Mobile Dienste in Japan und Deutschland – Lehren aus dem japanischen Markt

Ergebnisse von TA-Projekten

Mobile Datendienste in Japan und Deutschland – Lehren aus dem japanischen Markt

Bericht zum Projekt „i-mode“ von Arnd Weber und Bernd Wingert, ITAS

Seit dem Scheitern der ersten mobilen WAP-Datendienste in den 1990er Jahren gibt es in der deutschen Mobilfunkbranche immer wieder Krisen. Die Preise für die Ersteigerung der UMTS-Frequenzbänder und für die Infrastruktur waren exorbitant, die Nutzung blieb dagegen bisher gering. Das mobile Internet für Handys ist kaum entwickelt. Trotz Milliardeninvestitionen in neue Datentechniken sinken für die Anbieter die Erlöse pro Kunde; verglichen mit Japan sind sie viel geringer. Siemens zieht sich aus dem Mobilfunkbereich zurück. Dabei hatten deutsche Unternehmen exzellente Voraussetzungen. ITAS hat seit 2003 zwei Forschungsprojekte im Mobilfunkbereich durchgeführt: zentral das nun abgeschlossene BMBF-Projekt „i-mode“ über das mobile Internet in Japan und Deutschland [1] und zuvor ein EU-Projekt über sich abzeichnende Entwicklungen hin zu Mobilfunktechniken der vierten Generation. Im Folgenden werden die wesentlichen Erkenntnisse aus diesen Aktivitäten sowie Handlungsoptionen dargestellt, wie einem weiteren Zurückfallen Deutschlands im Bereich mobiler Datendienste begegnet werden könnte.

1     Der Entwicklungsstand im Mobilfunkbereich in beiden Ländern im Jahr 2000

Im Jahr 2000 wurde in Japan das mobile Internet bereits in den Systemen der 2. Generation (2G) stark genutzt, in Deutschland dagegen wurde WAP zum Fiasko (zur Erläuterung der Abkürzungen siehe Glossar). In Japan war es bereits üblich, mobile Internet-E-Mails auszutauschen, bei niedrigen Kosten von umgerechnet ein bis drei €-cent pro E-Mail. Das PC-Internet und das mobile Internet waren integriert, immer mehr Firmen-Websites wurden für den mobilen Zugriff eingerichtet. Der erste derartige Dienst, „i-mode“ vom Marktführer NTT DoCoMo, war leicht und schnell zu nutzen und damals bereits ein großer Erfolg. Außerdem wurden schon im Jahr 2000 die ersten Digitalkameras in Handys integriert; eine Übermittlung dieser Fotos und bald darauf von Videos war bereits in 2G-Systemen möglich.

In Europa setzte man zu der Zeit auf die Verwendung einer einzigen Infrastruktur wie GSM bzw. UMTS und sieht hierin bis heute einen entscheidenden Faktor für die Marktentwicklung. In Japan hatte man dagegen drei 2G-Infrastrukturen, was offenbar kein Problem für die Marktentwicklung darstellte: (1) PDC, (2) PHS und (3) cdmaOne. Die dortigen PDC-Handys funktionierten einerseits wie GSM-Handys, hatten andererseits aber vollen Zugang zum Internet. Die PHS-Handys waren leichter und die Sprachkommunikation auf ihnen billiger. Ihre Technologie ist ähnlich der von DECT-Telefonen, den bei uns bekannten „schnurlosen“ Telefonen. Im Gegensatz zu GSM ist PHS aber bei hohen Geschwindigkeiten, wie auf Autobahnen, nicht nutzbar. Die Energieabstrahlung von PHS-Telefonen ist relativ gering, sie gelten als „green phones“ (Yuan et al. 2006). Bereits im Jahr 2000 begann ein Betreiber (Astel) auf einer PHS-Infrastruktur Flatrates für die drahtlose Datenübermittlung zu PCs anzubieten, Jahre bevor es vergleichbare Flatrates in Deutschland gab. Die dritte 2G-Infrastruktur, cdmaOne, hatte den Ruf, für eine besonders gute Sprachqualität zu sorgen.

Eine weitere Differenz zwischen Japan und Deutschland bestand darin, dass die japanischen Betreiber ihre 3G-Lizenzen günstig erhielten, anders als manche europäischen Betreiber, die bald nach der Ersteigerung von UMTS-Bändern in finanzielle Probleme gerieten. Viele Dienste, die später in Deutschland angeboten wurden, gab es also in Japan bereits einige Jahre zuvor (Tab. 1).

