Global Marshall Plan Initiative (Hg.): Hoffnung Europa. Strategie des Miteinander

Rezensionen

Denkanstöße und Perspektiven im Ringen um eine gerechtere Welt

Global Marshall Plan Initiative (Hg.): Hoffnung Europa. Strategie des Miteinander. Global Marshall Plan Foundation, Hamburg 2006, ISBN: 3-9809723-4-8, 320 Seiten, 12.00 €uro

Rezension von Volker Stelzer, ITAS

Von der ‚Hoffnung Europa' zu sprechen, ist das nicht verwegen angesichts der verbreiteten Euroskepsis und eines angeblich drohenden ‚Kampfes der Kulturen'? Für die Herausgeber jedenfalls kann Europa als ein ‚praktikables Beispiel für eine friedensfähige, sozial gerechte und nachhaltige Entwicklung für den gesamten Globus' genommen werden. Die 44 bekannten Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft, die in dem Buch vertreten sind [1] , wollen Denkanstöße zur weiteren Verbreitung der Vision geben, die Europa in ihren Augen für das zukünftige globale Miteinander der Staaten und Völker darstellen kann.

Alle Autoren des Buches teilen die Überzeugung, dass die derzeitig weitgehend konsistent Orientierung der staatlichen Systeme, der Wirtschaft und der Gesellschaft am neoliberalen Gesellschaftsmodell nicht zu einer Lösung der bestehenden globalen Probleme beiträgt (wie Armut, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung). Dies trauen die Herausgeber dem von ihnen entwickelten Modell eines „Global Marshall Plan“ zu, der am Ende des Buches vorgestellt wird: Nach ihrer Überzeugung bietet er durch den Aufbau einer ökosozialen Marktwirtschaft die Grundlage für eine faire Gestaltung der Globalisierung.

Das Buch begründet in den Kapiteln „Europäische Werte“, „Kultur des Miteinander“, „Bürgernähe und Partizipation“ und „Zukunft der EU“ den Modellcharakter Europas, den es in den Augen der meisten Autoren hat, um dann in den folgenden zwei Kapiteln mit der „Ökosozialen Marktwirtschaft“ und der „Globalisierung – Made in Europa“ Entwürfe für eine zukünftige Rolle Europas in der Welt vorzustellen. Die einzelnen Kapitel werden durch Kurzstatements bekannter Persönlichkeiten wie Bundespräsident Horst Köhler, Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bischöfin Margot Käßmann eingeleitet. Die Rezension stellt aus jedem Themenbereich mindestens einen Beitrag näher vor.

1     „Glaubwürdigkeit“ – ein wichtiger Europäischer Wert

Interessant ist hier der Blick eines „Nicht-Europäers“ auf Europa: derjenige des Prinzen El Hassan bin Talal, dem Präsidenten des Club of Rome. Er hebt hervor, dass es Europa nach dem Schrecken des Zweiten Weltkrieges geschafft habe, sich zu einem Kontinent zu entwickeln, in dem die Länder eine gleichberechtigte Partnerschaft aufgebaut haben, in dem aus Feinden Verbündete wurden und Solidarität die Teilung abgelöst hat. Außerdem verweist er auf die Summe von 1 Mrd. Euro, die Europa monatlich für Hilfsprogramme auf allen fünf Kontinenten ausgibt. Er konstatiert, dass sich Europa einer hohen Glaubwürdigkeit erfreut und fordert es auf, diese Glaubwürdigkeit für Partnerschaften mit anderen Staaten einzusetzen. Diese Partnerschaften sollten sich vor allem auf die Themen a) Reduzierung der Protektionen in der Landwirtschaft, b) Handelsliberalisierung, c) Förderung einer nachhaltigen Agrarwirtschaft und d) Belohnung von Ressourcen schonenden Technologien und Lebensstilen erstrecken.

2     Das Modell eines Interkulturellen Humanismus als Beispiel für eine “Kultur des Miteinander“

Eingeleitet wird das Kapitel mit einem der wenigen Beiträge des Buches, die sich skeptisch zur Rolle Europas als Hoffnungsträger äußern: Johan Galtung fürchtet, dass die Europäische Union in der gegenwärtigen Situation nicht eine Friedensmacht ist, ohne dies weiter auszuführen. Aber auch er schließt mit der Hoffnung auf eine starke Friedensbewegung, von der aus vielleicht eines Tages etwas zu den Entscheidungsträgern durchdringen könnte.

