1. Aachener Kongress Dezentrale Infrastruktur: Wasser – Energie – Abfall (Aachen, 17. - 18. Oktober 2006)

Tagungsberichte

Wasser – Energie – Abfall

1. Aachener Kongress Dezentrale Infrastruktur
Aachen, 17. - 18. Oktober 2006

Bericht von Margaretha Zimbelmann, ITAS

1     Hintergrund

Der Aachener Kongress „Dezentrale Infrastruktur“ war die Auftaktveranstaltung einer Tagungsreihe, die eine Plattform zur Diskussion von Aspekten dezentraler Ver- und Entsorgung in den Bereichen Wasser, Energie und Abfall sein soll. Der Kongress wurde durch den Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Siedlungsabfallwirtschaft und das Prüf- und Entwicklungsinstitut für Abwassertechnik e.V. der RWTH Aachen veranstaltet. Der vorliegende Bericht konzentriert sich auf Möglichkeiten einer dezentralen Wasserbewirtschaftung. Die Teilnehmerschaft der Tagung setzte sich aus Fachleuten aus Forschung und Praxis zusammen.

In Deutschland wird Wasser üblicherweise durch zentrale Systeme bereitgestellt und entsorgt. Abwasser wird dabei in der so genannten Mischkanalisation abgeführt, d. h. Regenwasser und häusliches Abwasser werden gemeinsam mit Gewerbeabwasser durch die Kanalisation zu einem Klärwerk abtransportiert. Als Nachteile zentraler Systeme werden folgende Punkte angeführt: Die Klärung des Mischabwassers erfordert einen hohen technischen Aufwand und ist sehr teuer. Hinzu kommen die hohen Aufwendungen für Instandhaltung und Erneuerung der Anlagen und Leitungsnetze. Gleichzeitig existieren durch einen in den letzten Jahren rückgängigen Wasserverbrauch bei vielen Anlagen Überkapazitäten. Bei gleich bleibenden Fixkosten können die Anlagen jedoch nicht kurzfristig und flexibel auf Schwankungen des Wasserverbrauchs reagieren (Kluge 2006).

Überdies sind die Klärschlämme, die aus Mischabwasser hervorgehen, oft stark belastet und müssen umweltgerecht entsorgt werden. Daneben reichern sich im geklärten Wasser immer mehr Substanzen an, die innerhalb des Klärprozesses nicht oder nur zu Teilen abgebaut werden können (Medikamentenrückstände, Hormone etc.). Da die Vorkommen an qualitativ gutem Wasser immer knapper werden und die Grundwasserspiegel an vielen Orten dramatisch absinken, werden die Forderungen nach mehr Ressourceneffizienz und nach einer Verringerung der Gewässerverunreinigung immer stärker - und zwar nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Vor allem im Schließen von Stoffkreisläufen sieht man eine Möglichkeit, diesen Forderungen entgegenzukommen. Im kommunalen Bereich ist das Schließen von Stoffkreisläufen durch die technisch weit entwickelte und flächenhaft ausgedehnte Infrastruktur, durch die Vielzahl der angeschlossenen Nutzer und die Diversität der Stoffe jedoch erschwert (Holländer 2006).

Dezentrale Infrastruktursysteme gewinnen nicht zuletzt deshalb immer mehr an Bedeutung, da die Rückgewinnung von Energie und Nährstoffen innerhalb von kleinräumigen Stoffkreisläufen besser umgesetzt werden kann. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass die dezentrale Ausrichtung der Wasser- und Abwasserwirtschaft deutlich billiger und effizienter ist. Anhand zweier ausgewählter Vorträge werden im Folgenden zwei Varianten dezentraler Abwasserbehandlung aufgezeigt, wie sie aktuell in Pilotprojekten umgesetzt werden.

