Thema

Automatisiertes Fahren

Fluch oder Segen für nachhaltige Mobilität?

Torsten Fleischer, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlstraße 11, 76133 Karlsruhe (torsten.fleischer@kit.edu)

Jens Schippl, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) (jens.schippl@kit.edu)

Dieses TATuP-Thema präsentiert erste Perspektiven, Indiziensammlungen und Diskussionsbeiträge zum Themenfeld des automatisierten Fahrens, das seit einigen Jahren ein wichtiger Gegenstand der Mobilitätsforschung geworden ist. Auch wenn in der Öffentlichkeit weiterhin verbreitet Skepsis hinsichtlich der technischen und organisatorischen Reife herrscht, dominiert in der Fachwelt die Erwartung, dass hoch- oder vollautomatisierte Fahrzeuge in absehbarer Zeit zugelassen werden. Aber wird sich die Automatisierung des Straßenverkehrs als Fluch oder als Segen für Konzepte nachhaltiger Mobilität erweisen? Die Technikfolgenabschätzung (TA) sieht sich dabei mit einem für die Disziplin nicht untypischen Dilemma konfrontiert: Einerseits lässt sich angesichts der vielen Unwägbarkeiten noch wenig Belastbares über mögliche Technikfolgen sagen. Andererseits hat die Technologie erhebliches Transformationspotenzial, sodass ein „rechtzeitiges“ Gestalten ihrer Entwicklung gesellschaftlich wünschenswert scheint.

Automated Driving.

Blessing or curse for a sustainable mobility?

This special topic of TATuP presents a collection of initial perspectives, first indications and discussions on the topic of automated driving, which has become an important subject of mobility research in recent years. Even though there is still widespread public scepticism about its technical and organizational maturity, many experts expect vehicles with high or full driving automation to be deployed in the foreseeable future. But will road traffic automation be a blessing or a curse for future sustainable mobility concepts? Technology Assessment (TA) is confronted with a dilemma that is not untypical for this discipline: On the one hand, in view of the many uncertainties, possible implications of the new technology can so far only vaguely be described. On the other hand, the technology has considerable transformation potential, so that a timely shaping of its development seems socially desirable.

Keywords: automated driving, self-driving cars, sustainable mobility

This is an article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License CCBY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

TATuP Bd. 27 Nr. 2 (2018), S. 11–15, https://doi.org/10.14512/tatup.27.2.11

Mobilitätsysteme mit den entsprechenden Infrastrukturen gehören zu den entscheidenden Faktoren für die Lebensqualität und wirtschaftliche Entwicklung in modernen Gesellschaften. Technische Entwicklungen und ihre Folgen, aber auch organisationale oder soziale Innovationen oder Planungen waren und sind von entsprechend großem gesellschaftlichem Interesse und somit auch immer Gegenstand von Technikfolgenabschätzung (TA), Foresight und verwandten Aktivitäten. Über viele Jahrzehnte gab es teilweise sehr kontroverse Debatten darüber, wie jeweils zukünftige Mobilität aussehen werde (und aussehen sollte), welche Folgen damit verbunden sein könn(t)en und wie diese Folgen zu bewerten seien. Spätestens seit den 1970er-Jahren wurde in Deutschland und in anderen Ländern das Paradigma der autogerechten Planung ersetzt oder zumindest ergänzt (auch darüber lässt sich sicherlich streiten) durch umweltorientiertere Planungsansätze, die auch andere Verkehrsträger wie Öffentliche Verkehrsmittel (ÖV) und Fahrrad stärker in den Blick nehmen. Seit einigen Jahrzehnten ist das Konzept „nachhaltiger Entwicklung“ aus Verkehrsentwicklungsplänen deutscher Städte nicht mehr wegzudenken – auch wenn es oft sehr unterschiedliche Vorstellungen dazu gibt, wie genau ein nachhaltiges Verkehrssystem aussehen soll und wie ein solches erreicht werden kann.