Ausgehend von den Lehren und dem Leben Mahatma Ghandis entwerfen Ram Adhar Mall und Klaudius Gansczyk in ihrem Beitrag das Modell eines „Interkulturellen Humanismus als Hoffnung des 21. Jahrhunderts“, aus dem sie den moralischen Anspruch eines guten Zusammenlebens der unterschiedlichen Kulturen ableiten. Sie stellen die Global Marshall Plan Initiative in den Zusammenhang mit Kofi Annans „Manifest für den Dialog der Kulturen“, der Weltethosidee und der Erdcharta, die allesamt die UNO darin unterstützen, die mächtigen Gestaltungskräfte der Globalisierung – Politik, Wirtschaft und Finanzwelt – für ein international und interkulturell anerkanntes Global-Governance-System zu gewinnen.

3     „Bürgernähe und Partizipation“ als mögliche Europäische Exportartikel

Für die Künstlerin und ehemalige Abgeordnete Mercedes Escher ist Europa ein Modell für Menschenrechte, Demokratie, Vielfalt, soziale Marktwirtschaft, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Dieses Modell, dass Europa sich in einem schwierigen historischen Prozess abgerungen hätte, ist nach ihrer Meinung keine Selbstverständlichkeit, sondern muss sorgsam gepflegt werden. Damit hätte Europa einen „Exportartikel“, der die Wertsiegel „Brüderlichkeit“, „Solidarität“ und „Verantwortung“ trägt.

4     Die Europäische Union: Ein Modell für die Welt?

Die Ökonomin und Zukunftsforscherin Hazel Henderson berichtet unter anderem von ihren Diskussionen mit Experten in Lateinamerika. Für diese sei die EU ein wichtiges Modell für viele ihrer regionalen Bündnisse und ihre Vision einer gemeinschaftlichen Mercosur-Währung nach dem Vorbild des Euro. [2] Weiterhin thematisiert sie, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der EU und der USA zu einem großen Teil durch unterschiedliche Methoden der Produktivitätsbestimmung verursacht werden. Würden multikriterielle Bewertungssysteme wie das der “Calvert-Hendersons Quality of Life Indicators“ zur Bewertung der Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften herangezogen, zeige sich, dass – entgegen der landläufigen Darstellung in den USA – Europa in vielen Bereichen bessere Werte aufweise als die USA. Berücksichtige man bei den Berechnungen z. B. die indirekten Kosten, die Verbraucher und Produzenten zahlen müssen, um negative Effekte wie Umweltverschmutzung zu vermeiden, dann sei die EU nach der Meinung von Henderson ein Erfolg und ein Modell für unsere gemeinsame Zukunft.

5     Die Ökosoziale Marktwirtschaft: der Weg zu einer Welt im ökologischen Gleichgewicht

Auch Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung an der Universität Ulm, unterstreicht, dass die Europäer es nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges geschafft hätten, ein neues Paradigma in die Welt zu setzen, indem sie zu einer echten Zusammenarbeit zwischen zuvor teilweise verfeindeten Ländern fanden, dadurch, dass sie freiwillig auf einen Teil ihrer Souveränität verzichteten und ein relativ ausgewogenes und faires Governance-System für die Europäische Union schufen. Er hebt hervor, dass Europa sich nicht als reine Freihandelszone organisiert habe, sondern dass es einen sozial-ökologisch-kulturellen Raum kreierte, in dem gemäß dem Primat der Politik wesentliche Anliegen gestaltend umgesetzt werden. Auf diese Art und Weise seien immer neue Länder in die Gemeinschaft integriert worden, die sich an die gleichen Regeln und die gleichen Standards halten müssen wie die „alten“ Mitglieder. Spanien und Irland seien neben anderen Ländern Beispiele für „Erfolgsgeschichten“ dieses europäischen Modells. Allerdings betont er, dass in jüngster Zeit auch die EU unter dem ungeheuren Druck der globalisierten, nach WTO-Logik organisierten Weltmärkte operiert und Schwierigkeiten hat, darauf adäquat zu reagieren. Er stellt fest, dass sich die EU in ihr Schicksal zu ergeben scheint und bisher keine interkulturell abgesicherte Gegenstrategie zu den in die falsche Richtung laufenden aktuellen Globalisierungsprozessen entwickelt habe. Hier verweist er auf die Global Marshall Plan Initiative, die versucht, eben diese Alternative zu bieten.

