Arbeitsteilige Technikgestaltung und verteilte Beratung: TA zwischen Politikberatung und Technikbewertung in Unternehmen

Schwerpunktthema: Technikfolgenabschätzung und Industrie

Arbeitsteilige Technikgestaltung und verteilte Beratung: TA zwischen Politikberatung und Technikbewertung in Unternehmen

von Armin Grunwald, ITAS

Die Diskussion über TA in der, für die oder mit der Wirtschaft hat, so wie sie geführt worden ist, ein gravierendes Defizit gezeigt: es wird diskutiert und diskutiert, teilweise auch polemisiert, ohne eine wesentliche Ursache der Dissense zu erwähnen: unterschiedliche, teilweise sich widersprechende Modelle der gesellschaftlichen Technikentwicklung, der Rollen der verschiedenen Akteure, insbesondere des Staates und dessen, was in diesem Kontext als "Gemeinwohl" zu bezeichnen wäre. Im folgenden Beitrag wird ein differenziertes und arbeitsteiliges Modell gesellschaftlicher Technikgestaltung skizziert und zugrunde gelegt. Dieses hat Folgen für ein ebenso differenziertes und arbeitsteiliges Verständnis von sehr verschiedenen Beratungsmöglichkeiten und -erfordernissen durch TA an den verschiedenen Stellen der Technikgestaltung.

1     Geklärtes und Ungeklärtes: Ein Diskussionsforum als Kläranlage?

Ein außenstehender Leser der Beiträge des Diskussionsforums der letzten Hefte der TA-Datenbank-Nachrichten und des gegenwärtigen Schwerpunktheftes könnte etwas ratlos sein. Ratlos wegen des ihm möglicherweise irrational erscheinenden Gegensatzes zwischen der aufgefahrenen Rhetorik und Polemik einerseits und den tatsächlichen argumentativen Dissensen andererseits. Falls dieser außenstehende Leser einen "gesunden" Menschenverstand anlegt, kommt er (oder sie) vielleicht zu dem Ergebnis, dass doch eigentlich die Sache recht einfach sein sollte: Technikfolgenabschätzung soll, hierauf können sich wohl die meisten der Streithähne einigen, der frühzeitigen Erkennung und besseren Nutzung der Potenziale von Technik und der frühzeitigen Erkennung, Verhinderung oder Bewältigung der damit verbundenen Risiken dienen. Wenn nun in einer arbeitsteiligen Gesellschaft die Beiträge verschiedener Akteure und verschiedener gesellschaftlicher Gruppen (Ingenieure, Nutzer, Manager, Politiker etc.) zur Technikentwicklung auch verschieden ausfallen und an verschiedenen Stellen der komplexen Entscheidungsprozesse anfallen, die zu neuen technischen Produkten oder Systemen führen, so sollte doch die naheliegende Forderung sein: Technikfolgenabschätzung sollten alle am Prozess der Technikgestaltung beteiligten Gruppen betreiben, auf je verschiedene Weise, die nach Maßgabe der Mitwirkung in diesem Prozess zu bestimmen wäre. Ganz analog zur Diskussion um verteilte Verantwortung in der Verantwortungsethik (Grunwald 1999) gäbe es eine Aufgabenverteilung im Hinblick auf verschiedene Aspekte der Technikfolgenabschätzung.

Dieses verführerisch einfache Bild scheint die Situation jedoch nicht recht zu treffen. Die Frage ist: warum nicht? In zwei Richtungen kann man nach Antworten suchen:

Anteile beider Alternativen lassen sich im Diskussionsprozess "TA und Industrie" nachweisen. Diskussionen dieser Art wirken in der Tat klärend, aber sie produzieren nicht unbedingt destilliertes Konsenswasser. Der Klärungsprozess stößt dort an seine Grenzen, wo unterschiedliche gesellschaftstheoretische oder normativ-politische Grundannahmen in die Prämissen der Schlussfolgerungen eingehen. Resultat der Diskussion sind m. E. - trotz sicherlich verbleibender Dissense - nicht einfach trübe Wässer und noch weiter verhärtete Fronten, sondern strukturierte Argumentationslagen, auf deren Basis die weitere Auseinandersetzung in einer transparenteren Weise erfolgen kann.

