Cui bono? Zum Für und Wider von Robotik in der Pflege

Ergebnisse einer Repräsentativbefragung

Michael M. Zwick, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Stuttgart, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart (Zwick@sowi.uni-stuttgart.de)

Jürgen Hampel, Institut für Sozialwissenschaften, Universität Stuttgart, Seidenstr. 36, 70174 Stuttgart (Juergen.Hampel@sowi.uni-stuttgart.de)

Ausgehend von der öffentlichen Debatte um den sogenannten Pflegenotstand diskutieren die Autoren – gestützt auf Daten der aktuellen Repräsentativumfrage TechnikRadar (2018) – die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu Pflegerobotern. Im Sinne soziotechnischer Systeme fußen Zustimmung oder Ablehnung der Robotik nicht auf „Technik an sich“, sondern auf dem Kontext, den Zielen und den Folgen ihres gesellschaftlichen Einsatzes. In diesem Zusammenhang problematisieren die Autoren das Spannungsverhältnis zwischen einer sich fundamental digitalisierenden Gesellschaft einerseits und digitaler Exklusion nennenswerter Bevölkerungsteile andererseits sowie die Gefahr, dass moderne Technik an den Bedürfnissen, Erwartungen und Kompetenzen potenzieller Nutzer vorbei entwickelt wird.

Cui bono? The pros and cons of robotics in geriatric care

Results of a representative survey in Germany

Due to the demographic change, an increasing gap between growing numbers of elderly people in need of care and a shrinking labor force in the professional care sector is expected. The use of nursing robots is discussed as an option to mitigate this problem. Based on TechnikRadar (2018), a representative survey of the German population, the authors discuss the acceptability of nursing robots by the German public. The results of these analyses demonstrate that the perception of nursing robots depends on the context and the expected societal consequences of their use. The authors problematize whether, in a rapidly digitalizing society, technological solutions will be developed beyond the needs, expectations, and competences of potential users, leading to both resistance and alienation.

Keywords: assistive technology, robotics, geriatric care, public perception

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TATuP Bd. 28 Nr. 2 (2019), S. 52–57, https://doi.org/10.14512/tatup.28.2.s52

Submitted: 11. 10. 2018. Peer reviewed. Accepted: 19. 03. 2019

Einleitung – Pflegeroboter als Beitrag zur Lösung des Pflegenotstands?

Vor dem Hintergrund einer demografisch bedingten Zunahme alter und pflegebedürftiger Personen einerseits und einer sinkenden Zahl an Pflegekräften andererseits, hat die Rede vom Pflegenotstand zwischenzeitlich die Politik erreicht (BMFSFJ 2018, S. 1). Bereits heute schätzt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG 2018), dass in Deutschland 25.000 bis 30.000 Stellen in der Altenpflege nicht besetzt werden können. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung heißt es: „Wird […] von einer Konstanz der alters- und geschlechtsspezifischen Pflegehäufigkeiten auch in den nächsten 20 Jahren ausgegangen, […] wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 um etwa die Hälfte erhöhen“ (Rothgang et al. 2012, S. 10). Dies hat zur Folge, dass „die Generation der heute 40- bis 50-Jähringen […] befürchten [muss], dass sie in 20 oder 30 Jahren nicht mehr die Versorgung erhält, die sie benötigt.“ (Rothgang et al. 2012, S. 6).

Neben die politische Absicht, die Pflegelücke durch eine Steigerung der Attraktivität von Pflegeberufen und der internationalen Rekrutierung von Personal zu schließen, stößt die Industrie mit Robotertechnik, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien vorliegt – zu denken sei beispielsweise an die Assistenzroboter Pepper, Ri-Man und RIBA, Robear, Elevon, Care­o­bot, Casero oder die kontrovers diskutierte Roboter-Robbe Paro (Wallenfels 2016; Wax 2016). Diese Entwicklungen werden durch Erfindungen auf dem Gebiet von Smart Home, Ambient Assisted Living, Sensorik und Überwachungstechnik komplementiert, die teilweise bereits marktreif vorliegen (Dowideit 2015; Braun et al. 2016). Konform zur Maxime „ambulant vor stationär“ (Rothgang et al. 2012, S. 8) soll mit ihrer Hilfe erreicht werden, dass Pflegebedürftige länger selbständig zu Hause wohnen können.

