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TATuP Bd. 28 Nr. 3 (2019), S. 81

PRAXIS

Digitalisierung und Gesellschaft

Alexander Bogner, Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Apostelgasse 23, 1030 Wien (abogner@oeaw.ac.at)

In der gegenwärtigen Gesellschaft gibt es praktisch nichts, was nicht dem digitalen Wandel unterworfen wäre. Das Internet und die Social-Media-Plattformen haben die Art und Weise, wie wir Informationen erhalten und Unterhaltung erleben, Kontakte knüpfen, einkaufen und uns präsentieren, grundlegend verändert. Wir entwickeln und begegnen neuen digitalen Geschäftsmodellen, die auf dem „neuen Gold“ von Benutzer- und Prozessdaten basieren. Apps und „intelligente“ Maschinen sind so konzipiert, dass sie diese Daten sinnvoll nutzen, um Muster automatisch zu verstehen oder industrielle Prozesse zu steuern. Algorithmen, autonome Staubsauger, Autos, Waffen und humanoide Roboter befinden sich in verschiedenen Phasen der Entwicklung und Implementierung. Dieser soziotechnische Wandel ist offensichtlich mit Fragen der digitalen Sicherheit, der Privatsphäre sowie Herausforderungen für Politik und Demokratie verbunden.

In einer aktuellen Publikation werden zentrale Aspekte der Digitalisierung aus techniksoziologischer Perspektive diskutiert. Konzeptuell gehen die darin versammelten Beiträge davon aus, dass das Verhältnis zwischen Digitalisierung und Gesellschaft als „nahtloses Netz“ (T. Hughes) zu verstehen ist, also im Sinne einer engen Wechselwirkung zwischen technischen, sozioökonomischen und politisch-normativen Prozessen und Aspekten. In Begriffen wie „Koproduktion“ erscheint die Digitalisierung als ein Phänomen, bei dem sich soziale Praktiken der Entwicklung, des Diskurses, der Normen und der Nutzung sowie die Ordnung, Anordnung und Infrastruktur des Digitalen – seien es technologische Systeme, Artefakte oder Daten – ständig gegenseitig ko-konstituieren. In diesem Sinne ist die Digitalisierung immer schon „sozial“, ohne dass man ihre Gesellschaftlichkeit eigens betonen müsste. Thematisch setzen die 13 Artikel aus den Bereichen Techniksoziologie, Wissenschaftsforschung und TA drei Schwerpunkte: (1) Datenspeicherung, Automatisierung und Algorithmus; (2) Risk Governance und digitale Sicherheit; und (3) Social Media, Internet und Plattformen.

Mit Blick auf den ersten Bereich entwickelt Martina Franzen die These, dass die Digitalisierung zu einer neuen, automatisierten Form der wissenschaftlichen Wissensproduktion führen wird. J. Lemm, C. Dogan und E. Raddy diskutieren die Konsequenzen der Datafikation für die Beziehung zwischen Raum und Sozialität. T. Hagendorff konzipiert das enge und permanente Zusammenspiel von menschlichem Handeln und technischen Artefakten als eine Form der Wertübertragung. W. Aschauer, A. Seymer, M. Weichbold, T. Herdin und A. Röser zeigen am Beispiel von WebLyzard die Möglichkeiten und Grenzen automatisierter Forschung. A. Schmidl argumentiert, dass wir uns im Zuge der Digitalisierung unbemerkt in ein neues Welt- und Selbstverhältnis einüben. Im Kontext des zweiten Schwerpunkts analysieren C. Haddad und C. Binder Strategien der Cybersicherheit in Österreich. F. Gassmann, Z. Benenson und R. Landwirth rekonstruieren auf Basis experimenteller Forschung unseren Umgang mit Phishing-Angriffen. P. Müller und N. Pöchhacker diskutieren mit Seitenblick auf die Software COMPAS Nutzen und Grenzen algorithmischer Risikobewertung im Rechtssystem. Im dritten Schwerpunkt beschäftigt sich U. Dolata mit den Grundstrukturen, Funktionen und Auswirkungen von Plattformen und welche Rolle dabei Konzentration, Wettbewerb und Marktmacht spielen. M. Mölders und J.-F. Schrape widersprechen der Erwartung, dass Digitalisierung die Koordination zwischen gesellschaftlichen Subsystemen (z. B. Medien, Politik, Wirtschaft) verbessert oder effizienter gestaltet. N. Wächter hinterfragt das landläufige Narrativ von der Demokratiewirkung sozialer Medien im arabischen Frühling. W. Reichmann konzeptioniert die soziale Situation unter den Bedingungen einer zunehmend digital vermittelten Welt neu. Schließlich dämpfen A. Wenninger und S. Dickel die Hoffnung, dass die Digitalisierung zu der oft ersehnten Demokratisierung der Wissenschaft beiträgt.

Zum Weiterlesen

Musik, Christoph; Bogner, Alexander (Hg.): Digitalization and society. A sociology of technology perspective on current trends in data, digital security and the internet. Wiesbaden: Springer VS.

Call for Papers bis 01. Februar 2020:

TA20-NTA9-Konferenz, Wien: „Digital, direkt, demokratisch? Technikfolgenabschätzung und die Zukunft der Demokratie“, siehe https://www.oeaw.ac.at/ita/de/veranstaltungen/konferenzen-workshops/nta9-ta20/call-for-papers/

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