RESOLUTION
Der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen ruft Regierungen weltweit dazu auf, Technikfolgenabschätzung (TA) einzusetzen. Mit TA und Foresight, so die aktuelle Resolution zu „Science, technology and innovation for development“, könnten alle gesellschaftlichen Akteure ein gemeinsames Verständnis der Folgen des technologischen Wandels entwickeln und neue Formen der Governance etabliert werden. Die Resolution empfiehlt, Möglichkeiten für internationale TA zu erproben, um die Folgen neuer aber auch bereits existierender Technologien für eine nachhaltige Entwicklung stabiler Gesellschaften zielgerichtet zu untersuchen. Vor Veröffentlichung der Resolution hatte TA-Experte Miltos Ladikas bei der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf über die Notwendigkeit einer Internationalisierung seines Forschungsfelds berichtet und Pläne für das Netzwerk GlobalTA vorgestellt. Mit Letzterem wollen Forschende aus Österreich, den Niederlanden und Deutschland die Basis für die gemeinsame Analyse von Schlüsseltechnologien schaffen. Vorgestellt wird die Initiative im November 2019 bei der Europäischen TA-Konferenz in Bratislava.
https://unctad.org/en/pages/MeetingDetails.aspx?meetingid=1892
AUSSTELLUNG
Bietet ab Herbst diesen Jahres Zugang zu Zukunftsthemen: das zwischen Berliner Hauptbahnhof und Reichstagsgebäude gelegene Futurium. (Foto: Ali Ghandtschi)
Ein Ort des gesellschaftlichen Austauschs über Zukunftsfragen will künftig das Futurium in Berlin sein. Nach zweijähriger Bauzeit feiert das interdisziplinär arbeitende Haus vom 5. bis 8. September 2019 seine Eröffnung. Die zunächst kostenfreie Ausstellung stellt in drei großen „Denkräumen“ das Verhältnis des Menschen zur Technik, zur Natur und zu sich selbst in den Mittelpunkt. Anhand unterschiedlicher Zukunftsentwürfe sollen Besucherinnen und Besucher sich damit auseinandersetzen, wie der technische Fortschritt aktiv gestaltet werden kann, welche ethischen und sozialen Konsequenzen damit verbunden sind und wie sich Individualität mit einer nachhaltigen Ressourcennutzung vereinbaren lässt. Neben der 5000 Quadratmeter großen Ausstellungsfläche können sich die Gäste in einem FuturiumLab und einem Veranstaltungsforum neue Zugänge zu Zukunftsthemen erschließen. „Wir möchten möglichst viele Menschen mit Zukunftsthemen in Verbindung bringen und sie zur Zukunftsgestaltung ermutigen“, sagt Stefan Brandt, der Direktor des Hauses. Fachlich begleitet wird die Arbeit des Futuriums von einem Programmrat, an dem mit dem Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, Armin Grunwald, auch die TA beteiligt ist.
INSTITUTION
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat im April 2019 die Anteile des Landes Rheinland-Pfalz an der European Academy (EA) in Bad Neuenahr-Ahrweiler übernommen. Das DLR ist damit alleiniger Gesellschafter des renommierten interdisziplinären Forschungsinstituts. Künftig firmiert es unter dem Namen „IQIB – Institut für qualifizierende Innovationsforschung und -beratung“. Damit einher geht auch eine inhaltliche Neuausrichtung: Künftig solle das IQIB helfen, „für Kunden in Politik, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft wissenschaftsbasierte, spezialisierte Beratungs- und Schulungsleistungen zum Thema ‚Innovation‘ zu erbringen“, so Klaus Uckel, Leiter des DLR Projektträgers, der nun die Arbeit des IQIB steuert. Die EA European Academy war 1996 als unabhängige wissenschaftliche Einrichtung für die Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen ins Leben gerufen worden und ist Mitglied des Netzwerks TA. Neben ihren vielfältigen, oftmals international angelegten Studien zur Technikfolgenabschätzung ist ihr Alleinstellungsmerkmal das EA-Lab, mit dessen Hilfe sich Innovationsprozesse digital abbilden und verstehen lassen.
Geschäftsführerin, TA-SWISS Stiftung für Technikfolgenabschätzung
Warum betreiben Sie TA?
TA sucht nach einer Sprache, die Brücken schlagen kann zwischen Wissenschaft, Politik und der breiten Bevölkerung. An dieser Schnittstelle verhandeln wir jene Themen, die unsere Gesellschaft gegenwärtig (und künftig) in Atem halten. Was will man mehr?!
Welche Forschungsfrage aus dem Feld interessiert Sie besonders?
Im Fokus der TA sollte immer sein: Nutzt der Mensch die Technik zugunsten der Freiheit seines Denkens und Handelns? Oder unterliegt er, nach G. Simmel, dem „inneren Zwangstrieb aller Technik“? So besehen scheint mir derzeit die Frage nach den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Demokratie von höchstem Interesse.