Anhand der Daten des TechnikRadar (2018), in welchem die Pflegerobotik ein Schwerpunktthema war, wollen wir nach einigen theoretischen Vorüberlegungen erörtern, wie die deutsche Öffentlichkeit zu Pflegerobotern steht.

 

Das TechnikRadar 2018

Das TechnikRadar von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – und Körber-Stiftung untersucht, was die Deutschen über Technik denken. Erstellt und wissenschaftlich ausgewertet wird es vom Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS). Die jährliche Analyse bietet fundierte Impulse für die öffentliche Debatte um den Stellenwert, die Gestaltung und die Regulierung technischer Innovationen. Sie dient auch als Frühwarnsystem, um mögliche Fehlentwicklungen des technologischen Wandels zu vermeiden.

Die Haltung der deutschen Öffentlichkeit zu Pflegerobotern, welche Erwartungen und Bedenken sie an diese Technologie heranträgt, worauf positive oder negative Urteile fußen, ist einer der inhaltlichen Schwerpunkte des aktuellen TechnikRadar, einer turnusmäßigen Repräsentativbefragung der über 16-jährigen, deutschsprachigen Wohnbevölkerung. Die telefonische Befragung wurde im Herbst 2017 von der INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung auf Basis einer Zufallsstichprobe im Dual-frame-Modus durchgeführt. Die Stichprobengröße beträgt 2.002 Fälle.

Robotik in der Pflege

In Deutschland haben sich primär Gerontologie und Technikfolgenabschätzung mit dem Thema Pflegeroboter beschäftigt (u. a. Meyer 2011; Decker 2011; Krings et al. 2012; Daum 2017; TATuP 2015).

Bei der Wahrnehmung von Technologien steht nicht das einzelne Artefakt im Mittelpunkt der Untersuchungen, sondern das sozio-technische System, in dem Technik eingesetzt wird (vgl. Hampel und Zwick 2016). Dies gilt auch für Pflegeroboter, die nur im Kontext sozio-technischer Arrangements angemessen betrachtet werden können (Krings et al. 2012). Die Diskussion über Pflegeroboter wird zusätzlich dadurch erschwert, dass es sich dabei nicht um eine einheitliche, klar abgrenzbare Technologie handelt, sondern um vielfältige Systeme, die in einer Vielzahl unterschiedlicher Pflege- und Betreuungsarrangements und für unterschiedliche Nutzungen eingesetzt werden (Meyer 2011).

Der Kontext, in dem Pflegeroboter eingesetzt werden, ist von einer grundlegenden Spannung geprägt, zwischen den Bedürfnissen der Gepflegten nach menschlicher Zuwendung, die auch von den professionell Pflegenden geteilt wird (Roth 2007), und den Imperativen einer an ökonomischen Effizienzkriterien orientierten Sachlogik (Auth 2012), die sich auch in der Studienlage zu Pflegerobotern widerspiegelt. Die Beurteilung von Pflegerobotern hängt stark davon ab, ob diese das Pflegepersonal entlasten und es befähigen, sich intensiver um ihre Klientel zu kümmern, oder aber auf dessen Wegrationalisierung zielen (Beck et al. 2013). Meyer (2011) zufolge stoßen Geräte, die von körperlich anstrengenden Arbeiten entlasten, auch bei Älteren auf eine große Akzeptanz, während Szenarien, in denen die Technik dazu dienen soll, menschliche Arbeit zu ersetzen, stark abgelehnt werden. Visionen von hochtechnisierten Pflegeheimen, die mit Hilfe von Pflegerobotern zur ökonomischen Rationalisierung genutzt werden, werden nicht nur eindeutig abgelehnt, sie gelten sogar als „Horrorszenario“ (Meyer 2011, S. 145). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen in einer aktuellen Studie Eggert et al. (2018).

Das hochtechnisierte Pflegeheim mit Pflegerobotern zur ökonomischen Rationalisierung gilt als „Horrorszenario“.