2     Argumentationsebenen, Konsens- und Dissensbereiche

In der Ausgangsfrage der Diskussion "TA als Politik- oder Unternehmensberatung?" (Grunwald 2000a) schien in erster Linie die Adressatenfrage der Technikfolgenabschätzung gemeint: wer hat Beratungsbedarf in Fragen von Technikfolgen und wer soll beraten werden? Dies gibt jedoch nur einen Teil der Problematik wieder, weil die Frage nach den Adressaten nicht unabhängig ist von dem Gegenstand von TA als der zu bearbeitenden konkreten Fragestellung. Wer beraten werden soll oder werden will, hängt damit zusammen, welche Fragen gestellt werden: der Gegenstand von TA in Technikpolitik, Analyse der Rahmenbedingungen für Technikentwicklung, Produktfolgenanalyse oder Erforschung der Marktkontexte, sekundärer oder tertiärer Nebenfolgen hängt mit der Adressatenfrage zusammen. Geht man von einem arbeitsteiligen Modell gesellschaftlicher Technikgestaltung aus, in dem verschiedene Akteure auf verschiedene Weise und in verschiedenem Maß Einfluss auf Technik nehmen, stellen sich an den verschiedenen Stellen, an denen dies geschieht, auch verschiedene Fragen. Die Beiträge haben deutlich eine erhebliche Differenzierungsnotwendigkeit gezeigt (vor allem Minx). [1] Es zeigt sich als Nebenprodukt der Diskussion, dass es aufgrund dieser weitreichenden Arbeitsteilung in der Technikgestaltung und entsprechend differenzierten Beratungsanforderungen schwierig wird, überhaupt noch über "die" TA zu reden.

TA, und dies erleichtert die konzeptionellen Diskussionen nicht gerade, macht sie aber besonders spannend, ist ein Feld, in dem sehr viele heterogene Dinge zusammenkommen: allgemeine Fragen der Gesellschaftstheorie wie z. B. die Luhmann/Habermas-Diskussion, wirtschaftspolitische Fragen wie die Einschätzung der Marktwirtschaft, der Notwendigkeit von Solidarität bzw. Gerechtigkeit und der Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft, die demokratietheoretische Partizipationsdiskussion, Auswirkungen und Bewertungen der Globalisierung etc.. Einschätzungen der Funktion von TA und Empfehlungen zu ihrer weiteren Entwicklung müssen sich auf Prämissen aus diesen Feldern stützen. So haben Antworten auf die Frage nach der Rolle des Staates in der Gestaltung von Technik massive Auswirkungen auf die Verortung von TA (vgl. Teil 3.4).

In Teilbereichen gibt es jedoch weitgehende Konsense innerhalb des Diskussionsforums "TA und Industrie" (ohne dass durch diese Zuordnung jedem Diskussionsteilnehmer die volle Zustimmung unterstellt wird):

Dies dürfte - vorausgesetzt die Zuordnung trifft zu - eine hinreichende Basis darstellen, um mehr Kooperation zwischen Industrie/ Wirtschaft und den TA-Institutionen zum gegenseitigen Vorteil nahe zu legen. Ein gegenseitiges Lernen bedarf aber auch bestimmter Verschiedenheiten. Diese sind sowohl als anerkannte Differenzen zwischen TA als Politikberatung einerseits und Technikbewertung in Unternehmen andererseits (Minx) als auch als Dissense hinsichtlich so relevanter Fragen wie

vorhanden. Diese Mischung aus vorhandenen Konsensen und teils unterschiedlichen Positionen, teils den Differenzen der jeweiligen Kontexte geschuldeten Konflikten kann als "Motor" des gegenseitigen Lernens dienen. In diesem Sinne seien im Folgenden aus der Sicht des Autors einige offene Fragen markiert und tentative Antworten versucht.

3     Offene Fragen und erste Antworten

3.1   ITA - Problemlösung durch Umbenennung?

Das ITA-Konzept des BMBF (Brüntink) verdient Respekt zunächst bereits deswegen, weil es nicht bei der Kritik an der Bezeichnung "Technikfolgenabschätzung" (die von kaum jemandem geliebt wird) stehen bleibt, sondern mit einer begrifflichen Alternative auf den "Markt" kommt. Die bezeichnungsstrategischen Gründe für die Umbenennungen beziehen sich auf die Wahrnehmung der TA von außen (vor allem in der Wirtschaft).

Ob es sich bei ITA nun um einen neuen Namen oder um ein neues Konzept handelt, ist allerdings nicht so klar. Die Definition "Die der Innovations- und Technikanalyse zugrunde liegende Philosophie ist es, positive und negative Sekundär- und Tertiäreffekte von Bildungs- und Forschungsinnovationen frühzeitig zu ermitteln und gegebenenfalls alternative Handlungsoptionen aufzuzeigen" (Baron/ Zweck) ist fast wortgleich zu vielen TA-Definitionen seit den 60er Jahren. Auch viele Hinweise bei Baron/Zweck auf "ITA, ehemals TA" verweisen darauf, dass die Unterschiede doch nicht so groß sind [2] . So werden die meisten der für ITA reklamierten Spezifika von nahezu allen TA-Konzeptionen geteilt. Dies gilt insbesondere für den reklamierten Bezug auf frühe Stadien der Entwicklung, welche seit den achtziger Jahren ständige Forderung in wohl jedem TA-Konzept ist (Fuchs; Rip et al. 1995, Ropohl 1996, Gethmann 1999, VDI 1991). Auch die problemorientierte Herangehensweise ist wesentlicher Bestandteil wohl aller älteren TA-Konzepte - wenigstens als Forderung, vielleicht nicht in der Umsetzung. Sogar die partizipative Ausrichtung wurde bereits von Paschen (1975) als "essential" der TA gehandelt.

