Reflexionen · REZENSION

Emotionale Endlagersuche

Roman Seidl, Öko-Institut e. V., Institut für angewandte Ökologie, Postfach 1771, 79017 Freiburg (R.Seidl@oeko.de), orcid.org/0000-0002-6658-8789

Smeddinck, Ulrich (Hg.) (2018):
Emotionen bei der Realisierung eines Endlagers.
Interdisziplinäre Beiträge. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag (Braunschweigische Rechtswissenschaftliche Studien ENTRIA), 218 S., 42,00 EUR, ISBN 9783830538431

Wenn Konflikte um Umwelt- oder Technikthemen entstehen, schwingen oft Emotionen mit, die teils auch instrumentell eingestreut, teils der jeweiligen Gegenseite unterstellt werden. Auch bei der Frage, ob und wo ein Endlager für radioaktiven Abfall in Deutschland gebaut werden soll, wird selten rein rational argumentiert. Emotionen werden aber kaum wissenschaftlich reflektiert. Das Buch „Emotionen bei der Realisierung eines Endlagers. Interdisziplinäre Beiträge“ (Hg. Ulrich Smeddinck) versammelt Beiträge aus Umweltwissenschaft, Geschichte, Psychologie und Humanwissenschaft, Philosophie, Jura und Ethnologie. Mit Ausnahme von zwei nachträglich aufgenommenen Kapiteln wurden alle Kapitel von Beitragenden zu dem Werkstattgespräch des Projektes „Entsorgungsoptionen für radioaktive Reststoffe: Interdisziplinäre Analysen und Entwicklung von Bewertungsgrundlagen“ (2016 in Braunschweig) verfasst.

Die Beiträge

Mittels historischer Diskursanalyse in Tageszeitungen betrachtet der Historiker Christian Götter u. a. die identitätsstiftende Wirkung von Empörung durch geteilte Emotionen und gemeinsamen Protest. Die 1970er-Jahre waren geprägt von Freund-Feind-Denken und verhärteten Fronten: Kernenergie-Befürworter warfen den Kritikern vor, nur emotional zu argumentieren, statt sich mit rationalen Argumenten an einer vernünftigen Diskussion zu beteiligen. Götter zeigt, dass diese instrumentelle Zuschreibung von Emotionen auf ‚Panikmacher‘ ungerechtfertigt war, äußerte die so bezeichnete Gruppe doch eher Unruhe, Bedenken, tiefe Sorge und sachliche Kritik. Wesentlich sei zu dieser Zeit der Verlust von Vertrauen in den Verfahrensablauf und daraus folgende Bedenken gewesen.

Thies et al. adressieren psychologische Aspekte des Protestverhaltens wie Gruppendynamik, soziale Identität sowie Gruppen-Emotionen. Vor dem Hintergrund der Macht- und Expertiseasymmetrie beim Kernkraftthema (siehe auch S. 125 im Text von Smeddinck) ist der allgemeine Befund relevant, dass Furcht oder Angst entstehen, wenn eine in-group sich als wenig wirksam erlebt (im Sinne eigener Kompetenzwahrnehmung) und dass es eher zu Ärger und Protest kommt, wenn sie sich als hoch wirksam wahrnimmt. Eine eigene Studie der AutorInnen stellt „Betroffenheit“ als wesentlichen Einflussfaktor für Protestverhalten fest: Insbesondere neigten betroffene jüngere, weibliche sowie moderat betroffene, ältere, männliche Personen zu stärkerem Protestverhalten.

In der Politik werden Emotionen einerseits instrumentell eingesetzt, andererseits grenzt sich Politik rational und sachlich von emotionalisierten Debatten ab. Der Politik- und Umweltwissenschaftler Basil Bornemann betrachtet in seiner Konfliktfeldanalyse diesbezügliche Meso- und Makroebenen, verdeutlicht kollektive Interaktionszusammenhänge und macht Aussagen über die Bedeutung unterschiedlicher emotionaler Funktionen für soziale und politische Konflikte: Emotionen könnten zum Beispiel als Treiber für die Teilnahme von Bürgern an Partizipation wirken, aber auch als Auslöser für Partizipation, etwa um Emotionen institutionell ‚einzuhegen‘.