Krings et al. (2012, S. 35) fordern daher eine Umstellung der Technikentwicklung von „Technology Push“, also der bloßen Entwicklung technischer Lösungen, auf eine „bedürfnis- und nachfrageorientierte Perspektive … [unter] Einbeziehung nicht-technischer Lösungen“. Dabei gelte es, drei unterschiedliche Perspektiven zu integrieren: die der Pflegebedürftigen, die der Pflegekräfte in der ambulanten und stationären Altenhilfe sowie die Expertise der Pflege- und Krankenkassen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Interessen- und Wohlfahrtsverbände.

Pflegeroboter im Urteil der deutschen Öffentlichkeit

Zur Wahrnehmung und Bewertung technischer Unterstützungssysteme im Bereich der Pflege liegen einige aktuelle Studien vor, die über den Bereich Ambient Assisted Living oder Smart Home hinaus auch Pflegeroboter im engeren Sinne betreffen (u. a. BMBF 2015; Bearingpoint GmbH 2017a; Roland Berger 2017; Porsche Consulting 2017; Pricewaterhouse Coopers 2017, Merda et al. 2017; Eggert et al. 2018). Sie offenbaren eine überraschende Bandbreite an Zustimmung oder Ablehnung, mit der Folge, dass Medien mit so gegensätzlichen Botschaften wie „Deutsche haben kein Problem mit Pflege- und Op-Robotern“ (Wallenfels 2017) oder „die deutsche Angst vor Pflegerobotern“ (Bearingpoint GmbH 2017b) titeln.

Manche Studien berichten eine überwiegende (56%, Porsche Consulting 2017, S. 19) oder sogar ausgesprochen hohe Akzeptabilität von Pflegerobotern, die je nach Anwendungsfall bis zu 76% reicht (Eggert et al. 2018, S. 4). Einer Schweizer Studie zufolge begrüßen es hingegen nur 15% der Befragten, „wenn Roboter bei pflegebedürftigen Menschen die Körperpflege übernehmen würden, an Stelle vom Pflegepersonal“. (Omnibus Suisse 2017, S. 18) Den unteren Eckpunkt markiert eine Befragung von Pricewaterhouse Coopers, bei der nur 3% der repräsentativ Befragten bereit wären, für das „Überwachen und Durchführen von allgemeinen Pflegeleistungen und Beratung während einer Schwangerschaft“ einen Roboter zu akzeptieren (2017, S. 20).

Wie in Abb. 1 ersichtlich, zeigt sich im TechnikRadar auf die Frage „gegenwärtig werden Roboter entwickelt, die Pflegebedürftige bei alltäglichen Verrichtungen im Haushalt unterstützen sollen. Bitte sagen Sie mir, inwieweit Sie den nachfolgenden Aussagen zustimmen“[1], ein insgesamt zurückhaltendes Meinungsklima. Nur 17,6% der Befragten vermögen darin gesellschaftliche Nutzenpotentiale zu erkennen, 56,9% befürchten gesellschaftliche Risiken.

Abb. 1: Die Einstellung der Öffentlichkeit zu Pflegerobotern. Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Datenerhebung im Jahr 2017 für das TechnikRadar (2018)

Worin erkennen die Befragten einen Nutzen in der Pflegerobotik? Empirisch zeigt es sich, dass die Nutzenwahrnehmung von Pflegerobotern beträchtlich mit der Einschätzung korrespondiert, dass sie in der Pflege ‚Routineaufgaben übernehmen, so dass sich pflegende Personen besser um die Bedürfnisse der Patienten kümmern können‘ (γ = 0,43***)[2], und noch etwas stärker mit der Erwartung, dass ‚Pflegeroboter ‚zu einer Verbesserung der Selbständigkeit beitragen können‘ (γ = 0,46***) sowie der Ansicht, dass es besser sei, ‚bei intimen Verrichtungen z. B. Waschen oder Toilettengang von einem Roboter anstatt von einem Menschen betreut zu werden‘ (γ = 0,49***). Allerdings zeigt Abb. 1, dass noch nicht einmal jeder Sechste (15,3%) bei intimen Verrichtungen die Unterstützung durch einen Roboter präferieren würde. Die Erwartung, dass Pflegeroboter einen gesellschaftlichen Nutzen haben, variiert aber auch mit der Einschätzung‚ dass ‚die erforderlichen Pflegeleistungen über kurz oder lang nur noch mit der Unterstützung von Robotern erbracht werden‘ können (γ = 0,45***).

