Technikakzeptanz und Hochautomation

Schwerpunktthema: Technikakzeptanz als Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Diskussion

Technikakzeptanz und Hochautomation

von Tobias Haertel und Johannes Weyer, Universität Dortmund

Um Technikängsten zu begegnen und die Akzeptanz neuer technischer Systeme zu erhöhen, plädiert die sozialwissenschaftliche Technikforschung seit den 1980er Jahren für eine benutzerfreundliche Gestaltung der Mensch/Maschine-Schnittstellen und für die Partizipation von Betroffenen bei der Systemgestaltung. Doch nicht immer werden diese Ansätze bei aktuellen Prozessen der Technikgestaltung berücksichtigt. An zwei Beispielen kann gezeigt werden, warum sie gerade bei jetzt zu beobachtenden Automatisierungsstrategien an Bedeutung gewonnen haben. Der anschließende Blick in die Zukunft zeigt, dass eine frühere und stärkere Einbindung von Nutzern sogar noch wichtiger wird, um die Akzeptanz für eine neue technische Revolution nicht zu gefährden.

1     Nutzer- und Bedienerfreundlichkeit

Die Diskussion über Technikakzeptanz begann in Deutschland in den 1980er Jahren vor dem Hintergrund eines Gefühls der Unsicherheit in der Bevölkerung angesichts neuer technischer Möglichkeiten. Gesellschaftliche Großtechnologien, deren Nutzen und Risiken sich nicht genau abschätzen ließen, sowie enorme Rationalisierungs- und Kontrollpotenziale durch technische Automatisierungen und neue IuK-Technologien stellten für Bürger und Arbeitnehmer ein Bedrohungsszenario dar, dem sie hilflos ausgesetzt zu sein schienen. Staatliche Steuerungsdefizite wurden offensichtlich und die Diskussion über die Notwendigkeit des Strukturwandels legte eine alternativlose Umsetzung technischer Innovationsmaßnahmen in den Betrieben nahe, um dringend benötigte neue Märkte zu erschließen oder die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.

Um den damit verbundenen Ängsten von Betroffenen und Beteiligten entgegenzuwirken und die Akzeptanz für die Implementation neuer Technik zu erhöhen, wurde ein stark sozialwissenschaftlich geprägter Diskurs in die Öffentlichkeit transferiert, der die „Gestaltbarkeit“ von Technik postulierte. Exemplarisch lässt sich dies am Programm der „sozialverträglichen Technikgestaltung“ festmachen, das 1984 von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens ins Leben gerufen wurde: Es forderte eine Abkehr von einer rein technikzentrierten Entwicklung und hob die Gestaltbarkeit neuer Technologien in den Vordergrund. Der Staat sollte durch wissenschaftliche Politikberatung in die Lage versetzt werden, die Gestaltungsoptionen zu erkennen und zu bewerten. Durch eine offene Diskussion über Chancen und Risiken neuer Technik unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Interessen sollten Entscheidungen über technische Entwicklungen ermöglicht werden, die ein möglichst breites Spektrum an Werten berücksichtigen.

Dabei hob das Landesprogramm stets die positiven Möglichkeiten technischer Innovationen hervor und verstand sich als Instrument, Technikängste in der Gesellschaft, aber auch in den Betrieben abzubauen. Es griff die Befürchtungen der Arbeitnehmer und ihrer Interessenvertreter auf und sprach sich (mit einem Verweis auf skandinavische Forschungsergebnisse zur partizipativen Technikgestaltung) für die Einbindung der Belegschaften bei der Einführung neuer Technologien in den Unternehmen aus (vgl. Alemann, Schatz 1987; Alemann 1992). Zu den wesentlichen Errungenschaften dieser und anderer Aktivitäten der Technikfolgenabschätzung gehört die Etablierung der Erkenntnis, dass Technikgestaltung ein sozialer Prozess ist, der um so erfolgreicher verläuft, je stärker die Interessen der Benutzer oder der Betroffenen Berücksichtigung finden. Dies wird in zwei Bereichen deutlich:

2     Strategien der Automatisierung

Mit der fortlaufenden Weiterentwicklung der IuK-Technologien wuchsen die Möglichkeiten, komplexe automatisierte Systeme zu entwickeln. Für die Entwickler gibt es zwei Argumente, hoch-automatisierte Systeme zu gestalten:

