Diskussionsforum
Vom Wunschzettelansatz zum integrierten Verkehrskonzept. Aspekte einer notwendigen Reform der deutschen Verkehrswegeplanung
Vom Wunschzettelansatz zum integrierten Verkehrskonzept
Aspekte einer notwendigen Reform der deutschen Verkehrswegeplanung
von Susan Krohn, Sachverständigenrat für Umweltfragen
Betrachtet man die heutige Verkehrsplanung, so ist bedauerlicherweise festzustellen, dass sie dem Anspruch einer raumsparenden und umweltverträglichen Gestaltung des Verkehrs nicht gerecht zu werden vermag. In seinem Sondergutachten „Umwelt und Straßenverkehr“ hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen die Defizite des existierenden Planungssystems herausgearbeitet und Empfehlungen für eine strategische Reform der Verkehrswegeplanung ausgesprochen (SRU 2005). Woran es im Bereich der derzeitigen Verkehrsplanung aus Sicht des Umweltrates mangelt und wie ein adäquates planerisches Instrumentarium für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik aussehen müsste, wird im folgenden Beitrag dargestellt.
1 Veränderte Anforderungen an die Verkehrsplanung in Deutschland
Nach Jahrzehnten des Ausbaus der Verkehrsinfrastruktur verfügt die Bundesrepublik Deutschland über eine prinzipiell sehr gute Verkehrserschließung. Alle Oberzentren sind in das Autobahn- und Schienenfernverkehrsnetz eingebunden (BBR 2000, S. 25). In Bezug auf den Indikator „Potenzielle Erreichbarkeit - Straße“ liegen einige Gebiete Westdeutschlands beim Doppelten des EU-27-Durchschnitts. Ähnliches gilt für den Schienenfernverkehr (Europäische Kommission - GD Regionalpolitik 2004, Kap. 2.1.2). Die Dichte des Verkehrsnetzes in den neuen Bundesländern ist gegenüber den alten Ländern zwar geringer ausgeprägt. Ins Verhältnis zur Einwohnerzahl gesetzt, verfügen erstere aber über eine nahezu gleiche Autobahnstreckenlänge pro Einwohner und ein fast doppelt so langes Bundesstraßennetz wie letztere (Sichelschmidt 2004).
Mit dem Ausbau des Verkehrsnetzes hat sich auch die Funktion der Verkehrswegeplanung verlagert. An die Stelle der Raumerschließung ist weitgehend ein „Engpassmanagement“ getreten, in dessen Rahmen Konflikte zwischen wirtschafts- sowie strukturpolitischen Interessen und Umweltschutzbelangen zu lösen sind. Allerdings ist es der Verkehrsplanung auch insoweit bis heute nicht gelungen, die Umwelt- und Raumverträglichkeit des Verkehrs im erforderlichen Maße sicherzustellen. Trotz der unbestreitbar erzielten Erfolge der Verkehrsumweltpolitik erweisen sich die verkehrsbedingten Umwelt- und Gesundheitsfolgen nach wie vor als unzumutbar hoch. Dies gilt namentlich für
- den CO2-Ausstoß des Verkehrs,
- seine Schadstoffemissionen in Form von Fein(st)stäuben, Stickoxiden und Ozon,
- die verkehrsbedingte Lärmbelastung sowie nicht zuletzt
- die Habitatzerstörungen und -fragmentierungen infolge der Flächeninanspruchnahme und -zerschneidung durch Verkehrswege.
Eine nachhaltige Verkehrspolitik ist ohne eine umweltgerechte Ausgestaltung der Verkehrsplanung kaum denkbar, da diese für die Entwicklung des Verkehrsaufkommens und die Umwelt- sowie Raumverträglichkeit des Verkehrs in hohem Maße vorentscheidend ist. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hat sich daher im Rahmen seines 2005 veröffentlichten Sondergutachtens „Umwelt und Straßenverkehr, Hohe Mobilität - Umweltgerechter Verkehr“ vertieft mit der konzeptionellen Ausgestaltung der Bundesverkehrswegeplanung auseinandergesetzt und die Defizite des existierenden Planungssystems identifiziert. Der SRU spricht sich für eine strategische Neuorientierung dieses Systems im Sinne einer Gesamtverkehrsplanung aus, die in die Raumordnung integriert ist (SRU 2005, Tz. 397 ff.).