Ist die Betonung der Neuheit von ITA vielleicht noch der nachvollziehbaren Überzeugung geschuldet, man müsse erst kräftig die Werbetrommel rühren, damit ITA auch zur Kenntnis genommen werde, so gerät das "overselling" dort an den Rand der Seriösität, wo von einer puren Umbenennung die flächendeckende Lösung aller Probleme erwartet wird, mit denen sich TA seit über 30 Jahren in den verschiedensten Konzeptionen herumschlägt. Ohne jede empirische Erfahrung mit ITA-Studien, welche für ein neues Konzept noch gar nicht vorliegen kann, wird ganz einfach der Erfolg von ITA bereits vor der praktischen Erprobung konstatiert. Ist es wahr, dass ITA "in betrieblichen Innovationsprozessen eine wesentliche Rolle" spielt (Baron/Zweck)? "In der Praxis des Innovationsgeschehens wird also dem Gemeinwohl nachdrücklich Geltung verschafft" (Baron/Zweck). Wo und wie passiert das denn?

Hier vermisst der Autor eine gewisse Bescheidenheit. Wenn sich die Geschichte der Technikfolgenabschätzung als ein tastendes Probieren und als ständiger Lernprozess interpretieren lässt, bei dem jeder Neuansatz bestimmte Unzulänglichkeiten der jeweils bekannten Ansätze zu vermeiden beansprucht, dabei jedoch neue Fragen aufwirft und andere Unzulänglichkeiten produziert, so ist zu erwarten, dass es auch ITA nicht anders ergehen wird. Dem ständigen und notwendigen Lern- und Weiterentwicklungsprozess der TA ist kaum damit gedient zu behaupten, man hätte mit ITA das Ei des Kolumbus gefunden.

Der Ansatz des BMBF ist zu begrüßen, vor allem weil er - nach langen Jahren des Schweigens des BMBF zu diesem Thema - die konzeptionelle Diskussion in der TA belebt hat (Brüntink). Dies wird zu Klärungsprozessen und Lerneffekten führen bzw. hat dies auch sicher schon getan, wodurch die bereits recht leistungsstarke und ausdifferenzierte TA-Szene in Deutschland weiter gestärkt werden dürfte. Eine zu große Vollmundigkeit, mit der Erwartungen geweckt werden, die möglicherweise oder gar wahrscheinlich nicht eingelöst werden können, dürfte sich jedoch auf längere Sicht eher kontraproduktiv auswirken.

3.2   TA als Nachhaltigkeitsmanagement?

Jischa postuliert die Identität von TA und Nachhaltigkeitsmanagement. Mit Recht verweist er auf methodische Gemeinsamkeiten (hierzu auch Becks/Gelbke), die insbesondere in der Notwendigkeit integrativer Bewertungen liegen. Auch gibt es eine Reihe thematischer Überschneidungen zwischen TA und der Nachhaltigkeitsdiskussion. Allerdings begibt man sich durch die Anbindung von TA an Nachhaltigkeit in Abhängigkeit vom jeweiligen Verständnis von Nachhaltigkeit. Und genau an dieser Stelle möchte ich Jischa nicht folgen, da m. E. TA umfassender ist: es gibt Fragestellungen, die nicht durch Nachhaltigkeit abgedeckt sind. Um dies zu erläutern, ist natürlich zunächst das Nachhaltigkeitsverständnis anzugeben.

Nachhaltigkeit bezieht sich auf Gerechtigkeitsüberlegungen in intra- und intergenerativer Hinsicht. Entscheidend ist die Beantwortung der Frage, auf welche Hinterlassenschaft kommende Generationen einen Anspruch haben. Neben den natürlichen Lebensgrundlagen werden ökonomische, soziale und kulturelle Werte als Ressourcen betrachtet, die in ihrer Gesamtheit die Basis für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bilden. Nachhaltigkeit wird bestimmt, indem Mindestbedingungen eines menschenwürdigen Lebens herausgearbeitet werden, auf deren Gewährleistung heutige wie künftige Generationen einen moralischen Anspruch haben (Kopfmüller et al. 2001).

Wenn Nachhaltigkeit die Mindestbedingungen eines menschenwürdigen Lebens umfasst, dann bleiben außerhalb der Nachhaltigkeit politische und gesellschaftliche Fragestellungen übrig - nämlich die, in denen über die Mindestbedingungen hinaus Fragen gesellschaftlichen Umgangs mit Technik zu beantworten sind. Auf der Ebene gesellschaftlicher Zielsetzungen, etwa zur Hebung des Wohlstands oder der Verbesserung der nationalen Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt, gibt es eine Reihe von Zielsetzungen, die über die Mindestbedingungen eines menschenwürdigen Lebens hinausreichen. Wenn das nicht der Fall wäre, dann gäbe es außerhalb des Nachhaltigkeitsbegriffs nichts anderes mehr: er würde von nichts anderem mehr unterscheiden und dadurch letztlich aussagelos und entbehrlich werden. Aus diesem Grund schließe ich mich der Ineinssetzung von TA und Nachhaltigkeitsmanagement nicht an, obwohl beides miteinander zu tun hat.