Ulrich Smeddinck verdeutlicht in seinem Text die Tendenz zu formal-rationalen Argumentationen auch im Recht, um dann auf eine mögliche Berücksichtigung von Emotionen durch das Standortauswahlgesetz (StandAG) einzugehen, in dem das Verfahren an sich als selbsthinterfragend und lernend beschrieben wird. Nötig sei dazu eine neue Struktur der Öffentlichkeitsbeteiligung, um Konflikte und Emotionen nicht auszuschließen, sondern als Möglichkeit zum Lernen zu begreifen. Durch Ergebnisoffenheit und den Einbezug von Betroffenen könnte das Vertrauen in das Verfahren gestärkt werden.

Der philosophische Beitrag von Anne Reichold analysiert Empörung unter Rekurs auf Strawsons Konzept der „reaktiven Haltungen“. Sind normative Forderungen nach intersubjektiver Anerkennung oder gutem Willen erfüllt, führe dies zu Emotionen wie Liebe oder Vergebung; werden sie verletzt, resultierten Übelnehmen oder Empörung. Die Verletzung allgemeiner Normen und Regeln durch Handlungen kann hingegen persönliche oder stellvertretende Betroffenheit auslösen (siehe auch Thies et al.). Empörungsäußerungen indizieren, welche Gruppen welche Form reaktiver Handlungen als legitim ansehen (von expliziten Sprechakten über Petitionen bis zum Festketten an Bahngleisen). Emotionen könnten auch durch Kommunikation und Entscheidungen reguliert werden und Empörung über diesen institutionellen Rahmen erst im Verlauf der inhaltlichen Debatte auftreten.

Nicht auf das deutsche Endlagerverfahren bezogen, sondern auf die japanische Einschätzung der Kernkraft ist der ethnologische Text von Nicole Terne. Obwohl hier andere kulturelle und geografische Randbedingungen herrschen und Emotionen nicht im wissenschaftlichen Zentrum stehen, ist dies ein wichtiger Beitrag, da die Analyse der Autorin Transparenz und Vertrauen als zwei Kernprinzipien im Umgang mit risikobehafteten Technologien bestätigt.

Etwas zu wissenschaftlich?

Alles in allem ist dies aus der Perspektive der Technikfolgenabschätzung und mit Blick auf das Verfahren zur atomaren Endlagersuche ein sehr wertvoller Band, der diverse disziplinäre Einschätzungen zum Thema Emotionen vereint. Insbesondere werden in den Texten implizite wie explizite Verbindungen zum Thema Verfahrensänderungen und zum selbsthinterfragenden Standortauswahlverfahren aufgezeigt (S. 102 ff., S. 37, S. 74). Beim Rezensenten entstand ein gutes Bild davon, wie Emotionen im Verfahren wirken können und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Allerdings gibt es noch offene Forschungsfragen, die ein Synthesekapitel hätte aufzeigen und integrieren können. Auch wäre ein Index mit Stichworten nützlich gewesen, um die vorhandenen Querbezüge zu verdeutlichen. Dies ist bei der Kürze des Bandes aber zu verschmerzen.

Transparenz und Vertrauen sind Kernprinzipien im Umgang mit risikobehafteten Technologien.

Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass der Duktus der meisten Beiträge eine Spur zu akademisch und die Thematik daher sprachlich eher schwer zugänglich ist. Ähnliche Kritik äußerte bereits das Publikum des Werkstattgesprächs in Braunschweig (S. X): Die Veranstaltung versuche, Emotionen und die Lösung des ‚Akzeptanzproblems‘ wissenschaftlich einzuhegen, bei im Übrigen weiter geltendem Primat akademischer Expertise. Leider nutzt das rezensierte Buch die Gelegenheit nicht, auf diesen Kritikpunkt mit Beiträgen aus außerwissenschaftlichen Perspektiven von Verbänden, NGOs oder journalistischen Medien einzugehen.