Zwei Fallbeispiele sollen zeigen, welche Folgen eine derart motivierte Entwicklung hoch-automatisierter Systeme haben kann:

2.1     Die Automatisierungsstrategie beim Airbus A 320

Durch die zunehmende Dichte des Flugverkehrs und viele neue technische Sicherungssysteme wird der Prozess des Fliegens immer komplexer. Der Airbus A 320 war das erste Flugzeug, dessen Entwicklung konsequent vom Leitbild des rechnerunterstützten Fliegens bestimmt war. Dem Systemdesign lag die Prämisse zugrunde, dass das durch Sensoren und Prozessoren „intelligente“ und fehlerfrei arbeitende technische System Flugzeug besser in der Lage sei, die erforderlichen Aufgaben zu erfüllen und auf Störfälle zu reagieren als der menschliche Bediener mit seinen kognitiven und sensorischen Begrenztheiten und seiner Anfälligkeit für Fehler. So wurde die gezielte Entmachtung der Piloten vorangetrieben und „Entscheidungskompetenzen“ auf die Bordcomputer verlagert. Alle Eingaben der Piloten sollten vom Rechner kontrolliert und im Falle eines Verstoßes gegen die von den Entwicklern festgelegten Eigenschaften korrigiert werden (vgl. Weyer 1997, S 242). In der Folge war der A 320 in einige Unfälle verwickelt, die ohne das komplexe Geflecht gegenseitiger Überwachung hätten verhindert oder abgemildert werden können.

So verunglückte zum Beispiel 1993 ein Airbus A 320 in Warschau bei der Landung, weil aufgrund schlechter Witterungsbedingungen die Bremsen wegen eines „Steamplanings“ (ein Vorgang, der dem Aquaplaning bei Kraftfahrzeugen ähnelt) versagten. Um die fehlende Verzögerung auszugleichen, leiteten die Piloten eine vollständige Schubumkehr der Triebwerke ein. Der Bordcomputer regelte die Schubumkehr jedoch auf 71 Prozent herunter – eine starre Grenze, die Entwickler zur Schonung der Triebwerke implementiert hatten. Auch die implementierte Sicherheitsfunktion, die eine Betätigung der Störklappen [1] nur bei einem vom System festgestellten Bodenkontakt ermöglicht, ließ ein manuelles Eingreifen der Piloten nicht zu. In diesem Fall wäre es aber unbedingt erforderlich gewesen, da durch das Steamplaning der Fahrbahnkontakt vom Airbus nicht erkannt wurde (s. ders. 1997, S. 251). [2]

2.2     Die elektrohydraulische Bremse bei Daimler-Chrysler

Dem Leitbild des Flugzeugbaus folgend, durch Automatisierung die Sicherheit zu erhöhen und technische Komplexität zu bewältigen, arbeitet zurzeit auch die Automobilindustrie daran, den Fahrer von seinen Aufgaben durch den Einsatz von Assistenzsystemen zu entlasten und perspektivisch zu ersetzen. Das Ziel lautet „Vision Zero“ – keine Toten oder Schwerverletzten mehr im Straßenverkehr. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn menschliches Handeln, das fehleranfällig ist, durch maschinelles Handeln ersetzt wird, das dann fehlerfrei sein soll. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, technische, rechtliche und soziale Hindernisse müssen noch bewältigt werden.

Ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung dieser Systeme ist die Ersetzung mechanischer oder hydraulischer Komponenten durch elektronische Steuerungen („x-by-wire“). Zusammen mit Bosch entwickelte Daimler-Chrysler die elektronische Bremse SBC („Sensotronic Brake Control“) und baute sie ab 2001 in die Fahrzeuge der S- und später in die der E-Klasse ein. Die elektrohydraulische Bremse analysiert anhand des gemessenen Pedalwegs den Bremswunsch des Fahrers. Das Steuergerät berechnet die optimale Verteilung der Bremskraft auf die vier Räder und sendet entsprechende Signale an die einzelnen Radzylinder. Hier sorgen Pumpen für den Aufbau des Bremsdrucks über eine Hydraulikeinheit. Daraus ergibt sich zunächst einmal ein Komfort-Nutzen, da alle Räder einzeln abgebremst werden können und das System viel gezielter verzögern kann (Vasek 2004, S. 34 f). Darüber hinaus bietet SBC auch sicherheitsrelevante Vorteile: Vermitteln die Sensordaten eine abrupte, heftige Bremsbewegung, die auf die Absicht einer Notbremsung schließen läßt, ohne dass jedoch das Bremspedal ganz durchgetreten wird (eine typische „menschliche“ Schwäche), erkennt das System den Wunsch des Fahrers und leitet eine Vollbremsung ein (vgl. Weitbrecht o. J.). Für den Fall einer Störung in der elektrohydraulischen Bremse wurde ein redundantes hydraulisches Notsystem in die Fahrzeuge eingebaut. Dessen Bedienung erfordert von den Fahrern jedoch eine Umgewöhnung, da der benötigte Kraftaufwand höher und der Pedalweg länger ist (Vasek 2004, S. 35).