3.3   TA - Gestaltungsauftrag und/oder Wissensbereitstellung?

Die Doppelgleisigkeit von TA als wissenschaftliche Forschung für Beratungszwecke einerseits und gesellschaftlicher Diskurs andererseits (Fürstenwerth; Mittelstraß 2000) steht nicht zur Disposition: beide Elemente sind komplementär zueinander und jeweils für sich unverzichtbar. Primär ist dabei die Wissensbereitstellung durch TA. Für die Erfüllung der gesellschaftlichen Aufgaben der TA, sei es in der Politikberatung, in der Wirtschaft, in der Unterstützung der Meinungsbildung in der Öffentlichkeit oder in der argumentativen Unterstützung von Entscheidungsprozessen, ist die Behebung von Wissensdefiziten und die Bereitstellung geeigneter Wissensbestände eine conditio sine qua non. Wissenschaftliche Forschung zu den gegenseitigen Abhängigkeiten und Beeinflussungen von Technik und Gesellschaft ist unentbehrlich im Rahmen der TA. An TA-Forschung richten sich Erwartungen,

Mit der Wissensbereitstellung für Beratungsaufgaben ist kein direkter Gestaltungsauftrag verbunden (Fürstenwerth) [3] . TA ist nicht Gestaltung, sondern beratende Unterstützung von Gestaltung. Ansonsten würden TA-Experten die Definitionshoheit über Entscheidungen beanspruchen, die nur in akzeptierten und legitimierten gesellschaftlichen Verfahren und Prozessen getroffen werden können.

Nun müssen in TA-Projekten unweigerlich Wertungen vorgenommen werden, vor allem in der Definitionsphase (Grunwald 2000b, Kap. 4.2), aber auch in der eigentlichen "Technikbewertung". Auch hierbei darf TA als Wissenschaft nicht missionarisch werden, sondern kann sich nur konditional auf normative Ausgangspunkte, wie z. B. Bewertungskriterien, beziehen. Sie kann Wenn/Dann-Aussagen der folgenden Struktur anbieten: "Wenn man die Bewertungskriterien ... als normativen Ausgangspunkt verwendet, hat dies folgende Implikationen: ...". Über die Berechtigung oder Inkraftsetzung der Kriterien selbst kann nicht wissenschaftlich entschieden werden; dies ist Sache der Gesellschaft in ihren dafür legitimierten Verfahren und Institutionen.

Die normative Ebene kann jedoch, und darin liegt die Aufgabe der Wissenschaften in der TA, theoretisch-systematisch aufgearbeitet werden, um sie transparent und argumentationszugänglich zu machen. Verdeckte Konflikte und Ambiguitäten, Prämissen und Präsuppositionen, unterschwellige Annahmen und Inkonsistenzen, aber eben auch Implikationen und Folgen der Wahl bestimmter normativer Ausgangspunkte sind, entsprechend als Wenn/Dann-Aussagen formuliert, wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse nicht nur zugänglich. Sondern die distanziert-wissenschaftliche Herangehensweise vermag oft auch klärende Beurteilungen zu erstellen, die dem gesellschaftlichen Akteur, der für eine spezifische normative Ausgangsbasis oder entsprechende Handlungsorientierungen "missionarisch" streitet, verborgen bleiben würden. TA stellt in diesem Sinne konditional-normatives Orientierungswissen (Mittelstraß) bereit. Aber auch dieses "Bewertungswissen" bleibt ein Beratungsangebot. Die Beratenen entscheiden, inwieweit sie das TA-Wissen umsetzen (Fürstenwerth). Die Klage über mangelnde Umsetzung der "folgenlosen Folgenforschung" (Baron/Zweck) geht da ein wenig ins Leere [4]. Beratungswissen entgleitet bei der "Ablieferung" der Kontrolle des Wissensproduzenten. TA ist nicht legitimiert, Technik zu gestalten (eine gewisse Unschärfe dahingehend, dass Beratung auch Einflussnahme bedeuten kann, sei zugestanden). Was man natürlich hofft, und dies wird auch zu Recht erwartet, ist, dass sich in den technikgestaltenden Entscheidungen der legitimierten Entscheidungsträger das Beratungswissen wiederfinden lässt - das ist aber etwas anderes, denn als TA Technik gestalten zu wollen. Was meint vor diesem Hintergrund ITA "als politikgestaltende Abwägung" (Baron/Zweck)?

