Thema

Ethische und rechtliche Bewertung von Maßnahmen der polizeilichen Drohnenabwehr

Grundrechtsschutz im staatlichen Sicherheitshandeln

Jessica Heesen, Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen, Wilhelmstraße 19, 72074 Tübingen (jessica.heesen@uni-tuebingen.de)

Susanne Schuster, Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS), Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (susanne.schuster@hwr-berlin.de)

Clemens Arzt, Forschungsinstitut für öffentliche und private Sicherheit (FÖPS), Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (clemens.arzt@hwr-berlin.de)

Die zunehmende Nutzung von unbemannten Flugsystemen (Unmanned Aerial Vehicles [UAV] – nachfolgend: Drohnen) birgt neue Gefährdungspotenziale für die zivile Sicherheit. Eine Drohne kann von einem Hobbypiloten genutzt werden, um Luftaufnahmen zu machen, sie kann aber auch gefährliche Spreng- oder Giftstoffe transportieren. Nicht zuletzt können Drohnen eine Gefahr darstellen, indem sie (unbeabsichtigt) abstürzen oder (gezielt) zum Absturz gebracht werden. Als Antwort auf diese Bedrohungslagen reagieren öffentliche und private Einrichtungen mit der Entwicklung von Drohnenabwehrsystemen für den zivilen Bereich. Der Beitrag soll die Folgen des Einsatzes von Drohnenabwehrsystemen durch die Polizei aus ethischer und rechtlicher Perspektive bewerten. Im Vordergrund stehen dabei die Überwachungspotenziale des Systems und die Abwägung von Risiken der Drohnenabwehr in Hinsicht auf den verfassungsrechtlichen Grundrechtsschutz.

Ethical and legal evaluation of drone defense projects in police work

The protection of fundamental rights in public security measures

The increasing use of unmanned aerial vehicles (UAVs/drones) encompasses new potential risks for civil security. While drones can be deployed by amateur pilots for aerial photography, they may also transport dangerous explosives or toxic material. The drone may pose a threat through crashing – either by accident or on purpose. Facing these security threats, public and private institutions react by promoting research and development of drone defense systems for the civil sector. This article aims to evaluate ethical and legal consequences of the application of drone defense systems by the German police. It focuses on the surveillance potential of such systems and the assessment of risks in relation to the protection of fundamental rights and civil liberties.

Keywords: drone defence, police, civil rights, ethics, technology assessment

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TATuP Bd. 27 Nr. 3 (2018), S. 32–37, https://doi.org/10.14512/tatup.27.3.32

Submitted: 24. 07. 2018. Peer reviewed. Accepted: 08. 10. 2018

Einleitung

Die zunehmende Nutzung von unbemannten Flugsystemen (Drohnen) birgt neue Gefährdungspotenziale für die zivile Sicherheit. Eine Drohne kann von einem Hobbypiloten genutzt werden, um Luftaufnahmen zu machen. Sie kann aber auch gefährliche Spreng- oder Giftstoffe transportieren. Nicht zuletzt kann eine Drohne eine Gefahr darstellen, indem sie (unbeabsichtigt) abstürzt oder (gezielt) zum Absturz gebracht wird.[1] Als Antwort auf diese Bedrohungslagen reagieren öffentliche und private Einrichtungen in Deutschland mit der Entwicklung von Drohnenabwehrsystemen für den zivilen Bereich. Viele dieser Systeme ähneln einander und werfen vergleichbare ethische und rechtliche Fragestellungen auf. Der Beitrag geht auf das Forschungsprojekt „Abwehr von unbemannten Flugobjekten für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (AMBOS)[2] zurück, das im Frühjahr 2019 abgeschlossen wird und berücksichtigt die Rechtslage in Deutschland.

AMBOS nutzt differenzierte Detektionstechnologien (Funk-, Akustik-, Elektro-Optik- und Radarsensoren), um anfliegende Drohnen innerhalb weniger Sekunden zu erkennen. Die gewonnenen Informationen werden in einer computerisierten Lagedarstellung zusammengeführt und bildhaft dargestellt. Die eingesetzten Polizeikräfte entscheiden sodann unter Nutzung von Handlungsempfehlungen eines IT-Systems über den Einsatz geeigneter Abwehrmittel, beispielsweise Störsender (jamming), High Power Electromagnetic Waves (HPEM-Wellen) oder ein mittels Netzwerfer verschossenes Fangnetz zum Abfangen der Drohne. Die technischen Einzelheiten können hier mit Blick auf den Umfang nicht dargestellt werden und unterliegen zudem einer schnellen Entwicklung. Der vorliegende Beitrag trifft daher eine generische Einschätzung, die nicht allein auf die in AMBOS entwickelten Systeme übertragbar ist. Einsatzszenarien für die Drohnenabwehr können z. B. der Schutz von Menschenmengen, Versammlungen oder staatlichen Repräsentant_innen und Einrichtungen oder sogenannter kritischer Infrastrukturen sein.

