Rezension

Kontroverse um die Grüne Gentechnik

Lilian Marx-Stölting, IAG Gentechnologiebericht, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23, 10117 Berlin (marx-stoelting@bbaw.de)

Julia Diekämper, Museum für Naturkunde, Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung (julia.diekaemper@mfn-berlin.de)

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TATuP Bd. 28 Nr. 3 (2019), S. 74–75, https://doi.org/10.14512/tatup.28.3.74

Dürnberger, Christian (2019):
Natur als Widerspruch. Die Mensch-Natur-Beziehung in der Kontroverse um die Grüne Gentechnik.
Baden-Baden: Nomos.
290 S., 44 Euro, ISBN 9783848757183

Dass es um die Wertschätzung gentechnologischer Eingriffe in der Landwirtschaft nicht zum Besten steht, davon zeugen nicht zuletzt unzählige Befragungen, die regelmäßig den Schluss nahelegen, dass Bürger*innen große Vorbehalte gegenüber Gentechnik in Lebensmitteln pflegen. Eine solche Ablehnung allerdings ist nur auf der Oberfläche ein kleinster gemeinsamer Nenner. Darunter zeigen sich unterschiedliche, gar miteinander unvereinbare Begründungen und Haltungen, deren argumentative Muster soweit verfestigt sind, dass auf konträre Positionen kaum noch prüfend oder einordnend Bezug genommen wird. Im Sinne eines Dialogs auf Augenhöhe ist aber das Ausdifferenzieren und Kenntlichmachen von Begründungszusammenhängen und Hintergrundüberzeugungen, ja von Weltsicht, für ein näheres Verständnis aktueller Debatten unerlässlich.

Insofern tritt Christian Dürnberger mit einem hochgesteckten Ziel an: Er möchte den „Konflikt (besser) verstehen“ (S. 17) und nachvollziehen, welche Hintergrundüberzeugungen mit einer solchen Prägkraft die Wahrnehmung von Gentechnologien bestimmen. Seine Entscheidung, sich genauer eine Seite anzuschauen, zeugt davon, dass es ihm nicht um das quantitative Abbilden moralischer Phänomene geht (S. 37).

Im Sinne einer deskriptiv-hermeneutischen Ethik will der Autor die turbulenten Auseinandersetzungen greifbar machen, indem er sich mitten in das verminte Gelände begibt: Inhaltsanalytisch kartiert er seine Funde, die er aus gentechnikkritischen Broschüren schöpft. Broschüren der Befürworterseite werden jedoch nicht berücksichtigt, wodurch in der Diskursanalyse die Argumente einer Seite komplett ausgeklammert werden und das Wechselspiel bzw. der Konflikt zwischen Befürwortenden und Ablehnenden lediglich verkürzt dargestellt werden kann. Die Argumente aus den Broschüren ordnet Dürnberger drei Feldern zu: Risiken, soziale Aspekte und Mensch-Natur-Beziehung. Gleichzeitig zeichnet er nach, inwiefern der Umgang mit Nichtwissen, das Vertrauen in verantwortliche Akteure, die Regulierung der Märkte, das Leitbild der Landwirtschaft sowie die adäquate Mensch-Natur-Beziehung die Einschätzungen von und Einstellungen zu Gentechnologien nachhaltig prägen.

Rekonstruktionen von Naturvorstellungen

An der „Grünen Gentechnologie“, so Dürnbergers These, lasse sich genauer eine Mensch-Natur-Beziehung ablesen. Damit – und das ist ein Pfund der Arbeit – bietet Dürnberger eine Lesart an, die zunächst davon ausgeht, dass eine Naturbeziehung maßgeblich für die Wahrnehmung von Gentechnologien sei. Was zunächst wenig überraschend ist und wovon etwa die Naturbewusstseinsstudien künden, ist aber bei näherer Betrachtung weniger eindeutig, als es zunächst den Anschein hat. Denn Dürnberger zeigt: Der Dissens erstreckt sich genau hier, wo zu schnell Einigkeit postuliert wird. Indem er nun verschiedene Naturvorstellungen und ihre impliziten Perspektiven auf die Mensch-Tier-Beziehung aufrollt, führt er Unterscheidungen ein: zwischen einer moralischen, religiösen, einer praktischen, einer existenziellen, einer ästhetischen und naturwissenschaftlichen Perspektive. Eine solche Systematisierung ist sicher diskutabel. Sie macht aber kenntlich, dass es zu kurz greift, entsprechende Auseinandersetzungen als reine Kosten-Nutzen-Abwägung zu begreifen. Stattdessen, das führt der Autor vor, drücken sich in der Wahrnehmung von Grüner Gentechnologie Wertevorstellung aus (S. 68).