Risikopotentiale korrespondieren in erster Linie mit der Befürchtung, dass ‚Pflegebedürftige durch den Einsatz von Pflegerobotern weniger menschliche Zuwendung erhalten‘ (γ = 0,48***), in zweiter Linie mit der Erwartung, dass der ‚Robotereinsatz dazu führt, dass am Ende nur noch die Wohlhabenden durch Menschen gepflegt werden‘ (γ = 0,28***).

Die Nutzen- und Risikozuschreibungen an Roboter sind stark mit dem Kontext und den erwarteten individuellen und sozialen Folgen ihrer Anwendung verknüpft, wobei das Antwortverhalten in Abb. 1 zeigt, in welchem Ausmaß Pflege als genuin menschliche Dienstleistung am Patienten gesehen wird. Das entscheidende Kriterium für den Technikeinsatz ist deshalb, ob die Pflege durch den Robotereinsatz mehr oder weniger menschliche Zuwendung verspricht, will heißen, ob Roboter Pflegekräfte ersetzen oder sie soweit entlasten werden, dass sie sich eingehender als bislang um ihre Klienten kümmern können.

Bei der Diskussion um die Akzeptabilität von Technik vermag die Wahrnehmung und Zuschreibung bestimmter Eigenschaften von Technik nur die eine Seite der Medaille zu beleuchten. Auf der anderen Seite gilt es, technikbezogene Dispositionen und Präferenzen zu beachten (Hampel und Zwick 2016, S. 32 f.), die sich beispielsweise in Wertorientierungen, persönlichen Erfahrungen, aber auch in je spezifischen Lebenslagen und damit in soziodemographischen Merkmalen finden.

In der ZQP-Studie zur Einstellung der Bevölkerung gegenüber digitaler Unterstützung in der Pflege (Eggert et al. 2018) ermitteln die AutorInnen eine Reihe triftiger Prädiktoren[3], allen voran Techniknutzung und -kompetenz, die Zugehörigkeit zu bestimmten Alterskohorten, Bildungsstand sowie die berufliche Erfahrung bzw. Berufstätigkeit in medizinisch-pflegerischen Berufen. Diese oder ähnliche Merkmale stehen auch im TechnikRadar zur Verfügung.

Technikaufgeschlossenheit bzw. (mutmaßliche) technische Kompetenz können mit der Frage operationalisiert werden, ob man Smart-Home-Anwendungen bereits nutzt, sie ‚höchstwahrscheinlich’ bzw. ‚vielleicht nutzen’ wird, oder dies nicht in Betracht zieht. Dies ist in unserem Kontext deshalb von Interesse, weil es immerhin 42,6% aller Befragten für möglich halten, dass man mithilfe dieser Anwendungen im Alter länger selbständig leben kann. Korreliert man den (beabsichtigten) Besitz eines Smart-Home mit der Hoffnung darauf, im Alter länger selbständig leben zu können, erhält man eine mäßig starke Assoziation (γ = 0,25***). Allerdings fällt ins Auge, dass sich zwar 64,6% jener, die Smart-Home ‚höchstwahrscheinlich nutzen’ wollen, davon versprechen, ‚im Alter länger selbständig leben’ zu können – von jenen, die zum Befragungszeitpunkt aber bereits Smart-Home-Anwendungen nutzen, aber nur 47,1%. Dies deutet möglicherweise auf eine Diskrepanz zwischen den mit Smart-Home verbundenen Werbeversprechen und Erwartungen auf der einen und einer gewissen Ernüchterung der Nutzer dieser Technik auf der anderen Seite hin.

Auf Zustimmung stoßen Pflegeroboter dann, wenn sie Pflegekräfte entlasten und mehr menschliche Zuwendung ermöglichen.