Drei Jahre nach der Einführung wurden weltweit 680.000 Fahrzeuge, die mit SBC ausgerüstet wurden, in die Werkstätten zurückgerufen, da das Bremssystem in rund 1.300 Fällen (insbesondere bei viel genutzten Autos wie Taxen) auf das hydraulische Notsystem umgeschaltet hatte (ders. o. J.). Doch auch nach der Nachbesserung kam es vermehrt im Display zu der Meldung „Bremse defekt! Bitte anhalten!“ – eine Formulierung, die allein schon abenteuerlich anmutet. [3] Überdies kam es nun auch zu Unfällen wegen des Ausfalls der elektronischen Bremse; daher rief Mercedes im März 2005 erneut 1,3 Mio. Fahrzeuge zurück, um Arbeiten u. a. an der Bremsanlage durchzuführen. Die Kosten für diese größte Rückrufaktion in der Firmengeschichte werden insgesamt auf über 300 Millionen Euro geschätzt (Lamparter 2005).

Beide Beispiele sind Belege für eine überzogene Automationsstrategie der Hersteller. Um Sicherheitsgewinne zu erzielen, wurde das technisch Machbare umgesetzt, ohne die möglichen Folgen zu reflektieren und die Bedürfnisse der Bediener zu berücksichtigen. Bei Airbus wurde das dringende Verlangen der Piloten ignoriert, Entscheidungen technischer Systeme überstimmen zu können; sie wurden mit einer Automatik konfrontiert, die ihren Erfahrungen vom Fliegen nicht gerecht wurde und die ihre Arbeitsweise gegen ihren Willen verändert hat. Durch diese Art der Systemgestaltung setzte Airbus nicht nur die Akzeptanz der Piloten aufs Spiel, sondern auch die Sicherheit der Betroffenen, der Flugpassagiere. Flugzeugunglücke sind dramatische Ereignisse mit zum Teil hohen Opferzahlen; entsprechend hoch ist das Sicherheitsbedürfnis. Im Störfall unflexible und unbeherrschbare Technik zerstört das Vertrauen in das technische System.

Bei Mercedes wurde das fundamentale Interesse der Fahrer, jederzeit zuverlässig bremsen zu können, durch eine anfällige elektronische Komponente missachtet. Auch das Beispiel der elektrohydraulischen Bremse zeigt, wie durch schlechte Gestaltung die Akzeptanz für technische Neuerungen geschmälert werden kann. Die Fahrer von Mercedes verloren ihr Vertrauen in ein technisches System, das eigentlich ihrer Sicherheit dienen sollte, das aber durch seine Komplexität und Unausgereiftheit neue Risiken schuf, für die die Fahrer kein Verständnis hatten. Dementsprechend rasant schrumpfte das positive Image der Marke. Bei einer Umfrage des ADAC zur Zufriedenheit von Neuwagenkäufern mit ihren Fahrzeugen kam Mercedes auf Platz 31 von 35, bei einer Händlerbefragung der Forschungsstelle Automobilwirtschaft belegte Mercedes vor Renault den vorletzten Platz (Lamparter 2005).

Die Beispiele haben gezeigt, dass mangelnde Akzeptanz nicht auf eine grundlegende Technikfeindlichkeit zurückzuführen ist, sondern auf eine „technophile Automation“. Erst nach Unfällen, welche die problematische Technikgestaltung auch für die Öffentlichkeit sichtbar werden ließ, wurde sie wieder schrittweise zurückgenommen. Bei Airbus wurde die Autonomie des Piloten wieder erhöht, Mercedes verzichtet bei seinen neuen Modellen auf den Einbau von SBC und setzt jetzt wieder auf vollständig hydraulische Bremsen.