Der Beitrag bewertet die Folgen des Einsatzes von Drohnenabwehrsystemen durch die Polizei aus ethischer und rechtlicher Perspektive gleichermaßen. Sicherheitskonzepte sind Bestandteil einer komplexen Wertearchitektur, so dass neben Fragen der Effektivität und Angemessenheit der Drohnenabwehr auch Fragen ihrer direkten und indirekten Nebenfolgen Berücksichtigung finden müssen. Im Vordergrund stehen die Überwachungspotenziale der eingesetzten Systeme, Fragen der Kommunikationsfreiheit und die Abwägung von Risiken für Gesundheit und Leben in komplexen polizeilichen Einsatzlagen. Rechtlich unzulässig mit Blick auf die weitgehenden Grundrechtseingriffe wäre eine automatisierte Entscheidung über den Einsatz von Abwehrmitteln.

Überwachung und informationelle Selbstbestimmung

Zur Abwehr möglicher Gefährdungen durch unbefugt fliegende Drohnen (beispielsweise im Umfeld staatlicher Repräsentant_innen oder Einrichtungen oder kritischer Infrastrukturen) überwachen Drohnenabwehrsysteme einen definierten Bereich (beispielsweise eine Flugverbots- oder -beschränkungszone nach §17 der Luftverkehrsverordnung) mittels unterschiedlicher Detektionssensoren, die hierzu im Umfeld des zu schützenden polizeilichen Bereichs angebracht werden. Der Aufbau der verwendeten Antennen und Mikrofone sowie Fahrzeuge, in oder auf denen die Sensoren oder auch die Lagedarstellung verbaut sind, ebenso wie die Präsenz der Abwehrmittel wie Störsender, HPEM-Wellen oder Netzwerfer, können dabei durchaus plausibel den Eindruck staatlicher Überwachung vermitteln. In verschiedenen Disziplinen, insbesondere Surveillance Studies, Recht und Kriminologie, werden die Auswirkungen von Überwachung auf menschliches Verhalten diskutiert (Staben 2016; Arzt und Ullrich 2016). Auswirkungen einer angenommenen oder realen Überwachung auf politische Aktivitäten oder den Meinungsbildungsprozess werden als chilling effect, Prozesse der Selbstzensur oder Formen der Disziplinierung, beschrieben. Diese Effekte auf Meinungs- und Informationsfreiheit sowie gesellschaftliche Selbstorganisation gilt es mithilfe des Grundrechtsschutzes zu verhindern.

Im sogenannten Volkszählungsurteil stellte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1983 fest, dass es für ein demokratisches Gemeinwesen von elementarer Bedeutung sei, dass Bürger_innen engagiert ihre Rechte wahrnehmen. Wer sich überwacht fühlt, werde möglicherweise davon abgehalten, seine Rechte wahrzunehmen und sich in der Öffentlichkeit darzustellen; eingeschüchterte Menschen sehen vielleicht davon ab, sich zu versammeln, ihre Meinung kundzutun oder ihre Religion auszuüben (BVerfGE 125, 260, 332).

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 i. V. m. Artikel 1 Abs. 1 GG) bezieht sich dabei nicht allein auf die Erhebung, sondern auf den gesamten Umgang mit personenbezogenen Daten und schützt vor der unbegrenzten Erhebung, Speicherung, Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten (BVerfGE 65, 1, 43; 84, 192 ff.; §46 Nr. 2 BDSG). Schutzgegenstand sind solche Daten, die einen Bezug zu einem Menschen herstellen lassen; der Personenbezug hängt dabei maßgeblich von der Systemarchitektur der technischen Einsatzmittel ab, die zum Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung von Anfang an nach den Prinzipien des sogenannten privacy-by-design so ausgestaltet sein sollte, dass ein solcher – soweit nicht unabdingbar notwendig – nicht herstellbar ist (Simitis 2014, §3 Rn. 14).