Interessant ist die bereits in der ZQP-Studie angesprochene, vergleichsweise stärkere Ablehnung von Pflegerobotik durch Befragte, die eine ‚Berufsausbildung oder ein Studium in einem pflegerischen oder medizinischen Beruf’ absolviert haben. Dieser Befund findet sich auch im Technikradar: 41,8% der Befragten mit medizinischer oder pflegerischer Ausbildung, aber nur 30,2% jener Befragten ohne eine solche Ausbildung lehnen Roboter in der Pflege grundsätzlich ab (Ckorr = 0,12***). In einer Studie von Roland Berger (2017, S. 28) lesen wir hierzu: „Fehlende Technikkompetenz hemmt die Digitalisierung in der Pflege. Vielen Akteurinnen und Akteuren, insbesondere den professionellen Dienstleisterinnen und Dienstleistern und pflegenden Angehörigen sowie den Pflegebedürftigen, fehlt die notwendige Technikkompetenz zur Anwendung IKT-gestützter Lösungen und Anwendungen.“ Vor dem Hintergrund des TechnikRadar-Datensatzes erweist sich diese Interpretation aber als verengt und einseitig: Wie dargestellt, ist die Vorstellung guter Pflege in der Öffentlichkeit hochgradig mit menschlicher Zuwendung assoziiert. Sehr starke Bedenken gegenüber einer Abnahme menschlicher Zuwendung durch den Robotereinsatz in der Pflege sind unter Befragten, die eine „medizinisch-pflegerische Ausbildung“ besitzen, noch ein wenig weiter verbreitet (67,9%) als unter Befragten ohne eine solche Ausbildung (61,4%; Ckorr = 0,10*). Der Einsatz von Pflegerobotik widerspricht beim Pflegepersonal dem professionellen Selbstverständnis von guter Pflege.

Dass der Einsatz von Technik im Pflegekontext nicht immer den gewünschten Effekt hat, ist auch eines der zentralen Ergebnisse von Sowinski et al. (2013). Vor allem für weniger gebildete oder ältere Menschen, die nicht zur Gruppe der Digital Natives zählen, kann außerdem komplizierte Bedienung zum Hemmschuh der Technikanwendung werden.[4]

Die grundsätzliche Ablehnung von Pflegerobotern ist mäßig stark mit dem Geschlecht (Ckorr = 0,23***) und eher schwach mit Alter (γ = 0,13***) und Bildung (γ = –0,15***) assoziiert, wobei überproportional hohe Anteile von Frauen, älteren und weniger gebildeten Personen Robotik in der Pflege grundsätzlich ablehnen. Abb. 2 zeigt, dass es vor allem höher gebildete Männer (58,4%), jedoch nur 22,2% basal gebildeter Frauen sind, die Einsatz von Pflegerobotik nicht grundsätzlich ablehnen – eine Differenz von mehr als 36 Punkten!

Abb. 2: Bewertung von Pflegerobotern nach Geschlecht und Bildungsstand. Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Datenerhebung im Jahr 2017 für das TechnikRadar (2018)

Dieser Befund ist erstaunlich für eine Gesellschaft, die gerade dabei ist, sich den Herausforderungen der Digitalisierung zu stellen. An ihn schließen sich zwei grundsätzliche Fragen an. Erstens, wird im Bereich der Pflegerobotik ein ausschließlich technischer Lösungsansatz für ein technisch und ökonomisch definiertes Problem verfolgt, anstatt im Sinne eines sozio-technischen Systems die Problemdefinitionen, Kompetenzen und Bedürfnisse relevanter Teile der Öffentlichkeit zu berücksichtigen? Und zweitens, wird hier nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei eine Technik entwickelt, die nicht den Erwartungen potenzieller Nutzer genügt und von diesen, auch in ihrer Zielsetzung, eher als Bedrohung denn als Unterstützung wahrgenommen wird?

