Zur Gründung des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts „Risiko und Nachhaltige Technikentwicklung - ZIRN“

TA-Institutionen und TA-Programme

Zur Gründung des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts „Risiko und Nachhaltige Technikentwicklung – ZIRN“

Von Ortwin Renn, Universität Stuttgart, ZIRN und DIALOGIK, Pia-Johanna Schweizer, DIALOGIK, und Wolfgang Weimer-Jehle, Universität Stuttgart, ZIRN

Am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart wurde im Juni 2005 der neue Forschungsschwerpunkt „Risiko und Nachhaltige Technikentwicklung – ZIRN“ eingerichtet. Seine Aufgabe ist die Erforschung der Bedingungen einer am Postulat der Nachhaltigkeit orientierten Technikentwicklung sowie Forschungen zum sozialverträglichen Umgang mit den Risiken und Chancen der weiteren technischen und organisatorischen Modernisierung.

Teil des Konzeptes des ZIRN ist die enge Kooperation mit dem Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie der Universität Stuttgart und der gemeinnützigen DIALOGIK gGmbH. DIALOGIK entwickelt und analysiert innovative Formen der Kommunikation und neuartige Partizipations- und Kooperationsverfahren, vor allem in den risikosensiblen Anwendungsfeldern Technik, Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.

Beide Institutionen betätigen sich in ähnlichen Themenfeldern, wobei das ZIRN einen eher grundlegenden forschungsorientierten Ansatz verfolgt, während DIALOGIK schwerpunktmäßig umsetzungs- und anwendungsorientierte Aufgaben wahrnimmt. Die Kooperation zwischen DIALOGIK und dem ZIRN verspricht dadurch einen hohen Synergieeffekt für beide Einrichtungen, Chancen auf interdisziplinäre Problemlösungsansätze und ein sich gegenseitig befruchtendes Lernumfeld.

1     Vorgeschichte

Mit der Schließung der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg im Zuge der Haushaltskonsolidierung der baden-württembergischen Landesregierung zum Jahresende 2003 endete nicht nur die 11-jährige Geschichte einer in vieler Hinsicht richtungsweisenden TA-Einrichtung (Fuchs 2003). Mit der Akademie verschwand ein Impulsgeber für eine interdisziplinär, diskursiv und partizipatorisch orientierte Technikfolgenabschätzung. Mit der Schließung war darüber hinaus auch die Zerstreuung von Führungskräften und Mitarbeiter/innen verbunden, für die eine disziplinenübergreifende Zusammenarbeit vom theoretischen Physiker bis zum Philosophen eine in zahlreichen TA-Projekten eingeübte Praxis war. Damit drohte zunächst der vollständige Verlust der in der Akademie im Verlauf zahlreicher Projekte und unter Einsatz erheblicher Finanzmittel angesammelten Erfahrungen und Kompetenzen.

Vor diesem Hintergrund wurde bereits während der Schließungsphase der Akademie neben der Aufgabe, die laufenden Projekte abzuschließen und angemessene berufliche Lösungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, intensiv nach Möglichkeiten gesucht, die wichtigsten Anliegen der Akademie und die darauf bezogenen Kompetenzen und Erfahrungen auf eine neue institutionelle Grundlage zu stellen. Diese Anstrengungen konzentrierten sich schließlich auf zwei parallel verfolgte Pfade: Noch in der Schließungsphase der Akademie wurde DIALOGIK als gemeinnützige GmbH gegründet. Als zweiter Schritt wurde im Frühjahr 2005 am Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart (IZKT) der Interdisziplinäre Forschungsschwerpunkt Risiko und Nachhaltige Technikentwicklung – ZIRN – eingerichtet.

2     ZIRN: Ein neuer Partner für TA

Am 27. Juni dieses Jahres trafen sich rund 100 Gäste aus dem TA-Netzwerk, um der Gründungsfeier des ZIRN im internationalen Begegnungszentrum der Universität Stuttgart beizuwohnen. Georg Maag, der geschäftsführende Direktor des IZKT, begrüßte den neuen Forschungsschwerpunkt. Der Klimaforscher Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie betonte die Notwendigkeit des Dialogs und der Kooperation zwischen Sozial- und Naturwissenschaften und Ortwin Renn stellte Aufbau, Methodik und Zielrichtungen des ZIRN und der DIALOGIK gGmbH als Leiter beider Einrichtungen vor.

Das ZIRN hat das Ziel, die Bedingungen, Voraussetzungen und Folgen nachhaltiger Technikentwicklung sowie die Risiken und Chancen dieser Entwicklungen in Wechselwirkung von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft (Governance) systematisch zu erforschen. Die zentrale Aufgabe des Forschungsschwerpunktes besteht in der Anregung, Koordination und Durchführung von Forschungsvorhaben zu folgenden Themenbereichen:

Am ZIRN steht also die Erforschung der Bedingungen für eine am Postulat der Nachhaltigkeit orientierte Technikentwicklung sowie ein sozialverträglicher Umgang mit Risiken und Chancen der weiteren technischen und organisatorischen Modernisierung im Mittelpunkt der interdisziplinären Tätigkeit.