3.4   Rolle des Staates in der Technikentwicklung

In einigen Beiträgen fallen bestimmte gesellschaftstheoretische oder gesellschaftspolitische Voreinstellungen, vor allem über die Rolle des Staates, auf, die erkennbar Einfluss auf die gezogenen Schlussfolgerungen haben. Dies sind:

Es scheint, dass sich in diesen Fragen die Kernpunkte der Kontroversen verbergen. Vielleicht geht es gar nicht um eine Diskussion der Adressaten von TA, sondern um eine Diskussion über die Rollen des Staates, der Wirtschaft und der Märkte. Gilt wirklich der Satz: "Die alles entscheidende Voraussetzung für die Schaffung von Wohlstand in den heutigen Industrienationen war und ist die Herausbildung einer dem kontrollierenden Einfluss von politischer oder religiöser Obrigkeit weitgehend entzogenen autonomen Wirtschaftssphäre" (Fürstenwerth)? Und was bedeutet das Wörtchen "weitgehend" dabei? Hier verbirgt sich der Kern vieler Kontroversen um TA: wie wird die Relevanz externer Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns für die Technik und ihre Beeinflussbarkeit durch Staat oder internationale Vereinbarungen eingeschätzt? Wo liegt das gesellschaftliche Interesse an Technikentwicklung und wie kann es umgesetzt werden? Hat der Staat eine Steuerungsfunktion oder nur eine Moderatorenrolle?

Um in der Beantwortung dieser Fragen weiterzukommen, sei auf den Begriff der Legitimation zurückgegriffen (ausführlich dazu: Grunwald 2000b). Das Legitimationsproblem hinsichtlich technikrelevanter Entscheidungen entsteht zwangsläufig, weil eine innovative Gesellschaft immer auch eine zerstörende Gesellschaft ist (Schumpeter). Durch die Entscheidung für neue Technik wird etablierte Technik ersetzt und als überflüssig markiert. Technische Innovationen haben in der Regel Gewinner und Verlierer zur Folge. Dies geschieht auf ganz verschiedenen Ebenen: wenn im Labor oder in einem Büro eine Entscheidung über neue Software ansteht, wenn in einem Unternehmen die Entscheidung für ein neues Produktionsverfahren und die damit verbundene neue Produktionsanlage ansteht oder wenn auf gesellschaftlicher Ebene technikrelevante Entscheidungen wie z. B. das Kreislaufwirtschaftsgesetz oder die Altautoverordnung getroffen werden. Die Instanz, gegenüber der solche Entscheidungen legitimiert werden muss, ist dabei im Einzelfall eine jeweils andere: der Vorgesetzte, die Aktionärsversammlung oder die Gesamtgesellschaft. So muss der Vorstand eines Unternehmens technikrelevante Entscheidungen unter betrieblich-strategischen Gesichtspunkten gegenüber den Anteilseignern der Firma bzw. den Aktionären legitimieren. Er hat diesen gegenüber zu begründen, warum der von ihm geplante Schritt (z. B. die Eröffnung einer neuen Produktionsstätte, die Fusion mit einer anderen Firma, die Rücknahme eines Produktes vom Markt, der Aufbau einer neuen Produktlinie) in Einklang mit deren Interessen, d. h. vor allem einer guten Rendite des eingesetzten Kapitals steht. Die Legitimationsverpflichtung gegenüber der gesellschaftlichen Allgemeinheit (was man auch mit Orientierung am "Gemeinwohl" umschreiben kann) obliegt hingegen dem politischen System und ist sein konstitutives Merkmal. Auf der Basis des direkt oder repräsentativ ermittelten Willens der Wähler ist es beauftragt, technikrelevante Entscheidungen vor der gesamten Gesellschaft als Instanz zu legitimieren. Die Unterscheidung der Legitimationsinstanzen betrieblicher und politischer Technikentscheidungen führt darauf, dass der Staat nicht nur eine Moderatorenrolle innehat, sondern auch Legitimationsinstanz in Fragen allgemeiner Verbindlichkeit ist (Fürstenwerth).

Daraus folgt noch nichts für die Aufgabenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft in der Technikgestaltung. Dies ergibt sich jedoch bei einem etwas näheren Blick auf technische Produkte oder Systeme. Denn hier gilt es zu differenzieren: sie sind nicht einfach als Gesamtprodukte vor dieser oder jener Instanz zu legitimieren, sondern es kommt dabei auf bestimmte Aspekte der Produkte oder Systeme an. Die umfassende Legitimationsverpflichtung bezieht sich nur auf einige ihrer Aspekte und Attribute: Umwelteigenschaften, Sicherheitseigenschaften, Gefährdungspotenziale, Datenschutz, Verfassungsverträglichkeit, Vermeiden von Marktversagen etc. Und für genau diese Eigenschaften - was im einzelnen dazugehört, mag durchaus umstritten sein - übernimmt der Staat die ihm zukommende Legitimationsverpflichtung durch Regulierung und entsprechende Monitoring- und Kontrollmaßnahmen. Die Aufgabe des Staates ist gerade deswegen nicht die Steuerung der Technikentwicklung auf Produktebene (wie von Fürstenwerth befürchtet), weil mit den Produkten als Produkten keine umfassende Legitimationsverpflichtung verbunden ist. Als Beispiel sei der Zahnbürstenmarkt angeführt. Zahnbürsten weisen verschiedene Attribute auf, können unter verschiedenen Aspekten thematisiert werden. Allgemeingesellschaftlich interessant (im Sinne der umfassenden Legitimationsverpflichtung oder des "Gemeinwohls") sind dabei nur wenige Aspekte wie die gesundheitliche Unbedenklichkeit der verwendeten Materialien oder die Umweltrelevanz ihrer Herstellung. Dagegen ist die konkrete Ausprägung der Zahnbürsten (Farbe, Design, Preis) unter allgemeinen Legitimationsaspekten völlig irrelevant, dafür aber für den Wettbewerb unter Konkurrenzbedingungen entscheidend.