Tab. 1: Einführung von Innovationen in Japan und Deutschland

  Japan Deutschland Verzögerung
(Jahre)
Paketübermittlung 1997 2000 3
Internet E-Mail auf Mobiltelefonen 1998 2002 4
i-mode, Internet-Standards auf Handys 1999 2002 3
Flatrates für die Da-tenübermittlung 2000 2005 5
Kamerahandys 2000 2002 2
W-CDMA Handys 2001 2004 3
Hochwertige Musik 2002 2004 2
Schnellere Techniken als UMTS / W-CDMA 2003
(EV-DO)
2006
(HSDPA)
3
Legende: W-CDMA ist die zentrale Technik von UMTS, HSDPA eine Erweiterung. EV-DO ist eine Erweiterung von cdma2000. Die inkompatiblen Techniken W-CDMA und cdma2000 gehören zu den 3G-„Standards“ der ITU (International Telecommunications Union).

Diesem Entwicklungsrückstand wurde im i-mode-Projekt, das im Bereich der „Innovations- und Technikanalysen“ (ITA) vom BMBF gefördert wurde, detaillierter nachgegangen. Mit diesem Projekt rückten bei den Forschungen der IuK-Gruppe des ITAS innovationstheoretische Fragestellungen wieder mehr ins Zentrum, die im Übrigen im gesamten Forschungsbereich „Innovationsprozesse und Technikfolgen“ des ITAS einen Schwerpunkt bilden.

Glossar

1G Analog arbeitendes Mobilfunksystem der ersten Generation
2G Digital arbeitendes Mobilfunksystem der zweiten Generation (wie cdmaOne, GSM, PDC oder PHS)
3G Digital arbeitendes Mobilfunksystem der dritten Generation (wie UMTS oder cdma2000)
4G Welche Techniken nach 3G benutzt werden, ist heute offen. Denkbar sind Fortentwicklungen von 3G-Systemen, aber auch alternative Systeme
CDMA Code Division Multiple Access: Mehrere Telefone verwenden dasselbe Spektrum, dabei wird die Information für das jeweilige Telefon codiert, um mehrere Gespräche gleichzeitig zu ermöglichen
cdma2000 CDMA-basiertes 3G-System
cdmaOne CDMA-basiertes 2G-System
EV-DO Evolution Data Only, eine Erweiterung von cdma2000
DECT Digital Enhanced Cordless Telecommunications, ein Standard für „schnurlose“ Telefone
GSM Global System for Mobile Communications, ein 2G TDMA-System
HSDPA High Speed Downlink Packet Access, eine Erweiterung von W-CDMA
MIMO Multiple input, multiple output
MMS Multimedia Messaging Service
PDC Personal Digital Cellular, ein 2G TDMA-System
PHS Personal Handyphone System, ein 2G TDMA-System
TDMA Time Division Multiple Access: Mehrere Telefone verwenden dasselbe Spektrum, aber verschiedene Zeitschlitze, um mehrere Gespräche gleichzeitig zu ermöglichen
UMTS Universal Mobile Telecommunication System. Zentrale Technik: W-CDMA
WAP Wireless Application Protocol für drahtlose Datenübermittlung
W-CDMA Wideband-Code Division Multiple Access, eine 3G-Technik
WiFi Wireless Fidelity, ein Markenname für bestimmte W-LAN Produkte
WiMAX Wireless Interoperability Microwave Access, eine Art Weiterentwicklung von WiFi
W-LAN Wireless Local Area Network

2     USA, Japan und China bewegen sich in Richtung 4G - Ergebnisse der Vorgänger-Studie

In dem 2003 abgeschlossenen, vom Joint Research Centre der EU (IPTS, Sevilla) geförderten Projekt „The future of mobile technologies in the EU: assessing 4G developments", das ITAS zusammen mit den Partnern Vinnova (Schweden) und TNO (Niederlande) bearbeitete, wurden die sich abzeichnenden Entwicklungen bei den Netzwerken der vierten Generation (4G) untersucht und Handlungsoptionen erarbeitet.

