Konferenz: Nano Visions – Implications for Technology Assessment, Communication and Regulation (Lausanne, Schweiz, 23. - 26. August 2006)

Tagungsberichte

Nano Visions – Implications for Technology Assessment, Communication and Regulation

Lausanne, Schweiz, 23. - 26. August 2006
Bericht aus einer Session der Internationalen Konferenz der European Association for the Study of Science and Technology

von Mario Kaiser und Monika Kurath (Universität Basel) sowie Andreas Lösch (TU Darmstadt)

1     Hintergrund

Nanowissenschaften und Nanotechnologien werden derzeit als emergierende und äußerst viel versprechende Felder in Forschung und Entwicklung gesehen. Sie gelten als führende Innovationsgebiete der Zukunft. Weltweit werden jährlich Milliarden-Beträge in die Forschung und Entwicklung investiert. Neben Revolutionierungen der Pharmakologie, Medizin, Ernährung und Informationstechnik soll Forschung im Nanogrößenbereich auch zur Einsparung von Ressourcen und dem Schutz der Umwelt beitragen. An der nanotechnologischen Forschung und Entwicklung sind unterschiedlichste natur- und ingenieurswissenschaftliche Disziplinen beteiligt. Viele Innovationen der Zukunft werden aufgrund von neuen Konvergenzen zwischen diesen Disziplinen erwartet (z. B. Nano-Bio-Info-Cogno Convergence).

Begleitend zur nanotechnologischen Forschung und Entwicklung formierte sich in den letzten Jahren ein breites Feld an geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungen, welche die ethischen, rechtlichen, sozialen, kulturellen und ökologischen Implikationen dieser Zukunftstechnologie analysieren und reflektieren. Dieser frühe Einstieg von „Reflexion“ in das Thema Nanotechnologie stellt ein Novum in der Geschichte neuer Wissenschaften und Technologien dar, insofern die sozial- und geisteswissenschaftliche Begleitung beinahe den Eindruck erweckt, sie vermöge gegenüber der technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Nur konsequent also, wenn solche Begleitforschung nicht erst bei den Folgen einer bereits realisierten Technologie und auch nicht bei der Suche nach geeigneten Regularien im Stadium der gesellschaftlichen Diffusion neuer Technologien ansetzen. Vielmehr versucht sie, die Wissenschafts- und Technologieentwicklungen reflexiv zu begleiten und durch theoretischen Input und regulatorische Praktiken mitzugestalten.

2     Nano auf der EASST-Konferenz

Auf der EASST-Konferenz 2006 die das Thema „Reviewing Humanness: Bodies, Technologies and Spaces“ hatte, beschäftigten sich um die 30 Vorträge mit dem Thema „Nanotechnologie“. Zwei Serien von jeweils drei oder vier Sessionblöcken widmeten ihre Präsentationen zwei unterschiedlichen Feldern aktueller Nanobegleitforschung: der wissenschaftspolitisch relevanten Fragestellung nach dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit auf der einen Seite, der eher kulturwissenschaftlich geprägten Frage nach der Rolle von Nano-Visionen mit Blick auf die Gegenwart auf der anderen.

Die von Tee Rogers-Hyaden (University of East Anglia, Norwich, UK) und Alison Mohr (University of Westminster, London, UK) organisierte Session „Engaging with Nanotechnologies - Engaging Differently?“ konzentrierte sich auf die Diskussion von Projekten, deren Ziel die möglichst breite Partizipation von Bürgern in „nanorelevanten“ Entscheidungsfindungsprozessen bildet. Im Zentrum standen praktische Umsetzungen der Modelle des in Großbritannien entwickelten „upstream engagement“. Das Ziel dieses Ansatzes ist es, im Gegensatz zu herkömmlichen partizipativen Ansätzen öffentliches Wissen (kontroverse Themen, Problemstellungen usw.) als Ressource für den regulatorischen Umgang mit komplexen Technikfragen zu generieren (z. B. Kearnes, Mac Naghten, Wilsdon).

Die von uns organisierte Session „Nano Visions - Implications for Technology Assessment, Communication und Regulation“ hingegen versuchte, dem Phänomen „Nano“ weniger mit normativen, eher mit deskriptiven, d. h. kultur- und sozialwissenschaftlichen Herangehensweisen gerecht zu werden. Der übergreifende Fokus galt dem komplexen Wechselspiel zwischen spezifischen Antizipationen der Nanotechnologie („nano visions“) und ihrer Rezeption und Aushandlung in der Gegenwart. Über letztere Session berichten wir nun im Folgenden.

3     Warum „Nano Visions“?

Nanotechnologien werden in den Fachwissenschaften, der Forschungspolitik wie auch den Medien als Zukunftstechnologien wahrgenommen und diskutiert. Dementsprechend erstaunt es nicht, dass Diskurse über die Nanotechnologie in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen stark von Versprechen, Erwartungen und Visionen geprägt sind. Solche Versuche der Zukunftsantizipation mögen als Programme, Prognosen oder Pläne der Orientierung, der gegenwärtigen Verständigung oder der Entscheidungsfindung dienen. Gleichzeitig übersteigen viele Imaginationen nanotechnologischer Zukünfte bei weitem ihre Verwendbarkeit für Planungen (z. B. als Leitbilder der Technikgestaltung). Doch trotz ihres „labilen“ Status spielen sie eine konstitutive Rolle für die Innen- wie Außenwahrnehmung der Nanotechnologie.

Ziel der vier Sitzungsblöcke unserer Session „Nano Visions“ war somit nicht, in die Zukunft der Nanotechnologie zu blicken, sondern die Rollen und Funktionen zu beleuchten, die Nano-Visionen in der Gegenwart spielen und ausüben. Wie ermöglichen, irritieren oder kreieren Nano-Visionen Kommunikation über die Zukunft? Inwiefern beeinflussen sie gegenwärtige Entscheidungen? Mit welchen Implikationen warten Nano-Visionen für die Technikfolgenabschätzung oder die Regulierung dieser Technologie auf?

Ausgehend von der Annahme, dass Visionen der Nanotechnologie (z. B. von „intelligenten“ Nanopartikeln als Gentransmittersysteme, von neuronal verankerten Kommunikatoren zur Überwindung von Sprachbarrieren, von Schwärmen nanoskaliger Maschinen im Dienste einer Nanomedizin) nicht nur wissenschaftlich-technische Vorhersagen repräsentieren, sollten die Sessions-Beiträge Visionen als soziotechnische Zukunftsantizipationen beleuchten.

4     Die vier Themenbereiche

4.1     Cultural Frameworks, Materialities and Imaginations

Der Sitzungsblock „Nano Visions I: Cultural Frameworks, Materialities and Imaginations“ wurde von Colin Milburn (University of California, Davis, USA) eröffnet. Milburn analysierte, wie Entwicklungen von Werkzeugen für Videospiele mit der Entstehung von Nanotechnologien verkoppelt sind. Einerseits werden aus Videospielen bekannte Instrumente auch für Nanoforschungszentren verwendet. Video-geographisches Werbematerial dient beispielsweise dazu, molekulare Systeme zu simulieren, die weitgehend mit digitalen Umgebungen für Computerspiel-Plattformen übereinstimmen. Andererseits enthalten Videospiele zunehmend Handlungsschemen und Bilder, die Nano-Visionen von programmierbarer Materie digital simulieren.

Mikael Johansson (Universität Göteborg, Schweden) stellte ausgehend von seinen ethnografischen Forschungen in schwedischen Forschungslaboren dar, dass sich die Imaginationen der Tätigkeiten von Nanoforschenden im Labor bei den Wissenschaftlern selbst und in der Öffentlichkeit diametral unterscheiden. Während Nanowissenschaftler ihre praktische Arbeit lediglich als neue Anwendungen und Erweiterungen bereits bestehender Forschungsinhalte betrachten, sind die öffentlichen Imaginationen von der Arbeit der Nanotechnologen durch Visionen einer vollständigen Veränderung der menschlichen Konstitution dominiert. Diese öffentliche Imagination werde jedoch nicht von den Laborforschern, sondern durch die Workshops der US-amerikanischen National Nanotechnology Initiative (NNI) international popularisiert.

Andreas Lösch (TU Darmstadt) beleuchtete die Verwendung von visionären Bildern in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Vermittlungen der Zukunftspotenziale gegenwärtiger Forschungen und Entwicklungen der Nanotechnologie. Anhand des Gebrauchs von Bildern futuristischer Nanomaschinen zeigte er, dass solche Bilder primär nicht Wissen vermitteln. Sie funktionieren vielmehr als interdiskursive Kommunikationsmedien, die wissenschaftliche, wirtschaftliche und massenmediale Diskurse erst zu wechselseitigen Verständigungen über die Potenziale gegenwärtiger Nanotechnologie anregen.

Ulrich Fiedeler (ITAS, Forschungszentrum Karlsruhe) diskutierte Veränderungen des kulturell etablierten Menschenbildes, die durch Visionen und Techniken neuronaler Implantate evoziert werden. Fiedeler wies darauf hin, dass in diesem Feld ein technikzentriertes Menschenbild (Mensch als Maschine) dominiert, welches mit Hilfe feministischer Theorien dekonstruierbar und kritisierbar wird. In gängigen Analysen der Wissenschafts- und Technikforschung bleibt die Transformation des Menschenbildes unerkannt, da sich diese Forschungen zu stark auf die Abgrenzung zwischen Vision und technisch Machbarem konzentrieren.

4.2     Framing the Discourse, Actors, Corporealities and Identities

Im zweiten Sessionblock „Nano Visions II: Framing the Discourse, Actors, Corporealities and Identities“ arbeitete Christopher Coenen (TAB Berlin) die technofuturistischen Visionen einer Verbesserung von menschlichem Körper und Geist in den Debatten um die so genannten „Converging Technologies“ heraus. Dabei ging er der Frage nach, in welchem Ausmaß diese Visionen durch transhumanistisches Gedankengut geprägt sind.

Armin Grunwald (ITAS, Forschungszentrum Karlsruhe) argumentierte ebenfalls unter Bezug auf die Visionen der „Converging Technologies“, dass durch die von ihnen induzierte Erodierung kulturell verankerter Kriterien der Unterscheidung zwischen Menschlichem und Technischem eine gesellschaftliche Orientierungslosigkeit entsteht. Die daraus resultierende Kontingenz menschlicher Wahlmöglichkeiten und Selbstentwürfe wird durch diese Visionen geradezu multipliziert. Diese Diagnose macht eine Erweiterung des bisherigen theoretischen und methodischen Instrumentariums der Technikfolgenabschätzung um ein „vision assessment“ unverzichtbar.

Marloes van Amerom (mit Arie Rip als Zweitautor der Studie, beide Universität Twente, Niederlande) zeigte, wie nicht nur Visionen, sondern bereits Bedenken über potenzielle Risiken von Nanotechnologien deren Gestaltung in der Gegenwart prägen. Durch die Etablierung eines neuen Feldes unterschiedlichster Akteure, welche antizipative Risikoeinschätzungen durchführen, wird die Entwicklung von Nanotechnologien regulatorisch beeinflusst.

Monika Kurath (Universität Basel, Schweiz) analysierte den Einfluss der Vision von auf Nanotransmittersystemen basierenden Therapieansätzen auf die disziplinäre Identität der Toxikologie. Basierend auf dieser Vision sieht die Toxikologie die Chance, sich von ihrer traditionellen Rolle als begleitende Testwissenschaft in eine kognitiv höher angesehene produktive Disziplin ähnlich der Medizin oder der Pharmazie zu verwandeln.

4.3     Discursive Politics of Vision

Zu Beginn des dritten Blocks „Nano Visions III: Discursive Politics of Vision“ zeigte Valerie Hanson (University of Philadelphia, USA), wie in Kommunikationsprozessen der US-amerikanischen NNI Visionen der Nanotechnologie rhetorisch mit ethischen und sozialen Implikationen verknüpft worden sind, um strategisch Prioritäten für bestimmte gegenwärtige Forschungsrichtungen der Nanotechnologie zu erzeugen. Das häufig geäußerte Argument, dass es gemessen an ihren nützlichen Potenzialen für die dritte Welt unethisch sei, auf Nanotechnologien zu verzichten, wird z. B. in Anspruch genommen, um Bedenken gegenüber den Wünschbarkeiten der Nanotechnologie aus Verständigungsprozessen auszuschließen.

Daran anschließend diagnostizierte Daniel Barben (University of Wisconsin-Madison, USA) innerhalb der „Public-Understanding-of-Science“-Forschung eine epistemologische Verschiebung von Wahrnehmungs- und Akzeptanzstudien hin zu Formen der Akzeptanzpolitik. Gegenwärtige kognitivistische und rationalistische Forschungsperspektiven werden zunehmend durch einen Fokus auf komplexe politische und kulturelle Interaktionen zwischen emergierenden Technologien und den involvierten Akteuren und Institutionen ersetzt.

Mario Kaiser (Universität Basel, Schweiz) nahm die Unschärfe des Sammelbegriffs „Nano“ zum Ausgangspunkt seiner Reflexionen zur Identitätsarbeit in Nanotechnologie. Dabei wies er darauf hin, dass häufig genug die nanotechnologische Begleitforschung die Unsicherheiten, mit welchen dieses Gebiet konfrontiert ist, durch „Ersatzstrategien“ zu kompensieren sucht - etwa durch die Delegierung der Unsicherheiten an den „öffentlichen“ Diskurs. Gleichzeitig machte er geltend, dass die Nanotechnologie selbst mit der Schwierigkeit behaftet ist, sich ihrer selbst „gewahr“ zu werden - ein Umstand, der sich empirisch in fieberhaften Identitätsstreitigkeiten und in einem erhöhten Reflexionsbedürfnis auf das, was die Öffentlichkeit von ihr halten mag, niederschlägt.

4.4     Nanomachines as Softmachines

Der abschließende vierte Block „Nano Visions IV: Nanomachines as Softmachines“ konzentrierte sich auf ein zentrales Konzept in vielen Visionen der Nanotechnologie - die „Nanomaschine“ und die mit ihr verbundenen Vorstellungen von technischer Präzision und / oder biologischer Selbstreplikation. Xavier Guchet (gemeinsamer Beitrag mit Bernadette Bensaude-Vincent, Universität Paris, Nanterre, Frankreich) legte dar, dass der Nanomaschine kein einheitliches Konzept zugrunde liegt. Vielmehr präferieren die an der Nanotechnologie beteiligten Disziplinen höchst divergente Auffassungen, die von mechanistischen bis hin zu chemischen oder kybernetischen Maschinenmodellen reichen. Davon ausgehend widmete sich Guchet der Frage, welche Modelle mit den gegenwärtigen Trends in der Nanotechnologie im Einklang stehen.

Alfred Nordmann (TU Darmstadt) griff diese Frage ebenfalls auf. Er konstatierte eine Konflikt erzeugende Doppeldeutigkeit des Maschinenbegriffs in den meisten definitorischen Anstrengungen der Nanotechnologie. Dem von ingenieurwissenschaftlichen Vorstellungen der Präzision und Kontrolle geprägten Maschinenkonzept Eric K. Drexlers steht ein Konzept von „soft machines“ (Richard Jones) gegenüber, welches allen alltäglichen wie auch technikphilosophischen Maschinenbegriffen widerspricht.

Sabine Maasen (Universität Basel, Schweiz) schließlich wies anhand einer bibliometrischen Recherche nach, dass in wissenschaftlichen Fachzeitschriften der Begriff „Nanomaschine“ so gut wie nicht verwendet wird. Ihm lässt sich deshalb kein paradigmatischer Status zuschreiben. Eine solche Konvergenz erzeugende Kraft geht vielmehr von der Metapher der „self-assembly“ (Selbstorganisation und Selbstkonstruktion) aus, die ihr Disziplinen organisierendes Potenzial jedoch nur um den Preis einer begrifflichen Unschärfe auszuspielen vermag.

Daran anschließend wurde im Plenum diskutiert, ob das ingenieurstechnische Maschinenbild sich möglicherweise aufgrund seiner Implikationen einer menschlich kontrollierten und präzisen Technik in öffentlichen Debatten trotz seiner fachwissenschaftlichen Bedeutungslosigkeit behaupten konnte, weil eine an biologischen Prinzipien der „self-assembly“ orientierte Nanotechnologie Imaginationen einer vom Menschen unkontrollierbaren und damit für ihn inakzeptablen Technik erzeugen könnte.

5     Fazit

Als allgemeines Fazit unserer Session ist zu konstatieren: Visionen, egal ob emphatisch begrüßt oder heftig umkämpft, bestimmen die Eigen- sowie die Fremdwahrnehmung der Nanotechnologie - und damit ihre Entwicklung. Wie die Vorträge zeigten, lassen technologische Zukunftsantizipationen eine genuin sozial- oder geisteswissenschaftliche Analyse aus zwei miteinander zu vereinbarenden Blickrichtungen zu: Zum einen lässt sich nach den historischen, soziokulturellen und politisch relevanten Bedingtheiten in der Genese von spezifischen Visionen fragen, zum anderen nach den Wirkungen, Implikationen und Aushandlungen, welche die Visionen in der Gegenwart auslösen. Eindrücklich belegte die Konferenz die Vielschichtigkeit des Visionsbegriffs, der Maschinenbegriffe, visionäre Bilder, technische Konvergenzfantasien oder Simulationstools genauso umfasst wie forschungspolitische Rhetoriken oder Risikokonzepte.

Damit machten die Vorträge auf neue Implikationen der Wissenschafts- und Technikkommunikation und entsprechend auf neue Anforderungen an die gesellschaftliche Regulation der Nanotechnologie(n) aufmerksam, die das Themenspektrum bei weitem überschreiten, mit dem sich die prospektive wie auch die konstruktive Technikfolgenabschätzung bislang beschäftigte. Der Bedarf einer reflexiven Öffnung von Technikfolgenabschätzung und Innovationsanalyse hin zu soziokulturellen Konstituenten von Zukunftstechnologien ist nicht zu übersehen. Dabei zielten die meisten Vorträge auf eine deskriptive Analyse der unterschiedlichen Dynamiken, die von Visionen, Antizipationen oder Versprechen in Gang gesetzt worden sind. Eine an normativen und regulativen Kriterien orientierte Technikfolgenabschätzung, wie sie zurzeit aussichtsreich durch „Vision Assessment“ oder durch „Real Time Assessment“ betrieben wird, kann von diesen Analysen nur profitieren.