Näher analysiert wurde auch die örtliche Verkehrsplanung. Diesbezüglich ist zusammenfassend festzustellen, dass das zersplitterte, sektoral ausgerichtete Instrumentarium des geltenden Rechts, insbesondere in Form des Straßen-, Straßenverkehrs-, Bauplanungs- und Umweltrechts, einer umwelt- und stadtverträglichen Verkehrsplanung erhebliche Grenzen setzt. Bereits bestehenden kommunalen Verkehrsplänen kommt nicht zuletzt aus diesem Grunde überwiegend nur eine informelle, untergeordnete Bedeutung zu (SRU 2005, Tz. 472 ff.). Ein Gemeindeverkehrsplanungsgesetz mit einer verbindlichen Verpflichtung der Gemeinden zur Aufstellung integrativer Verkehrspläne vermag einen bedeutenden Beitrag zur Lösung der örtlichen Verkehrsprobleme zu leisten. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Gemeinden mit einem derartigen Gesetz auch diejenigen Instrumente und finanziellen Freiräume zugewiesen werden, die zur Umsetzung der Pläne erforderlich sind. Im Folgenden soll die überörtliche Bundesverkehrswegeplanung näher in den Blick genommen werden.
2 Die Bundesverkehrswegeplanung in Deutschland: Eine Defizitanalyse
2.1 Das Planungssystem
Seit mehreren Jahrzehnten bestimmt der Bundesverkehrswegeplan (BVWP) maßgeblich über den Neu- und Ausbau sowie die Erhaltung von Bundesfernstraßen, Schienenwegen und Bundeswasserstraßen. Der BVWP ist als Investitionsrahmenplan zu qualifizieren: Mit seiner Verabschiedung trifft die Bundesregierung auf Grundlage von Verkehrsprognosen und darauf aufbauenden Bedarfsbewertungen die Entscheidung, welche Infrastrukturvorhaben in einem bestimmten Zeitraum aus Bundesmitteln finanziert und über die anschließenden Planungsstufen realisiert werden sollen. Die Projektauswahl erfolgt dabei auf Grundlage von Bedarfsanmeldungen seitens der Länder. Als „Verwaltungsinternum“ kommt dem BVWP keine unmittelbare rechtliche Relevanz zu. Gleichwohl ist er von erheblicher tatsächlicher Bedeutung, da sich seine Projektausweisungen faktisch als vorentscheidend für die Ausgestaltung der Bedarfspläne erweisen. Mit letzteren wird der Bedarf für die jeweiligen Infrastrukturprojekte rechtlich normiert und für die nachfolgenden Planungsstufen verbindlich festgestellt. [1] Auch im Rahmen eines etwaigen späteren Rechtsbehelfs eines Bürgers gegen die Zulassung eines Verkehrsinfrastrukturvorhabens kann die Ausweisung im Bedarfsplan nur unter äußerst engen Voraussetzungen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. An die Ausweisung schließen weitere abgeschichtete Planungen zur finanziellen und fachlichen Realisierung des jeweiligen Verkehrsprojektes an, die an dieser Stelle außer Betracht bleiben sollen.
