F. Uekötter, J. Hohensee (Hg.): Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Öko-Alarme

Rezensionen

Die Kassandra, die keine war – zum Alarmismus in der Gegenwart

F. Uekötter, J. Hohensee (Hg.): Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2004, 168 S., ISBN 3-515-08484-3, Euro 28,00

Rezension von Gotthard Bechmann, ITAS

„Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt“
(Peter Esterházy: Harmonia Caelestis)

1     Hintergrund

Keine Frage, Aufstieg und Niedergang der Umweltbewegung sind eng mit der Warnfunktion verbunden, die sie in der Gesellschaft übernommen hat. Angesichts der zunehmenden ökologischen Bedrohungen und der technologischen Risiken hat sie sich vornehmlich auf das Warnen verlegt. Ihr gutes Gewissen und ihre ethischen Weihen, dass das Warnen per se etwas Gutes sei, hat sie von Hans Jonas mit dem Prinzip des Vorrangs der schlechtesten Prognose erhalten.

Warnen wird dann besonders wichtig, wenn eine Zuspitzung auf die Alternative „Überleben oder Untergehen“ gelingt. Der inhaltlichen Zuspitzung (wie bei den Themen „Verwendung atomar erzeugter Energie“, „Klimawandel“ oder der „rigorosen Ausbeutung der Natur“), die darauf hinausläuft, die Weiterexistenz der gesamten Gattung Mensch in Frage zu stellen, folgt meist die moralische Dramatisierung: Sie unterscheidet nur noch die Guten, die gegen das ökologische und technische Desaster sind, von den Bösen, die es, wenn sie es nicht gerade wollen, so doch geschehen lassen. Die Aufgabe wird dann darin gesehen, vor den Konsequenzen eines unveränderten Weitermachens zu warnen und wieder mit dem moralischen Appell versehen, dass man auf die Warner hören müsse – oder die Katastrophe unvermeidlich heraufbeschwöre.

Dieses Gemisch aus Warnung und Moral hat im Wesentlichen zur Identitätsfindung der Umweltbewegung beigetragen. Was geschieht aber, wenn sich die Warnungen als weit übertrieben oder sogar als haltlos erweisen, wenn sie mehr aus Nichtwissen als aus Wissen gespeist sind? Muss dann nicht die gesamte Position ins Rutschen kommen? Diesen Fragen ist der von Frank Uekötter und Jens Hohensee herausgegebene Sammelband „Wird Kassandra heiser? – Die Geschichte falscher Ökoalarme“ gewidmet. Er enthält neben der Einleitung durch die Herausgeber weitere acht Beiträge.

2     Vier Leitfragen zur Beurteilung ausgewählter Katastrophenszenarien

Dass die Autoren hier ein gesellschaftspolitisch und moralisch „vermintes Feld“ betreten, zeigt die etwas umständliche und verschlungene Rechtfertigung ihres Vorhabens. Mit Hilfe wissenschaftlicher Redlichkeit wollen sie eine Äquidistanz zu den Kritikern und gleichzeitig zu den Fundamentalisten der Ökobewegung schaffen (S. 10). Die Kritiker würden der Ökobewegung die Dramatisierung ökologischer Fehlentwicklungen vorwerfen und rechneten die „Gegenkosten“ falscher Alarme auf, wohingegen die Fundamentalisten eine kritische Überprüfung ihrer Schreckensszenarien mit dem Hinweis verweigerten, dass es notwendig sei zu dramatisieren, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erreichen. Zwischen diesen beiden konträren Positionen hin und her gerissen, versuchen die Herausgeber in der Einleitung wie weiland Buridans Esel zwischen den Heuhaufen, ihren Standpunkt zu finden. „Falsche“ Öko-Alarme im Sinne dieses Bandes sind „Warnungen vor einer durch menschliches Handeln verursachten Veränderung der natürlichen Umwelt, die sich im Nachhinein als unbegründet oder zumindest stark übertrieben erweist“ (S. 11).

