Workshop: Wissenschaftsvernetzung in der TA (Berlin, 26. April 2006)

Tagungsberichte

Wissenschaftsvernetzung – Konzepte, Erfahrungen, Perspektiven

Berlin, 26. April 2006
Bericht vom Frühjahrsworkshop der Arbeitsgruppe „Informations- und Kommunikationstechnologien“ im „Netzwerk TA“

Von Constanze Scherz, ITAS

1     Anlass und Ziel des Workshops

Vor dem Hintergrund sich verändernder Bedingungen für Wissenschaft und Forschung kommt der Wissenschaftsvernetzung eine besondere Bedeutung zu. Erst vor kurzem hat die EU-Kommission eine Studie veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, die Bereitstellung von Forschungsergebnissen in öffentlichen und frei zugänglichen Dokumenten- und Datenspeichern zur Bedingung der Wissenschaftsförderung zu machen. [1] Die Veranstalter des Frühjahrsworkshops der „Arbeitsgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie“ (Arbeitsgruppe IuK) im Netzwerk TA erhofften sich u. a. Antworten auf Fragen, die sich beim Aufbau einer für das NTA geeigneten Internet-Infrastruktur ergeben: Welches Konzept der technikunterstützten Wissenschaftsvernetzung ist heute zeitgemäß? Gibt es Konzepte für morgen, die heute schon erkennbar sind? Und wer gibt Rat, Unterstützung und Fördermittel?

Dazu wurden Referentinnen und Referenten aus ganz unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen eingeladen, die Kompetenzen im Aufbau und der Betreuung virtueller wissenschaftlicher Plattformen besitzen. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrungen stellten sie Konzepte der technikunterstützten Wissenschaftsvernetzung vor, beleuchteten kritisch deren Probleme und skizzierten zukünftige Entwicklungen. Unter den insgesamt rund 40 Workshopteilnehmern war neben Mitgliedern aus dem NTA eine große Gruppe aus dem Bibliotheks- und Fachinformationsbereich vertreten. Ihre interessierten Nachfragen (u. a. zu Aufwand und Nutzen solcher Netzwerke) trugen zu einer angeregten Diskussion bei.

2     Informieren, Kommunizieren und Publizieren im Netz

Das erste Referat hielt Heike Neuroth von der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation (DINI). [2] Diese Initiative ist ein Paradebeispiel dafür, wie forschende Einrichtungen durch die Bereitstellung von allgemein zugänglichen Informationsquellen und konkreter Hilfe (z. B. bei der Entwicklung geeigneter Portale) gefördert werden können. Durch die von DINI bereitgestellten Kommunikationssysteme soll das Informationsmanagement an Hochschulen verbessert sowie durch internationale Standardisierungsbemühungen die digitale Informationsbeschaffung erleichtert werden. Entscheidend für den Erfolg von DINI sei jedoch nicht die Bereitstellung der technischen Voraussetzungen für Online-Portale und eine Wissenschaftsvernetzung, sondern vielmehr die begleitenden Lehr- und Informationsveranstaltungen sowie das Angebot, über DINI geeignete Ansprechpartner zu finden.

In den weiteren Vorträgen des Vormittags wurden Einzelprojekte behandelt. Zunächst stellte Matthias Razum (Forschungs- und Informationszentrum Karlsruhe), das sehr ambitionierte Vorhaben „eSci-Doc“ vor ( http://www.escidoc-project.de). Es ist ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes gemeinsames Projekt der Max-Planck-Gesellschaft mit dem Forschungs- und Informationszentrum Karlsruhe zur Realisierung einer Plattform für Kommunikation und Publikation in wissenschaftlichen Forschungsorganisationen. Projektziel sei die Entwicklung einer integrierten Informations-, Kommunikations- und Publikationsplattform für netzbasiertes wissenschaftliches Arbeiten am Beispiel von multidisziplinären Anwendungen in der Max-Planck-Gesellschaft. Anhand von vier Diensten stellte der Referent vor, wie dieses Ziel umgesetzt werden soll:

  1. „Scholary Workbench“ ermögliche Wissenschaftlern die forschungsspezifische Erschließung, Aufbereitung und Bearbeitung von bisher schwer zugänglichen Materialien.
  2. “Publication Management“ unterstütze sie bei der strukturierten Erfassung, Verbreitung und Archivierung des Forschungsoutputs.
  3. Mit „eLib“ werde der nachhaltige Zugriff auf elektronische Zeitschriften und Datenbanken sichergestellt.
  4. Im „eLab Journal“ würden Ablauf, Methoden und Ergebnisse wissenschaftlicher Experimente dokumentiert.

Das Vorhaben, ein „institutionelles Gedächtnis der MPG“ aufzubauen, setze auf eine Mischung aus zentraler Datenverwaltung und dezentraler Datenpflege. Es werde also vorausgesetzt, dass die MPG-Wissenschaftler selbst motiviert sind, ihre Daten im einheitlichen Format zu speichern und ins eSciDoc-System einzuspeisen.

Die Nutzbarmachung des Internets für die „Community“ der qualitativ Forschenden war Thema des Referats von Katja Mruck vom Forum Qualitative Sozialforschung ( http://www.qualitative-forschung.de). Obwohl qualitative Methoden in vielen Fachdisziplinen auf breiter Ebene angewendet würden, hätten die Diskurse darüber häufig nur innerdisziplinär stattgefunden. Die Vernetzung sei deutlich schwächer ausgeprägt gewesen als in der quantitativen Forschung. Dies habe sich mit der 1999 gegründeten Online-Zeitschrift FQS ( http://www.qualitative-research.net/fqs/fqs.htm) geändert, mit der es nun gelungen sei, sowohl internationale disziplinäre als auch transdisziplinäre Wissensbestände sichtbar zu machen und den beteiligten Forscherinnen und Forscher eine Möglichkeit zu bieten, sich zu vernetzen. Das Forum werde heute von Autoren und Autorinnen aus über 30 Ländern genutzt, die Beiträge von einer Leserschaft aus über 100 Ländern wahrgenommen.

Natascha Schumann (Deutschen Bibliothek Frankfurt) berichtete über das Projekt „DissOnline“ (http://www.dissonline.de). Ende 2005 seien über 40.000 Online-Dissertationen und -Habilitationen im Volltext verfügbar gewesen, in denen gezielt recherchiert werden könne. Hochschulschriften seien damit der am weitesten fortgeschrittene Publikationstyp, bei dem der Übergang von der gedruckten zur elektronischen und online-abrufbaren Ausgabe vollzogen worden sei. Seit Anfang 2005 gäbe man bestimmte Standards vor, die das selbstständige Publizieren weiter vereinfachen sollen. Mit den derzeit laufenden Teil-Projekten „DissOnline Portal“ (bis 2008) und „DissOnline Tutor“ (bis 2007) solle u. a. die Auffindbarkeit und die Erstellung von elektronischen Hochschulschriften weiter verbessert werden.

3     Wissenschaftsvernetzung – Erfahrungen und neue Konzepte

Im zweiten Teil des Workshops wurden die Erfahrungen der am Vormittag vorgestellten Projekte durch Referate ergänzt, die den Aufbau, den Erfolg und die Schwachstellen einzelner Wissenschaftsportale („Clio-Online“, „MathNet“, „PhysNet“) fokussierten. Diese für die Wissenschaftsvernetzung „typischen“ Portale haben einiges gemein und stellen für den Aufbau des NTA eine wichtige Erfahrungsquelle dar: Alle drei Portale liefern den Nutzern wichtige Informationen zu laufenden Forschungsvorhaben und relevanten Publikationen. Sie informieren ihre Abonnenten über Mailinglisten und spielen eine (zunehmend) wichtige Rolle als Plattform für anerkannte Rezensionen.

Im Einzelnen wurden aber auch Unterschiede sichtbar, die zum Teil der Disziplin, zum Teil den unterschiedlichen Konzeptionen der Fachportale geschuldet sind. Für die Geschichtswissenschaften schilderte Rüdiger Hohls von der Humboldt Universität Berlin seine Erfahrungen mit der Wissenschaftsvernetzung (http://www.clio-online.de; http://www.zeitgeschichte-online.de). Zwar sei die Geschichtswissenschaft nach wie vor eine „Buch-Wissenschaft“, dennoch würden die Online-Angebote zunehmend nachgefragt. So hätte beispielsweise das Informations- und Kommunikationsnetzwerk für Historiker „H-Soz-u-Kult“, das wesentlich auf Mailing-Listen aufbaue, im April 2006 über 13.000 Abonnenten gehabt, davon über 5.000 so genannte „externe Nutzer“, also solche, die nicht Mitarbeiter an geschichtswissenschaftlichen Instituten sind. [3] Durch den kontinuierlichen Aufbau einer Leserschaft und die stetige Betreuung der Inhalte sei H-Soz-u-Kult heute eines der wichtigsten Rezensionsorgane in den Geschichtswissenschaften. Hinzu komme, dass die Mitglieder fachrelevante Informationen aus ihrer laufenden Arbeit selbst über Mailinglisten veröffentlichen und sich in Foren an der wissenschaftlichen Diskussion beteiligen können. Ziel sei, so Hohls, die Potenziale dieser Angebote für die Wissenschaft noch stärker sichtbar zu machen, sowie das ePublishing zu befördern.

Für die Naturwissenschaften wurde über die Portale „MathNet“ und „PhysNet“ referiert. Wolfram Sperber (Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik, Berlin) schilderte seine Erfahrungen aus zehn Jahren „MathNet“ (http://www.math-net.org). Das standardisierte Angebot dieses Portals basiere auf der Erschließung dezentraler Informationsangebote. Dazu legten die einzelnen mathematischen Institute neben ihrer eigentlichen Homepage eine „Secondary Homepage“ an, die auf den standardisierten MathNet-Vorgaben basiere und die einheitliche Darstellung von Inhalten auf den dezentralen Servern im zentralen Portal von MathNet ermögliche. Informationsbeauftragte aus den mathematischen Fachbereichen der Universitäten und Forschungseinrichtungen kämen regelmäßig zu Workshops zusammen und entwickelten das Konzept weiter. Der Erfolg der eigens entwickelten Software und die Größe der Datenbanken bezeugten MathNet eine Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Wissenschaftsvernetzung: Nahezu alle mathematischen Institute in Deutschland würden MathNet angehören, weltweit seien ca. 1.500 Institutionen angeschossen.

Zum Abschluss stellte Thomas Severiens (Institute for Science Networking, Oldenburg) das Online-Portal „PhysNet“ vor (http://physnet.net). PhysNet ermögliche Physikinstituten, sich international zu vernetzen. Der Sinn und letztlich der Erfolg von Fachportalen erschließe sich, wenn die Angebote dezidiert auf die Nachfrage der jeweiligen Community eingingen, das Portal als „Mehrwert-Dienst“ (Informationen über Institute, Personen etc.) genutzt werden könne und Betrieb und Weiterentwicklung des Angebots kontinuierlich aufrecht erhalten würden. Anders als bei MathNet würden die Daten hier zentral gepflegt, d. h. programmierte Automatismen durchsuchen das weltweite Netz und recherchieren die Seiten der Physikinstitute, um z. B. aktuelle Änderungen der Adressen und Zuständigen schnell übernehmen zu können.

4     Ergebnisse des Workshops

Die vorgestellten Projekte, Portale und Initiativen spiegelten die Vielfalt der vertretenen wissenschaftlichen Disziplinen wider. Einig waren sich die Workshop-Teilnehmer darin, dass das Prinzip des „Open Access“, also der freie Zugang „zu einer umfassenden Quelle menschlichen Wissens und des kulturellen Erbes“ Bedingung für eine erfolgreiche internetbasierte Wissenschaftsvernetzung sei. [4] Unterschiedlich bewertet wurden dagegen die Rolle und die Bedeutung von Fachinformationsdiensten in einer Zeit, die von Suchmaschinen wie Google, Google-Scholar oder Google-Print geprägt wird. Wenn mit der „Primitivsuche“ in allgemeinen Suchmaschinen das gleiche Ergebnis erzielt werden könne wie mit aufwändig aufbereiteten Fachportalen, so Wolfram Sperber, dann dränge sich für die Community und die Betreiber der Seiten die Frage nach der Legitimation solcher Fachportale auf.

Severiens erwiderte, dass gerade die Erfahrungen mit den allgemeinen Suchmaschinen deutlich gemacht hätten, dass Fachportale zusätzliche Leistungen bieten müssten. Ziel sei nicht, dass sie möglichst viele Nutzer hätten, sondern dass sie die Nutzer – in erster Linie aus der Community – dabei unterstützten, sich zu vernetzen (um beispielsweise bei der Fördermittelbeantragung Kollegen zu finden, die an ähnlichen Forschungsvorhaben arbeiteten). Deutlich wurde, dass es nicht nur um Beschaffung von Informationen gehen kann, sondern ebenso um Austausch und Kommunikation, wobei Mailing- und Diskussionslisten eine zunehmend wichtige Rolle spielen.

Die Diskussion zeigte auch, dass die Attraktivität von Online-Publikationen nicht unterschätzt werden darf. Insbesondere das gute Standing des „Forums Qualitative Sozialforschung“ beweist, dass solche inhaltlichen Diskussions- und fachlichen Anknüpfungspunkte in desperaten Communities auf fruchtbaren Boden fallen. Die Gründung eines Online-Rezensionsorgans kann dafür ein guter Einstieg sein. Das erfolgreiche ePublishing hängt wiederum wesentlich vom Standardisierungsgrad der Veröffentlichungen ab. Dabei ist wichtig, die Strukturen und Qualitätsstandards der gedruckten Publikationen auf elektronische Publikationen zu übertragen – u. a. um diese für Reputationen und Nachweise valide zu machen. Die Beispiele H-Soz-u-Kult und Clio-Online zeigen, dass Rezensionen in der Geschichtswissenschaft fast nur noch online publiziert werden. Allerdings hängt laut Severiens der Grad der Reputation weniger vom Publikationsmedium, sondern eher vom Fachgebiet ab: In der Physik sei es fast wichtiger, im Preprint-Archiv „arXiv“ zu veröffentlichen ( http://arxiv.org), als in einer wissenschaftlichen Zeitschrift. Die im „arXiv“ eingestellten „papers“ unterlägen einer strengen öffentlichen Debatte und Dokumente, die dort einmal aufgenommen wurden, könnten nicht mehr zurückgezogen werden. So sei es den Veranstaltern gelungen, nicht nur interessante Referate zusammenzutragen, sondern auch interessierte Referenten zu gewinnen, die es in den Diskussionen verstünden, aufeinander einzugehen und ihre jeweiligen spezifischen Erfahrungen aus der Disziplin einzubringen.

Die Foliensätze der Vorträge stehen auf der Homepage des Netzwerkes TA unter http://www.netzwerk-ta.net/IuK/Proceedings260406.htm zum Download zur Verfügung.

Anmerkungen

[1] „(i) Establish a European policy mandating published articles arising from EC-funded research to be available ... in open access archives, and (ii) Explore with Member States and with European research and academic associations whether and how such policies and open repositories could be implemented." In: Dewatripont, M. et al., 2006: Study on the economic and technical evolution of the scientific publication markets in Europe. Final Report – January 2006, commissioned by DG-Research, European Commission, S. 11; abrufbar unter: http://europa.eu.int/comm/research/science-society/pdf/scientific-publication-study_en.pdf

[2] Die Website von DINI findet sich unter http://www.dini.de.

[3] H-Soz-u-Kult steht für „Humanities, Sozial- und Kulturgeschichte (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de).

[4] Siehe dazu die „Berliner Erklärung“ ( http://www.mpg.de/pdf/openaccess/BerlinDeclaration_dt.pdf).