Diese grundrechtlichen Vorgaben bilden den Rahmen für die Zulässigkeit der untersuchten Drohnenabwehrmaßnahmen. Der Akustiksensor nimmt Audio-Rohdaten auf; Elektro-Optik- sowie gegebenenfalls Radarsensoren können visuell auswertbare Rohdaten unter Umständen nicht nur der Drohne aufnehmen, sondern auch der Umgebung und bilden diese ggf. in einem Live-Stream in der Lagedarstellung ab. Damit werden akustische und optische Aufnahmen im Einzugsbereich der Detektionssensoren angefertigt, aus denen Bezüge zu Menschen hergestellt werden können, die durch die technische Möglichkeit der Zusammenführung der Daten in der Sensordatenfusion identifizierbar werden können.

Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt jede staatliche Bild- und Tonaufnahme, auf der Personen identifizierbar sind, eine Erhebung personenbezogener Daten und damit einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dar, nicht erst die Speicherung, da sich angesichts des heutigen Standes der digitalen Technik bereits aus Übersichtsaufnahmen einzelne Personen identifizieren lassen (VG Hannover, ZD 2011, LS 1; Koranyi und Singelnstein 2011, S. 124). Solche Grundrechtseingriffe können nur auf Grundlage hinreichend bestimmter, bereichsspezifischer, präziser und normenklarer gesetzlicher Eingriffsbefugnisse der Polizei gerechtfertigt sein, in denen festzulegen ist, unter welchen Voraussetzungen welche Daten an welchem Ort, zu welcher Zeit und innerhalb welches Zeitrahmens erhoben, gespeichert, verarbeitet oder abgeglichen werden dürfen. Die Datenerhebung muss dabei grundsätzlich für die am betroffenen Ort anwesenden Personen erkennbar (offen) erfolgen, beispielsweise durch Hinweisschilder oder Ansagen. Sofern nicht-erkennbare oder heimliche Maßnahmen ausnahmsweise notwendig und durch Rechtsnorm zugelassen sind, bedarf es gesetzlicher Vorgaben, die die Anforderungen des Datenschutzes beachten sowie die Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung eröffnen. Zudem sind Löschungsfristen zu beachten, sofern nicht ausnahmsweise eine Verwendung der Daten beispielsweise zur Strafverfolgung zulässig ist.

Einschränkung der Kommunikations- und Versammlungsfreiheit

Durch den Einsatz von Abwehrmitteln, wie Störsender oder HPEM-Wellen, kann es zu Ausfällen von Telekommunikation und WLAN kommen. Da die Nutzung von Kommunikationsmitteln von konstituierender Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung eines Menschen ist, unterfällt diese dem Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit im Sinne des Artikel 2 Abs. 1 GG (BVerfG, Beschl. v. 22. 8. 2006, 2 BvR 1345/03, Rn. 80). Das Internet stellt den Nutzer_innen zahlreiche Kommunikationsdienste für die soziale Interaktion, Informationsbeschaffung sowie Aufzeichnung und Bereitstellung eigener Medieninhalte zur Verfügung, die auch einen hohen Bezug zur öffentlichen Meinungskundgabe im Rahmen von Versammlungen aufweisen können. Die Meinungsfreiheit im Sinne des Artikel 5 Abs. 1, S. 1 GG schützt über den Wortlaut der Verfassung hinaus auch Mobilfunkgeräte und Internet als Mittel der Äußerung und Verbreitung von Meinungen. Die Informationsfreiheit im Sinne des Artikel 5 Abs. 1, S. 1 GG gewährleistet außerdem, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen informieren zu können.

Durch allgemein verfügbare Technologien wie Mobiltelefone vollzieht sich seit einigen Jahren zudem gleichsam eine Demokratisierung der Möglichkeiten zur Umkehr von Maßnahmen der Überwachung, Dokumentation und Kontrolle. Neben Journalist_innen kann nun jede_r mögliche Normverletzungen und auch Machtmissbrauch staatlicher Stellen aufzeichnen und öffentlich machen. Diese als Sousveillance titulierte Form der (Gegen-)Überwachung vollzieht sich häufig über Smartphone-Kameras, die nicht nur zum Zwecke der Überwachung von Polizeiaktivitäten eingesetzt werden; mehr und mehr entstehen „zufällige“ Sousveillance-Situationen bei öffentlichen Veranstaltungen wie etwa im Wahlkampf, beim Auftreten sozialer Spannungen oder unvorhergesehener Ereignisse. Jeder Eingriff in diese Möglichkeiten ist daher gesellschaftlich wie rechtlich zu hinterfragen.

