INTERNATIONAL
TA-Expertinnen und -Experten aus aller Welt beim ersten Treffen des globalTA-Netzwerks. (Quelle: globalTA)
Bei der vierten europäischen Konferenz für Technikfolgenabschätzung, die im November in Bratislava stattfand, präsentierte sich das neue Netzwerk globalTA erstmals der Community. Die Initiatorinnen und Initiatoren vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) in Karlsruhe und dem Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) in Wien sind überzeugt: Internationale Verbindungen sind in der TA von wachsender Bedeutung. Deshalb wollen sie in den nächsten Jahren herausfinden, ob und wie es möglich ist, TA weltweit über verschiedene Kulturen, politische Systeme, Regime, aber auch Praktiken und Ansätze hinweg durchzuführen. Für Miltos Ladikas vom ITAS ist globalTA ein logischer Schritt: „Die Erfahrung, die wir in Europa gemacht haben, war wichtig, um nun über die europäischen Grenzen hinaus zu denken. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn es um Wissenschaft und Technologie geht.“ Peta Ashworth, TA-Expertin an der University of Queensland in Australien, unterstrich die Wichtigkeit, globale Themen „im Energie- oder Klimabereich oder für eine immer älter werdende Bevölkerung“ gemeinsam zu durchdenken. Die Einzigartigkeit jedes einzelnen Teilnehmerlandes unterstrich Natalia Cherepanova von der russischen Tomsk Polytech University: „Ein großer Vorteil des globalen TA-Netzwerks ist die Möglichkeit, mit Hilfe der spezifischen Erfahrungen unserer internationalen Kolleginnen und Kollegen Antworten zu finden.“
globalta.technology-assessment.info
JUBILÄUM
Im Mai 1989 erschien die erste TA-Studie für das britische Parlament. Ihr Thema: die Sterilisierung von Lebensmitteln durch Bestrahlung. 30 Jahre später kann POST (the Parliamentary Office of Science and Technology) auf über 600 veröffentlichte sogenannte POSTnotes zurückblicken, auf deren Grundlage Abgeordnete von Ober- und Unterhaus Debatten über Wissenschafts- und Technikfragen führen. Das dem UK Parliamentary and Scientific Committee zugeordnete Büro hat sein Jubiläum zum Anlass genommen, eine Bilanz der zurückliegenden Jahrzehnte zu ziehen. Eine Befragung ergab, dass POST zwar eine exzellente Reputation in Expertenkreisen genießt, aber etwa in Bezug auf die Sichtbarkeit im Parlament noch Verbesserungsbedarf herrscht. POST reagiert darauf mit einer „POST at 30 strategy“. Diese umfasst vier zentrale Betätigungsfelder für die Zukunft: „Partnering“ mit Forschenden, „Organising“ eines breit angelegten Horizon Scanning, „Synthesising“ wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier und „Training“ für den wissenschaftspolitischen Nachwuchs.
CALL FOR PAPERS
Ungefiltert verbreitete Fakes, dominante Plattform-Giganten und geschlossene Echokammern in Sozialen Netzwerken fordern das demokratische Miteinander heraus. Das wachsende Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Digitalisierung beleuchtet das Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) bei der Jubiläumsausgabe seiner TA-Konferenz vom 8. bis 10. Juni 2020. Unter dem Titel „Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie“ soll auch grundsätzlichen Fragen zum demokratischen Selbstverständnis der TA nachgegangen werden. Beiträge für die TA20, die gleichzeitig auch die neunte Konferenz des Netzwerks TA ist, können Forschende noch bis zum 1. Februar 2020 einreichen.
KONFERENZ
Im Fokus der diesjährigen Konferenz des Europäischen Netzwerks für Technikfolgenabschätzung für Parlamente (EPTA) stand das Thema „Technologien in der Pflege älterer Menschen“. In Stockholm diskutierten die Vertreterinnen und Vertreter der TA-Institutionen mit Abgeordneten über das Potenzial technologischer und sozialer Innovationen im Hinblick auf die Herausforderungen einer alternden Bevölkerung. In einem zur Konferenz erschienenen Report beschreiben die EPTA-Mitglieder jeweils aus nationaler Perspektive den Stand der Technologienutzung, Zukunftsperspektiven und politische Implikationen. Bei der Konferenz wuchs auch die EPTA-Familie: Das von der südkoreanischen Nationalversammlung 2018 gegründete „National Assembly Futures Institute“ (NAFI) ist künftig assoziiertes Mitglied in EPTA.