6     Europa als Gestaltungsmacht im Prozess der Globalisierung

Der Meteorologe Hartmut Graßl, Emeritus am Max-Planck-Institut in Hamburg, betont in seinem Beitrag, dass die Europäische Union weltweit die einzige Region sei, in der die Stärkeren systematisch die Schwächeren über Jahrzehnte unterstützen und so für eine Konvergenz der Lebensverhältnisse eintrete. Diese Region stelle sich auch den beiden größten Herausforderungen der Menschheit (dem politischen und wirtschaftlichen Fortschritt der Entwicklungsländer und dem globalen Klimaschutz) – mehr als fast alle anderen Regionen. Trotz dieser Führungsrolle seien die Anstrengungen allerdings noch nicht ausreichend und die Europäische Union habe ein viel zu schwaches eigenes Programm. Graßl wünscht sich, dass die Verzögerer und Zauderer einer neuen Energie- und einer echten Nachhaltigkeitspolitik rasch an Einfluss verlören und dass die EU statt Agrarsubventionen an ihre Mitgliedsländer zu zahlen, die Öffnung der Märkte für Entwicklungsländer verfolge, damit zusammen mit dem ökonomischen Gefälle zwischen den Gesellschaften auch die Konfliktpotenziale schwinden.

7     Ziele der Global Marshall Plan Initiative: Eine Welt in Balance

Die Global Marshall Plan Initiative (http://www.globalmarshallplan.org) wurde 2003 gegründet. Sie wird getragen von namhaften Persönlichkeiten sowie von verschiedenen Organisationen (wie dem Club of Rome, dem Ökosozialen Forum, dem Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenhandel, kirchlichen Gruppen) sowie Mitgliedern des EU-Parlaments und verschiedener nationaler Parlamente. Ziel der Initiative ist eine Welt in Balance, realisiert mittels einer weltweiten ökosozialen Marktwirtschaft, die globale Sicherheit, Frieden und Wohlstand für alle Menschen auf diesem Globus schaffen soll und zugleich hilft, die Natur zu erhalten. Dabei soll an den Erfolg des Marshall-Plans der USA für Europa nach dem Zweiten Weltkrieg angeknüpft und das, was im Zuge des EU- Erweiterungsprozess an positiven Erfahrungen gemacht wurde, in globalem Maßstab umgesetzt werden.

8     Empfehlung

Die positive Haltung zu Europa, zu seiner Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg, zu seinen Institutionen und zu seiner möglichen Rolle in der Welt zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es ist demnach kein Buch, das objektiv den Diskurs über positive und negative Entwicklungen in Europa beleuchten will. Negative Entwicklungen wie die hohen Agrarsubventionen, die widersprüchliche Haltung zum Irakkrieg, der Bürokratismus oder die unterschiedlichen nationalen Voten zur europäischen Verfassung werden höchsten am Rande oder sehr indirekt erwähnt. Das Buch hat eine klare Grundaussage, die lautet: Europa hat das Potenzial, die Welt in Richtung zu mehr Gerechtigkeit und zu einer ökologisch tragfähigen Entwicklung zu beeinflussen. All jenen, die Interesse an den vielfältigen Argumenten haben, die zu dieser Schlussfolgerung führen, sei dieses Buch und sein Vorgänger: „Eine bessere Welt ist möglich. Ein Marshall Plan für Arbeit, Entwicklung und Freiheit“ von Franz Alt, Rosi Gollmann und Rupert Neudeck (2005) empfohlen.

Anmerkungen

[1] Hierbei handelt es sich vorwiegend um Politikerinnen und Politiker wie Franz Fischler, Benita Ferrero-Waldner, Dominique Strauss-Kahn und Beate Weber, und um Wissenschaftler wie Johan Galtung, Ulrich Beck, Anthony Giddens und Jermy Rifkin, aber auch um Vertreter von Institutionen wie Bischof Reinhard Marx oder Hubert Weiger vom BUND sowie um Unternehmer wie Johannes Rahe, Huschmand Sabet und Michael Otto.

[2] Mercosur, spanisch für Mercado Común del Sur („Gemeinsamer Markt des Südens“), bzw. Mercosul, portugiesisch für Mercado Comum do Sul, ist ein Binnenmarkt mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 1 Billion US-Dollar. Mitglieder sind Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela, assoziierte Mitglieder Bolivien, Chile, Ecuador, Kolumbien und Peru.