2.2 Strukturelle Defizite der Bundesverkehrswegeplanung
2.2.1 Fehlen einer integrativen Gesamtverkehrsplanung
Als zentraler Mangel der Verkehrswegeplanung in Deutschland erweist sich die Tatsache, dass es bereits auf Bundesebene an einer integrativen, am Ziel der umweltgerechten Mobilität orientierten Gesamtverkehrsplanung fehlt (SRU 2005, Tz. 397 ff.). Der BVWP kann diesen Ansprüchen bereits aufgrund seiner konzeptionellen Ausrichtung nicht gerecht werden, da er
- als Investitionsrahmenplan für die Verwirklichung bestimmter Vorhaben stark projektorientiert konzipiert ist. Eine zusammenhängende, auch verkehrsträgerübergreifende Bewertung möglicher Verkehrsnetzvarianten und eine Optimierung des Gesamtverkehrssystems vermag er damit kaum zu leisten;
- ohnehin nicht alle Verkehrsträger bzw. Investitionsprojekte einbezieht. So werden insbesondere die verkehrs- und umweltpolitisch bedeutenden Entscheidungen über den (Aus-)Bau von See- und Flughäfen außerhalb des BVWP getroffen;
- sich aufgrund des Fehlens eines am Leitbild der umweltgerechten Mobilität orientierten Gesamtkonzeptes im Wesentlichen darauf reduziert, die zu erwartende Nachfrage an Verkehrsleistungen anhand von Verkehrsprognosen abzuschätzen und anschließend durch Infrastrukturmaßnahmen zu erfüllen. Auf diese Weise wird die Verkehrsprognose faktisch zur Zielbestimmung umgearbeitet. Ein solcher nachfrageorientierter Ansatz läuft Gefahr, die Existenz politischer Handlungsspielräume zur umweltgerechteren Ausgestaltung der Verkehrspolitik zu negieren.
2.2.2 Entscheidungsverflechtungen und Fehlallokationen
Die Entscheidungsverflechtungen zwischen Bund und Ländern im Rahmen der Erarbeitung des BVWP begünstigen sowohl ökologisch aus auch ökonomisch kontraproduktive Fehlallokationen der Investitionsgelder (SRU 2005, Tz. 399 f.). Die Tatsache, dass bei der Bedarfserhebung für den BVWP auf die Projektanmeldungen der Länder abgestellt wird, führt dort zu erheblichen „Mitnahmeanreizen“. In Konkurrenz um die Zuweisung von Bundesmitteln unterliegen die Länder in erheblichem Maße der Versuchung, einen überzogenen und von der Zielsetzung der Bundesverkehrswegeplanung nicht gedeckten Bedarf anzumelden. Wie auch der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung hervorgehoben hat, reduzieren sich die Ländermeldungen im Bereich Straße nicht auf Infrastrukturmaßnahmen, die in Übereinstimmung mit § 1 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz dem überörtlichen, also weiträumigen Verkehr dienen sollen (BWV 2004). Vielmehr werden auch Strecken mit regionaler Verbindungs- und Entlastungsfunktion angemeldet. Die enge Verflechtung von Bund und Ländern bei der Aufstellung des BVWP birgt die Gefahr, dass im Auswahlverfahren erheblicher politischer Druck zugunsten einer großzügigeren Handhabung der Bedarfsfeststellungen und einer länderparitätischen Mittelverteilung losgelöst von den tatsächlichen Investitionsbedürfnissen ausgeübt wird.
2.2.3 Transparenzdefizite
Das Verfahren zur Erstellung des BVWP leidet unter erheblichen Transparenzdefiziten (SRU 2005, Tz. 401). Die Bedarfanmeldungen der Länder werden im Regelfall keiner öffentlichen Diskussion unterzogen. Auch die Daten, die der Bewertung und Auswahl der einzelnen Projekte im Rahmen der Aufstellung des BVWP zugrunde liegen, sind der Öffentlichkeit nicht in hinreichendem Maße zugänglich. So reduzierten sich die Informationen der Bundesregierung bzw. des fachlich zuständigen Ministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im Hinblick auf den BVWP 2003 auf eine grobe Methodenbeschreibung der Projektbewertung, eine Liste der Bauvorhaben und Investitionsvolumina sowie eine sehr kurze Projektbeschreibung und -bewertung ohne ausreichende Darstellung des zugrunde liegenden Datenmaterials.