3     Partizipative Technikgestaltung

Die Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen Technikforschung aus den 1980er Jahren gelten auch für die Automatisierungsstrategie: Statt eines technikzentrierten Vorgehens sollten die Interessen der Nutzer berücksichtigt werden, um Technikängsten und Akzeptanzproblemen entgegenzuwirken. Dabei sollte gerade bei der Gestaltung komplexer automatisierter Systeme nicht nur nutzerorientiert vorgegangen werden, sondern es sollten auch partizipative Verfahren angewandt werden. Über die Konsensfindung durch Einbeziehung aller Betroffenen und Beteiligten hinaus wird bei der Gestaltung komplexer Systeme das Einbringen von Erfahrungswissen immer wichtiger. Die Entwicklung des Airbus A 320 macht deutlich, dass an der Gestaltung solcher Systeme immer mehr Softwareentwickler beteiligt sind, die selbst noch nie ein Flugzeug geflogen haben. Dass die Berücksichtigung praktischen Erfahrungswissens bei der Entwicklung von Flugzeugen jedoch unabdingbar ist, hat das Fallbeispiel ebenfalls gezeigt. [4]

Auch in modernen Kraftfahrzeugen nimmt der Softwareanteil immer mehr zu (vgl. Vasek 2004, S. 30). Die Mensch/Maschine-Schnittstellen werden von Ingenieuren entworfen, die selbst über ein enormes technisches Vorwissen verfügen, jedoch keinesfalls den Durchschnittsfahrer repräsentieren. Ihre Entscheidungen im Designprozess legen aber die Gruppe zukünftiger Anwender fest. Wenn der Trend sich so fortsetzt, entsteht die Gefahr, dass insbesondere ältere Fahrer ausgeschlossen werden, die in der Regel über weniger Erfahrung im Umgang mit IuK-Technologien verfügen. Dementsprechend sollte auch bei der Einbeziehung von Benutzern in die Gestaltung überlegt werden, ob das Design nur bestimmte Nutzergruppen ansprechen soll oder ein „Design for all“ (Haddon, Pausl 2001, S. 202) angestrebt wird.

Die Einbindung von Nutzern kann aber auch dazu führen, Irrwege in der Entwicklung zu erkennen. In vielen Bereichen moderner Technikentwicklung kann auf Automatisierung nicht mehr verzichtet werden, zu komplex sind die zu bewältigenden Aufgaben. Um die Akzeptanz automatisierter Systeme nicht zu gefährden, führt die konsequente Berücksichtigung des Wunsches, das System am Ende auch in nicht antizipierten Situationen noch beherrschen zu können und stets die Autorität zu behalten, zu einer behutsameren Automationsstrategie. Hätten die Hersteller schon in den frühen Entwicklungsphasen diese Bedürfnisse von Piloten und Fahrern ernst genommen, hätten folgenreiche und teure Fehlentwicklungen verhindert werden können.

4     Smarte Systeme

Neben der Bewältigung von Akzeptanzproblemen neuer IuK-Technologien in den 1980ern und 1990ern sowie technophiler Automationsstrategien aktuell zeichnen sich derzeit neue Herausforderungen für die sozialwissenschaftliche Technikforschung ab.

Zum einen wird es stetige Verbesserungen bei der Hardware geben. Roboter werden durch neue und kleinere Sensoren immer kontext-sensitiver und werden als Service-Roboter in die Haushalte einziehen. Große Entwicklungschancen sehen Experten z. B. bei Pflegerobotern. In den westlichen Industriegesellschaften, die durch zunehmend älter werdende Bevölkerungen gekennzeichnet sind, sollen sie das Pflegepersonal bei ihren Aufgaben unterstützen oder es den Senioren erlauben, trotz Pflegebedürftigkeit länger zuhause wohnen bleiben zu können. Bereits heute können sie als Gehhilfe eingesetzt werden und auch schon Getränke reichen. In Zukunft sollen sie noch weitere Serviceaufgaben übernehmen. Sie werden Patienten in ihren Betten in definierten Abständen umbetten, mit ihnen kommunizieren, ihre Medikamenteneinnahme und ihren Gesundheitszustand überwachen und ihre Daten jeweils über das Internet an eine Aufsicht übermitteln können (Engel 2005).