Hier wird eine weitere Differenzierungsnotwendigkeit sichtbar: sicher hat auch das partikulare Wohl des Unternehmens Aspekte von Gemeinwohl (Fürstenwerth): wenn es dem Unternehmen gut geht, sind Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und Steuereinnahmen gesichert. Aber diese sind nicht die einzigen Aspekte von Gemeinwohl, die es zu berücksichtigen gilt. Denn auf anderen Ebenen können durchaus gleichzeitig Konflikte zwischen dem Gemeinwohl und dem Unternehmensinteresse bestehen. Dies betrifft z. B. Fragen des Standorts von Anlagen, aber z. B. auch Fragen des Umwelt- oder Verbraucherschutzes. Man wird nicht in jedem Fall die Wohlstandsaspekte in einem bestimmten Sektor über Fragen allgemeingesellschaftlicher Akzeptabilität stellen. Hier trifft man auf eine Ebene, wo staatliches technikrelevantes Handeln angesagt sein kann.

Dies ist der Hintergrund einer gewissen Arbeitsteilung zwischen Industrie und Staat in Bezug auf die Legitimationsaspekte (Grunwald 2000a/b): der Staat schafft durch technikoffene Regulierung einen legitimationsentlasteten Raum, in dem die Industrie Produkte entwickeln und verkaufen kann, ohne die übergreifenden Legitimationsaspekte beachten zu müssen. Wie die einzelnen Produkte aussehen, ist der Industrie und dem Kauf- und Nutzerverhalten überlassen, vorbehaltlich der Anerkennung der staatlicherseits gesetzten Rahmenbedingungen. Die konkrete Ausgestaltung der technischen Produkte und Dienstleistungen richtet sich vor allem nach Wettbewerbssituationen, Markteinschätzungen, Kreativität und Unternehmenspolicies der Beteiligten (Luhmann 2001) [5] .

Unternehmerische Technikbewertungen erfassen vor diesem Hintergrund vor allem gesellschaftliche Werte, die sich in Gesetzen ausdrücken (Minx), die sich also in Regulierungen verdichtet haben. Diese technikbeeinflussenden Regulierungen werden nun nicht wirtschaftsfern beraten, sondern häufig unter Mitwirkung oder gar auf Initiative der Wirtschaft hin auf den Weg gebracht (Minx, Grunwald 2000b). Das technikgestaltende Wechselspiel von Forschung, Wettbewerb, Innovation und Regulierung ist erheblich komplexer als die Modelle der bottom-up-Technikgestaltung durch Individuen (Fürstenwerth) oder einer top-down steuernden Technikpolitik (die heute wohl niemand mehr favorisiert) ahnen lassen. Vielleicht lässt sich ein Konsens auf der Linie des folgenden Fortsetzungsromans finden: 

4     Konzeptionen der TA - Pluralität ohne Beliebigkeit

Aufgrund einer weitreichenden Ausdifferenzierung der TA (Petermann 1999) und mehr oder weniger verwandter Ansätze in der Industrie (Becks/Gelbke, Minx) ergibt sich gegenwärtig ein facettenreiches und hochdifferenziertes Bild von TA in industrialisierten Gesellschaften, das es schwierig macht, noch über "die" TA zu reden. Es sollte aber möglich sein, das Gemeinsame in den verschiedenen Ansätzen zu sehen und das Unterschiedliche in Relation zu den jeweils kontextuellen Erwartungen, Problemen und Hintergründen zu suchen (Paschen 1999). Eine solche übergeordnete Perspektive erlaubt keinerlei besserwisserische Aussage über die Eignung von Konzeptionen. Sie kann jedoch neue Perspektiven eröffnen und den Blick für das Gemeinsame in aller Verschiedenheit schärfen - und damit paradoxerweise simultan erlauben, die Verschiedenheiten klarer zu formulieren und in Relation zu den jeweils beanspruchten Zielsetzungen und Leistungen zu setzen.