2.2.4 Unzureichende Bewertungsmethodik bei der Projektselektion
Dem Projektbewertungsverfahren des BVWP haften erhebliche Mängel an (SRU 2005, Tz. 403 ff.). Sie erhöhen die Gefahr von Fehleinschätzungen bei der Bewertung der Kosten/ Nutzen-Relation von Verkehrsprojekten. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den monetären Teil der Projektbewertung in Form der so genannten Kosten/Nutzen-Analyse als auch den nicht-monetären mit Raumwirksamkeitsanalyse sowie Umweltrisiko- und FFH-Verträglichkeitseinschätzung. [2]
- So berücksichtigt die Kosten/Nutzen-Analyse
- auf der Nutzenseite Beschäftigungseffekte, die aus der Realisierung eines Verkehrsprojektes entstehen können. Der Verdrängungseffekt der staatlichen Investition wird dabei außer Betracht gelassen. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe eine anderweitige Verwendung der staatlichen Finanzmittel vergleichbare oder sogar stärkere Beschäftigungseffekte ausgelöst hätte, bleibt unberücksichtigt. Dieser aus gesamtökonomischer Sicht unzulässige Ansatz führt zu einer systematischen Überbewertung der Nutzeffekte von Infrastrukturmaßnahmen;
- besondere „Prämien“ in Form von Boni für Verkehrsprojekte zur „Förderung internationaler Beziehungen“ und zur Anbindung von See- und Flughäfen. Diese begünstigen Doppel- oder gar Mehrfacheinstellungen von Nutzeffekten. Vorteile aus der Projektrealisierung wie etwa die Senkung von Betriebsführungskosten, Zeitersparnisse im Rahmen (nicht-)gewerblicher Fahrten oder auch eine durch die Infrastrukturmaßnahme hervorgerufene Verkehrsnachfragesteigerung werden bereits über andere Bewertungsparameter der Kosten/Nutzen-Analyse erfasst. Zwar lassen sich mit den eingangs genannten Verkehrsprojekten unter Umständen weitere Nutzeffekte erzielen, die über einen Zuschlag abgebildet werden könnten. Zu denken wäre an Agglomerationsvorteile oder einen Abbau transportbedingter regionaler Monopolstellungen. Ein Nachweis derartiger zusätzlicher Vorteile wird unterdessen nicht verlangt;
- bei der Bewertung der Umweltauswirkungen der Projekte unterschiedliche methodische Ansätze zur Monetarisierung der zu erwartenden Umweltbeeinträchtigungen (Zahlungsbereitschaftsanalysen, Schätzungen der Schadens- oder der Vermeidungskosten). Das Ausweichen auf unterschiedliche Methoden erscheint angesichts der bestehenden Unsicherheiten bei der Inwertsetzung von Umweltgütern, teilweise fehlender Daten oder erheblicher Spannbreiten bei den Bewertungsergebnissen durchaus nachvollziehbar. Woran es aber mangelt, ist die Einstellung dieser Unsicherheiten in die Projektbewertung. Hier wäre eine Berechnung unterschiedlicher Projektszenarien unter Berücksichtigung der Divergenzen der verschiedenen Evaluationen erforderlich.
- Der nichtmonetären Raumwirksamkeitsanalyse (RWA) liegt ein überholtes raumordnerisches Leitbild zugrunde, das im pauschalen Ziel einer flächendeckenden Angleichung der Verkehrsinfrastruktur zum Ausdruck kommt (vgl. BMVBW 2003, S. 17). Ob und in welchem Umfang sich durch die Verbesserung der Infrastruktur in einer Region Wohlfahrtsimpulse erreichen lassen, hängt indes sehr stark vom jeweiligen Ausgangsniveau und den Produktionsbedingungen am betreffenden Standort ab. Diese regional- und güterspezifischen Interdependenzen lassen sich mit einer RWA, die Raumordnungsaspekte rein qualitativ mittels der Kriterien der Erreichbarkeit und Strukturschwäche bewertet, kaum adäquat abbilden. Bedenkt man die Vielzahl der raumordnerischen Ziele, erweist sich die RWA mit diesen selektiven raumordnerischen Gesichtspunkten als hochgradig anfällig für Fehlbewertungen und politische Opportunismen (wie „Wahlgeschenke“).