An diesem Beispiel werden die aktuellen Trends in der Technikentwicklung deutlich: erstens die Miniaturisierung von Sensoren, Mikrochips und Elektromotoren und zweitens die rasant zunehmende Vernetzung bislang eigenständiger Komponenten. Bereits 1991 sprach Mark Weiser von der Vision des „Ubiquitous Computing“ (Weiser 1991) und meinte damit die zunehmende Durchdringung unserer Lebenswelt mit immer smarteren Computern, die uns bei unseren alltäglichen Aufgaben unterstützen. Im Jahr 2003 hat TA-SWISS eine umfassende Studie zu diesem Gegenstand veröffentlicht (Rey 2003). Die beteiligten Wissenschaftler sagen voraus, dass unsere alltäglichen Gebrauchsgegenstände durch extrem kleine Sensoren, Sender und Empfänger zunehmend „intelligent“ werden können. Sie werden ihre Umwelt beobachten, Vorgänge interpretieren und angemessen reagieren können. Die Studie ist mit Beispielen versehen, die teilweise verspielt anmuten, andererseits aber auch sinnvolle Hilfen in Aussicht stellen. So gehört das Bierglas, das der Bedienung eine Meldung sendet, wenn der Gast es ausgetrunken hat, eher zu den technischen Spielereien. Einen ökonomischen Nutzen können elektronische Preisschilder mit sich bringen; solche „Smart labels“ (ders. 2003, S. 5) können den gespeicherten Preis an die Kasse senden. Die elektronische Kasse bucht den Betrag vom Bankkonto ab, eine Kassiererin wird bei diesem Szenario nicht benötigt. Schließlich weist die Studie auch auf Möglichkeiten hin, die smarte Elektronik in der Medizin einzusetzen: Kleidungsstücke, deren Sensoren Puls und Blutdruck messen und per Funk übertragen können, gibt es schon. Implantierte Sensoren könnten in Zukunft viel detaillierter Körperfunktionen messen (z. B. den Blutzuckerspiegel bei Diabetikern oder Atemgeräusche bei Asthmatikern). Die gesendeten Daten können von einem Empfänger mit Mikrocomputer ausgewertet werden und im Notfall per Funk medizinische Hilfe anfordern (ders. 2003, S. 6).

Das Spektrum möglicher Anwendungen ist breit. Allerdings wird in der TA-SWISS-Studie auch vor den möglichen unerwünschten Folgen dieser Entwicklungen gewarnt. Die neuen Technologien können die Nutzer von Alltagsaufgaben entlasten – sie können aber auch zu neuen Problemen führen, deren Bewältigung einen Aufwand über dem der automatisierten Routinetätigkeit erfordert. Die Autoren der Studie verweisen auf den „Rebound-Effekt“ (ders. 2003, S. 9) von IuK-Technologien [5] , auf anfängliche Lernhindernisse [6] und insbesondere offene Verantwortungsfragen. [7] Mit den vernetzten Helfern steigt die Komplexität unserer soziotechnischen Systeme, die für den technischen Laien immer undurchsichtiger werden. Wenn die Dinge autonom agieren, sich vernetzen und so selbst komplexere Situationen bewältigen können, vollziehen sich die Entscheidungen in immer stärkerem Maße hinter den Rücken der Nutzer dieser smarten Technologie. Intransparenz jedoch, das wurde an den bisherigen Ausführungen deutlich, ist ein wesentlicher Grund für mangelnde Technikakzeptanz. Ein menschlicher Entscheider, der nicht mehr versteht, warum das technische System so agiert und nicht anders, dessen Eingriffsmöglichkeiten zudem immer weiter eingeschränkt werden, wird tendenziell dequalifiziert und entmündigt und verliert das Vertrauen in die Technik.

5     Zukunftsperspektiven

Wie auf die erneuten Herausforderungen für die Technikgestaltung eingegangen werden kann, ist heute noch offen. Die Vorschläge der TA-SWISS-Studie greifen die bislang bekannten Lösungen auf, um Technik sozialverträglich zu gestalten und die Akzeptanz zu erhöhen: Die Zeit, die bis zur Einführung der neuen Technologien noch verbleibt, soll genutzt werden, um Transparenz herzustellen, die Chancen und Risiken zu bewerten und in einem breit angelegtem Diskurs die Bevölkerung in die Entwicklung einzubeziehen. Der Gebrauch der neuen Artefakte jedenfalls solle freiwillig bleiben, jedem Einzelnen müsse die Möglichkeit gegeben werden, sich ihnen zu entziehen. Dies müsse vor der Durchsetzung sichergestellt werden („Vorsorgeprinzip“, s. Rey 2003, S. 10), da die Ausbreitung irreversibel sei und großen Schaden anrichten könne.