Man kann mit einigem Recht bezweifeln, dass mit dieser Definition das komplexe Phänomen der ökologischen Warnung, die ja heute einen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausmacht – zumindest, wenn es um die Thematisierung der Zukunft geht –, angemessen in den Griff zu bekommen ist. Zu unbestimmt bleibt, was mit „unbegründeten“ oder „stark übertriebenen“ Warnungen gemeint sein kann, lässt sich die Zukunft doch nie gänzlich von der Gegenwart her entschlüsseln. Entsprechend präzisieren die Herausgeber auch ihre Fragestellung, in dem sie den Mitautoren vier Leitfragen für deren Studien vorgeben: Wer waren die Trägergruppen der Alarme? Wie war der zeitgenössische Wissensstand? Wie politisch produktiv war das Katastrophenszenario? Welche Folgen hatte der falsche Alarm für die Alarmierer? (S. 12). Nach diesem Raster wurden acht Beispiele „falscher Öko-Alarme“ ausgewählt und bearbeitet. Aber schon bei dieser Auswahl zeigt sich, dass auch die Konkretisierung der Fragestellung nicht zu einer Abgrenzung oder Typologisierung dessen führt, was man Öko-Alarm nennen könnte. Öko-Alarme im Sinne gesellschaftsrelevanter Mahnungen bewegen die Öffentlichkeit erst ab den 1970er Jahren.

3     Drei historische Beispiele

Die drei historischen Beispiele, die sich mit dem Holznotalarm und der Waldzerstörung vor der Industrialisierung, mit dem Londoner Smog im 19. Jahrhundert und mit der Zerstörung der Senne beschäftigen, dürften eher als typische Reaktionen auf die Folgeprobleme einer sich rapid industrialisierenden und modernisierenden Gesellschaft gelesen werden. Jede Studie für sich ist interessant, dies gilt besonders für den Essay von Peter Brimblecombe, der die literarisch-künstlerische Verarbeitung der Luftverschmutzungsphobien im viktorianischen England beschreibt. Hier wird man an das Bonmot von Oscar Wilde erinnert, der meinte, dass den Londonern erst durch die Gemälde von William Turner bewusst wurde, dass sie im Nebel lebten. Auch die Wahrnehmung und Kritik am Sterben der Sennelandschaft, die Roland Siekmann in historischer Filigranarbeit herausarbeitet, ist mehr den aporetischen Reaktionen auf eine sich hemmungslos ausbreitende Industrialisierung zuzuschreiben, als dass man hier schon von Öko-Alarmismus sprechen könnte.

Erst an den folgenden fünf Fallstudien kann man so etwas wie gemeinsame Merkmale des Öko-Protestes und der typischen Warnstrukturen feststellen.

4     Sukzessive Verschmelzung von Wissenschaft und Ökologiebewegung

Frank Uekötter zeigt in seiner Analyse der sich bildenden amerikanischen Umweltbewegung, wie durch die Konstruktion von Katastrophenszenarien gerade in der Angst vor der Luftverschmutzung die Argumente radikalisiert und moralisiert werden. Diese lassen nur die Möglichkeit zu, entweder an sie zu glauben und damit auf der „guten Seite“ zu sein, oder nicht an sie zu glauben und damit ausgeschlossen und zugleich Gegner zu sein. Eine dritte Position ist nicht vorgesehen (S. 75). Hier wird zum ersten Mal die Beschwörung der Apokalypse als Mechanismus zur Identitätsbildung für die Umweltbewegung und als deren Kampfmittel öffentlichkeitswirksam erprobt.

Das gleiche Muster der Konstituierung und Mobilisierung der Umweltbewegung konstatiert Kai F. Hünemörder in seinem Beitrag über „Kassandra im modernen Gewand. – Die umweltapokalyptischen Mahnrufe der frühen 1970er Jahre“. Akribisch zeichnet er nach, wie aus einem zunächst literarisch inspirierten Protest durch den Zusammenschluss mit der Wissenschaft eine populärwissenschaftliche „Mahn- und Alarmliteratur“ entsteht. Ihr gelingt, die Umweltapokalypse zum wichtigsten Thema in der Öffentlichkeit, ja bestimmend für die ganzen 1970er und 1980er Jahre zu machen. Dies wird zum einen durch die Globalisierung der Katastrophe möglich: Von nun an sind nicht mehr einzelne Regionen, nationale Gesellschaften oder Erdteile bedroht, sondern der Erdball insgesamt in seiner Existenz. Umweltschäden werden zum Indikator für globale Bedrohung, bei der das Überleben der gesamten Menschheit auf dem Spiel steht – technisch, ökologisch und biologisch. Zum anderen wird die Radikalisierung durch die Identifikation eines Grundübels erreicht: Alle Schäden und Gefahren werden dem ausufernden Wirtschaftswachstum zugerechnet (S. 87). Entscheidend für diesen Wandel ist jedoch die eigentümliche Allianz von Wissenschaft und Umweltbewegung. Denn erst mit dem Bericht des „Club of Rome“ (zu den „Grenzen des Wachstums“, erschienen 1972) bekommt die Kritik am Wirtschaftswachstum ihre Durchschlagskraft und es lässt sich „wissenschaftlich“ zwingend beweisen, dass es so nicht weiter gehen kann: Besitzt die Umweltbewegung doch mit dem kybernetischen Wachstums- und Simulations-Modell von Forrester und Meadows ein Instrument aus einem der führenden Zentren der Wissenschaft (dem Massachusetts Institute of Technology) und können sich so Weltuntergangsprognosen auf die fortgeschrittensten Methoden der Computerwissenschaft stützen.