- Ein Verbesserungsbedürfnis besteht weiterhin im Hinblick auf das URE-Verfahren [3] und die FFH-Verträglichkeitseinschätzung. Der BVWP 2003 hat durch eine Modifizierung der URE in Richtung auf eine gründlichere Prüfung der berührten Umweltbelange zwar erhebliche Fortschritte mit sich gebracht. Zu überdenken sind jedoch die Konsequenzen, die aus der Feststellung und Einstufung der Umweltrisiken im Rahmen der Projektbewertung abgeleitet werden: Lediglich Projekte, die in die höchste Risikostufe fallen (URE Stufe 5 von 1 bis 5 ; Risiko für FFH-Verträglichkeit Stufe 3 von 1 bis 3 ), sind obligatorisch als „Projekte mit Bedarf und besonderem naturschutzfachlichen Planungsauftrag“ zurückgestellt und mit Bedingungen versehen worden, die ein Mindestmaß an Umweltverträglichkeit gewährleisten (BMVBW 2003, S. 20, Abb. 3). Diese Zurückstellung bedeutet in der Sache eine Aufwertung der Naturschutzbelange. Gleichwohl erscheint es kaum angemessen, Nachbesserungen lediglich für Projekte mit dem allerhöchsten Umweltrisiko vorzuschreiben.
3 Empfehlungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen
Vor dem Hintergrund der dargestellten Defizite erachtet der SRU eine konzeptionelle Neuordnung der Bundesverkehrswegeplanung für erforderlich. Im Einzelnen schlägt er folgende Maßnahmen vor:
3.1 Integration einer Gesamtverkehrsplanung in die Raumordnung
Im Hinblick auf das Ziel einer umweltverträglichen und verkehrssparenden Mobilität sollte die Verkehrsplanung alle Verkehrsträger erfassen und eng mit der Raumplanung verknüpft werden (SRU 2005, Tz. 417 ff.). In sachlicher Hinsicht besteht zwischen beiden Planungen eine starke Wechselwirkung: Einerseits resultiert die Verkehrsnachfrage grundlegend aus den räumlichen Nutzungsstrukturen, andererseits werden räumliche Strukturen und Funktionen in erheblichem Umfang durch den Verkehr geprägt. Dieses inhaltliche Abhängigkeitsverhältnis sollte in einer wechselseitigen Abstimmung von Raum- und Verkehrsplanung zum Ausdruck kommen. Die leitende Funktion hätte dabei die Raumplanung zu erfüllen: Ihre Aufgabe sollte es sein, auf die Entwicklung möglichst günstiger, verkehrssparender Raumstrukturen hinzuwirken. Darüber hinaus sollte sie in Abwägung der divergierenden Nutzungsansprüche grundlegende koordinierende Aussagen zu Naturschutz- und Siedlungsfreiflächen enthalten.
Die Verkehrsplanung ihrerseits kann durch Engpassanalysen zu einem ersten raumordnerischen Rahmenkonzept beitragen. Bei der Ausgestaltung des konkreten Verkehrsnetzes hat die Verkehrsplanung die raumplanerischen Entscheidungen über die zukünftigen Entwicklungsschwerpunkte und Entwicklungsachsen, den verkehrlichen Verbindungsbedarf und die freizuhaltenden Naturflächen maßgeblich zu berücksichtigen. Das Ergebnis eines derart vertieften verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrsnetzkonzepts sollte wiederum nach Maßgabe einer raumordnerischen Abwägung in den Raumordnungsplan des Bundes eingestellt werden.