Zwar haben die Beispiele zum Airbus A 320 und zur elektrohydraulischen Bremse gezeigt, dass die Ausbreitung dieser neuen Technologien nicht immer irreversibel sein muss, sie stehen aber auch exemplarisch für eine Technikgestaltung, bei der das Vorsorgeprinzip keine Beachtung fand und erst nach aufgetretenen Schäden ein Umdenken einsetzte. Die von der TA-SWISS vorgeschlagene Vorgehensweise wurde in der sozialwissenschaftlichen Technikforschung aber schon seit den 1980er Jahren propagiert – und wurde trotzdem häufig nicht beachtet. Die Hoffnung, die noch in den 1980er und frühen 1990er Jahren bestand, Prozesse der Technikfolgenabschätzung könnten über eine zunehmende Institutionalisierung in der Gesellschaft und den Betrieben verstetigt werden, hat sich nur sehr bedingt erfüllt; das haben die Beispiele gezeigt. Darüber hinaus weist Konrad (2005) darauf hin, dass durch hoch dynamische Entwicklungen neue Dilemmata für die Ansätze partizipativer Technikgestaltung entstehen, die auf einem zyklischen Entwicklungsmodell beruhen, und spricht in diesem Zusammenhang von einem „circle of uncertainties“ (ebd.). Bei beschleunigten Innovationsprozessen würde es zunehmend schwieriger, zukünftige Nutzungsszenarien und Anwendergruppen zu bestimmen. Konrad stützt sich dabei auf verschiedene Ansätze der Science and Technology Studies und arbeitet die Grenzen heraus, die einer iterativen Technikentwicklung gesetzt werden (ders. 2005, S. 318 ff). Durch die unbestimmten Anwendungsmöglichkeiten könnten im Design-Prozess Änderungen entstehen, die zu neuen Nutzerkreisen und ganz anderen Anwendungskontexten führen könnten, und somit gegebenenfalls nicht zur Stabilisierung und Schließung führen würden, sondern im Gegenteil eher zu einer Öffnung von Entwicklungspfaden (ders. 2005, S. 335).

Das Beispiel der Transponderchips (RFID – Radio Frequency Identification), eine der Basistechniken von Ubiquitous Computing, bestätigt dies: Sie sind universell einsetzbar, die in der TA-SWISS Studie genannten Anwendungsmöglichkeiten sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt denkbarer möglicher Verwendungen. Auf einem RFID-Chip können beliebige Daten gespeichert und gesendet werden, so dass im Entwicklungsprozess durch das Hinzufügen von Daten oder erweiterte Formen der Auswertung neue Anwendungsgebiete erschlossen werden können. Die Technikfolgenabschätzung und prospektive Technikgestaltung stehen hier vor der Aufgabe, geeignete Lösungen zu finden, wie die entwickelten Verfahren partizipativer Technikgestaltung auf diese technische Revolution hin angepasst werden können und ihre Berücksichtigung gefördert werden kann.

Bereits festzuhalten bleibt, dass sich die Gestaltung der neuen Systeme auf jeden Fall konsequent an den Benutzern orientieren und nicht eine technikzentrierte Vorgehensweise die Prozesse dominiert sollte. Der Diskurs über die zukünftige Nutzung dieser Technologien sollte weiterhin nicht von einem Sachzwang eingeschränkt werden. Auch sollte die immer intelligenter werdende Technik die Menschen nicht entmündigen; sie muss vielmehr menschliche „Fehler“ auch tolerieren können. Der Unterschied läßt sich bei der Gestaltung klimatisierter Häuser beobachten: Technikzentriert entwickelt lassen sich in klimatisierten Räumlichkeiten die Fenster nicht öffnen – aus technischer Perspektive wäre das irrational. Benutzerorientiertes Design würde es den Nutzern dennoch erlauben, die Fenster zu öffnen, solche „forgiving technology“ lässt den Menschen ihre Autonomie (Jelsma 2005, S. 80). Oder in welchem Haus möchten Sie lieber leben?

Anmerkungen

[1] Störklappen halten das Flugzeug bei der Landung am Boden.