In einer Detailstudie zur Geschichte der Studie „Die Grenzen des Wachstums“ zeichnet Patrick Kupper die sukzessive Verschmelzung von Wissenschaft und Ökologiebewegung nach. Er sieht den Wert der Studie und die weltweit geführte Diskussion darin, dass sie neue Möglichkeiten für die Ökologiebewegung eröffnet, um der Eindimensionalität der Katastrophe zu entgehen. „'Die Grenzen des Wachstums' verdanken ihre hohe Resonanz und ihre Qualität als Kristallisationspunkt gesellschaftsrelevanter Diskussionen der Tatsache, dass die Studie auf einer historischen Schnittstelle der Entwicklung, respektive einem historischen Knotenpunkt verschiedener Diskussionen zu liegen kam. In den ‚Grenzen des Wachstums' vereinigen sich ökologische Apokalypsevorstellungen mit Bestrebungen einer gesellschaftlichen Neuausrichtung, die von der Planungs-, Steuerungs- und Machbarkeitseuphorie der vorangegangenen Jahrzehnte zehren konnte (S. 110).“ Damit macht er auf einen Umschwung in der Struktur des Öko-Alarms aufmerksam. Die Beschwörung der Apokalypse wird nun nicht mehr allein dazu benutzt, um zur Umkehr aufzurufen und sich zu bescheiden, sondern auch dazu, mit Hilfe der Wissenschaft Alternativen zu erforschen, zu errechnen und zu konstruieren und dadurch Anschluss an unterschiedliche Debatten zu finden. Die Entdeckung von Alternativen durch die Ökologiebewegung wird dadurch zur bestimmenden Orientierung.

5     Die Rolle der Medien

Die beiden letzten Beiträge beschäftigen sich mit der Debatte um das Waldsterben und der „Brent-Spar“-Kampagne. Beide Fälle, die sich eigentlich nicht so recht dem Begriff des Öko-Alarms fügen, thematisieren die Rolle der Medien, die diese als Verbreiter und als Verstärker von Katastrophenmeldungen spielen. Medien, so der Mainstream der Mediensoziologie, haben u. a. die Funktion zu dramatisieren und zu skandalisieren. Vor allem muss die Nachricht neu sein. Dieser Zwang zum Neuen und zum Pointieren oder Schockieren hat zur Folge, dass auf kurzfristige Mobilisierung gesetzt wird. Themen verschwinden ebenso schnell wieder von der Tageordnung, wie sie aufgegriffen werden, was letztlich zur Abstumpfung bei den Medienkonsumenten und zur „Veralltäglichung“ des Öko-Alarms führt.

Kenneth Anders und Frank Uekötter zeigen in ihrem Beitrag „Viel Lärm ums stille Sterben“ im Prinzip die Vergesellschaftung und Medialisierung der ökologischen Katastrophenwarnungen zum Waldsterben auf. Zwar beginnt die Geschichte auch hier mit einer Weltuntergangsstimmung; es wird vor der Zeitbombe gewarnt, die angeblich in den Wäldern tickt bzw. die gigantischste Umweltkatastrophe prognostiziert, die es je gab. Gleichwohl fehlt hier der moralische Impetus und die Zuspitzung auf das „Entweder – Oder“. Die Warnung wird in einen weit gefächerten wissenschaftlichen Diskurs über die Gründe und Verursacher des Waldsterbens eingebunden, so dass weder die genauen Ursachen eindeutig festgestellt werden können noch es möglich ist, eindeutig Schuldige zu benennen. Die Waldschadensdebatte wird mehr durch die Medien aufrechterhalten, als dass die Umweltbewegung die treibende Kraft ist. Außerdem profitieren mehrere Gruppen mit den unterschiedlichsten Interessen am Aufrechterhalten der öffentlichen Beunruhigung. Die Wissenschaftler z. B. erblicken hier ein neues Forschungsfeld, um so schnell an viel Forschungsmittel zu gelangen, und die Förster ihrerseits versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit für die Forderung nach Subventionen zu nutzen. In gewisser Weise kann der Streit um die Rauchgas-Entschwefelungsanlagen der Kohlekraftwerke aus den frühen 1960er Jahren unter veränderten Bedingungen fortgesetzt werden. Der Streit um das Waldsterben versinkt schließlich in der Komplexität der Materie: Es gibt keine genauen Kenntnisse der Ursachen, kein klares Schadensbild und somit auch keine klar bestimmbaren Verursacher (S. 125, 128).