LEHRE
Die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) bietet seit dem Wintersemester 2019/2020 den internationalen Master-Studiengang „Governance of Technology and Innovation“ (GovTec) an. Er richtet sich an Absolventinnen und Absolventen aus den Geistes-, Sozial- und Politikwissenschaften ebenso wie aus den Natur- und Technikwissenschaften. Das Angebot soll Studierende in die Lage versetzen, komplexe Wissenslagen zu analysieren und ihre Erkenntnisse beratend zur Verfügung zu stellen. Auf dem Lehrplan stehen auch Möglichkeiten partizipativer Technikentwicklung sowie Methoden aus der TA und ihr nahestehender Forschungsgebiete. Praxisnähe ist den Organisatoren dabei besonders wichtig. So können die Studierenden ihr Wissen in Lehrforschungsprojekten sowie mit Partnern aus Technologieentwicklung, Wirtschaft und Verwaltung erproben. Angesiedelt ist der neue Studiengang am Department for Society, Technology, and Human Factors der RWTH Aachen.
Experte für Speichertechnologien, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Warum betreiben Sie TA?
Ich bin von der Pike auf Ingenieur, fand es aber immer faszinierend, neue Technologien auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten – zum Beispiel ihre Umweltauswirkungen oder ihre soziale Akzeptanz. TA ermöglicht es, sich da ein umfassendes Bild zu verschaffen.
Welche Forschungsfrage interessiert Sie besonders?
Wenn ich eine Technologie habe, die sich im Labormaßstab befindet, habe ich sehr viele Möglichkeiten, sie nachhaltig zu gestalten. Um Lebenszyklen zu analysieren, gibt es zu diesem Zeitpunkt aber nur sehr wenige Daten. Das zu lösen, treibt mich bei jedem Projekt um.
Welche Maßnahme stände als Wissenschaftspolitiker ganz oben auf Ihrer Agenda?
Das ist nicht so einfach, Gott sei Dank bin ich Wissenschaftler! Zum Glück wächst ja langsam das Bewusstsein, dass Nachhaltigkeit in der Technologieentwicklung eine wichtige Rolle spielen sollte. Aber als Politiker würde ich versuchen, diesen Aspekt in Projekten noch stärker zu machen.
Welche Zukunftstechnologie hätte größere Beachtung verdient?
Im Bereich der Energietechnik ist vieles wichtig. Aber Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen werden bald beinahe jeden Prozess berühren – beispielsweise lässt sich mit ihnen viel Zeit sparen, um Materialien für neue Batteriesysteme zu charakterisieren.
Wie lässt sich TA jungen Forschenden schmackhaft machen?
Die ist schon schmackhaft genug! Es ist einfach höchst spannend, mit Kollegen aus unterschiedlichsten Fachbereichen zusammenzukommen und über den Tellerrand zu blicken. Das selber zu erleben, kann ich jedem nur empfehlen.
INTERNATIONAL
Welche Rolle spielen neue Technologien für den afrikanischen Kontinent? Mit dieser Frage beschäftigten sich im Oktober dieses Jahres Vertreterinnen und Vertreter von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik aus zehn afrikanischen Ländern in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Zu der zweitägigen Veranstaltung hatte die ETC Group eingeladen, die sich weltweit mit sozioökonomischen und ökologischen Fragen rund um neue Technologien auseinandersetzt. Ihr Ergebnis ist die „Abuja Declaration on Emerging Technologies and their implications for Africa“. Darin warnen die Unterzeichnenden davor, Technologien wie Verfahren der Synthetischen Biologie oder das Geoengineering auf dem Kontinent zu erproben, ohne sie zuvor auf ihre potenziellen kulturellen, gesundheitlichen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen zu überprüfen. Kern der Abuja Declaration ist die Einrichtung einer von zivilgesellschaftlichen Gruppen getragenen African Technology Assessment Platform (AfriTAP). Vergleichbare mit Unterstützung der ETC Group aufgebaute Plattformen existieren bereits in Asien und Lateinamerika.