Eine derartige wechselseitige Abstimmung setzt allerdings formelle Planungs- und Abstimmungspflichten voraus. Bis heute sind diese bereits wegen des Fehlens einer formalisierten Raumplanung auf Bundesebene nicht hinreichend gegeben. Das geltende Raumordnungsgesetz sieht lediglich eine „weiche“ Bundesplanung in Form der Erarbeitung von „Leitbildern der räumlichen Entwicklung des Bundesgebietes“ vor (§ 18 Abs. 1 Raumordnungsgesetz). Nach der ersten Stufe der Föderalismusreform Mitte 2006, die insbesondere zu einer Neuverteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bund/Länder-Verhältnis geführt hat, ist der Bund nun allerdings nicht mehr gehindert, nähere Vorgaben zur Raumplanung und zu ihrer verbesserten Abstimmung mit der Verkehrsplanung zu normieren. Infolge der Verlagerung des Kompetenztitels „Raumordnung“ von der Rahmengesetzgebungszuständigkeit in die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG), haben sich dessen Regelungsbefugnisse erweitert. Im Bereich der Raumordnung kann der Bund nunmehr unmittelbar wirkende Vollregelungen treffen und ist nicht mehr auf den Erlass von Rahmenvorgaben für die Länder begrenzt. [4] Als problematisch werden sich zukünftig aber die weiten Abweichungsrechte erweisen, die den Ländern im Hinblick auf die Raumordnung zuerkannt worden sind (Art. 72 Abs. 3 Nr. 4 GG). Danach können die Länder von sämtlichen Bundesvorgaben im Bereich dieser Regelungsmaterie durch eigene Gesetze abweichen. Ob und wie angesichts derartiger Abweichungsbefugnisse eine kohärente bundesweite Raumplanung mit wechselseitiger Beeinflussung und Abstimmung der verschiedenen Planungsebenen und mit einheitlichen Planungsinstrumenten sichergestellt werden kann, erscheint derzeit offen. [5] Eine Lösung läge darin, aus dem Bundesstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG eine verfassungsimmanente Grenze für die Abweichungsbefugnisse abzuleiten. Danach wären die Länder an eigenständigen Regelungen gehindert, wenn und soweit sie dadurch übergeordnete Bundesbelange, wie auch eine kohärente Bundesverkehrswegeplanung beeinträchtigen. Allerdings sind die möglichen negativen Konsequenzen der Abweichungsrechte im Gesetzgebungsverfahren diskutiert worden, ohne dass es zu Änderungen an den Gesetzentwürfen kam. Jede Auslegung des Rechts findet ihre Grenze im erklärten (gegenteiligen) Willen des Gesetzgebers, so dass der vorstehend dargestellte Lösungsansatz auf erhebliche Vorbehalte stoßen muss.
3.2 Wirksame Integration der Strategischen Umweltprüfung
Das Gesetz zur Einführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP) und zur Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG (SUPG) unterwirft die Bundesverkehrswegeplanung obligatorisch einer Strategischen Umweltprüfung (§ 14b Abs. 1 Nr. 1 SUPG i.V.m. Anlage 3 Ziff. 1.1.). Ein zentrales Element dieser Umweltprüfung bildet der so genannte Umweltbericht. Er muss insbesondere Ausführungen zu den wesentlichen Inhalten und Zielen des SUP-pflichtigen Planes, dem derzeitigen Umweltzustand, den zu erwartenden erheblichen Umweltauswirkungen und den geplanten Maßnahmen zu ihrer Verhinderung bzw. Verringerung sowie zu den möglichen Planungsalternativen beinhalten (§ 14 Abs. 2 SUPG, § 12 Abs. 1 S. 2, Abs. 2). Dieser Bericht samt Planentwurf ist der Öffentlichkeit im Rahmen ihrer Beteiligung zugänglich zu machen (§ 14 i SUP).
