sind keine Einzelmaßnahmen, sondern Teil einer massiven Umstrukturierung der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung, durch die Unternehmen und ganze Branchen neu zusammengesetzt wurden. Das traditionelle, vertikal integrierte Unternehmen, in dem alle Unternehmensfunktionen (wie Einkauf, Forschung, Produktion, Verwaltung, EDV, Verkauf, Kundenbetreuung etc.) unter einem Dach vereint sind, ist in vielen Branchen inzwischen Geschichte.

Auf der anderen Seite sind durch das Auslagern, outsourcing, neue Kleinbetriebe, aber auch neue Großunternehmen entstanden: multinationale Konzerne für Gebäudereinigung, für Buchhaltung, für EDV, für Produktion etc. Neben der Verbilligung von Arbeit durch den Wechsel von Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder durch grenzüberschreitende Verlagerung und neben dem Spezialwissen, das solche Unternehmen anbieten können, ist die Flexibilisierung Triebkraft dieser Entwicklung, insofern Unternehmen das Auslastungsrisiko auf die Zulieferer und Dienstleister überwälzen können. Das trifft auf Zulieferer in der just-in-time-Produktion ebenso zu wie auf externe Callcenter, die Anrufspitzen abdecken, oder Kleinbetriebe in der IT-Branche, die für Großunternehmen Zusatzkapazitäten darstellen.

Die grenzüberschreitende Verlagerung von Arbeit hat nicht nur in der industriellen Fertigung zur Verlängerung von Wertschöpfungsketten geführt. Gerade auch in der Informationstechnikbranche werden Unterschiede in den Arbeitskosten zwischen den „alten“ und den „neuen“ EU-Mitgliedsstaaten oder zwischen Europa und Indien durch die Aufspaltung und räumliche Verteilung von Entwicklungsprozessen genutzt. Bei verteilter Arbeit entsteht ein höherer Bedarf an Formalisierung und Planung. Wird an einem informellen Arbeitsstil mit Ad-hoc-Entscheidungen festgehalten, schlägt sich das in hohen Belastungen auf Seiten der ausgelagerten Einheiten nieder. Die niedrigen Lohnkosten bewirken aber, dass mangelnde Planung ökonomisch nicht sehr ins Gewicht fällt: Weder Unter- noch Überauslastung werden aus der Ferne als Problem wahrgenommen. Im Fall einer indischen Softwarefirma, die für ein deutsches IT-Unternehmen arbeitete, ließ diese Konstellation auf Seiten der indischen Entwickler das Vorurteil von den „chaotischen Deutschen“ entstehen (Hirschfeld 2004).

In flexiblen Betrieben können die Beschäftigten – im Unterschied zu den meisten österreichischen Callcenterbetrieben – durchaus mit unbefristeten und sozialversicherungspflichtigen Dienstverträgen angestellt sein. Dennoch bekommen sie die Folgen der Flexibilisierung zu spüren, weil die Flexibilitätsanforderungen an sie weiter gereicht werden. Die Situation wird durch knappe Personalausstattung zusätzlich verschärft, weil keine Reservekapazitäten bestehen, welche es erlauben würden, dass die Anforderungen von der Organisation abgefangen werden. Kurzfristiges Einspringen, wenig planbare Arbeitszeiten, Überstunden und lange Arbeitszeiten werden zur Regel. Folgendes Zitat aus der Hauskrankenpflege drückt dies anschaulich aus:

Flexible Arbeit enthält also auch im Normalarbeitsverhältnis ein nicht unerhebliches Beschäftigungsrisiko. Weitere Risiken sind in diesem Zusammenhang das Gesundheitsrisiko wegen hoher Belastungen und das Einkommensrisiko (siehe Flecker 2005). Hinzu kommt die in manchen Branchen, Betriebsgrößen und Eigentumsverhältnissen geradezu permanente Umstrukturierung, welche die Zuordnung zu Betrieben und Abteilungen, die Aufgabenbereiche etc. in einem Ausmaß in Schwebe hält, dass man von einer ‚Verflüssigung' von Organisationen sprechen kann (Coutrot 1998).

Die Aussage, dass das Normalarbeitsverhältnis relativ stabil ist und nicht zu erwarten ist, dass es zu einem Minderheitenprogramm wird, sagt also nicht so viel aus, wie es zunächst scheint. Die Institution Normalarbeitsverhältnis bleibt der Form nach bestehen, aber der Inhalt ist vielfach ein anderer geworden. Aus der Perspektive des Institutionenwandels betrachtet haben wir es also nicht nur mit einer Verdrängung des Normalarbeitsverhältnisses durch „atypische“ Beschäftigungsformen, sondern auch mit dessen „Verwandlung“ zu tun, insofern sich eine Lücke zwischen den Regeln und ihrer Anwendung auftut (Streeck, Thelen 2005). Dadurch sagt die Tatsache, dass ein unbefristeter Dienstvertrag vorliegt, immer weniger aus. Die mit dem Normalarbeitsverhältnis verbundenen sozialen Rechte wurden im letzten Jahrzehnt eingeschränkt, Unsicherheit ist massiv in die Kernbereiche der Arbeitsgesellschaft vorgedrungen. „Der Bezugspunkt des Sozialmodells abhängiger Arbeit ist nicht zur Ausnahme geworden, das Sozialmodell wurde jedoch in seinem Inhalt verändert und bietet Sicherheitsversprechen auf niedrigerem Niveau“ (Rudolph 2005, S. 122).