Durch den Einsatz von Störsendern wird Kommunikation behindert und in die Grundrechte mittelbar eingegriffen.

Soweit durch den Einsatz von Abwehrmitteln wie Störsender oder HPEM-Wellen – auch nur für Sekunden – die Herstellung von Telekommunikationsverbindungen über Mobiltelefone, mobiles Internet oder WLAN unmöglich ist, wird dadurch Kommunikation be- oder gar verhindert und hierdurch in die genannten Grundrechte zumindest mittelbar eingegriffen. Daher muss sichergestellt sein, dass Abwehrmittel nur dann zum Einsatz kommen, wenn tatsächlich eine Bedrohungssituation vorliegt und diese nicht als ggf. vorgeschobener Grund für die Unterbindung von Sousveillance oder der Selbstorganisation von Demonstrationsteilnehmer_innen angeführt wird. Eingriffe können daher nur auf Grundlage einer spezifischen, präzisen und normenklaren Eingriffsbefugnis gerechtfertigt sein, wobei eine Unterbrechung oder Störung von Kommunikationsverbindungen zur Abwehr konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit von Personen gegenüber unbeteiligten Dritten zulässig sein kann, wenn die Gefahrenabwehr anderenfalls nicht möglich ist (LVerfG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 11. 11. 2014, LVG 9/13, LS 3; Knape und Schönrock 2016, §29b Rn. 6). Die verursachten Störungen der betroffenen Informationstechnik müssen möglichst geringgehalten werden und dürfen nicht über das Maß an Empfangs- und Sendestörungen hinausgehen, die im Mobilfunkbetrieb alltäglich auftreten (BVerfG, Beschl. v. 22. 8. 2006, 2 BvR 1345/03, Rn. 82 ff.).

Durch die eingesetzten Detektionssensoren kann auch die Versammlungsfreiheit (Artikel 8 GG) betroffen sein, die alle Handlungen schützt, die erforderlich sind, um eine Versammlung durchzuführen und an ihr teilzunehmen. Geschützte Verhaltensweisen sind dabei eine Vielzahl versammlungsspezifischer Tätigkeiten, wie die Organisation und Vorbereitung der Versammlung, die Wahl von Ort, Zeit, Ablauf und Gestaltung (Mangoldt und Klein 2018, Artikel 8 Rn. 29 f.), beispielsweise auch die Bekanntmachung des jeweils aktuellen Standortes der Versammlung. Hierzu gehören auch die Kommunikation, Meinungskundgabe und (Selbst-)Organisation innerhalb der Versammlung, die heute in hohem Maße über soziale Medien vermittelt werden. Jeder Eingriff in die Versammlungsfreiheit verlangt eine besondere Rechtfertigung und ist nur zum Schutz mindestens gleichwertiger Rechtsgüter zulässig, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1985 im sogenannten Brokdorf-Beschluss klarstellte (BVerfGE 69, 315).

Risiken für Gesundheit und Leben

Nach derzeitigem technischem Entwicklungsstand kann die Steuerung potenziell gefährlicher Drohnen nicht von der Polizei übernommen bzw. umgelenkt werden. Daher wird durch den Einsatz von Störsendern oder HPEM-Wellen die Steuerelektronik derart gestört, dass es zu unkontrollierten Abstürzen kommen kann, die wiederum zu Personen- und/oder Sachschäden am Boden führen können. Beim Einsatz eines Netzwerfers ist nach derzeitigem Stand ein unkontrollierter Absturz sogar zwingende Folge, sofern keine weitergehenden Sicherheitsmaßnahmen (wie die Nutzung eines Fallschirms) getroffen werden. Der Einsatz der genannten Interventionsmittel birgt damit insbesondere bei Anwesenheit von Menschen(mengen) schwer einschätzbare Risiken, da Verletzungen von Leben und Gesundheit der Anwesenden durch eine herabstürzende Drohne und ggf. auch deren Lasten (wie Sprengstoffe) nicht ausgeschlossen werden können, ohne dass diese Personen zur Entstehung der Gefahr durch die Drohne beigetragen hätten.

Die Abwehr gefährlicher Drohnen birgt ein ethisches Dilemma.