Ein Beispiel für erste Projektaufgaben im ZIRN ist die Beteiligung an dem von der EU geförderten Projekt NEEDS (New Energy Externalities Developments for Sustainability), in dessen Rahmen soziale Kriterien für Energiesysteme entwickelt werden sollen. Die entwickelten Kriterien sollen anschließend in Lebenszyklusanalysen von Energiesystemen angewendet werden. Für die Datenerhebung und Interpretation wurden und werden spezielle Stakeholder-Delphis durchgeführt. Weiterhin sollen Wege zur integrativen Betrachtung der sozialen Kriterien mit ökologischen und ökonomischen Kriterien erkundet werden.

Weitere Projekte am ZIRN sind die Mitwirkung am EU geförderten Projekt TIA (Trustnet-in-Action), in dem Wege zur Verbesserung der ökonomischen und ökologischen Entscheidungsqualität durch inclusive governance am Beispiel gemeindeübergreifender Gewerbeparks gesucht werden, sowie das BMBF-geförderte Projekt „Übergewicht und Adipositas bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen als systemisches Risiko“. Dieses Projekt betrachtet die komplexe Wechselbeziehung zwischen Lebensstil und Übergewicht aus der Sicht der Sozialökologie und zielt auf eine theoretisch fundierte, empirische Modellierung des Problems unter Berücksichtigung von individuellen, sozialen und ökologischen Faktoren und schließt die Erarbeitung von Handlungsoptionen ein.

Neben der Einbindung in das IZKT ist die Kooperation mit der DIALOGIK gGmbH, deren Tätigkeit im Spannungsfeld von Kommunikation, Kooperation und Konfliktschlichtung angesiedelt ist, ein zentrales Element des Konzeptes des ZIRN.

3     Kooperationspartner DIALOGIK

Die DIALOGIK gGmbH wurde im Juni 2003 gegründet. Sie hat die Rechtsform einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung.

Die Arbeit von DIALOGIK besteht ausschließlich aus Drittmittelprojekten. Laufende Projekte von DIALOGIK werden von der EU-Kommission, Bundes- und Landesministerien, sowie Stiftungen und Forschungsgemeinschaften finanziert.

Die Forschungstätigkeit von DIALOGIK basiert auf innovativen Verfahren der Sozialforschung mit dem Fokus auf Partizipation unter Einbezug von quantitativen und qualitativen Methoden. Im Mittelpunkt stehen dabei Analysen zu den Anwendungsfeldern Risiko, Umweltpolitik und Technikfolgen. Obgleich DIALOGIK weitgehend sozialwissenschaftlich orientiert ist, beteiligt sich das Unternehmen an interdisziplinären Forschungsprojekten und entwickelt dazu eigene disziplinenübergreifende Forschungsansätze.

Die so verfolgte Forschungstätigkeit wird von der Einsicht geleitet, dass die erfolgreiche Suche nach einem verantwortlichen Umgang mit den Herausforderungen moderner Gesellschaften an die Voraussetzung einer effektiven und alle Interessen und Werte einbringenden Kommunikationskultur gebunden ist. Vor diesem Hintergrund ist es die Aufgabe von DIALOGIK, Kommunikations- und Kooperationsformen im Spannungsfeld von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft systematisch und anwendungsorientiert zu erforschen. In Gesellschaften, die durch eine Pluralität von Wissen und Werten gekennzeichnet sind, gewinnen Kommunikation und Kooperation zwischen und innerhalb von gesellschaftlichen Akteursgruppen immer mehr an Bedeutung. Dies trifft im Besonderen auf die Politikfelder Technik, Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz zu. Hier führen kontroverse Ansichten über den angemessenen Umgang mit Chancen und Risiken häufig zu fruchtlosen Verhandlungen und Blockaden zwischen den relevanten gesellschaftlichen Kräften. Vor allem für diese risikosensiblen Politikfelder untersucht DIALOGIK, wie innovative Formen der Kommunikation und neuartige Partizipations- und Kooperationsverfahren sowohl Entscheidungsprozesse verbessern können, als auch die Umsetzung von Entscheidungen in die Praxis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Zu den Projekten, die derzeit DIALOGIK bearbeitet, gehören u. a. das EU-Verbundprojekt „Promoting Food Safety through a New Integrated Risk Analysis Approach for Foods“ (Safe Foods). Ausgangspunkt von Safe Foods ist die Tatsache, dass Lebensmittelsicherheit und auch über Gesundheitsfragen hinausgehende ökologische und moralisch-ethische Aspekte der Lebensmittelproduktion in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt sind. Dadurch sehen sich die zuständigen Behörden und produzierenden Unternehmen unter Druck gesetzt, das Risikomanagement entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu verbessern. Ziel dieses Projektes ist es daher, im Projektverbund mit 33 Partnern aus 15 europäischen Ländern sowie aus Südafrika und China ein verbessertes, integriertes Modell der Risikoregulierung zu entwickeln.