Eine Erkenntnis aus diesem Projekt bezieht sich auf die Nutzung des Radiospektrums: Eine intensive Nutzung des Spektrums gibt es insbesondere im Mobilfunk, im lizenzfreien Bereich (drahtlose Netzwerke, wie WiFi / W-LAN) und im Fernsehbereich. Der Mobilfunk und der lizenzfreie Bereich haben relativ kleine Anteile am Spektrum, der Fernsehbereich wird durch das Vorhandensein von Kabelanschlüssen und Satellitenempfang kaum noch gebraucht. Große Teile des Spektrums werden vom Militär und anderen Sicherheitsdiensten beansprucht. Insgesamt ist die Nutzung des Radiospektrums aber gering, auch jenes Teils, der im Bereich unter 2 GHz liegt, also mehr oder weniger gut Mauern durchdringen kann. Das Radiospektrum bietet damit Platz für eine wesentlich höhere Nutzung. Es wäre also eigentlich nicht nötig, dass sich die privaten Nutzer auf die schmalen Mobilfunk- und WiFi-Bänder beschränken. Die hochfrequenteren Wellen über 2 GHz sind jedoch nur bedingt geeignet, da bereits Hindernisse wie Papier ihre Ausbreitung verhindern können.

Ein weiteres Ergebnis dieses Projektes war, dass auf dem Mobilfunk ein starker Druck hin zu Flatrates lastet, sowohl für Sprach- als auch für Datendienste. Außerdem wurde klar, dass WiFi in kurzer Zeit sehr beliebt wurde; damit zeigte sich, dass die kostenlose Übermittlung ein großes Potenzial hat. Akteure in außereuropäischen Ländern, allen voran Intel, nutzen diese Chance.

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde gefolgert, dass man in Europa nicht so lange warten sollte, bis 3G stark genutzt wird, um erst danach über neue Ansätze jenseits von 3G nachzudenken. Vielmehr wurde zum einen die Gefahr sichtbar, dass Europa von Ländern, die 3G intensiv nutzen (wie Japan) oder die intensiv WiFi nutzen (wie die USA), überholt wird. Verschärft wird die Situation zum anderen durch chinesische Versuche, solche Techniken billiger herzustellen und durch forcierte Forschungsanstrengungen eigene Patente in diesem Bereich anzusammeln (Wingert, Weber 2004). Alle diese Länder nutzen mehrere Radioinfrastrukturen, mit der Hinzufügung neuer ist stets zu rechnen. Wichtige Konkurrenz erwächst auch durch Korea und Indien.

Sollten sich europäische Unternehmen nicht ebenfalls bei neuen Techniken für den lizenzierten und den unlizenzierten Betrieb engagieren, besteht die Gefahr, bei der Vermarktung und der Nutzung neuer Techniken international stark zurückzufallen. Ferner wurde gesehen, dass in Europa die Gefahr besteht, dass die Kombination von nationaler Frequenzhoheit und europaweiter Liberalisierung des Spektrums (Handelbarkeit, Technikneutralität) dazu führt, dass Insellösungen entstehen, die kaum oder nur durch große Investoren zu überwinden sind (vgl. den Schlussbericht Bohlin et al. 2004 sowie Weber et al. 2004 und Bohlin et al. 2006).

3     Mobilfunk im Kulturvergleich: Japan - Deutschland

Wie lässt sich auf der einen Seite der phänomenale Erfolg des i-mode-Dienstes in Japan erklären und wie könnten auf der anderen Seite deutsche und europäische Mobilfunkanbieter von diesen Strategien profitieren? Dies waren zwei der zentralen Fragestellungen des i-mode-Projekts. Zunächst sollten per Interviews aktuelle Interpretationen erarbeitet werden, um dann in weiteren Analysen den Branchenkontext und sogar Merkmale des nationalen Innovationssystems in den Blick zunehmen. Solche über i-mode hinausreichenden Innovationen bezogen sich etwa darauf, Techniken für die Übermittlung von Fotos, Musik und Videos bereitzustellen (Weber, Wingert 2003).

Das Produkt „i-mode“

„i-mode“ ist der erfolgreichste mobile Internet-Dienst in Japan. Die Offenheit zum Internet führte dazu, dass Websites entstanden, die für die kleinen Bildschirme aufbereitet wurden. Zu i-mode gehören auch vom Betreiber „offiziell“ angebotene und sorgfältig geprüfte Dienste, wie Bildschirmschoner und Spiele. Der Dienst wurde von den Kunden gut angenommen und ist für den Betreiber NTT DoCoMo (ein Tochterunternehmen der Nippon Telegraph and Telephone Corporation, NTT) sehr profitabel.