Mit der Konstatierung einer Pluralität von Ansätzen, mit je verschiedenen Adressaten, Gegenstandsbereichen, Zielsetzungen, strategischen Kontexten etc. könnte es nun sein Bewenden haben. Jeder könnte damit leben und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Die kontroverse Diskussion um Konzeptionen, Methoden und Prämissen von TA - häufig massiv kritisiert als folgenlose soziologische Phrasendrescherei - jedenfalls wäre mit einer Anerkennung der Pluralität des Faktischen erledigt und überflüssig. Das könnte aber ein fauler Kompromiss sein - Bekenntnisse zur Pluralität implizieren in der Regel nicht die unterschiedslose Anerkennung all dessen, was an Theorie oder Praxis zum Thema TA oder verwandten Aktivitäten auf den Markt gebracht wird. Es bleibt - jedenfalls bei dem Autor dieser Zeilen - ein Gefühl des Ungenügens und Unbehagens zurück. Und das sei im folgenden versucht zu explizieren, weil man, so die Hoffnung, daraus vielleicht etwas lernen kann.

Die Explikation beginnt mit einem Gedankenexperiment. Versuchen wir doch, Vorstellungen zu TA und Industrie aus Theorie und Praxis einfach in jeweils andere Kontexte zu setzen. Wie würde sich die Ökoeffizienzanalyse nach BASF (Becks/Gelbke) denn in einer TA zu Fragen europäischer Technologiepolitik machen? Wie würde die Rationale Technikfolgenbeurteilung (Gethmann 1999) bei DaimlerChrysler aussehen? Welche innovativen Konsequenzen hätte eine Verpflanzung der Technikbewertung des VDI (Rapp 1999) in die aktuellen bioethischen Diskussionen? Was würden die "Managementkonzepte für die Industrie" (Jischa) als Leitbild öffentlichkeitsbezogener Technikfolgenabschätzung bewirken? Es dürfte hinreichen, um etwas eigentlich Triviales zu zeigen: die Pluralität der Ansätze, Adressaten und Gegenstandsbereiche hat nun wirklich gar nichts mit Beliebigkeit zu tun, sondern ist eine Reaktion auf die pluralen Konstellationen, Fragestellungen, Kontexte und Zielsetzungen für Technikfolgenabschätzung. Die Pluralität auf der Mittel-Ebene reflektiert die Pluralität auf der Seite der Zwecke und Randbedingungen. Letztere ist es, die die pauschale kontextinvariante Überlegenheit eines einzelnen Ansatzes über alle anderen verhindert: Eignung, Anwendungsbedingungen und Qualitätsansprüche sind hochgradig abhängig vom Anforderungsprofil und den Randbedingungen im Einzelfall. Wissen und Bewertungen in Fragen von Technik und Gesellschaft, Technisierung und Technikfolgen sind außerordentlich kontextabhängig (Bechmann 2001).

Sind aber bestimmte Kontexte vorgegeben, ist eine Fragestellung formuliert und gibt es Ziele, die mit TA erreicht werden sollen, dann ist von Pluralität nur noch eingeschränkt und von Beliebigkeit gar keine Spur mehr. Die Beispiele zeigen: das "Anything goes" funktioniert nicht. Sind Ziele und Randbedingungen gegeben, so sind auch die Kriterien verfügbar, nach denen zu beurteilen ist - und auch beurteilt werden kann -, welcher Ansatz und welche Methodik zur Problemlösung geeignet ist und welche nicht. Und hier kann und soll es konzeptionelle Diskussionen geben. Sie dienen der Klärung der Leistungsfähigkeit und Anwendungsbedingungen der verschiedenen strategischen Elemente von TA und damit der Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit. So wird ein Bedarf in der Wirtschaft nach TA (was dann immer auch damit gemeint ist) allgemein konstatiert (Baron/Zweck, Jischa, Fürstenwerth). Aber die Verschiedenheiten der Fragestellungen und Gegenstandsbereiche (Minx) führen dazu, dass nicht unterschiedslos TA als Politikberatung und TA in der Wirtschaft in eins gesetzt werden darf. Es ist zwar richtig zu fordern "TA mit Politik und Wirtschaft" (Fürstenwerth 2000) und "TA für Rahmenbedingungen und Produkte" (Baron/Zweck). Es gehört aber dazu zu sagen, dass es sich jeweils um verschiedene Adressaten, verschiedene Anforderungen an Beratungswissen und sogar verschiedene Gegenstandsbereiche für TA handelt, weil sie sich jeweils auf verschiedene Aspekte der technischen Produkte oder Systeme (s. o.) beziehen muss.