2     Das Projekt DEUS 21 in Knittlingen

Walter Trösch vom Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik stellte in seinem Vortrag das BMBF-geförderte DEUS 21-Projekt vor, das in Knittlingen bei Pforzheim durchgeführt wird und ein innovatives Wassermanagement demonstrieren soll. [1] Aufbauend auf den Kreislaufgedanken wird in Knittlingen für 100 Wohngrundstücke eine semi-dezentrale Wasserinfrastruktur aufgebaut (Trösch 2006). Die Haushalte werden zunächst über Schwerkraft entwässert. Das häusliche Abwasser wird gemeinsam mit organischen Küchenabfällen über ein Vakuumkanalsystem abgesaugt und in eine semi-zentrale Kläranlage abgeführt. Das dort gesammelte Abwasser wird dann in einem biologischen Abwasserreinigungsreaktor mit integrierter Membrantechnik aufbereitet, wobei die organischen Bestandteile zu Biogas vergoren werden. Die Nährstoffe Stickstoff und Phosphor werden abgetrennt und zu Düngemitteln umgesetzt. Das Verfahren arbeitet anaerob, d. h. unter Luftabschluss.

Das gewonnene Biogas steht als erneuerbare Energiequelle zur Verfügung und versorgt die Anlage mit Strom und Wärme. Überschussstrom wird in das Versorgungsnetz eingespeist. Der Ablauf der Kläranlage erreicht durch eine Membranfiltration Badewasserqualität und kann dann versickert werden. Parallel wird das Regenwasser von Dächern und Strassen des Wohngebiets gesammelt und in unterirdischen Zisternen gespeichert. Dieses Regenwasser wird in einer Membrananlage so aufbereitet, dass es Trinkwasserqualität erreicht und in den Haushalten als hygienisch einwandfreies Brauchwasser (für Körperpflege, Waschen, Spülen) genutzt werden kann. Sofern kein Regenwasser zur Verfügung stehen sollte, wird automatisch Trinkwasser aus einem herkömmlichen zentralen System nachgespeist.

Als Hauptvorteil des Konzepts wurde von Trösch hervorgehoben, dass die Inhaltsstoffe des Abwassers nahezu vollständig genutzt werden können (Erzeugung von regenerativer Energie und Düngemitteln). Durch die anaerobe Abwasserbehandlung entsteht außerdem deutlich weniger Klärschlamm als in normalen Kläranlagen. Die Vakuumkanalisation hat ferner geringere Leitungsdurchmesser als gewöhnliche Schwemmkanäle. Die Instandhaltung und das Verlegen des Leitungsnetzes ist daher einfacher (kein Gefälle erforderlich) und kostengünstiger; das Leitungsnetz kann flexibel erweitert werden.

3     Das Projekt MODULAARE im türkischen Tourismus-Resort Sarigerme Park

Martin Kranert vom Lehrstuhl für Abfallwirtschaft und Abluft des ISWA der Universität Stuttgart stellte in seinem Vortrag das BMBF-geförderte Forschungsprojekt MODULAARE [2] vor, das im türkischen Tourismus Resort Sarigerme Park durchgeführt wird. Durch das genannte Projekt sollen die Möglichkeiten des Abwasser- und Abfallmanagements aufgezeigt werden, die einer Übernutzung von Tourismus-Resorts und der Belastung der Umwelt in diesen Gebieten entgegenwirken können. Die Grundidee von MODULAARE ist ein dezentrales System, innerhalb dessen die anaerobe Behandlung von organischen Abfällen mit einer Membranreinigung von Abwasser kombiniert wird. Im Sarigerme Park wurde folgendes System umgesetzt:

Das Abwasser des Hotels wird nach einer mechanischen Vorreinigung durch ein Belebungsverfahren gereinigt, bei dem die Biomasse nicht durch Nachklärung, sondern durch Membranen abgetrennt wird. Durch Membranen können partikuläre Substanzen, Keime und Viren zurückgehalten werden. Durch das Zu- oder Abschalten einzelner Membranmodule kann die Abwasserreinigung an saisonal schwankende Abwassermengen angepasst werden. Die Nutzungsmöglichkeiten des so erzeugten Brauchwassers werden noch untersucht. Das gereinigte Wasser kann z. B. zur Bewässerung in den Gartenanlagen oder zu Reinigungszwecken eingesetzt werden. Das Permeat der Membrananlage (Schlamm) wird zusammen mit den organischen Materialien aus der Hotelküche und den Gartenanlagen in einer Anaerobanlage vergärt. Die Abfälle des Hotels bestehen zu 70 Prozent aus organischen Materialien. Durch Vergärung der Abfälle können in der aktuellen Anlage 40 m³ Biogas pro Tag erzeugt werden; es wird in Wärme und elektrische Energie umgewandelt und vor Ort genutzt. Der Gärrückstand wird in der Landwirtschaft als Bodenverbesserer verwendet und kann in kargen Regionen, die eine geringe Bodendicke aufweisen, die Humusbildung unterstützen. Die Autarkie des Systems kann durch eine Optimierung der Energieseite, (z. B. durch Solarkollektoren) leicht verbessert werden.

