Rezensionen
J. Soentgen, K. Völzke (Hg.): Staub - Spiegel der Umwelt. Stoffgeschichten Band 1
Wenn Wissenschaftler Staub sammeln
J. Soentgen, K. Völzke (Hg.): Staub – Spiegel der Umwelt. Stoffgeschichten Band 1. München: oekom Verlag, 2005, 272 S., ISBN 3-936581-60-6, Euro 29,80
Rezension von Norbert Nowotsch, Fachhochschule Münster
Pünktlich zum Erscheinen dieses Buches waren die Zeitungen voll „staubiger Leitartikel“. Eine bessere – und dazu kostenlose – PR-Unterstützung hätte es sich nicht wünschen können. Zum einen – fast ein Dauerbrenner – war es das unangenehme Thema „Feinstaubbelastung“ in den Metropolen der Republik, zum anderen das Wunder des kosmischen Staubes, von dem einige Körnchen auch in Deutschland erforscht werden durften. [1]
Laut Klappentext ist dieser Band mit einem Überblick über die aktuelle Staubforschung der Auftakt zu einer Reihe mit dem Titel „Stoffgeschichten" – und das nicht ohne Grund, wie gleich zu Anfang programmatisch vermittelt wird: "Denn der Staub ist so etwas wie der Anfang alles Stofflichen – und sein Ende."
Jens Soentgen, der wissenschaftliche Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg, nimmt als Herausgeber diese Vorgabe auf und entwickelt im ersten Beitrag des Bandes auf kompakte und unterhaltsame Weise eine kleine „Kulturgeschichte des Staubes". Diese ist nicht nur eine Einführung in das Thema, sondern auch eine inspirierte Anregung zum Weiterlesen und darüber hinaus eine Ermutigung zum Stöbern in weiteren Werken dieses Themenfeldes. Die folgenden sechzehn Beiträge spannen den thematischen Bogen über viele, wenn auch vornehmlich naturwissenschaftlich orientierte Bereiche; fast alle Autoren halten sich aber trotz Faktenfülle an einen angenehm flüssigen und unterhaltsamen Sprachstil.
Auch der Erforscher des eingangs erwähnten Sternenstaubes ist mit einem Beitrag im Buch vertreten. Noch in Vorfreude auf die „Stardust Memories" (zum Zeitpunkt der Abfassung seines Textes war die Sammelaktion der NASA Raumsonde noch nicht erfolgreich abgeschlossen) erinnert Thomas Stephan unter diesem schönen Titel an die Entstehungsgeschichte unseres Sonnensystems aus einer riesigen Gas- und Staubwolke und vermittelt die Bedeutung der Mission Stardust zur Erforschung dieses Prozesses und damit natürlich unserer eigenen Herkunft.
Einen Ausflug in die Welt des ganz Kleinen unternimmt Manfred Euler in seinem Beitrag „Tanzende Staubkörner und Nanomaschinen"; letztere nennt er sehr schön „intelligenten Staub". Zum klassischen Staub findet sich hier eine Abbildung der so genannten Brown'schen Molekularbewegung eines Staubteilchens, von Euler „Zittern des Staubes" genannt. Man denkt intuitiv an die zahlreichen lyrischen Umschreibungen, etwa die der „tanzenden Staubpartikel im Sonnenlicht"...
Über die vielfältige kriminaltechnische Bedeutung des Staubes und seiner Analyse informiert gleich ein ganzes Autorenteam. Beziehungsreich mit „Der letzte Dreck" ist Luitgard Marschalls Artikel über den „lebenden“ Hausstaub betitelt: Schon beim Lesen kribbelt und krabbelt es unangenehm in allen Ecken und Ritzen. Hier findet sich in der (zweititeligen) Literaturliste auch ein weiteres Standardwerk zum Staub – ein aus geistes- und kulturwissenschaftlicher Sicht geschriebenes Buch von Joseph Amato mit dem deutschen Titel „Von Goldstaub und Wollmäusen".