Eine Verletzung des durch Artikel 2 Abs. 2, S. 1 GG garantierten Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit etwa von Veranstaltungsteilnehmer_innen oder zufällig anwesenden Personen durch oder auf Grund polizeilicher Maßnahmen stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, der nur im Einzelfall unter Beachtung hoher verfassungsrechtlicher Anforderungen zulässig ist. Diese Anforderungen sind ausdrücklich und im Rahmen des Grundrechtsschutzes wie dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in einer entsprechenden Eingriffsbefugnis der Polizei zu regeln (BVerfG, Urt. v. 15. 2. 2006, 1 BvR 357/05, Rn. 85 und 118); dies gebietet auch die europäische Menschenrechtskonvention. Dabei muss berücksichtigt werden, dass der Pilot als polizeirechtlich verantwortlicher Adressat der polizeilichen Abwehrmaßnahmen in der Regel nicht in dem zur Verfügung stehenden kurzen Zeitraum erreicht werden kann, die polizeilichen Maßnahmen also im Regelfall nicht gegen den Verantwortlichen für die Gefahr gerichtet werden können, was indes dem Grundprinzip der polizeilichen Gefahrenabwehr entspräche. Stattdessen wird im Falle eines Absturzes in Grundrechte unbeteiligter, zufällig anwesender Personen eingegriffen. Im Ergebnis ist daher beim Einsatz der Interventionsmittel zwischen der Schwere des damit verbundenen Eingriffs in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zufällig anwesender, unbeteiligter Personen und dem Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter (Leben und körperliche Unversehrtheit eben dieser Unbeteiligten oder anderer aus polizeirechtlicher Sicht zu schützender Personen, wie bspw. eines Staatsgastes, der durch den Drohnenanflug gefährdet sein könnte), abzuwägen – ein ethisches Dilemma. Der Einsatz der Interventionsmittel muss dabei eine auch verhältnismäßige Gefahrenabwehrmaßnahme im rechtlichen Sinne darstellen.

Zusätzlich problematisch ist dabei, dass je nach Sachlage große Unsicherheiten hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Gefahr eines möglichen Schadens durch eine geortete Drohne bestehen können, so dass die Prognose von Anfang an mit der Möglichkeit der Fehleinschätzung behaftet sein wird. Für die entscheidenden Polizeibeamt_innen ist unter Zeitdruck äußerst schwierig zu beurteilen, ob eine „Gefahr“ für Leben und Gesundheit im polizeirechtlichen Sinne tatsächlich vorliegt. Bei der Erfassung der vorhandenen Informationen und erkennbaren Tatsachen unterstützen zwar Detektion und automatisierte Lagedarstellung die Entscheidungsfindung; die letztendliche Entscheidung über das Ob und Wie des Einsatzes der Drohnenabwehr wird allerdings auf eine Prognose gestützt werden müssen, wobei die Unsicherheit der Prognose ein Wesensmerkmal des Gefahrenabwehrrechts darstellt.

Aber auch wenn sich im Bereich der Gefahrenabwehr Prognoseunsicherheiten vielfach nicht vermeiden lassen, ist es unter der Geltung der durch Artikel 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde in jedem Fall schlechterdings unvorstellbar, auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung polizeirechtlich nicht verantwortliche Personen gezielt zu töten (BVerfG, Urt. v. 15. 2. 2006, 1 BvR 357/05, Rn. 130). Ebenso darf auch eine allenfalls billigend in Kauf genommene Tötung oder Köperverletzung nicht dazu führen, Leben gegen Leben abzuwägen, da der Schutz menschlichen Lebens in der grundgesetzlichen Werteordnung ein Höchstgut darstellt (BMVI 2017, S. 17 f.). Der Einsatz von Interventionsmitteln kann daher nur zulässig sein, wenn eine tödliche oder schwere Verletzung unbeteiligter Dritter nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden kann.

Tun und Unterlassen

Die Entfaltung polizeilicher Maßnahmen trotz unklarer Bedrohungslagen kann jedoch trotzdem auf Grundlage berechtigter Motive erfolgen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen Tun und Unterlassen. So können die politischen Folgen aufgrund der Signalwirkung, die es hat, untätig zu bleiben, zu noch größeren Unsicherheiten führen. Der Staat kann in seiner Rolle als Ordnungsmacht geschwächt wirken und als Garant für Sicherheit und Freiheit für zukünftige Handlungen delegitimiert werden bzw. sich zukünftiger Handlungsoptionen beschneiden.

In diesem Zusammenhang kann auch das Unterlassen als Handlung angesehen und im Kontext der Frage nach verantwortlichem Handeln bewertet werden (Birnbacher 1995; Gibson 2012; Glover 1977, S. 92). Die Polizei erscheint als Garantin der Sicherheit, insbesondere dann, wenn zuvor eine Flugverbots- oder -beschränkungszone deklariert und/oder über den Einsatz von Überwachungstechniken zur Drohnendetektion informiert wurde. In diesem Fall können Bürger_innen davon ausgehen, in einem besonderen Maß vor Bedrohungen durch Drohnen geschützt zu sein. Mehr noch, kann dieser Schutz vor Drohnenangriffen als ein Tauschgeschäft angesichts der Einschränkungen der möglichen Kommunikationsfreiheiten, der besonderen polizeilichen Kontrollbefugnisse und der Überwachungssituation gewertet werden. Das heißt, kommt es zum Anflug einer Drohne, steht die Polizei unter besonderem Handlungsdruck. Es ist insofern damit zu rechnen, dass Polizei und Sicherheitsbehörden auch dann eine moralische Schuld zugeschrieben wird, wenn sie es unterlassen, die Drohnenabwehr einzusetzen.

Eine Nicht-Intervention könnte in diesem Zusammenhang als Schwäche der Exekutive interpretiert werden. Um einen vermeintlichen Sachzwang und dilemmatische Entscheidungssituationen zu verhindern, ist daher mit großer Umsicht und Vorausschau zu entscheiden, in welchen Situationen generell die Drohnenabwehr bereitgestellt und genutzt werden soll.

Soll jeder Auftritt eines Regierungsmitgliedes geschützt werden, nicht aber eines Oppositionsführers?

Diese grundsätzliche Überlegung umfasst auch eine Gerechtigkeitsfrage: Welche Personen, Versammlungen, Veranstaltungen oder Infrastrukturen sollen durch ein Drohnenabwehrsystem geschützt werden? Soll jeder Auftritt eines Regierungsmitgliedes geschützt werden, nicht aber einer/s Oppositionsführer_in? Wird jedes Erstliga-Fußballspiel in Zukunft geschützt, nicht aber das Aufstiegsspiel in der 2. Bundesliga und erst recht nicht die Großdemonstration gegen Überwachung?

Dennoch handelt es sich auch hierbei um eine ambivalente Argumentation, denn einerseits kann die (unbeabsichtigte) Verletzung Unschuldiger durch den Staat das Vertrauen in diesen grundlegend erschüttern und andererseits sind terroristische Gewalttaten nicht immer zu verhindern. In vielen Bereichen werden von den Bürger_innen zwar gewisse Unsicherheiten akzeptiert und als „normales“ Lebensrisiko interpretiert, beispielsweise, dass jedes Auto/jeder LKW als Waffe benutzt werden könnte und trotzdem nicht überall entsprechende Sicherungssysteme vorgesehen sind. Gleichwohl unterliegt der Staat hier einer gewissen Bringschuld und Begründungslast für die Entscheidung, keine Drohnenabwehr vorzusehen.

Schlussfolgerungen

Sowohl in der Phase der Detektion als auch der anschließenden Zusammenführung und Bewertung der optischen und akustischen Daten wird in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie die Versammlungsfreiheit einer Vielzahl von Personen eingegriffen, die hierzu keinen Anlass gegeben haben. Dies kann nur durch eine bereichsspezifische, präzise, klare Eingriffsbefugnis zum Schutz vor Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (Leben und körperliche Unversehrtheit) gerechtfertigt sein. Neben der Festlegung, ob und welche Daten an welchem Ort, zu welcher Zeit und innerhalb welches Zeitrahmens erhoben, gespeichert, verarbeitet oder abgeglichen werden dürfen, muss die Datenerhebung erkennbar erfolgen, damit die Betroffenen sich hiergegen, ggf. im Nachgang, gerichtlich wehren können. Wird den Informationsinteressen der Allgemeinheit nicht entsprochen, kann Drohnenabwehrsystemen bei Versammlungen eine abschreckende und einschüchternde Wirkung beigemessen werden, die für Protest sorgen kann. Eine Zweckentfremdung der gesammelten Daten kann dabei in einem gewissen Maß durch Privacy-by-Design-Lösungen verhindert werden.