4     Schlusswort

Das Beispiel Knittlingen zeigt, dass dezentrale Wasserver- und Abwasserentsorgungslösungen in größerem Umfang auch ohne eine Verbindung zu zentralen Einrichtungen möglich sind, sofern lokale Wasserressourcen in ausreichender Quantität und guter Qualität vorhanden sind. Dennoch sind die Güter Siedlungshygiene, Umwelt- und Gewässerschutz auch durch dezentrale Lösungen sicherzustellen - zumal auch dezentrale Technologien nicht von stofflichen Risiken ausgenommen sind. Eine zuverlässige Reinigungsleistung und eine zuverlässige wie auch kostengünstige Überwachung sind daher Voraussetzungen für einen vermehrten Einsatz der dezentralen Wasserbewirtschaftung (Holländer 2006). In den vortragsbezogenen Diskussionen wurde deutlich, dass noch nicht geklärt ist, ob dezentrale Wassersysteme insgesamt tatsächlich weniger Kosten verursachen als zentrale Systeme. Nach Holländer entsprechen die Kosten für die Überwachung und Steuerung bei großen zentralen Anlagen nur einem geringen Teil der Gesamtkosten, wohingegen bei kleinen Anlagen derzeit noch mit erhöhten Kosten für Betrieb und Qualitätsüberwachung zu rechnen ist.

Das Beispiel des Sarigerme Parks veranschaulicht, wie in sensiblen Gebieten (Tourismusresorts, Inseln, Naturparks etc.) Abwasser und Abfälle gezielt am Ort der Entstehung behandelt werden können. Darüber hinaus wird gezeigt, wie durch die Kopplung mit der Erzeugung regenerativer Energie ein nahezu geschlossener Kreislauf entstehen kann.

Anmerkungen

[1] DEUS 21 ist das Akronym für “Dezentrale Urbane Infrastruktur-Systeme“; nähere Informationen zum Projekt sind verfügbar unter http://www.isi.fraunhofer.de/n/Projekte/deus.htm

[2] MODULAARE steht als Akronym für „Integrierte Module zur hocheffizienten Abwasserreinigung, Abfallbehandlung und regenerativen Energiegewinnung in Tourismus-Resorts / Türkei; Teilvorhaben 1“. Nähere Informationen zum Projekt sind verfügbar unter http://www.iswa.uni-stuttgart.de/awt/forschung/forschung_modulaare.html.

Literatur

Holländer, R., 2006:
Zentrale oder dezentrale Wasserinfrastruktur - Entscheidungskriterien. In: Pinnekamp, J. (Hg.): 1. Aachener Kongress Dezentrale Infrastruktur Wasser-Energie-Abfall am 17. und 18. Oktober 2006 in Aachen. Aachen: Gesellschaft zur Förderung der Siedlungsabfallwirtschaft an der RWTH Aachen (Reihe Gewässerschutz, Wasser, Abwasser, Nr. 204)

Kluge, Th.; Lux, A., 2006:
Umbruch in der Wasserwirtschaft. Wasser ein handelbares Gut? http://www.isoe.de/ftp/Thok_AL_Umbruch_WaWi03.pdf (download am 19.03.2007)

Trösch, W.; Mohr, M., 2006:
Semidezentrale Infrastruktur in Knittlingen - Neubaugebiet „Am Römerweg“. In: Pinnekamp, J. (Hg.): 1. Aachener Kongress Dezentrale Infrastruktur Wasser-Energie-Abfall am17. und 18. Oktober 2006 in Aachen. Aachen: Gesellschaft zur Förderung der Siedlungsabfallwirtschaft an der RWTH Aachen (Reihe Gewässerschutz, Wasser, Abwasser, Nr. 204)