Bei der Verbreitung flexibler und prekärer Beschäftigungsformen einerseits und der Flexibilisierung innerhalb des Normalarbeitsverhältnisses andererseits handelt es sich nicht nur um parallele Entwicklungen, sondern auch um eine Wechselwirkung: Leiharbeitskräfte, WerkvertragnehmerInnen, Scheinselbstständige und freie DienstnehmerInnen wirken disziplinierend auf den Kern der Belegschaften im Normalarbeitsverhältnis ein, insofern eine Konkurrenz zwischen der ungesicherten Randbelegschaft, die auf einen Wechsel in dauerhafte Beschäftigung hofft, und den formal gesicherten Beschäftigten der Stammbelegschaft entsteht (Dörre 2005). Dadurch sind diejenigen in „gesicherter“ Beschäftigung vielfach zu Zugeständnissen bereit, die sich in geänderten arbeitsvertraglichen Vereinbarungen oder auch nur in den faktischen Arbeitsbedingungen jenseits formaler Regelungen niederschlagen.

In die gleiche Richtung geht die Wirkung, die Angebote von Zuliefer- und Dienstleisterbetrieben auf die unternehmensinternen Ersteller-Innen der Leistung ausüben können. Der Druck wird in Unternehmensstrategien des „Zwangs durch Vergleich“ (coercive comparison, Marginson et al. 1995) systematisch genutzt und verstärkt: Interne Einheiten müssen dem Kostenvergleich mit externen Anbietern standhalten, sonst werden die Aufgaben ausgelagert bzw. die Leistung zugekauft. Aufgrund der technischen Vernetzung der Betriebe, den inzwischen vielfach eingeübten organisatorischen Vorkehrungen für Auslagerungen und der generellen Verlängerung von Wertschöpfungsketten auch über Ländergrenzen hinweg ist heute die Drohung der Auslagerung nahezu für alle Unternehmensfunktionen viel glaubwürdiger als noch vor zehn oder 20 Jahren. Wie die Konkurrenz von Seiten der atypischen Beschäftigungsformen trägt auch die Möglichkeit zur Auslagerung von Arbeit dazu bei, dass Risiken an die Beschäftigten weiter gereicht werden können und damit das Normalarbeitsverhältnis von innen her ausgehöhlt wird.

4     Fazit

Die Globalisierung, oder konkreter die Herrschaft der Finanz-Investoren, hat den Druck zur Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit erheblich gesteigert. Dennoch gibt es keine schicksalhafte Entwicklung hin zu flexibler und prekärer Beschäftigung. Vielmehr entscheiden die arbeitspolitischen Auseinandersetzungen über die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Institutionen, wie des Normalarbeitsverhältnisses, und über die Durchsetzung sozialer Rechte, und damit auch darüber, in welchem Ausmaß und in welcher Form die Unternehmen tatsächlich Risiken auf die Arbeitskräfte abwälzen können. Die internationalen Unterschiede in den Formen und der Verbreitung betrieblicher Flexibilisierung zeigen, dass nationales Arbeitsrecht und nationale Arbeitsbeziehungen trotz ihrer Schwächung im Zuge der Internationalisierung der Wirtschaft nach wie vor Wirkung entfalten.

Dennoch ist aus der Art des Arbeitsvertrags im Hinblick auf die Arbeits- und Erwerbsbedingungen in vielen Branchen viel weniger mit Sicherheit abzuleiten, als das früher der Fall war. Scheinselbständigkeit kann unter Umständen sicherer als ein Dienstverhältnis sein. Zwar gibt es im Durchschnitt klare Unterschiede, doch ist die Vielfalt auf beiden Seiten (also innerhalb des Normalarbeitsverhältnisses und auf Seiten der atypischen Beschäftigungsverhältnisse) größer geworden. Dies ist nicht zuletzt auf die Rückwirkung der Auslagerungen und der Ausweitung prekärer Arbeit auf den Kern des Beschäftigungssystems zurückzuführen: Die Konkurrenz ungesichert Beschäftigter verlangt den Arbeitskräften im Normalarbeitsverhältnis Zugeständnisse ab. Ähnlich wirken die Angebote von Zulieferern und externen Dienstleistern, mit denen sich unternehmensinterne Abeilungen messen müssen.

Da Betriebe und Wertschöpfungsketten nicht selten nach dem Motto „Den-Letzten-beißen-die-Hunde“ funktionieren, werden Risiken in der Regel auf Randbelegschaften und Zulieferer und externe Dienstleister überwälzt. Doch der Druck, der von den Finanzmärkten ausgeht, hat auch zu einer erheblichen Steigerung der Flexibilitätsanforderungen an die Kernbelegschaften geführt. Zudem haben sich die Konkurrenzverhältnisse auf Seiten der ArbeitnehmerInnen vervielfacht, wodurch die Karten ständig neu gemischt werden. Damit wird in Zukunft nicht mehr mit so großer Sicherheit zu sagen sein, wer nun den Schwarzen Peter in Händen hält.

Literatur

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Kontakt

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Forschungs-und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA)
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