Ein Element dieser Auseinandersetzungen betrifft die Frage, welche Rolle welche Technik in einem nachhaltigen Verkehrssystem spielen könne, spielen dürfe oder spielen solle. „Saubere“ Antriebstechniken für den motorisierten Verkehr stehen seit langer Zeit im Fokus, auch wenn die aktuelle politische und mediale Favoritin hier immer mal wieder wechselt. Technische und organisatorische Verbesserungen für den nichtmotorisierten Verkehr, vor allem in urbanen Räumen, sind seit einigen Jahren ein weiteres prominentes Diskussionsfeld. Lange Zeit ein Schattendasein hingegen fristeten Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechniken für verkehrliche Anwendungen, auch wenn sie spätestens seit den 1990er-Jahren eine große – und weiter wachsende – Bedeutung im wissenschaftlichen Diskurs erlangten. Unter Stichworten wie Verkehrstelematik oder Intelligent Transport Systems wurden viele Ansätze entwickelt und auch umgesetzt, um Abläufe im Verkehrssystem zu optimieren und auch nachhaltiger zu machen. Verkehrsinformationssysteme verbesserten die Qualität der Planungs- und Informationsmöglichkeiten für die Nutzer der verschiedenen Verkehrsmittel – mit der weiten Verfügbarkeit von mobilen Endgeräten und entsprechenden Dienstangeboten immer mehr auch während der Fahrt.

Die hochkomplexe Aufgabe der Automatisierung von Fahraufgaben in Straßenfahrzeugen scheint vielen Entwicklern inzwischen beherrschbar und auch wirtschaftlich und politisch attraktiv.

Zu den technischen Optionen ist in den letzten Jahren die Automatisierung von Fahraufgaben in Straßenfahrzeugen hinzugetreten, das sogenannte automatisierte oder gar „autonome“ Fahren. In kurzer Zeit hat es sich zu einem Top-Thema in Industrie, Politik, Wissenschaft und Medien entwickelt. Alle großen Automobilhersteller, prominente Unternehmen der IT-Branche, zahlreiche Start-ups sowie viele Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen arbeiten an Techniken und Konzepten dafür. Beinahe im Wochenrhythmus wird von neuen Entwicklungsfortschritten (und inzwischen bedauerlicherweise auch von Unfällen) berichtet. Dabei scheinen diese aktuellen Entwicklungen zunächst vor allem getrieben von neuen technischen Möglichkeiten bei den Informations- und Kommunikationstechniken. Die hochkomplexe Aufgabe der Automatisierung von Fahraufgaben in Straßenfahrzeugen scheint vielen Entwicklern inzwischen beherrschbar und auch wirtschaftlich und politisch attraktiv. Automatisierung und Vernetzung von zukünftigen Verkehrsträgern, so die Erwartungen der Protagonisten, könnten dazu beitragen, mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten, den Zugang zu Mobilität zu erleichtern und – in Kombination mit emissionsarmen oder lokal emissionsfreien Antriebstechniken – die negativen Begleiterscheinungen der Mobilität zu reduzieren (acatech 2015). Erhöhung der Effizienz des Verkehrssystems, höherer Komfort für die Nutzer sowie neue Mobilitätsoptionen für Personengruppen, die aus Alters- oder Gesundheitsgründen von individualisierter motorisierter Mobilität noch oder wieder ausgeschlossen sind, sind weitere typischerweise formulierte Leistungsversprechen. Als längerfristiges Entwicklungsziel wird angestrebt, (Straßen-)Fahrzeuge nicht nur umfassend zu automatisieren, sondern sie so weit zu entwickeln, dass sie tatsächlich zu eigenständigen, ohne unmittelbare menschliche Unterstützung agierenden Teilnehmern im Straßenverkehr werden können. Ob, und wenn ja in welchem Umfang das in welchem Zeitraum realisierbar wird, ist heute durchaus umstritten. Ließe sich dieses allerdings realisieren, könnte Automatisierung völlig neue verkehrstechnische und verkehrsorganisatorische Lösungen ermöglichen und dadurch sogar zu einer Transformation des gesamten heutigen Mobilitätssystems führen (Schippl et al. 2018).

Mobilität von Personen (aber auch von Gütern und Informationen, die im Rahmen dieses Textes leider nicht weiter betrachtet werden können) spielt eine zentrale Rolle für das soziale Miteinander in modernen Gesellschaften. Eine Transformation des Mobilitätssystems hätte demnach tiefgreifenden Einfluss auf unseren gesellschaftlichen Alltag – technischer Wandel, der dies befördern könnte, sollte mithin Gegenstand öffentlicher und politischer Diskussion sein. Eine solche Debatte findet allerdings bisher erst in Ansätzen statt und wird momentan auch eher als Ermöglichungsdiskurs denn als Reflexionsdiskurs geführt.