Die divergierenden Vorstellungen und Perspektiven werden zusammenfassend unter dem Schlagwort „Natur als Widerspruch“ diskutiert. Dabei werden zwei „Interpretationsschneisen“ (S. 235) in das „Diskursdickicht“ (ebd.) geschlagen: „Zum einen a) spielt sich die Kontroverse vor dem Hintergrund eines Widerstreits divergierender Naturvorstellungen innerhalb bestimmter Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung ab. Zum anderen b) zeigt sich jedoch ebenso ein konflikthaltiges, auseinanderklaffendes Gegenüber verschiedener Perspektiven der Mensch-Natur-Beziehung überhaupt. Zwei Klüfte sind dabei zentral: „Zum einen die Divergenz zwischen naturwissenschaftlichem und „nicht-naturwissenschaftlichem“ Modus, zum anderen die Differenzierung zwischen praktischem Arbeits- und ästhetischem Erholungsraum“ (S. 235).

Relevanz für die TA

Eine Stärke des Buches und ein relevanter Beitrag zur Diskussion liegt in der überzeugenden Darlegung, dass unabhängig davon, dass rechtliche oder ethische Positionen dies immer wieder in Frage stellen, Naturvorstellungen für die Wahrnehmung und Beurteilungen von Gentechnologien konstitutiv sind. Dürnberger legt überzeugend dar, wie divers diese unterschiedlichen Naturvorstellungen sind. Er macht damit deutlich, dass eine insbesondere in Bezug auf die Landwirtschaft vorgenommene Lagerzuschreibung die Komplexität von Begründungszusammenhängen auch dann nicht abdeckt, wenn man sich exemplarisch auf diejenigen Stimmen bezieht, die eine Anwendung nicht tolerieren. Für ihn leitet sich hieraus das Plädoyer ab, diese Heterogenität sei bei zukünftigen Konflikten stärker mit einzubeziehen: „Beispielsweise könnte bei […] partizipativen Modellen angesichts zukünftiger Technikkontroversen stärker darauf geachtet werden, von Beginn an nicht allein auf die Potenziale und Risiken der zu behandelnden Technologie zu fokussieren, sondern darüber hinaus bewusst auch Subkonflikte und Vorstellungswelten, Metaphern und Narrationen in der Diskussion zuzulassen sowie zum Thema zu machen“ (S. 251).

Eine Diskussion der Relevanz der Ergebnisse für die aktuelle Diskussion um die Grüne Gentechnik im Kontext der Verfahren des Genome Editings fehlt jedoch leider. Gerade die neusten Entwicklungen zeigen allerdings: Für sie ist die Naturbeziehung hochgradig relevant. Und sie wird – anders als in den klassischen Gentechnik-Kontroversen – nun nicht mehr einseitig von Skeptiker*innen in Anschlag gebracht. Die Hoffnung, „eine Verbesserung der Debattenkultur sowie eine Annäherung an einen Kompromiss bzw. an der Befriedung der Kontroverse“ (S. 250) zu erreichen, scheint vor diesem Hintergrund sehr ambitioniert. Gerade vor den dargelegten Befunden Dürnbergers drängen sich Fragen auf, inwiefern hier diskursive Muster abermals auf dem Prüfstand stehen. Insbesondere die hoch aufgeladene Auseinandersetzung lässt sich trefflich nutzen, um gesellschaftspolitische Fragestellungen an einem Fallbeispiel zu erörtern und so den Kampf um Deutungshoheit mit all seinen Verästelungen auszulesen.

Fazit

Das Buch führt interessierte Laien an den Konflikt heran und bereitet auf einen tieferen Einstieg in die Thematik vor. Ohne Frage tritt Dürnberger den Beweis an, dass nur Detailarbeit einen als festgefahrenen beschriebenen Konflikt produktiv zu wenden vermag. Dass es dabei tatsächlich nicht um Konsens, sondern um ein Verständnis der Differenzen zugrundeliegender Haltungen geht, ist ein Votum für einen ergebnisoffenen Dialog. Insofern bietet die Darstellung weniger überraschende Befunde über die möglichen argumentativen Spielarten als vielmehr eine Lesbarkeit, mit diesen umzugehen.