Resümee

Pflege wird in der Öffentlichkeit als Dienstleistung von Menschen an Menschen verstanden. Bemühen wir die Pressekonferenz zur Stärkung der Pflege in Deutschland. Darin heißt es: „Gute Pflege braucht Zeit, um für Menschen da sein zu können … Gute Pflege bedeutet Zuwendung. Dies benötigt Zeit und genügend Personal“ (BMFSFJ 2018). Die Frage ist, ob sich die Verantwortlichen, wenn es um die Regulierung des Einsatzes von Robotern in der Pflege geht, bei wachsendem Kostendruck an dieses Versprechen erinnern. Die Öffentlichkeit ist hier skeptisch. Als Folge des Einsatzes von Pflegerobotern wird die soziale Dystopie einer an ökonomischen Effizienzkriterien ausgerichteten Pflege befürchtet, in der Technik im Sinne tayloristischer Rationalisierung genutzt wird, um den Personalaufwand zu minimieren.

Die These einer vorgeblichen „deutschen Angst vor Pflegerobotern“ (Bearingpoint GmbH 2017) ist allerdings unbegründet. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die deutsche Öffentlichkeit nicht vor Pflegerobotern per se fürchtet: Auf Zustimmung stoßen Pflegeroboter dann, wenn sie Pflegekräfte entlasten und mehr menschliche Zuwendung ermöglichen.

Grunwald zufolge ist „die Rolle von Technik zur Bewältigung des demografischen Wandels umstritten, vor allem ihre mögliche Rolle in der Pflege. [Es zeigt sich], dass Technik zur Bewältigung mancher Herausforderungen durchaus helfen kann, aber dass man mit Technik letztlich keine nicht-technischen Probleme lösen kann. Es kommt darauf an, wie die Probleme gerahmt werden, ob als Herausforderung an techno-ökonomische Effizienz oder als Anfragen an Empathie und an ein menschenwürdiges Altwerden.“ (Grunwald 2015, S. 3)

Für Forschung und Entwicklung ist es mit der Optimierung von Technikeigenschaften und Benutzerfreundlichkeit nicht getan. Es gilt, die Regelungen im Pflegesystem so zu gestalten, dass Roboter als Unterstützungssystem dazu beitragen können, die Qualität der Pflege zu verbessern und nicht zu verschlechtern. Ihre Entwicklung und Einführung sollte weder Ingenieuren, Herstellern, politischen Akteuren und Akteuren der Pflegeindustrie allein überlassen bleiben, sondern auch die Bedürfnisse der Pflegenden und der Pflegebedürftigen maßgeblich berücksichtigen. Dabei muss auch diskutiert werden, welche Rolle technische Systeme bei der Pflege spielen können und wie sichergestellt werden kann, dass die Perspektive eines lebenswerten Lebens in menschlicher Gemeinschaft auch im Alter nicht auf die bloße Versorgung von physiologischen Grundbedürfnissen unter Nutzung aller Möglichkeiten einer an ökonomischen Kriterien orientierten Rationalisierung beschränkt wird.

Fußnoten

[1]   Wortlaut im Erhebungsinstrument des TechnikRadar (2018) hier und nachfolgend jeweils in einfachen Anführungszeichen.

[2]   * bedeutet α < 0,1, ** α < 0,05 und *** α < 0,01; alle Merkmale wurden trichotomisiert.

[3]   Ohne jedoch Parameter für die Stärke der jeweiligen Zusammenhänge zu nennen.

[4]   Für 84,5% aller Befragten ist die einfache Bedienbarkeit eine ‚eher wichtige‘ oder ‚sehr wichtige‘ Bedingung für die potentielle Nutzung von Smart-Home, darunter für 77,0% der 16- bis unter 35-Jährigen aber 87,7% der über 65-Jährigen (γ = 0,22***).

Literatur

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Forschungsdaten

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Autoren

Dr. Jürgen Hampel

ist akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie der Universität Stuttgart. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen die soziologische Technik-, Risiko- und Umweltforschung, insbesondere die sozialwissenschaftliche Analye gesellschafticher Reaktionen auf neue Technologien.

Dr. Michael M. Zwick

arbeitet als Technik- und Umweltsoziologe am Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen neben der Umwelt- und Risikoforschung die Wahrnehmung des technischen Wandels in der Öffentlichkeit sowie qualitative und quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung.