Bericht

Mission Control?

Doris Allhutter, Ulrike Bechtold, André Gaszó, Niklas Gudowsky, Anna Pavlicek, Tanja Sinozic, Mahshid Sotoudeh, Stefan Strauss, Helge Torgersen, alle Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Apostelgasse 23, 1030 Wien

Korrespondierende Autorin: Ulrike Bechtold (ubecht@oeaw.ac.at) orcid.org/0000-0002-6002-8713

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TATuP Bd. 28 Nr. 3 (2019), S. 79–80, https://doi.org/10.14512/tatup.28.3.79

Die heurige TA19-Konferenz, ausgerichtet vom Institut für Technikfolgen Abschätzung (ITA) in Wien, beschäftigte sich mit missionsorientierter Forschung, deren Genese und Prägung sowie mit der möglichen Rolle von Technikfolgenabschätzung (TA) darin. Vannevar Bush („The endless frontier“) hatte einst vorgeschlagen, gerichtete Forschung und Entwicklung als Motor für die Entwicklung ziviler Produkte zu nutzen, statt für die Waffenentwicklung wie während des zweiten Weltkriegs. Ein damals neuer Gedanke, obwohl der technology push keine neue Erfindung war. Parallel zum politischen Kontext haben sich heute die Ziele geändert: Es geht – zumindest in Europa – nicht mehr um Waffen oder nur um die Industrieproduktion, sondern auch um „gesellschaftlich relevante“ Ziele v. a. der Klima-, Gesundheits- und Umweltpolitik, wie die Themenbereiche im nächsten EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe zeigen. Die Orientierung an gesellschaftlichen Herausforderungen verdrängt die Technology-Push-Ausrichtung aber keineswegs, wie die Gewichtung der Säulen des Programms zeigt.

Die Rolle der TA im Rahmen von Horizon Europe bildete das Kernstück der Keynote von Zoya Damianova (ARC Fund, Bulgarien). Die Abschätzung gesellschaftlicher Folgen und daraus resultierendes Agenda-Setting könne und müsse auch weiterhin eine zentrale Aufgabe der TA sein, sowohl in der praxisnahen interdisziplinären Forschung (die sogenannte missionsorientierte zweite Säule des Programms), als auch in der ersten Säule (Grundlagen), vor allem aber im Rahmen der Marie-Sklodowska-Curie-Schiene. Dominique Foray (EPFL Lausanne) analysierte in seiner Keynote Zielkonflikte zwischen Missionsorientierung und gerichteter Steuerung von Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und Innovation auf der anderen Seite, welche „die Freiheit des Experiments“ benötige. Komplexen gesellschaftlichen Problemen wie dem Klimawandel könne man nicht mit einfachen technischen Lösungen begegnen. Vielmehr sei eine Mischung aus demokratischer, partizipativer top-down-Steuerung und einem zu schützenden Rahmen für freie Forschung notwendig, wobei externalisierte Kosten bei der Bewertung von Innovationen stärker mitgedacht werden sollten.

Neue Facetten der Argumente von Damianova kamen in der Diskussion über die Positionierung des Netzwerks TA zur Sprache: etwa zur Bedeutung von Kooperation und Vernetzung, um TA auch weiterhin als starke Akteurin zu positionieren. Missionsorientierung könne auch dazu beitragen, eine Mission von TA zu definieren und die Rolle von TA in politischen Prozessen zu hinterfragen und zu stärken.

Zwischen missionsorientierter Steuerung und innovationsorientiertem Experimentieren in Wissenschaft und Forschung entstehen Zielkonflikte.

Petra Schaper-Rinkel und Dana Wasserbacher (beide AIT) betonten, dass technische Entwicklungen Raum für Kritik erfordern, um soziotechnische Entwicklungen und die durch Missionsorientierung verfolgten Ziele auch in Frage zu stellen. Die Nähe von RRI und Missionsorientierung lasse derzeit offen, ob es weiterhin Förderung für beides geben oder letzteres zum allgemeinen Paradigma wird. Missionsorientierung sei stark durch politische Praxen überlagert und der Technology-Push werde wirksam, bevor Missionsorientierung relativierend eingreifen könne.

Die gezielte Ausrichtung staatlicher Wissenschaftsfinanzierung und die Entwicklung der Forschungspolitik hin zur Technologie- und nun Innovationspolitik hätten auch Praktiken der TA und der Politikberatung verändert, so Torsten Fleischer (KIT-ITAS) in einem historischen Blick auf das Verhältnis von Staat und Wissenschaft. TA müsse sich auch als Teil einer breiten wissenschaftlich-intellektuellen Bewegung verstehen, die durch ihre Praktiken die Grenzen des Transformationsdenkens überschreitet und mitgestaltet.

Claus Seibt gab einen kritischen Einblick in die Rolle der Vorbereitung missionsorientierter Forschungs- und Innovationsprogramme. Ein Beitrag des AIT (Weber, Schaper-Rinkel, Giesecke) stellte das BOHEMIA Foresight-Projekt zur Vorbereitung von Horizon Europe vor, in dem die gesellschaftlichen Herausforderungen zur Definition neuer F & I-Agenden fundiert dargestellt werden sollten und nicht wie bisher der technologische Zugang als Leitprinzip zur Lösung gesellschaftsrelevanter Fragen firmiert.

Missionsorientierte Technologieprogramme diskutierten Ulrike Bechtold und Leo Capari (beide ITA-ÖAW) am Beispiel von Technologien für Menschen mit Unterstützungsbedarf, wo mehrere Missionen bestehen: die Lebensqualität von Menschen durch Technikeinsatz zu verbessern, neue Märkte zu erschließen und nationale Pflegesysteme (primär ökonomisch) zu entlasten. Diese Vermischung von Zielen folge primär einem technologie- und wirtschaftszentrierten Paradigma, statt auch grundlegende (Verteilungs-)Fragen miteinzubeziehen.