Die Einbeziehung der Verkehrswegeplanung in die Strategische Umweltprüfung ist zu begrüßen. Sie vermag zu einer ökologischen Optimierung der Planung beizutragen und vorhandene Transparenzdefizite durch die Verpflichtung zur Öffentlichkeitsbeteiligung abzubauen. Allerdings sieht sich die SUP mit ihrem Ziel, die ökologischen Gesamtauswirkungen eines Planes in den Blick nehmen und mögliche Konzeptalternativen auf eine verbesserte Umweltverträglichkeit zu prüfen, beim BVWP deutlichen Wirkungsgrenzen ausgesetzt. Der starke projektbezogene Ansatz des BVWP lässt die Entwicklung von konzeptionellen, strategischen Planalternativen nämlich nur sehr eingeschränkt zu. Die SUP ließe sich demgegenüber gut in die vorgeschlagene Gesamtverkehrsplanung integrieren und könnte dort einen geeigneten Beitrag zur Planungsoptimierung leisten (SRU 2005, Tz. 425 f.).
3.3 Entflechtung der Planungs- und Finanzierungskompetenzen
Um der Fehlallokation von Investitionsmitteln als Ausdruck der Kompetenzverschränkungen zwischen Bund und Ländern entgegenzuwirken, empfiehlt der SRU eine Entflechtung der Planungs- und Finanzierungszuständigkeiten für Verkehrswege. Dies erfordert eine hinreichend deutliche und praktikable Abgrenzung der Kompetenzen von Bund und Ländern. Nach Auffassung des SRU sollten sich die Planungs- und Finanzierungszuständigkeiten des Bundes im Bereich des Straßenbaus im Grundsatz auf Bundesautobahnen beschränken (SRU 2005, Tz. 424). Bundesstraßen sollten den Ländern zugeordnet werden, soweit sie nicht nachgewiesenermaßen eine überregionale Verbindungsfunktion erfüllen. Von einer solchen wäre auszugehen, wenn Straßen als Europastraßen eingestuft sind oder sonstige weit überwiegende - also bundesländerübergreifende - Fernverbindungen bereitstellen.
3.4 Perspektiven einer marktorientierten Fernstraßenentwicklung
Da die Finanzierung der Fernstraßen aus Mitteln des öffentlichen Haushaltes wenig Anreize zu einer sparsamen Straßenbaupolitik zu setzen vermag, sollte das bestehende Finanzierungsmodell mittelfristig durch ein stärker marktorientiertes Konzept ersetzt werden. Näher erwägenswert erscheint nach Auffassung des SRU insbesondere ein Modell, bei dem im Wege einer wettbewerbsrechtlichen Ausschreibung alle auf die strategische Planung eventueller Neu- und Ausbauvorhaben folgenden Aufgaben der Projektumsetzung und Betriebsorganisation an Betreibergesellschaften vergeben werden. Diese sollten sich ausschließlich über Straßennutzungsentgelte refinanzieren (SRU 2005, Tz. 430 ff.). Die Defizite der bislang praktizierten Betreibermodelle ließen sich dabei durch Anwendung eines Barwertmodells mit flexibler Projektlaufzeit vermeiden. Dieses Verfahren ersetzt die Vergabe der Projektabwicklung für eine fixe Projektlaufzeit durch einen Konzessionswettbewerb, bei dem derjenige Bieter den Zuschlag erhält, der über eine dynamische Vertragsdauer den niedrigsten Gegenwartswert der Projektgewinne fordert. Dadurch ließen sich wirtschaftliche Anreize zur Kostenreduzierung mit minimalem Investitionsrisiko für die Betreibergesellschaften kombinieren. [6]
4 Ausblick
Blickt man in die Zukunft, so ist anzunehmen, dass sich das Anforderungsprofil der Bundesverkehrswegeplanung ein weiteres Mal verändern wird. Der demographische Wandel in Deutschland mit einem Rückgang der absoluten Bevölkerungszahl und einer veränderten Altersstruktur der Bevölkerung wird voraussichtlich mit starken räumlichen Disparitäten verknüpft sein (BMVBW/BBR 2005, S. 7 ff.). Die Auswirkungen dieser prognostizierten Entwicklung auf zukünftige Mobilitätsbedürfnisse und auf das Verkehrsaufkommen bzw. die Verkehrsleistung im Güter- und Personenverkehr sind noch weitgehend unbestimmt. Dessen ungeachtet scheint Einigkeit zu bestehen, dass die Verkehrsplanung die demographischen Veränderungen samt ihrer regional unterschiedlichen Ausprägungen und Folgeprobleme stärker als bisher berücksichtigen muss. Eine Gesamtverkehrsplanung mit enger Wechselbeziehung zur Raumplanung wäre nicht nur geeignet, den Verkehr umweltverträglicher und raumsparender auszugestalten. Sie stellt auch ein Instrument dar, das den planerischen Anforderungen im Hinblick auf die zu erwartenden stärkeren regionalen Verschiedenheiten bei der Raumbeanspruchung gerecht werden würde.