Ein weiteres Projekt zur „Identifizierung und Messung von sozialen Indikatoren zur Nachhaltigkeit von ausgewählten Systemen der Stromerzeugung in der Schweiz“ wurde vom Schweizer Energieversorger AXPO in Auftrag gegeben. Es dient dem Ziel, im Rahmen einer vergleichenden Analyse von Stromerzeugungssystemen die Implikationen für die Nachhaltigkeit mit Hilfe von anerkannten, nachvollziehbaren und konsensfähigen Indikatoren zu identifizieren und zu quantifizieren. Damit sollen Entscheidungsgrundlagen für die Entwicklung hin zu einer Energieversorgung bereitgestellt werden, die nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht nachhaltig ist. Im Rahmen dieses Projekts bearbeitet DIALOGIK den Bereich der sozialen Indikatoren der Nachhaltigkeit von Energiesystemen.

Zuletzt sei das Projekt „Verbraucherorientierte Technikfolgenabschätzung“ genannt. Dieses Projekt wird vom Steinbeis-Europa-Zentrum in Stuttgart finanziert und verfolgt die Absicht, ein Konzept für Technikfolgenabschätzung zu entwickeln, das die Verbraucherperspektive in den Vordergrund stellt. Die Analyse beinhaltet die Entwicklung einer Reihe von möglichen Themen für die zukünftige Forschung, Vorschläge für institutionelle Lösungen einer verbraucherorientierten Technikfolgenabschätzung sowie praktische Empfehlungen für die Entwicklung von Forschungsplänen in diesem Bereich.

DIALOGIK hat inzwischen auch internationale Aufträge aus Irland, Finnland und Japan erhalten.

4     Leitung und Mitarbeiterstab

Der ehemalige Leitende Direktor der Akademie für Technikfolgenabschätzung, Ortwin Renn, ist Geschäftsführer von DIALOGIK und Leiter des ZIRN; er hat seit 1994 den Lehrstuhl für Technik- und Umweltsoziologie an der Universität Stuttgart inne

Durch Kooperation mit dem Institut für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart sind derzeit etwa 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am ZIRN und bei DIALOGIK tätig. Das disziplinäre Spektrum des Mitarbeiterstabes umfasst Agrarwissenschaften, Geographie, Ökologie, Philosophie, Physik, Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftsingenieurwesen. Die Erfahrungsschwerpunkte liegen bei Bio- und Gentechnologie, Energiesystemen, Evaluationsstrategien, Genderforschung, Innovationssystemen und -transfers, Klimawandel und -schutz, Kommunikations- und Konfliktschlichtungsverfahren, Mediation, Moderation, Nachhaltigkeit, Netzwerkanalyse, Partizipationsverfahren, Risikomanagement, -regulierung und -partizipation, Public Understanding of Science, Technik- und Risikosoziologie, Technikfolgenabschätzung, Technikeinstellungen, Technology Foresight und Systemanalyse.

5     Netzwerke

Das ZIRN und die DIALOGIK gGmbH befinden sich in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Forschungseinrichtungen. Für DIALOGIK besteht eine enge Kooperation mit der IfOK GmbH, dem Institut für Organisations- und Kooperationsforschung. Projekte werden außerdem häufig in Kooperation mit externen Partnern aus verschiedenen Ländern durchgeführt. Zu diesem Zweck hat DIALOGIK ein aktives Netzwerk mit Partnerinstituten in Europa, Japan und den USA aufgebaut.

Das ZIRN verfügt – nicht zuletzt auf Grund seiner organisatorischen Verortung – über enge Kontakte zum Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung der Universität Stuttgart. So findet beispielsweise ZIRNs Programm der Risiko- und Nachhaltigkeitsforschung Aufnahme in der vom IZKT durchgeführten Technikforschung. Für das Jahr 2006 ist eine Gastprofessur im Bereich „Kooperationsforschung“ an der Universität Stuttgart vorgesehen, die von ZIRN betreut werden wird.

Literatur

Fuchs, G., 2003:
Technikfolgenabschätzung im Abseits? Zur Schließung der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, Heft 2, 12. Jg., Juni 2003, S. 83-90

Kontakt

Prof. Dr. Ortwin Renn
Universität Stuttgart
Institut für Sozialwissenschaften V
Abteilung Technik- und Umweltsoziologie
Seidenstraße 36, 70174 Stuttgart
Tel.: +49 711 121-3970
E-Mail: ortwin.renn∂soz.uni-stuttgart.de

Weitere Informationen über die DIALOGIK gGmbH und das ZIRN stehen unter
http://www.dialogik-expert.de
und
http://www.zirn-info.de
im Internet zur Verfügung.