Die Geschichte des Kampfes um die Ölplattform „Brent-Spar“ ist eher die Geschichte eines Missverständnisses oder das klassische Beispiel dafür, wie durch die Medien die Intentionen verdreht werden. In ihrem Beitrag: „Die Brent-Spar-Kampagne – Plattform für diverse Wahrheiten“ kommt Anna-Katharina Wöbse zu dem Schluss: „‚Brent-Spar' war alles in allem kein falscher, sondern ein öffentlich und moralisch völlig gerechtfertigter, wenn auch in ökologischer Hinsicht vielleicht zweifelhaft zu nennender Alarm“ (S. 160).

Begonnen hatte es damit, dass Greenpeace anlässlich einer Nordseeschutzkonferenz, die im dänischen Esbjerg stattfinden sollte, Aktionen gegen die Meeresverschmutzung plante und einen besonders eindrücklichen Fall suchte, der medial gut präsentierbar wäre. Die genehmigte Versenkung der Ölplattform „Brent- Spar“ durch den Ölkonzern Shell schien dafür genau der geeignete Fall zu sein.

Wöbse analysiert die Wechselwirkungen zwischen den Akteuren, den Medien und der Öffentlichkeit und zeigt die unerwarteten Folgen der Warndynamik. Am Ende büßt Greenpeace aufgrund einer nachweislich falschen Zahlenangabe Autorität und Legitimation ein, Esso kann durch den Boykott der Verbraucher an der Tankstelle gegenüber Shell kurzfristige Gewinne erzielen und das Thema Meeresverschmutzung gerät in den Hindergrund. Es geht nur noch um die Glaubwürdigkeit von Greenpeace und um die Differenz zwischen 5.500 und 130 Tonnen Öl; Greenpeace muss schließlich die niedrigere Zahl als die korrekte einräumen.

6     Fazit

Nach der Lektüre des Bandes bleibt ein zwiespältiges Gefühl zurück. Im Sinne wissenschaftlicher Strenge und moralischer Eindeutigkeit fällt das Fazit der Herausgeber eigentümlich blass aus, das sie aus den Fallstudien ziehen. „Den Fall einer totalen Delegitimierung der Trägergruppen durch einen falschen ‚Alarm' findet man hier ebenso wenig wie ein reumütiges Eingeständnis des eigenen Fehlverhaltens mit nachfolgender Katharsis“ (S. 22). Was fehlt, ist eine theoretische Perspektive, mit deren Hilfe versucht werden könnte, das Exemplarische an dem jeweiligen falschen Öko-Alarm herauszuarbeiten, wenn er denn nun wirklich falsch war. Es dürfte weniger darum gehen, die Alarmisten zu mahnen, in Zukunft vorsichtiger zu agieren, um nicht die Umweltbewegung in Verruf zu bringen, als vielmehr die Struktur zu entziffern, die hinter dem Alarmverhalten steckt. Es ist nicht sehr interessant und wissenschaftlich unergiebig, wenn als letztes Ergebnis der Verweis auf das achte biblische Gebot („Du sollst kein falsch Zeugnis reden“) verbleibt. Denn es geht nicht um das Fehlverhalten einiger, sondern um die gesellschaftliche Funktion des Warnens und seiner Folgen. Wir haben es hier mit einer Paradoxie zu tun, die unterschiedlich aufgelöst werden kann, aber nicht als lineare Fortschreibung der Entwicklung von der Vergangenheit zur Gegenwart in die Zukunft begriffen werden kann. Erfolgreiche Warnungen verhindern gewissermaßen selbst, dass festgestellt werden kann, ob das, wovor gewarnt wurde, überhaupt eingetreten wäre. Und selbst schon das (vielleicht unnötige) Warnen verursacht Kosten und unvorhergesehene Folgen des Vermeidungsverhaltens. Die Warner kommen somit in eine sozial prekäre Lage: Um Erfolg zu haben, müssen sie sich im Endeffekt selber abschaffen – und wer möchte das schon? Aber wie kann man den Alarm dauerhaft aufrechterhalten, ohne zu überziehen? Dem Band fehlt insgesamt eine Reflexion der Warntätigkeit und dem damit verbunden Verhältnis zu einer eigentümlich konstruierten Zukunft. Erst von solch einer Position aus könnte man den Ertrag bestimmen, für den die Fallstudien stehen sollen.