Welche Maßnahme stände als Wissenschaftspolitikerin auf Ihrer Agenda ganz oben?
Ich würde Projekte fördern, die offen zu Unsicherheit und Unkenntnis in ihrem Forschungsfeld stehen und gerade deswegen zu echten Kontroversen und Diskussionen beitragen können.
Welche Zukunftstechnologie hätte größere Aufmerksamkeit verdient?
Es müsste dringend mehr Forschung zum Umgang mit Wasser betrieben werden – etwa zur Bewässerung und Wasserverteilung, zur Entfernung von Mikro-Schadstoffen, zur Revision veralteter Netze und – ganz wichtig – zur Nutzung von Wasser zur Kühlung von Städten.
Die Schweiz setzt auf direkte Beteiligung und Neutralität. Ein Alleinstellungsmerkmal auch bei der TA?
Ja, eindeutig. Als unabhängige und von der öffentlichen Hand finanzierte Stiftung ist unsere Informationsverantwortung der Bevölkerung gegenüber zentral, der Neutralität verpflichtet und wird von uns auch über partizipative TA wahrgenommen.
AKTION
Anlässlich des globalen Klimastreiks zur Europawahl öffnete das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am 23. und 24. Mai 2019 seine Türen für Schülerinnen und Schüler. Die Aktion nutzten mehr als 50 Schülerinnen und Schüler aus Karlsruhe und Umgebung, um mit Forschenden über Ansätze für einen besseren Klimaschutz und mehr Nachhaltigkeit zu diskutieren. Die Themen reichten von nachhaltiger Mobilität und Ernährung über Fragen der Mitgestaltung bei der Energiewende bis hin zu bioökonomischen Alternativen für die Erdöl basierte Wirtschaft oder der sprachwissenschaftlichen Untersuchung von Klima- und Umweltdiskursen. „Das Anliegen der jungen Menschen wird mit großem Engagement vorgetragen und steht auf einer soliden wissenschaftlichen Basis“, begründete die stellvertretende Leiterin des ITAS, Constanze Scherz, die Unterstützung des Instituts für die Forderung nach schnellen und umfassenden Maßnahmen zum Klimaschutz. Das ITAS öffne seine Türen, um dem Auftrag zur „Gesellschaftsberatung“ nachzukommen. Eine weitere Ausgabe von „ITAS for Future“ ist für den Spätsommer 2019 geplant.
www.itas.kit.edu/itasforfuture
WAHLKAMPF
In den USA bewerben sich insgesamt 20 Politikerinnen und Politiker der Demokratischen Partei um die Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen 2020. Einer von ihnen, der Entrepreneur Andrew Yang, macht sich für die Wiedereröffnung des Office of Technology Assessment (OTA) stark. Das 1972 gegründete OTA beriet den US-amerikanischen Kongress bis zu seiner Schließung 1995 mit unabhängigen Analysen zu den Folgen wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen. Es gilt als Vorbild für alle später gegründeten TA-Institutionen.
Gegenwärtig sei die Legislative nicht in der Lage, große Digitalunternehmen zu reglementieren oder auf drängende technologische Fragen wie KI und Cybersicherheit angemessen zu reagieren, argumentiert Yang. Die nötigen objektiven Informationen könnten nur von einer im Gegensatz zu vielen Think Tanks unabhängigen Institution kommen. Diese müsse über ein Budget verfügen, das ihr erlaube, bei der Anwerbung von Talenten auch mit dem Privatsektor zu konkurrieren. Zentrales Thema von Andrew Yangs Wahlkampf ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen als Antwort auf Verwerfungen des Arbeitsmarktes im Zuge einer rasanten Automatisierung.
PLATTFORM
Als neue Form der Interaktion und Kooperation von Wissenschaft und Gesellschaft wollen Reallabore Antworten auf Herausforderungen wie Klima, Mobilität oder Beschäftigung geben. Mehrere auf dem Gebiet ausgewiesene Forschungseinrichtungen haben im Frühjahr 2019 das „Netzwerk Reallabore der Nachhaltigkeit“ ins Leben gerufen.
„Interessierten wie Aktiven möchten wir eine Heimat bieten; darüber hinaus das, was an Reallabor-Aktivitäten in den letzten Jahren entstanden ist, sichtbar machen“, sagt der Initiator Oliver Parodi, der am ITAS das Reallabor Quartier Zukunft – Labor Stadt leitet. Gründungsmitglieder des Netzwerks sind neben dem ITAS, das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, die Leuphana Universität Lüneburg und das Ecological Research Network (Ecornet). Beitreten können Personen, Organisationen und Reallabore sowie vergleichbare transdisziplinäre und transformative Initiativen. Insbesondere Kommunen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und zivilgesellschaftliche Akteure sind zur Mitwirkung aufgefordert.
05.–08. 09. 2019, BERLIN – Eröffnungsfeier und -programm des Futuriums
www.futurium.de/de/blog/eroeffnung-des-futuriums
10.–12. 09. 2019, Neuchâtel – Congress of the Swiss Sociological Association 2019. The Future of Work
www.unine.ch/socio/sociocongress2019
23.–26. 09. 2019, Jena – Konferenz „Great Transformation. Die Zukunft moderner Gesellschaften“
www.great-transformation.uni-jena.de/
25.–29. 09. 2019, KIEL – Deutscher Kongress für Geographie 2019. Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung und Reallabore in der Stadt- und Mobilitätsforschung
www.dkg2019.de
28.–29. 10. 2019, DORTMUND – 5th Global Research Conference. Social innovation and socio-digital transformation
www.essi-net.eu/?page_id=1229
04.–06. 11. 2019, BRATISLAVA – 4th European Technology Assessment Conference. Value-driven technologies: methods, limits, and prospects for governing innovations
(Call for Posters offen)
bratislava2019.technology-assessment.info
Weitere Termine unter www.openta.net/kalender
PROJEKT
Am 23. und 24. September 2019 findet in Wien das dritte BIO FICTION Science Art Film Festival statt. Sein Thema: die Zukunft des menschlichen Körpers im Lichte transhumanistischer Visionen und realer Fortschritte in der Neurotechnologie. Organisiert wird das Festival von Biofaction, einem TA-affinen österreichischen Unternehmen, das unter anderem an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst arbeitet. Noch bis zum 31. Juli 2019 können Filmbeiträge eingereicht werden.
Die künstlerischen Perspektiven der Filme fließen ein in das transdisziplinäre Projekt FUTUREBODY. Das Vorhaben will ethische und gesellschaftliche Aspekte der Neurotechnologie erforschen und zu deren verantwortlicher Entwicklung beitragen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Karlsruhe, Freiburg, Calgary und Wien decken dabei ein breites Spektrum ab – von existierenden neurotechnischen und prothetischen Anwendungen über Do-It-Yourself-Cyborg-Praktiken und grundlegende philosophische, gesellschaftliche und Innovationsfragen bis hin zu wirkmächtigen futuristischen Visionen.
FORSCHUNGSPOLITIK
Die Europäische Union will eine Führungsrolle im Bereich „humanzentrierter KI“ spielen. Als ersten Schritt in diese Richtung hat eine unabhängige Gruppe aus Expertinnen und Experten ethische Leitlinien für vertrauenswürdige Künstliche Intelligenz vorgestellt. Das Gremium empfiehlt sieben Anforderungen an künftige KI-Systeme und ihnen zugrundeliegende Algorithmen: Sicherheit, Datenschutz, Nichtdiskriminierung, Nachhaltigkeit, Verantwortlichkeit, Transparenz sowie den Vorrang menschlichen Handelns. Die für digitale Wirtschaft und Gesellschaft zuständige Kommissarin Mariya Gabriel wertete die Vorschläge als „wichtigen Schritt in Richtung ethischer und sicherer KI in der EU“, auf den weitere folgen sollen: Nach einer im Sommer 2019 beginnenden Pilotphase mit Unternehmen, öffentlichen Verwaltungen und Organisationen will sich die Kommission auch auf globaler Ebene für KI-Systeme einsetzen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
https://ec.europa.eu/germany/news/ki20190408_de
PUBLIKATION
Stehr, Nico; Machin, Amanda (2019):
Gesellschaft und Klima.
Entwicklungen, Umbrüche, Herausforderungen. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft, 188 S., ISBN 9783958321670
Weitere Neuerscheinungen unter www.openta.net/neuerscheinungsdienst
Der Klimawandel und der angemessene gesellschaftliche Umgang damit sind in aller Munde. Nico Stehr, bis 2018 Professor für Kulturwissenschaften an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und Mitglied des Netzwerks TA, hat zusammen mit Amanda Machin, Politikwissenschaftlerin an der Universität Witten/Herdecke, ein Buch veröffentlicht, das scheinbar zur rechten Zeit kommt. Darin beleuchten die Autorin und der Autor die „Wechselbeziehungen zwischen Menschen, Gesellschaften, Wissenschaften, Naturen und Klimaverhältnissen“. Sie gehen von drei Thesen aus: erstens, dass es sich beim Klima um ein globales Phänomen handelt, das sich jedoch lokal auswirkt; zweitens, dass das Klima und sein Wandel sowohl ein sozialwissenschaftliches als auch ein naturwissenschaftliches Forschungsobjekt darstellen; und schließlich drittens, dass die Klimaforschung auf eine längere Geschichte zurückblickt, deren Reflexion für das Verständnis der aktuellen Klimaprobleme von Bedeutung sein kann. Was die Folgen für Wissenschaft und Forschung anbelangt, mündet das Buch in das Fazit, „dass der Klimawandel Chancen für neue Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit bietet“. Wenn der Klimawandel wirksam, kreativ und fair angegangen werden solle, so die Autorin und der Autor weiter, dann bedürfe es dringend neuer Formen, Wissenschaft zu betreiben und anzuwenden.