Der Einsatz von Störsendern sowie HPEM-Wellen zur Drohnenabwehr kann in die allgemeine Handlungs-, Meinungs- und Informations- sowie Versammlungsfreiheit eingreifen. Diese Eingriffe können ebenfalls nur auf Grundlage einer spezifischen, präzisen und normenklaren Eingriffsbefugnis zum Schutz vor Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (Leben und körperliche Unversehrtheit) gerechtfertigt sein, wobei die Störungen nicht über das Maß alltäglich auftretender Empfangs- und Sendestörungen hinausgehen dürfen.

Sofern ein unkontrollierter Absturz einer abgewehrten Drohne über Menschen(-ansammlungen) nicht verhindert werden kann, kann hierin ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (sowie das Recht auf Eigentum) liegen, woraus sich die höchsten verfassungsrechtlichen Voraussetzungen an die Zulässigkeit eines polizeilichen Einschreitens ergeben. Insgesamt ist daher dringend angezeigt, Interventionsmittel zu nutzen, die nicht zu einem unkontrollierten Absturz von Drohnen führen (wie bspw. die Nutzung eines Netzes mit Fallschirm). Hersteller oder Betreiber sind zudem zu verpflichten, ihre Systeme fortlaufend zu optimieren und auch bereits ausgelieferte Systeme zu beobachten und nach dem neuesten Stand der Technik stetig zu verbessern.

Footnotes

[1]   Störungen durch Drohnen im Umfeld von Flughäfen oder anderen kritischen Infrastrukturen werden hier ebenso wenig in den Blick genommen, wie ein militärischer Einsatz.

[2]   Ausschreibung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zum Themenfeld „Zivile Sicherheit – Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung“ im Rahmen des Programms „Forschung für die zivile Sicherheit 2012–2017“. C. Arzt und S. Schuster sind an AMBOS als Projektpartner, J. Heesen durch einen Unterauftrag beteiligt (https://www.fkie.fraunhofer.de/de/Pressemeldungen/ambos.html).

Literatur

Arzt, Clemens; Ullrich, Peter (2016): Versammlungsfreiheit versus polizeiliche Kontroll- und Überwachungspraxis. In: Vorgänge 213 (1), S. 46 ff.

Birnbacher, Dieter (1995): Tun und Unterlassen. Stuttgart: Reclam.

BMVI – Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Bericht der Ethik-Kommission „Automatisiertes und vernetztes Fahren“. Online verfügbar unter https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Publikationen/DG/bericht-der-ethik-kommission.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 19. 10. 2018

Gibson, Susanne (2012): Acts and omissions. In: Ruth Chadwick (Hg.): Encyclopedia of applied ethics. Second Edition. San Diego: Academic Press, S. 17–21.

Glover, Jonathan (1977): Causing death and saving lives. Harmondsworth, UK: Penguin.

Knape, Michael; Schönrock, Sabrina (2016): Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin. 11. Auflage. Hilden: Verlag deutsche Polizeiliteratur.

Koranyi, Johannes; Singelnstein, Tobias (2011): Rechtliche Grenzen für polizeiliche Bildaufnahmen von Versammlungen. In: Neue Juristische Wochenschrift 2011, S. 124–128.

Mangoldt, Hermann von; Klein, Friedrich; Starck, Christian (2018): Kommentar zum Grundgesetz. 6. Auflage. München: Vahlen Verlag.

Simitis, Spiros (2014): Bundesdatenschutzgesetz. Baden-Baden: Nomos Verlag.

Staben, Julian (2016): Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung. Strukturen eines verfassungsrechtlichen Arguments. Tübingen: Mohr Siebeck.

Autorinnen und Autoren

PD Dr. Jessica Heesen

ist Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Medienethik und Informationstechnik“ am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen. Forschungsschwerpunkte: Sozial- und Technikphilosophie, Ethik, Informations-, Medien- und Sicherheitsethik.

Ass. iur. Susanne Schuster

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des FÖPS Berlin im Projekt AMBOS – Abwehr von unbemannten Flugobjekten für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben. Sie promoviert an der Europa-Universität Viadrina zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Prof. Dr. Clemens Arzt

ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht am Fachbereich Polizei und Sicherheitsmanagement der HWR Berlin und Direktor des FÖPS Berlin. Forschungsschwerpunkte: Polizei und Datenschutzrecht, Rechtsfragen der polizeilichen Überwachung, Versammlungsrecht.