Neben so viel Wissenschaft finden aber auch die Randgebiete ihren Platz und können in ihrer Auswahl überzeugen. Hierzu gehört der amüsante, aber auch lehrreiche (weitere) Beitrag von Soentgen, in dem die Psychoanalytikerin Elfie Porz zu dem Thema befragt wird, warum Putzen glücklich macht. In ihren Antworten kommen die feinen Unterschiede zwischen Notwendigkeit, Ritual und Wahn zutage. Der Physiker Frank Grünberg informiert dazu passend über den Hochsauberkeitstrakt für Halbleiterhirne unter dem Titel „Der reine Raum“.
Ulrich Hohoff, der Direktor der Universitätsbibliothek Augsburg, verrät in seinem Beitrag „Bücherstaub", dass auch die aktuellen und gängigen Wörterbücher zum Themenfeld Buch / Buchhandel / Bibliothek ebenso wie spezielle Fachlexika Begriffe wie „Bücherstaub“ und „Papierstaub“ nicht verzeichnen, um dann die „Staubwüste“ der Bibliotheken bis hin zum Bücherverfall und der Bücherverbrennung eingehend zu untersuchen. Vorgestellt wird dazu, auch im Bild, eine Entstaubungsmaschine mit dem poetischen Namen „Depulvera"; sie fügt sich schön zu dem von Hohoff eingangs angeführten Zitat von John Steinbeck zur Kultur eines Landes: „Man erkennt sie an der Dicke des Staubes auf den Buchrücken in den öffentlichen Bibliotheken".
Ein bisschen kurz kommt das umfangreiche und zum Thema Staub besonders ergiebige Feld der Kunst; neben dem behutsamen Umgang der Restauratoren mit den feinstofflichen Unholden auf Werken der großen und kleinen Meister erfahren Leser und Leserin aber auch etwas zur Bedeutung des Staubes für den Künstler Joseph Beuys.
Die Gestaltung des Buches ist anspruchsvoll und insgesamt gelungen, angefangen beim angenehm gehaltenen Schuber über eine beziehungsreiche Fotoillustration des Covers bis hin zu Typografie und Layout des Innenlebens. Hier vermitteln kleine, in Magenta gesetzte Marginalien neben den gleichfarbigen Titeln einen schnellen Einblick in das jeweilige Textgeschehen, Zwischentitel gliedern die Beiträge, welche ihre jeweilige Bibliografie am Ende mitführen. So etwas macht nicht nur Spaß beim Lesen, sondern hilft auch dem Langzeitgedächtnis bei der Arbeit.
Ein kleines Manko ist bei der gestalterischen Behandlung der beiden separaten, ausklappbaren Abbildungsteile mit ihren Farbfotos zu verzeichnen. Bei der gewählten Einzelplatzierung der Bilder auf dunkelgrau getönten Seiten wirken letztere ein wenig zu massiv, der einfarbige Fond dominiert in der Wahrnehmung die Fotos, die, aus welchem Grund auch immer, als recht kleine, einzelne Abbildung mit viel „Umraum“ auf einer Gesamtseite stehen.
Der Anhang des Buches erfreut wiederum neben einem Glossar mit einer kleinen themenspezifischen Zitatsammlung und acht Anleitungen zu Experimenten mit Staub.
Dieses Buch ist hervorgegangen aus einer gleichnamigen Ausstellung, die von November 2004 bis März 2005 im Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität Augsburg und danach in Dessau zu sehen war; nach der Lektüre mag man sich ärgern, sie verpasst zu haben. Insgesamt also ein viel versprechender Start – auf die angekündigte Buchreihe darf man freudig gespannt sein.
Anmerkung
[1] Gemeint ist hier die NASA Mission, die mittels der Raumsonde „Stardust“ während einer Dauer von sieben Jahren Kometenstaub einsammelte und am 15. Januar zur Erde zurückgekehrt war.