Wolfgang Polt (Joanneum Research) und Matthias Weber (AIT) widmeten sich der Aufgabe missionsorientierter Forschung, die Lücke zwischen gesellschaftlichen Herausforderungen und dem spezifischen EU-Rahmenprogramm zu schließen. Über 200 empirische Beispiele von Missionsorientierung ergaben vier Forschungstypen: Wissenschafts-, Technologie-, Transformator- und Schirm-Missionen. Aus diesen ergäben sich unterschiedliche Herausforderungen für die Implementierung, die eine substantielle Neudefinition staatlicher Kapazitäten erfordern.

Karen Kastenhofer und Helge Torgersen (beide ITA- ÖAW) diskutierten die Rolle der TA hinsichtlich „Zeitgeist“ und unterschiedlicher „Politikstile“. Gegenwärtig wird – kontrafaktisch – Technologieresistenz in der Bevölkerung angenommen, wodurch sich TA als Unterstützerin der Innovationspolitik unter gesellschaftlichen Zielen (Nachhaltigkeit) wiederfindet. Diskutiert wurde, ob TA künftig als „Dienstleister“ oder als Triebfeder für die Re-Politisierung von Wissenschafts- und Technologiepolitik auftreten sollte.

Steffen Bettin und Michael Ornetzeder (beide ITA-ÖAW) fragten, ob Missionsorientierung lediglich eine „Umetikettierung“ öffentlicher Mittel für die industrielle Forschung sei oder ob es sich um einen grundlegend neuen Ansatz zur Steuerung der Innovationsergebnisse handelt. Im zweiten Fall sei eine Überprüfung der Positionierung und Funktion von TA erforderlich, um sicherzustellen, dass deren Perspektive des technologischen Wandels in politischen Kontexten wirksam bleibt oder gar erweitert wird.

Ähnlich folgerte Stephan Lingner (IQIB), dass TA ihre Position im politischen Bereich stärken oder erneuern könne, um sich auf Ziele anstatt auf Technologien zu konzentrieren. Auf Forschung und Innovation konzentriert könne TA eine wertvolle Akteurin bei der Generierung von Missionen werden, die auf Zukunftsvisionen basieren. Michael Decker (KIT-ITAS) analysierte Missionen außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in Bezug auf Hierarchien von Missionen und deren Folgen für die TA-Praxis. Missionsorientierung habe die Relevanz von TA zwar erhöht, aber unterschiedliche Settings zeitigen unterschiedliche Bedürfnisse, sodass die Aufgaben der TA jeweils angepasst werden müssen.

Bettina Mihalyi, Daniel Koch (beide Universität Wien) und Mahshid Sotoudeh (ITA-ÖA) diskutierten Missionsorientierung im Kontext des Klimawandels als Innovationsmotor. Bei Ökobilanzen zur Technikfolgenabschätzung und Optimierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs berge eine eindimensionale Betrachtung einzelner Wirkkategorien (z. B. Treibhausgasemission oder Wasserverbrauch) das Risiko falscher Schlussfolgerungen.

Nora Hampl (Universität Wien) sprach über die Energiesysteme in Panamas indigenen Gebieten, wo ökologische Nachhaltigkeit nicht in nationale Agenden aufgenommen ist. Partizipative TA könne lokalen Gemeinschaften ermöglichen, gleichberechtigte Partner im Prozess der Verbesserung des Energiesystems zu werden.

Nach Holger Floeting (Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin) finden sich in aktuellen Sicherheitsforschungsprogrammen sowohl klassisch produktorientierte als auch neue Ansätze, die eher auf große gesellschaftliche Herausforderungen fokussieren und die daher für eine erfolgreiche TA eher zugänglich seien.

Susanne Giesecke (AIT) präsentierte Ergebnisse des EU-Projekts FRESHER zu Foresight und Zukunftsszenarien im Gesundheitswesen: Bessere politische Entscheidungen im Gesundheitssektor brauchen mehr ganzheitliche Ansätze, um Problemursachen aufzuzeigen und sozial robustes Wissen zu generieren.

Johannes Starkbaum, Anna Gerhardus und Robert Braun (IHS) zeigten, wie sich Innovationsinitiativen auf Forschungspraxen mit partizipativem Anspruch auswirken. Das Forschungsprojekt RiConfigure zeigte, dass kollaborative Ansätze missionsorientierter „Public Sector“-Innovation und Partizipation auch zu Spannungen führen, da Missionsorientierung oft enge, deduktive Rahmen zulasten der Gestaltungsoffenheit erzeugt.

In Summe wurden eine interdisziplinäre Kooperation, mehrdimensionale Bewertung und Gestaltungsoffenheit unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure im Innovationsprozess gefordert. Statt Akzeptanzbeschaffung sollten Akzeptabilität, Gemeinwohlorientierung und Sozialverträglichkeit forciert werden. Daher sei eine kritische Perspektive umso wichtiger, damit Missionsorientierung nicht zum Selbstzweck werde. TA sollte sich in diesen Prozess einbringen und auch positionieren. Missionsorientierung könne ein starkes Zugpferd für Wissenschaftskommunikation sein, finanziell aber sei sie ein recht bescheidener Teil der aktuellen Förderlandschaft. Zudem beinhalten andere Säulen der Forschungsförderung auch implizite Wertungen, die einen gesellschaftlichen Diskurs – und TA – vertragen würden, um gesellschaftliche Herausforderungen konstruktiv und ohne Technology-Push anzugehen.

Weitere Informationen

TA19-Konferenz: https://www.oeaw.ac.at/ita/veranstaltungen/konferenzen-workshops/konferenzarchiv/ta19