Reflexionen · Bericht

Sozialökologische Perspektiven auf die Postwachstumsstadt

Marielle Rüppel, Karlshochschule International University, Karlstraße 36–38, 76133 Karlsruhe (mrueppel@karlshochschule.de)

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TATuP Bd. 28 Nr. 2 (2019), S. 77–78, https://doi.org/10.14512/tatup.28.2.s77

Am 10. und 11. Mai 2019 fand in Weimar eine Konferenz zu Bewegungen, Institutionen und Erzählungen der „Postwachstumsstadt“ statt, organisiert von der Bauhaus Universität, der Rosa-Luxemburg-Stiftung Thüringen, dem Magazin enorm und Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN-Mitte).

So einig sich alle Teilnehmenden waren, dass das Wachstums-Dogma durchbrochen werden muss, so vielseitig waren die Diskussionen darüber, wie dies gelingen kann. Der Glaube, eine Postwachstums-Transformation könne konfliktfrei vonstattengehen, ist illusorisch, denn sie verlangt die „Exnovation“ (Beendigung) nicht-nachhaltiger Innovations- und Wachstumspraktiken. Stattdessen müssen nachhaltige Alternativen durch inklusive, bedürfnisorientierte Prozesse der Ko-Kreation geschaffen werden.

Matthias Schmelzer vom Konzeptwerk Neue Ökonomie erklärte zu Beginn der Konferenz Hintergründe und Kernelemente von Postwachstum bzw. Degrowth. Diese Bewegungen verbinden fundamentale Gesellschaftskritik und Kritik am ökonomischen Wachstumsparadigma mit der Vision, eine andere Gesellschaft über den Weg der systemischen Transformation zu erreichen (Schmelzer und Vetter 2019).

Die Postwachstumsbewegung verknüpft lokale Aspekte (z. B. Stadtplanung, individuelle Lebensstile, Stadt-Land-Verhältnisse) mit globalen Auswirkungen der „imperialen Lebensweise“, wie es Dr. Ulrich Brand (Universität Wien) beschrieb. Brand plädierte für eine in sich selbst wie auch über vermeintliche Systemgrenzen hinweg „solidarische Postwachstumsstadt“. Sie zeichne sich aus durch innere soziale Gerechtigkeit (z. B. durch sozialen Wohnungsbau und Vermeidung von Gentrifizierung) sowie durch intra- und intergenerationelle (Umwelt-)Gerechtigkeit. Somit ist die solidarische Stadt eng mit dem normativen Leitbild nachhaltiger Entwicklung verknüpft, jedoch mit dem Unterschied, dass Postwachstums-Ideen nicht im gegenwärtigen Kapitalismus einlösbar sind.

Soziale und ökologische Interessen – auf Stadt bezogen formuliert „Grünraum oder Wohnraum?“ – dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden, da sie untrennbar miteinander verbunden sind. Dazu passend stellte Daniel Fuhrhop (freier Autor) Vorschläge aus seinem Buch „Verbietet das Bauen“ (2015) vor. Im Mittelpunkt steht die These, dass die Erschließung und Versiegelung immer neuer Flächen einerseits ökologisch bedenklich sei, andererseits auch unökonomisch, wenn die Kosten für Anbindung und Infrastruktur, Instandhaltung und Verlust an Biodiversität mitberechnet würden. Fuhrhop verwies auch auf die sozialen Folgen: Neubaugebiete in immer größerer Distanz zu den Stadtzentren reduzierten nicht nur geographische, sondern auch soziale Bezüge und verringerten Inklusion und Zusammenhalt in der Gesellschaft, während gleichzeitig innerstädtische Mieten steigen und Wohnraum zur Geldanlage wird. Dementgegen könne die (Um)Nutzung vorhandener innerstädtischer Flächen nicht nur effiziente Nutzung, sondern auch sozialen Zusammenhalt steigern, zum Beispiel durch intergenerationell geteilten Wohnraum wie im Konzept „Wohnen für Hilfe“ oder in Mehrgenerationenhäusern.

Transformation durch Innovation?