Ein Grund dafür soll im Folgenden kurz angerissen werden: Hinter den Überschriften „Automatisiertes Fahren“ oder „Autonomes Fahren“ verbergen sich sehr unterschiedliche technische Realisierungen von Fahrzeugautomatisierungen mit unterschiedlichem technischen Reifegrad, unterschiedlicher Leistungsfähigkeit, unterschiedlicher Aufgabenverteilung zwischen Mensch und Maschine (mit unterschiedlichen Konsequenzen für Verantwortlichkeit, Haftung und ethische Fragestellungen) sowie unterschiedlichem Potenzial für die Umsetzung neuer Systemkonzepte. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt 2012) sowie die Society of Automotive Engineers (SAE 2016) haben jeweils Nomenklaturen für die Beschreibung unterschiedlicher Ausprägungen von Fahrzeugautomatisierung entwickelt, die diese anhand von Stufen (bzw. Level) beschreiben. Für diese ist zunächst festzuhalten, dass sie nicht alle Formen heutiger und zukünftiger Fahrzeugautomatisierung beschreiben. Sie blenden beispielsweise in unfallgeneigten Situationen temporär intervenierende Funktionen wie automatische Blockierverhinderer (ABS) oder Elektronische Stabilitätskontrolle (ESC/ESP) aus und decken lediglich kontinuierlich automatisierende Funktionen in der Fahrzeugsteuerung ab. Bei diesen wiederum lassen sich – vereinfacht – vier Gruppen unterscheiden:

  1. Automatisierungen, die die ständige Mitwirkung des Fahrers in der Fahrzeugsteuerung und/oder ihrer Überwachung erfordern (Stufe/Level 0–2),
  2. Automatisierungen, bei denen der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen muss, aber zugleich in der Lage zu sein hat, die Fahraufgabe (beispielsweise nach Aufforderung durch das System oder eigenem Ermessen) zu übernehmen (Stufe/Level 3 „hochautomatisiert“/„conditional driving automation“),
  3. Automatisierungen, die die Fahraufgabe auf bestimmten Straßentypen, in bestimmten Geschwindigkeitsbereichen und/oder unter bestimmten Umfeldbedingungen ohne Mitwirkung eines menschlichen Fahrers bewältigen können (Stufe/Level 4 „vollautomatisiert“/„high driving automation“), sowie
  4. Automatisierungen, die die Fahraufgabe vollumfänglich unter allen Bedingungen (vermutlich präziser: unter solchen, die auch für einen menschlichen Fahrer lösbar sind) bewältigen können (Stufe/Level 5 „fahrerlos“/„full driving automation“).

Level-2-Systeme sind heute marktgängig und in Fahrzeugen zahlreicher Hersteller zu finden, auch das als „Autopilot“ beworbene System eines amerikanischen Unternehmens ist hierzu zu zählen. Die Novelle des Straßenverkehrsgesetzes im vergangenen Jahr ermöglicht, dass Level-3-Systeme in Deutschland verkauft werden können. Fahrzeuge, die unter sehr kontrollierten Randbedingungen eine Fahraufgabe vollautomatisiert bewältigen können, befinden sich in der Demonstration. Level-5-Fahrzeuge sind aus heutiger Sicht noch Zukunftsmusik. Level-3-Automatisierungen erfordern immer noch einen fahrtauglichen Fahrer an Bord, eignen sich also nicht für die Umsetzung von Konzepten, die neue Mobilitätsoptionen für von individualisierter motorisierter Mobilität ausgeschlossene Personengruppen eröffnen. Level-4-Konzepte unterliegen in der Regel räumlichen und/oder zeitlichen Einschränkungen, die ihre verkehrliche Flexibilität begrenzen und beim Verlassen ihres vordefinierten Aktionsraums menschlicher Mitwirkung bedürfen. Vollwertige Vehicle-on-demand-Systeme, die den klassischen Pkw zu substituieren in der Lage sein werden oder zentraler Baustein neuer Angebote im Personenverkehr sein könnten, werden wohl eine Level-5-Automatisierung (oder alternativ eine in einem ganz weiten Rahmen voll funktionale Level-4-Automatisierung) voraussetzen. Bedauerlicherweise verzichtet die mediale und öffentliche Debatte in der Regel auf diese Differenzierungen, was einerseits überzogene Erwartungen befördert, andererseits auch Sorgen hinsichtlich der Folgen der verbreiteten Einführung von automatisierten Fahrzeugen Vorschub leistet.