US-WAHLKAMPF
Elizabeth Warren, aussichtsreiche demokratische Bewerberin für die Kandidatur um das Amt der US-Präsidentin, will den Einfluss von Lobbyisten im Kongress zurückdrängen. Abgeordnete müssten bei Fragen wie dem Klimawandel oder der Regulierung von Internetkonzernen wieder in der Lage sein, informierte Entscheidungen zu treffen, ohne dabei auf externe Quellen mit eigener Agenda angewiesen zu sein, so Warren auf ihrer Webseite. Im Falle ihres Wahlsiegs plant sie deshalb, das Congressional Office of Technology Assessment (OTA) wiederzubeleben. Das OTA gilt als Vorbild für TA-Institutionen weltweit, es wurde 1995 von der republikanischen Mehrheit im Kongress aufgelöst. Für eine Wiedereinführung hatte sich bereits Warrens Mitbewerber um die Kandidatur fürs Präsidentenamt Andrew Yang eingesetzt. Warren stellt in Aussicht, dem OTA bei der Auswahl von Personal und Themen große Freiheiten und Kompetenzen einzuräumen.
elizabethwarren.com/plans/congressional-independence
27. 02. 2020, BERLIN – Technikwenden in Vergangenheit und Zukunft. Jahrestagung des VDI Ausschusses Technikgeschichte in Kooperation mit dem Fachgebiet Technikgeschichte, TU Berlin
www.technikgeschichte.tu-berlin.de
16.–17. 03. 2020, KÖLN – Fachtagung: Futurework. Arbeitswelten der Zukunft
www.arbeit2100.de/fachtagung2020/
02.–03. 04. 2020, HALLE (SAALE) – Künstliche Intelligenz und Weltverstehen. Frühjahrstagung des Leopoldina-Zentrums für Wissenschaftsforschung
www.leopoldina.org/veranstaltungen/veranstaltung/event/2734/
08.06–10. 06. 2020, WIEN – Internationale Konferenz TA20 und NTA9:
Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie (Call for Papers)
www.oeaw.ac.at/ita/veranstaltungen/konferenzen-workshops/nta9-ta20/ueberblick/
17. 06.–19. 06. 2020, Logroño – ethicomp 2020: Paradigm shifts in ICT ethics. Societal challenges in the smart society
www.unirioja.es/ethicomp/2020/
Weitere Termine unter www.openta.net/kalender
PARLAMENT
Mit Anschauungsmaterial aus Raumfahrt und 3-D-Druck: Abgeordnete des Deutschen Bundestags bei der Premiere von „TAB im Foyer“. (Quelle: DBT/Inga Haar)
Zukunftstechnologien und deren Folgen im direkten Gespräch – das stand im Fokus der ersten Ausgabe von „TAB im Foyer“ des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Abgeordnete und Mitarbeitende hatten Ende September im Paul-Löbe-Haus die Möglichkeit, sich über Ergebnisse von TA-Projekten zu informieren. Vorgestellt wurden aktuelle Untersuchungen und Publikationen des TAB. Mehrere Ausstellungsstücke wie ein Mondauto und Produkte aus dem Bereich additiver Fertigungsverfahren boten Anknüpfungspunkte, um mit den Expertinnen und Experten des TAB ins Gespräch zu kommen. „Ein kleiner Vorgeschmack auf die Zukunft“, resümierte Ernst Dieter Rossmann, Vorsitzender des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Er bedankte sich bei seiner Eröffnungsrede für die nunmehr fast 30-jährige wissenschaftliche Beratung und hilfreiche Expertise des TAB. „TAB im Foyer“ soll künftig einmal jährlich stattfinden, um die Sichtbarkeit von TA und den Dialog zwischen Abgeordneten und Mitarbeitenden des Bundestags sowie den Expertinnen und Experten des TAB zu stärken.
PUBLIKATION
Orwat, Carsten (2019):
Diskriminierungsrisiken durch Verwendung von Algorithmen.
Baden-Baden: Nomos, 182 S., ISBN 9783848762859
www.antidiskriminierungsstelle.de
Stellenmarkt, Kreditvergabe, Rechtsprechung: Nicht nur Unternehmen, auch staatliche Institutionen setzen verstärkt auf automatisierte Entscheidungen durch algorithmenbasierte Systeme. Ihre Effizienz spart Zeit und Geld – birgt jedoch vielfältige Gefahren der Benachteiligung einzelner Menschen und ganzer Bevölkerungsgruppen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dass Algorithmen zwangsläufig zu objektiveren und damit faireren Entscheidungen kommen als Menschen, erweise sich leider oft als Trugschluss, so Autor Carsten Orwat vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). „Kritisch wird es insbesondere dann, wenn Algorithmen mit tendenziösen Daten arbeiten und auf eigentlich geschützte Merkmale zurückgreifen“. Die Studie „Diskriminierungsrisiken durch Verwendung von Algorithmen“ veranschaulicht anhand von 47 Beispielen, wie Algorithmen diskriminieren können, wie sich dies nachweisen und wie sich das Risiko der Diskriminierung verringern lässt.