Frühe Erklärungsversuche für den japanischen Erfolg

Unternehmensberater und Forscher aus dem akademischen Bereich hatten recht bald eine Vielzahl relevanter Erfolgsfaktoren des mobilen Internets in Japan herausgearbeitet: so z. B. die niedrigen Preise pro E-Mail, die niedrigen Minimalgebühren von 300 Yen pro Monat (ca. € 2,5), die Offenheit für das Internet, die Ausrichtung des Dienstes an allen Kunden, und das hundertprozentige Funktionieren. Durch i-mode und ähnliche Dienste der japanischen Konkurrenten entstanden in Japan starke Netzwerkeffekte und eine hohe Nutzung, die ihrerseits für die Anbieter zu den höchsten Erträgen pro Kunde weltweit führte (von ca. € 58 statt ca. € 25, wie in Deutschland im Jahr 2003). Die insbesondere bei Jugendlichen z. T. extensive Nutzung führte zu hohen Rechnungen, die weit über das Budget eines Jugendlichen hinausgehen konnten, so dass öffentlich über dieses Phänomen diskutiert wurde („packet shi“ - Pakettod, wegen der vielen übermittelten Datenpakete).

Die Wettbewerber versuchten ferner, mit ähnlich innovativen Diensten wie i-mode neue Kunden zu gewinnen (z.B. durch die Integration von Digitalkameras und durch den Verkauf von Musik zur Nutzung auf Handys). Eine Antwort von Wettbewerbern auf die hohen Rechnungen war das Angebot von Flatrates. Diese Innovationen führten immer wieder zu erheblichen Verschiebungen in den Marktanteilen der Anbieter.

Die Erklärungsversuche der Wissenschaft bis 2003 waren nicht völlig zufrieden stellend. Zum Beispiel herrschte immer noch eine Tendenz vor, die Nutzung des mobilen Internets vor allem mit der „Andersartigkeit“ der Japaner zu erklären, dass sie solche Dienste eben lieber nutzen würden als Europäer. Forscher des Wissenschaftlichen Instituts für Kommunikationsdienste WIK fanden in einer Studie für das deutsche Wirtschaftsministerium, dass Japan andere Strukturen habe und schlossen von vornherein die Möglichkeit für Deutschland aus, sie eventuell zu übernehmen: „Japan ist als Vergleichsmarkt eher weniger geeignet, da dort sowohl technologisch als auch in Bezug auf die Entwicklung und Einführung neuer Dienste ein völlig anderer Weg beschritten wurde.“ (Büllingen et al. 2004, S. 29 f.). Hintergrund hierfür ist, dass in Europa und Deutschland die Nutzung eines einzigen Standards, eben GSM, als Erfolgsgeschichte gesehen wird, was sie bis zur Einführung von WAP auch war. Heute ist GSM aber hauptsächlich nur noch für Nokia und Ericsson ein Erfolg.

Andere Forscher stellten heraus, dass NTT DoCoMo mit seinen Entscheidungen eben „Glück hatte“, oder dass die Firma sehr eng mit den Zulieferern kooperierte und so ein hundertprozentiges Funktionieren der Dienste erreichen konnte. Damit war eigentlich die Frage auf dem Tisch, ob europäische Betreiber diese Strategie auch verfolgen sollten, was europäische Wissenschaftler eher ablehnten. Genau diese Strategie erprobten die großen europäischen Betreiber dann aber ab 2002.

Erklärung des Erfolgs aus Kultur und Wettbewerb

Gemäß der Analyse der Autoren ist der Wettbewerb in der Infrastruktur ein ganz entscheidender Faktor für den Erfolg japanischer Betreiber (Weber, Wingert 2006; Weber, Wingert i. E.). Ein Grund dafür liegt darin, dass er eine Unsicherheit für alle Netzbetreiber erzeugt, die dazu führt, dass für jeden Betreiber die Notwendigkeit besteht, permanent zu prüfen, ob er mit einer neuen Infrastruktur und neuen Diensten darauf höhere Erlöse erzielen könnte. Auch in Japan gab es durchaus Tendenzen, nur einen einzigen Standard zu verwenden. Dass es dazu nicht kam, war ganz wesentlich das Ergebnis des Drucks von US-Mobilfunkausrüstern, die als Kompensation für den großen Erfolg von Toyota auf dem amerikanischen Automarkt durchsetzen konnten, dass sie ihre Systeme auch auf dem japanischen Markt verkaufen durften. Zunächst war dies Motorola, später Qualcomm mit cdmaOne und cdma2000. Aber auch innerhalb von NTT wurden alternative Infrastrukturen gebaut, nämlich die PHS-Infrastruktur, neben der PDC-Infrastruktur; dies geschah jeweils durch andere Tochterunternehmen.

Ein ganz anderer Faktor, der auf einer kulturellen Ebene angesiedelt ist, liegt im Streben japanischer Akteure nach einer hohen Zufriedenheit der Kunden. Der Begriff anshinkan, der ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit auf Seiten des Kunden bezeichnet, ist auch im Alltag verbreitet, wie Japan-Experten versichern. Dies hat auch die hohe Qualität vieler japanischer Waren (wie Autos, Kameras oder Handys) oder eben die Qualität mobiler Datendienste zur Folge. Japanische Verkäufer/innen verhalten sich stark kundenorientiert. Man kann dies letztlich in einer starken und in Japan anders gelagerten Orientierung am Mitmenschen begründet sehen, wie die Autoren dies mit Experten diskutierten.

Ein weiterer Faktor ist, dass die japanische Ökonomie eine relativ geringe Lohndifferenzierung hat, die eine Konsumgesellschaft (taishu shouhi shakai) ermöglicht, in der auch die unteren Einkommensgruppen hochwertige Handys kaufen können.

Das stark ausgeprägte Bewusstsein, mit dem Export im Wettbewerb überleben zu müssen und deshalb privat den neuesten Dingen gegenüber offen zu sein, geht zurück bis auf die gewaltsame „Öffnung“ Japans durch amerikanische Kanonenboote im Jahr 1853, als der Elite des Landes klar wurde, nur durch eine beispiellose Modernisierung der eigenen Gesellschaft dem Westen auch technologisch standhalten zu können. Dies wird mit dem Konzept gijutsu rikkoku festgehalten, das man mit „technischer Nationenbildung“ umschreiben kann. Alle genannten Faktoren sind politische, gesellschaftliche und kulturelle Orientierungen, die den Hintergrund darstellen, vor dem sich die japanische Mobilfunkindustrie entwickelt hat.

i-mode und seine Nachahmer auf dem europäischen Markt

Trotz des Erfolges im eigenen Lande gelang es NTT DoCoMo nicht, diesen Erfolg in Deutschland mit der Einführung von i-mode zu wiederholen. Hierzu wählte man eine Minderheitsbeteiligung am Netzbetreiber KPN / E-Plus. In unserem Bericht zeigen wir, dass alle hiesigen Netzbetreiber i-mode ab 2002 kopierten, aber dies nur mit ausgewählten Merkmalen, in keinem Fall vollständig. Alle Netzbetreiber begannen, für die neuen Dienste betreiberdefinierte Handys zu verkaufen. Kein Betreiber wagte es aber, mit Preisunterbietung und unter Betonung der Vorteile von E-Mail und des offenen Internets das mobile Internet offensiv am Markt anzubieten. Vielmehr wollte man die SMS-Erträge nicht „kannibalisieren“. Da sich SMS für die Übermittlung von Links auf das WWW aber schlecht eignet, waren die Integration der Dienste und damit die Dienstequalität entsprechend gering.

Beim „Vodafone-live!“-Dienst z. B. wurden die E-Mails nicht im Handy gespeichert. Man konnte Links in E-Mails auch nicht anklicken. Ofensichtlich sollten die Nutzer bei den offiziellen Diensten bleiben, die natürlich bei weitem nicht die Vielfalt von Diensten auf dem offenen Internet widerspiegelten. Selbst E-Plus betonte vor allem die offiziellen Dienste. Bei T-Mobile's „t-zones“ musste man die Dienste erst konfigurieren. „Fallenknöpfe“ bei mehreren Betreibern, mit denen man auch unfreiwillig in die Dienste geraten konnte, verschlechterten den Ruf der i-mode-Nachahmungen. Parallel wurden andere Innovationen beworben - wie z. B. MMS, eine Kopie der japanischen Fotodienste, die Nokia mit proprietären Techniken nachahmte. Zwar hatten die deutschen Betreiber versucht, wie japanische Betreiber das Nutzerinterface zu definieren - gegen den Widerstand von Nokia und Siemens. Diese betreiberdefinierten Handys waren aber komplizierter zu benutzen als Handys in Japan. In diesen Jahren setzte Siemens statt auf betreiberdefinierte Handys auf neue „Formfaktoren“, womit die Firma nicht erfolgreich war.

Spätestens ab 2005 mussten sich die deutschen Netzbetreiber eingestehen, dass die Datendienste wenig genutzt werden. Die Studie zeigt als Grund hierfür auf, dass die Betreiber ihre SMS-Erträge nicht riskieren wollten; in dieser Hinsicht waren sie erfolgreich (Weber 2006).

Resümierend lässt sich also sagen, dass das mobile Internet in Japan ein großer Erfolg war, weil dort Wettbewerb auf allen Ebenen herrscht, weil es eine sehr hohe Kunden- und Qualitätsorientierung und weil es hohe Masseneinkommen gibt. Wir sind davon überzeugt: die deutsche oder europäische Kundschaft würde das mobile Internet nutzen, wenn es preisgünstig und leicht benutzbar angeboten würde. Wenn das PC-Internet so stark genutzt wird, wieso sollte man dieselbe Vielfalt nicht auch mobil nutzen wollen? Mehr als 70 Millionen Japaner machen dies seit Jahren.

4     Neue Tendenzen

Selbstredend gehen die Entwicklungen weiter. So lassen sich in Ländern mit Infrastrukturwettbewerb folgende Dinge beobachten:

Daneben werden in der Forschung viele weitere Techniken entwickelt und erprobt (Bohlin et al. 2006). Nach dem Erfolg von WiFi gibt es Überlegungen, größere Teile des Radiospektrums für freie Nutzung zuzulassen (Horvitz 2005; Forge, Blackman 2006). Der offensichtlichen Gefahr, dass sich die Nutzer auf dem Spektrum gegenseitig stören, könnte begegnet werden, indem eine Art „netiquette“ eingeführt würde (z. B. „listen before talk“). Neue Geräte könnten sich je nach Kontext adaptiv verhalten: Wenn nur wenige Nutzer aktiv sind, kann mit höherer Stärke gesendet werden, um größere Entfernungen zu überwinden. Je nachdem, wie weit militärische Bänder oder Fernsehfrequenzen zur Nutzung freigegeben werden, ließe sich das Radiospektrum also wesentlich stärker kostenlos nutzen. Dies wäre die größte Bedrohung für die existierenden Lizenzinhaber: Die Kunden würden nicht wie auf dem Festnetz für eine Flatrate kommunizieren, sondern völlig kostenlos. Kostenloses Telefonieren über WiFi und Laptop-Computer ist der Anfang dieser Entwicklung.

Bei lizenzfreien Netzen und auch bei Flatrates auf lizenziertem Spektrum werden zunehmend die Endgeräte zu einer Erlösquelle, wie bereits bei Laptop-Computern. Diese gilt auch für Handys, da sie mit anderen Geräten (Digitalkamera, Musikabspielgerät) konvergieren und so mehrere Funktionen genutzt werden können. Es lassen sich so Prozessor, Speicher, Display, Batterie und Netzteil für mehrere Anwendungen nutzen - ein Trend, der aus ökonomischen Gründen anhalten dürfte (Weber i. E.).

5     Einige Handlungsoptionen für die Bundesrepublik

Aus den Analysen lassen sich folgende Handlungsoptionen für die Bundesrepublik entwickeln:

Solche (und weitere) Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass Deutschland bei Mobilfunktechniken und -nutzung eine führende Rolle wiedererlangt. Angesichts der Kompetenz deutscher Forscher und Unternehmen auf den Feldern Funk, EDV, Optik und Medieninhalte sollte Deutschland in der Lage sein, für neue Netze sozusagen den Mercedes unter den Handys herzustellen.

Anmerkung

[1] Der vollständige Titel der Studie lautet „Kulturelle Faktoren in der technischen Entwicklung: ‚i-mode' in Japan und Deutschland“, ITA-Projekt Nr. 16I1514 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Literatur

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Büllingen, F.; Stamm, P.; Naoe, S., 2004:
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Schlussbericht des Projektes „Kulturelle Faktoren in der technischen Entwicklung: ‚i-mode' in Japan und Deutschland“ (Manuskript)

Wingert, B.; Weber, A., 2004:
Mobilfunkbranche peilt auf dem Petersberg die Zukunft an. Tagungsbericht: Zukunftsforum Mobiles Internet. Königswinter, Petersberg 14.-15.9.2004. In: Technikfolgenabschätzung - Theorie und Praxis 13/3 (2004), S. 125-129; http://www.tatup-journal.de/tatup043.php

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Xiaolingtong versus 3G in China: Which will be the winner? In: Telecommunications Policy 30/5+6, (2006), S. 297-313

Kontakt

Dr. Arnd Weber
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-23737
E-Mail: arnd weber∂kit edu

Bernd Wingert
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640, 76021 Karlsruhe