Besonders interessant in Hinblick auf die Technikfolgenabschätzung war der Workshop von Timmo Krüger (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung) und Lisa Kuhley (Café Kaputt Leipzig), der das Konzept der sozialen Innovation kritisierte. Statt um nachhaltige oder alternative Entwicklung solle es um Alternativen zur Entwicklung selbst gehen, um mit der innovationsinhärenten Steigerungslogik zu brechen. Verdeutlicht wurde dies am Beispiel eines Reparatur-Cafés, das unter dem „Innovations-Imperativ“ der Fördermittelgeber leidet. Voraussetzung für eine Weiterfinanzierung ist meist, im Wettbewerb zu vergleichbaren Initiativen als innovativ wahrgenommen zu werden. So wird fortwährend Wandel und Neues eingefordert, selbst wenn das bestehende Konzept gut funktioniert.

Das Thema der Partizipation griff mein Beitrag zur „Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) als Leitfaden für sozial-ökologische Stadtplanung“ auf. Die GWÖ hat zwar ursprünglich ein Instrument zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen entwickelt, kann jedoch auch für Kommunen sehr interessant sein, wenn es um sozial-ökologische Kriterien bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder um Formen institutionalisierter Bürgerbeteiligung geht. Dafür müssen neue Beteiligungsformate gefördert und entwickelt werden, die offen zuhören, Bedürfnisse ernst nehmen und Freude an Beteiligung machen – beispielsweise durch Reallabore, die in einem überschaubaren Rahmen, z. B. auf Quartiersebene, arbeiten, sodass Verantwortlichkeit gefördert wird und Verbundenheit entsteht.

Grenzen (eines akademischen Diskurses) überwinden

Viele der Diskussionen zeigten Interdependenzen auf – zwischen Stadt und Land beispielsweise, da diese immer vernetzt sind und sein müssen, bezüglich (sozialer) Infrastruktur, Mobilität, kulturellem Angebot und vielem mehr. Christian Schorsch (Permakultur-Institut) stellte in diesem Kontext das Designprinzip Permakultur als einen lokale Synergien nutzenden Ansatz für (urbane) Lebensraumgestaltung nach dem Vorbild der Natur vor. Er verband Permakultur mit dem Ansatz des „Commoning“, der jenseits von marktwirtschaftlichen Strukturen ein Prinzip des „Sein statt Haben“ entwirft und den Gemeinwohlnutzen in den Vordergrund stellt (Helfrich und Bollier 2019; Fromm 1976). Eine neue gesellschaftliche Organisation zeichne sich räumlich u. a. durch die Aufhebung der Abgrenzung von Wohn- und Arbeitsraum oder durch (über)regionale statt nationalstaatliche Strukturen aus. Was utopisch klingt, wird in Wohngenossenschaften oder dem Mietshäuser Syndikat bereits teilweise praktiziert. Immobilien werden vom Markt genommen und gehen langfristig in den Besitz derer über, die darin wohnen. Kombiniert wird das oft mit einem hohen Maß an Autonomie durch erneuerbare Energie- und Selbstversorgung, Selbstbau und Reparatur und vor allem selbstbestimmte Organisation.

Solche Beispiele zeigen die eigentliche Nähe der Konferenzthemen zur Lebenspraxis, die auch ohne abstrakte Begrifflichkeiten wie Postwachstum oder Suffizienz auskommt. Der lebensweltlichen Problemorientierung und ihrem Anwendungsbezug widersprechend war der Diskurs dieser Konferenz (und vermutlich war das keine Ausnahme) sehr akademisiert. Die größte Herausforderung für die urbane Postwachstumsbewegung wird es voraussichtlich sein, Debatten inklusiver zu gestalten. Zur weiteren Vernetzung wurde die Plattform Postwachstumsstadt geschaffen, auf der auch das „Manifest der Postwachstumsstadt“ als Ergebnis der Konferenz publiziert wird. Als Teil der Abschlusskonferenz des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften wird es am 24. September 2019 in Jena eine Follow-up-Veranstaltung geben.

Weitere Informationen

Plattform Postwachstumsstadt: https://wachstumswende.de/project/plattform-postwachstumsstadt/

Literatur

Fuhrhop, Daniel (2015): Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift. München: oekom verlag.

Fromm, Erich (1976): To have or to be. New York: Harper & Row.

Helfrich, Silke; Bollier, David (2019): Frei, fair und lebendig. Die Macht der Commons. Bielefeld: transcript Verlag.

Schmelzer, Matthias; Vetter, Angelika (2019): Degrowth/Postwachstum zur Einführung. Hamburg: Junius Verlag.