Es wird sicherlich noch einige Zeit strittig bleiben, ob die letztgenannte Entwicklungsstufe des automatisierten Fahrens, die breite Einsetzbarkeit fahrerloser Fahrzeuge im Individual- wie im öffentlichen Personenverkehr, bereits in wenigen Jahren Realität sein wird oder ob man bis dahin eher noch in Jahrzehnten rechnen muss. Es steht jedoch zu erwarten, dass diese Entwicklung – sollte sie in absehbarer Zeit möglich werden – mit erheblichen Konsequenzen für Verkehrssystem, Mobilitätsmuster, Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt einhergehen würde. Angesichts der langen Planungshorizonte und Reaktionszeiten von Verkehrspolitik scheint es darum leichtfertig, sich bei der Entwicklung verkehrspolitischer Strategien nicht mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Bisher findet man dies nur selten – in dem auf klare Ziele ausgerichteten White Paper der Europäischen Union von 2011 (CEC 2011) ebenso wenig wie in den aktuellen Verkehrsentwicklungsplänen fast aller deutschen Städte.

Dies ist angesichts vieler offener Fragestellungen in diesem Kontext vielleicht auch nicht verwunderlich – etwa jener, in welchem Umfang Fahrzeugautomatisierung faktisches Mobilitätsverhalten verändert, ob sie Arbeitsplätze im Speditions- und Logistikbereich gefährdet, ob wir Menschen in Zukunft im verkehrlichen Alltag mit Fahrrobotern werden kommunizieren lernen müssen oder ob das Führen von Kraftfahrzeugen durch Menschen in Zukunft aus Sicherheitsgründen verboten sein wird. Dennoch scheint es im Sinne einer anticipatory governance angeraten, sich frühzeitig mit diesen möglichen Folgen auseinanderzusetzen, unter anderem um gesellschaftliche Positionsbestimmung zu ermöglichen und politische Gestaltungsprozesse zu informieren.

Gleiches gilt natürlich auch für die Frage nach den – wissenschaftlich belegbaren – Effekten von automatisiertem Fahren für ein nachhaltiges Verkehrssystem. Nicht zuletzt angesichts der vielen Unsicherheiten auf der technischen und organisatorischen Seite steht die Diskussion hierzu noch sehr am Anfang. Im Lichte der vorstehenden Argumentation wird in diesem TATuP-Thema dennoch der Versuch unternommen, erste diesbezügliche Perspektiven, Indiziensammlungen und Diskussionsbeiträge zusammenzutragen und zu präsentieren.

Beiträge in diesem Heft

Karsten Weber und Sonja Haug fügen dem inzwischen durchaus umfangreichen Fundus an empirischen Untersuchen hinsichtlich der Wahrnehmung automatisierten Fahrens sowie des Umgangs damit durch die prospektiven Nutzerinnen und Nutzer eine weitere Perspektive hinzu. Sie berichten über eine explorative Pilotstudie, in deren Rahmen das Fahrverhalten unterschiedlicher Personengruppen vergleichend untersucht und auf dieser Grundlage Typisierungen ihrer Fahrstile vorgenommen wurden. Die Ergebnisse weisen unter anderem darauf hin, dass sich die Probandinnen und Probanden in Bezug auf Sicherheit und Effizienz ihrer Fahrweise selbst höher als die Beobachter einschätzen. Dies galt für alle Fahrtypen, in besonderem Maße aber für den Fahrtypus der Sportlichen, die sich in Bezug auf Sicherheit am meisten überschätzen. Selbstüberschätzung im Hinblick auf eine sichere und ressourcensparende Fahrweise scheint somit relativ weit verbreitet zu sein. Ließe sich diese Beobachtung empirisch weiter härten, wiese sie auf ein Spannungsfeld in der Parametrisierung zukünftiger Fahrzeugautomatisierungen hin. Legt man deren Fahrverhalten so aus, dass ein besonderes Augenmerk auf Ressourcensparsamkeit und Sicherheit gelegt würde, widersprächen sie (zumindest anfangs) den Verhaltenserwartungen vieler Nutzerinnen und Nutzer. Passt man sie hingegen an die Erwartungen der Nutzerinnen und Nutzer an, blieben potenzielle Sicherheits- und Effizienzgewinne (und damit Nachhaltigkeitspotenziale) ungenutzt.

Nachhaltigkeitsbeziehbare Effekte entstehen mit von Menschen gesteuerten Fahrzeugen unter anderem durch Unfälle, Staus und das Parken in Ballungsräumen. Michael Roos und Marvin Siegmann gehen in ihrer Studie der Frage nach, in welchem Umfang diese durch den Einsatz von selbstfahrenden Autos vermieden werden könnten und welche gesamtwirtschaftlichen Kosteneinsparungen für Deutschland daraus erwachsen würden. Im Zuge ihrer Abschätzungen – die beim gegenwärtigen Stand des Wissens noch darüber hinwegsehen müssen, dass sich im Zuge der Markteinführung selbstfahrender Fahrzeuge Preise, Kosten und Nutzungsverhalten ändern werden und diese Größen hier nur einfach substitutiv betrachten – ermitteln sie, dass bei einem Marktanteil von 50% selbstfahrender Fahrzeuge jährlich knapp 900.000 Unfälle vermieden, mehr als 1.000 Leben gerettet und somit fast 25 Mrd. Euro eingespart werden könnten. Die Vermeidung von Unfällen trägt etwa zur Hälfte zu dieser finanziellen Gesamtersparnis bei, während der Anteil aus der Verminderung des Stauaufkommens nur etwas mehr als 10% beträgt. Die Autoren weisen darauf hin, dass etwa Reboundeffekte durch eine erhöhte Nutzung von Fahrzeugen oder Beschäftigungs- und Einkommenseffekten in der Automobilwirtschaft oder der Verkehrsdienstleistungsbranche hier nicht berücksichtigt wurden – dies müsse zukünftigen, umfangreich erweiterten Betrachtungen vorbehalten bleiben.

Eines der vorne erwähnten Defizite in der öffentlichen Debatte – die bisher zögerliche Auseinandersetzung insbesondere städtischer und regionaler (verkehrspolitischer) Akteure mit den möglichen Folgen der breiten Einführung automatisierten Fahrens in ihrem Verantwortungsbereich – greift ein Beitrag aus der Schweiz auf. Fabienne Perret, Remo Fischer und Holger Frantz haben im Rahmen einer interdisziplinären Studie in Zusammenarbeit mit zahlreichen schweizerischen Akteuren (u. a. Städte, Kantone, Transportunternehmen) die relevanten Aspekte des automatisierten Fahrens diskutiert und mögliche Auswirkungen abgeschätzt. Der gemeinsam festgelegte Fokus lag dabei auf planerischen Aspekten des Personenverkehrs auf Schiene und Straße. Sie führen aus, dass die beteiligten Städte und Regionen einen Teil der die öffentliche Diskussion prägenden Chancenerwartungen teilen: Pooling- und Sharing-Fahrzeuge führten zu Effizienz- und Flächengewinnen beim Parkraum, bei einer Reduktion von Folgezeitlücken wären Kapazitätsgewinne und eine erhöhte Stabilität des Verkehrsflusses auf der Straße möglich. Durch das Vermeiden menschlicher Fehler könnte die Verkehrssicherheit erhöht werden, die technische Ausstattung der Fahrzeuge würde eine verbesserte Verkehrssteuerung ermöglichen. Mobility-as-a-Service-Angebote könnten die individuelle Mobilität erleichtern. Neue Angebote im ÖPNV und Sharing-Fahrzeuge verbesserten die Erschließungsqualität und ermöglichten Mobilität für bisher mobilitätseingeschränkte Nutzergruppen. Verbunden damit sind allerdings auch neue (bisher allerdings nur qualitativ beschreibbare) Herausforderungen. Im Zentrum stehen dabei die potenzielle Zunahme der verkehrlichen Nachfrage und die damit verbundene Erhöhung der Fahrleistung. Dabei überlagern sich mehrere Effekte: Mit einer (Voll-)Automatisierung wären Leerfahrten möglich (und je nach Servicekonzept wohl auch nötig), es entstehen neue Transportangebote, ohne die Notwendigkeit eines Fahrers mit klassischem Führerschein wird der Nutzerkreis des Individualverkehrs beträchtlich erweitert. Kapazitätserhöhungen infolge der Automatisierung könnten zusätzlichen Mehrverkehr mit sich bringen und zudem die Erreichbarkeiten so verändern, dass insbesondere ländliche Gemeinden und Agglomerationen profitieren, während Städte an Attraktivität einbüßen. Aufbauend auf diesen Befunden diskutieren die Autoren mögliche Maßnahmen bzw. Maßnahmenpakete, mittels derer Städte und Gemeinden lenkend eingreifen und mögliche Fehlentwicklungen korrigieren könnten.

Diskussionen zu den wissenschaftlich belegbaren Effekten des automatisierten Fahrens für ein nachhaltiges Mobilitätssystem stehen angesichts vieler Unsicherheiten erst am Anfang.

Mit der heutigen Wahrnehmung des automatisierten Fahrens in der allgemeinen Öffentlichkeit und draus möglicherweise abzuleitenden Indizien für zukünftige Nachhaltigkeitseffekte setzt sich der Beitrag von Jürgen Hampel, Cordula Kropp und Michael Zwick auseinander. Im Rahmen der turnusmäßigen Repräsentativbefragung „TechnikRadar“ haben sie einen thematischen Schwerpunkt auf das – in ihren Worten – „voll autonome Fahren“ gelegt und rund 2.000 deutschsprachige Einwohner hinsichtlich ihrer Haltungen dazu interviewt. Ihre Ergebnisse vertiefen und bestätigen im Großen und Ganzen die Grundbeobachtungen älterer – teilweise mit anderen Stichprobendesigns und Formulierungen durchgeführter – Befragungen: Unter den Bürgerinnen und Bürgern herrschen erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit und Sicherheit der Technik selbstfahrender Fahrzeuge, deutlich mehr als die Hälfte steht selbstfahrenden Fahrzeugen skeptisch gegenüber. Sorgen hinsichtlich Datensammlungen durch automatisierte Fahrzeuge (insbesondere, wenn diese keinen Bezug zum unmittelbaren Verkehrsmanagement haben), der Abgabe der Fahrverantwortung an automatisierte Systeme sowie Angst vor Hackerangriffen sind unter den wiederkehrenden Begründungen dafür. Aufbauend auf diesen Befunden diskutieren die Autorin und die Autoren einige Hypothesen zu möglichen Nachhaltigkeitseffekten im Rahmen des Drei-Dimensionen-Konzeptes.

Einer auf den ersten Blick in diesem Rahmen etwas ungewöhnlichen Technik widmen sich Michael Nentwich und Delila M. Horvath: einem drohnenbasierten Lieferverkehr. Absichtserklärungen von Unternehmen, einen solchen demnächst in größerem Umfang einführen zu wollen, finden sich seit einigen Jahren immer wieder in der öffentlichen Debatte. Die Autoren nähern sich diesen Ideen mit einer TA-Perspektive, skizzieren einen vorläufigen Analyserahmen und diskutieren erste Problemfelder für eine Gestaltung und Governance dieser Technik. Dabei sind einige Fragen durchaus denen ähnlich, die wir in einem Artikel in dieser Zeitschrift (Meyer-Soylu et al. 2014) hinsichtlich der Umsetzbarkeit eines individuellen Personenluftverkehrs in Städten aufgeworfen haben, andere sind eher güterverkehrsspezifisch. Insofern könnte es angeraten sein, Interdependenzen zwischen Lieferdrohnen und zukünftigen Personal Aerial Vehicles sowohl hinsichtlich der Möglichkeitsbedingungen als auch der Folgen zum Gegenstand einer zukünftigen TA-Studie zu machen und sich darüber hinaus auch der Frage zu widmen, ob und in welchem Umfang Automatisierung im Güterverteilverkehr in der Lage ist, individuellen Personenverkehr zu substituieren.

Einen Gastaufenthalt des Mobilitätsforschers Moshe Givoni von der Universität Tel-Aviv nutzten die Herausgeber für eine Diskussion zu den Entwicklungsperspektiven und möglichen Auswirkungen des automatisierten Fahrens. Das Gespräch wird in diesem Heft in der Rubrik Interview veröffentlicht. Auch wenn Givoni nicht ausschließt, dass automatisiertes Fahren zu nachhaltiger Mobilität beitragen könnte, befürchtet er, dass die Technologie autozentrierte Mobilitätmuster stärken und damit vorhandene Probleme eher intensivieren könnte. Viele positive Entwicklungen, wie der Trend zu mehr Fahrradverkehr in vielen Städten, könnten abgebremst werden. Die Thema-Herausgeber teilen Givonis These, dass nachhaltige Mobilität auch ohne automatisierte Autos vorstellbar sei und automatisiertes Fahren keineswegs automatisch zu mehr Nachhaltigkeit führen müsse. Torsten Fleischer hebt hervor, dass automatisiertes Fahren von recht unterschiedlichen Akteursgruppen vorangetrieben werde, dazu gehörten die Autoindustrie, aber als zweite Gruppe auch Plattformbetreiber – etwa Waymo (eine Tochter von Googles Muttergesellschaft Alphabet Inc.), Uber oder Baidu – sowie öffentliche Einrichtungen und Verkehrsunternehmen als dritte Gruppe. Entsprechend unterschiedlich seien die Vorstellungen über die zukünftige Rolle und Wirkungen von automatisiertem Fahren im Verkehrssystem. Jens Schippl weist darauf hin, dass die Autoindustrie selbst zwei unterschiedliche Visionen kommuniziert: die vom Wohlfühlort „eigenes Auto“, das zum Third Place neben Arbeitsort und Wohnort werde, sowie die von selbstfahrenden Taxis (Robo-Taxis), welche die Nutzung privater Pkws zurückdrängen würde. Klare Einigkeit bestand wiederum darin, dass sich angesichts der großen Veränderungspotenziale des automatisierten Fahrens die Entscheidungsträger noch deutlich mehr mit möglichen Entwicklungslinien und Folgen sowie vor allem mit politische Optionen, diese zu beeinflussen, auseinandersetzen sollten.

Literatur

acatech (Hg.) (2015): Neue autoMobilität. Automatisierter Straßenverkehr der Zukunft (acatech POSITION). München: Herbert Utz Verlag. Online verfügbar unter https://www.acatech.de/fileadmin/user_upload/Baumstruktur_nach_Website/Acatech/root/de/Publikationen/Stellungnahmen/NaM_acatech_POSITION_Neue_autoMobilitaet_Web.pdf, zuletzt geprüft am 11. 06. 2018.

BASt (Hg.) (2012): Rechtsfolgen zunehmender Fahrzeugautomatisierung. Gemeinsamer Schlussbericht der Projektgruppe. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Fahrzeugtechnik Heft F 83. Bremerhaven: Verlag für neue Wissenschaft. Online verfügbar unter http://bast.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2012/587/pdf/F83.pdf, zuletzt geprüft am 11. 06. 2018.

CEC – Commission of the European Communities (2011): White paper. A roadmap to a single European transport area. Towards a competitive and resource efficient transport system. Luxembourg: Publications Office of the European Union. DOI: 10.2832/30955.

Meyer-Soylu, Sarah; Decker, Michael; Fleischer, Torsten; Schippl, Jens (2014): Zur Arbeit fliegen? Eine Technikfolgenabschätzung der Idee des individuellen Luftverkehrs für die Stadt. In: TATuP – Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 23 (1), S. 13–21.

SAE International (2016): Taxonomy and definitions for terms related to driving automation systems for On-Road motor vehicles. Warrendale, PA: SAE International.

Schippl, Jens; Fleischer, Torsten; Truffer, Bernhard (2018): Exploring potential impacts of societal dynamics on the development of autonomous cars. Proceedings of the 7th Transport Research Arena TRA 2018, April 16–19, 2018, Vienna, Austria. Im Erscheinen.

Autoren

Torsten Fleischer

hat sich nach einem Physikstudium für die Forschung und Politikberatung zu Prozessen technischen Wandels und deren Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Veränderungen entschieden. Er ist heute Leiter des Forschungsbereichs „Innovationsprozesse und Technikfolgen“ am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT. Im Rahmen mehrerer dort angesiedelter Forschungsprojekte beschäftigt er sich aktuell auch mit den Möglichkeitsbedingungen und Folgen automatisierten Fahrens.

Jens Schippl

hat Geographie, Biologie und Soziologie studiert. Seit über 15 Jahren arbeitet er im Feld der Technikfolgenabschätzung, seit 2006 am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Themen soziotechnischer Wandel, Foresight und Technikfolgenabschätzung in den Bereichen Mobilität und Energie. Mögliche Entwicklungspfade und Wirkungen einer fortschreitenden Digitalisierung im Mobilitätssystem stehen dabei im Mittelpunkt.