Anmerkungen
[1] Vergleiche dazu für die Straßenwegeplanung § 1 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz und § 1 Abs. 2 Fernstraßenausbaugesetz.
[2] Die FFH-Richtlinie oder auch die Richtlinie 92/43/EWG zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, stellt eine Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union dar. Im Rahmen der FFH-Verträglichkeitseinschätzung werden die in Aussicht genommenen Projekte bereits zum Zeitpunkt der Aufstellung des BVWP auf ihre voraussichtliche Vereinbarkeit mit der FFH-Richtlinie geprüft.
[3] Die Umweltrisikoeinschätzung (URE) untersucht auf der Ebene der Bundesverkehrswegeplanung die voraussichtlichen raumbezogenen Umweltauswirkungen der zu bewertenden Projekte.
[4] Dies gilt insbesondere auch deswegen, weil der Kompetenztitel „Raumordnung“ vom Anwendungsbereich der so genannten Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG freistellt ist. Sie knüpft an ein regulatives Tätigwerden des Bundes zusätzliche, besonders hohe Anforderungen.
[5] Siehe dazu auch die Kritik der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 2006.
[6] Siehe dazu näher Hentrich 2006, S. 148 ff.
Literatur
Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2006:
Zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Hannover: Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bereich Raumordnung, Positionspapier Nr. 65
BBR - Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, 2000:
Raumordnungsbericht 2000. Bonn: BBR
BMVBW - Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, 2003:
Bundesverkehrswegeplan 2003, Grundlagen für die Zukunft der Mobilität in Deutschland. Berlin: BMVBW
BMVBW - Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen / BBR - Bundesamt für Bauwesen und Raumforschung, 2005:
Öffentliche Daseinsvorsorge und demographischer Wandel, Berlin, Bonn: BMVBW / BBR
BWV - Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, 2004:
Gutachten zur Neuordnung der Verwaltung im Bundesfernstraßenbau. Berlin: Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Kommissionsdrucksache 0082
Europäische Kommission - Generaldirektion Regionalpolitik, 2004:
Territorialer Zusammenhalt - Zwischenbericht (Vorläufige Ergebnisse der Studien von ESPON und EU-Kommission). Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften
Hentrich, S., 2006:
Umwelt- und marktorientierte Fernstraßenentwicklung in Deutschland. In: Internationales Verkehrswesen 58/4 (2006), S. 146-150
Sichelschmidt, H., 2004:
Neue Bundesländer: Fortschritte bei der Verkehrsanbindung. In: Internationales Verkehrswesen 56/9 (2004), S. 379-385
SRU -Sachverständigenrat für Umweltfragen, 2005:
Umwelt und Straßenverkehr. Hohe Mobilität - Umweltgerechter Verkehr, Sondergutachten. Baden-Baden: Nomos
Kontakt
Dr. jur. Susan Krohn
Sachverständigenrat für Umweltfragen
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