[2] Für weitere Beispiele der Probleme, die durch die technikzentrierte Gestaltung des Airbus A 320 entstanden sind, siehe Weyer 1997.

[3] Siehe dazu das Internetforum „Gute Fahrt“ (http://forum.gute-fahrt.de/archive/index.php/t-10977.html)

[4] Vgl. Weyer 1997, S. 254 f; zur Bedeutung von Erfahrungswissen in Designprozessen s. auch Baggen, Hemmerling 2002.

[5] Ein Beispiel für den Rebound-Effekt: E-Mails lassen sich z. B. effizienter einsetzen als Briefe, gleichzeitig stieg durch sie aber auch der Kommunikationsumfang.

[6] Ein Beispiel für anfängliche Lernhindernisse: Ein intelligentes Haus deutete den Pfiff eines Wasserkessels als Aufforderung, den Videobeamer einzuschalten.

[7] Ein Beispiel für offene Verantwortungsfragen: Wer haftet, wenn der Kühlschrank „versehentlich“ ein Vielfaches der gewünschten Menge eines Lebensmittels bestellt?

Literatur

Alemann, U. v.; Schatz, H., 1987:
Mensch und Technik: Grundlagen und Perspektiven einer sozialverträglichen Technikgestaltung. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2. Aufl.

Alemann, U. v.; Schatz, H.; Simonis, G.; Latniak, E.; Liesenfeld, J.; Loss, U.; Stark, B.; Weiß, W., 1992:
Leitbilder sozialverträglicher Technikgestaltung: Ergebnisbericht des Projektträgers zum NRW-Landesprogramm „Mensch und Technik – Sozialverträgliche Technikgestaltung“. Opladen: Westdeutscher Verlag

Baggen, R.; Hemmerling, S., 2002:
Evaluation und Benutzbarkeit in Mensch-Maschine-Systemen. In: Timpe, K.-P.; Jürgensohn, Th.; Kolrep, H. (Hrsg.): Mensch-Maschine-Systemtechnik: Konzepte, Modellierung, Gestaltung, Evaluation. Düsseldorf: Symposion Publishing, S. 233-284

Engel, M., 2005:
Pflege vom Roboter. Deutschlandfunk am 19.4.2005

Haddon, L.; Pausl, G., 2001:
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ISO-13407, 1999:
Benutzerorientierte Gestaltung interaktiver Systeme. DIN EN ISO 13407

Jelsma, J., 2005:
Bridging Gaps Between Technology and Behaviour: A Heuristic Exercise in the Field of Energy Efficiency in Households. In: Rohracher, H. (Hrsg.): User Involvement in Innovation Processes: Strategies and Limitations from a Socio-Technical Perspective. München: Profil, S. 73-106

Konrad, K., 2005:
A Circle of Uncertainties: Dilemmas of User Involvement in Highly Dynamic Innovation Processes. In: Rohracher, H. (Hrsg.): User Involvement in Innovation Processes: Strategies and Limitations from a Socio-Technical Perspective. München: Profil, S. 317-346

Lamparter, D.H., 2005:
Ein Mythos in der Werkstatt. Die Zeit, 15; http://www.zeit.de/2005/15/Mercedes?page=1; 8.9.2005

Mambrey, P., 1985:
Arbeitnehmerbeteiligung beim Einsatz informationstechnischer Systeme im Betrieb. München: Oldenbourg

Rey, L., 2003:
Unser Alltag im Netz der schlauen Gegenstände: Kurzfassung der TA-SWISS Studie „Das Vorsorgeprinzip in der Informationsgesellschaft“. Bern, TA-SWISS – Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung; http://www.ta-swiss.ch/www-remain/reports_archive/publications/2003/KF_Verkehrstelematik_d.pdf; 06.10.03

Vasek, Th., 2004:
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Elektrohydraulische Bremse SBC; http://www.kfztech.de/kfztechnik/fahrwerk/bremsen/elektrohydr_bremse_SBC.pdf; 6.9.2005

Weyer, J., 1997:
Die Risiken der Automationsarbeit. Mensch-Maschine-Interaktion und Störfallmanagement in hochautomatisierten Verkehrsflugzeugen. In: Zeitschrift für Soziologie 26 (1997), S. 239-257

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Dipl.-Soz.-Wiss. Tobias Haertel
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Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Fachgebiet Techniksoziologie
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