Konzeptionelle Kontroversen um TA stehen also, sollen sie nicht bloßes und folgenloses Wortgeklingel sein, unter einer wesentlichen Nebenbedingung. In der Tat hat die abstrakte und pauschale Diskussion um "TA als Politikberatung oder Unternehmensberatung?" (Grunwald 2000) in dieser Form eher provozierenden als klärenden Charakter. Auch Bemerkungen wie "Institutionell betriebene TA hat versagt" (Fürstenwerth 2000, S. 163) oder die Rede von der "selbstverschuldeten Unmündigkeit der TA" (Baron/Zweck) sind da nicht besser. Die Nebenbedingung, worauf es entscheidend ankommt, ist es, die Rahmenbedingungen anzugeben, unter denen erst sinnvoll die Frage der Eignung von TA insgesamt oder einzelner Konzeptionen gestellt werden kann. Abgehobene Debatten der Art um Sinn oder Unsinn von TA, ob TA als Politikberatung oder in der Industrie betrieben werden sollte, begeben sich rasch auf polemisches Glatteis und werden irrelevant: Austausch von allgemeinen Weltanschauungen statt belastbare Argumentation. Aber in konkreten Kontexten stellt sich sehr wohl die Frage, welches Konzept unter welchen Kriterien optimal ist, welche Adressatenkreise angesprochen werden und welche Gegenstandsbereiche bearbeitet werden sollen, um dem jeweiligen Beratungsziel zu entsprechen. Dies führt zu einem arbeitsteiligen Verständnis von TA, die von allen an der Technikgestaltung beteiligten Gruppen betrieben werden sollte, je nach Maßgabe ihrer Mitwirkung in diesem Prozess, relativ zu den mehr oder weniger starken Legitimationsanforderungen.

5     Weitere Perspektiven

Es sind, abseits von den angesprochenen allgemeinen Kontroversen, auch speziellere Fragen zu stellen, die für die weitere Entwicklung des Verhältnisses von TA und Wirtschaft von Bedeutung sein werden.

Eine Frage ist, ob eine der am häufigsten vertretenen Ausgangsprämissen in der Diskussion, dass nämlich das Verhältnis von TA und Wirtschaft durch gegenseitige Ablehnung und durch gegenseitiges Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen geprägt sei (Baron/Zweck, Fürstenwerth 2000, Jischa, Zweck 2001), überhaupt stimmt. Zweifel weckt z.B. der Beitrag von Fuchs, in dem TA mit der Wirtschaft beschrieben wird (Beispiele aus anderen TA-Institutionen gibt es ebenfalls). TA-ähnliche Beratungsprozesse in der Wirtschaft, wenn auch anders bezeichnet und entsprechend den verschiedenen Beratungserfordernissen auch anders konzipiert, gibt es offensichtlich ebenfalls (Becks/Gelbke, Minx, König 2000). Was dann fehlt, wäre dann nur TA für die Wirtschaft. Hier wäre daran zu denken, einmal eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, um die Ausgangsprämisse zu überprüfen.

Eine weitere Frage im Feld der Gemeinwohldiskussion ist die nach der Art des Beratungswissens. Der Satz "Was nichts kostet, das nichts taugt" als ein Grund für mangelnde Nachfrage nach TA aus der Wirtschaft verweist wohl darauf, dass wissenschaftliches Wissen, das publiziert wird (das zu lesen (fast) nichts kostet), genau deswegen in gewisser Weise wertlos ist. Denn wenn es um die Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen geht (und das ist der Fall, vgl. Minx, Becks/Gelbke), ist von der TA bereitgestelltes öffentliches Beratungswissen wertlos. Unter Konkurrenzbedingungen ist es deswegen wertlos, weil die Konkurrenz genauso darüber verfügen kann, wenn es öffentlich zugänglich ist. Um wertvoll für die Industrie zu sein, muss privates Wissen bereitgestellt werden - und wie dies mit den vielgeforderten Anforderungen an die Beteiligung von Stakeholdern, an Transparenz und Diskurse, gar die Vermittlung zwischen Systemen betreffend, gehen soll, erscheint nicht so ohne weiteres plausibel (hierzu lesenswert: Luhmann 2001). Zu diesem Punkt wären weiterführende Untersuchungen anzustellen, möglichst in direkter Kooperation mit Unternehmen, etwa in Form von Pilotstudien.

In dieser ausdifferenzierten Situation mit einer Pluralität von Ansätzen, Institutionen und Adressaten fehlt, so eine weitere Anregung, so etwas wie eine "Landkarte" der TA, eine nachvollziehbare Aufdeckung der wissenschaftstheoretischen, der gesellschaftstheoretischen und der praktischen Prämissen, von denen die Anwendbarkeit und Zweckmäßigkeit im Einzelfall abhängt. Hier bleibt noch viel zu tun. Die Pluralität der Ansätze ist entgegen allen Dominanzbestrebungen anzuerkennen, aber Streit wird geführt und sollte geführt werden um die "best practice" in jedem einzelnen Fall. Das sind wir der Technikentwicklung in gesellschaftlicher Perspektive schuldig: sie so ernst zu nehmen, dass wir diese Anstrengung nicht scheuen. Dann wird sich zeigen (und hat sich in vielen Fällen auch bereits gezeigt), welche Ansätze zur Problemerkennung, -bearbeitung und -bewältigung mehr beitragen und welche weniger oder gar nicht. Eine solche differenzierte TA-Landschaft mit gegenseitigen Lernmöglichkeiten und in ständiger Auseinandersetzung mit den vielfältigen und sich teilweise rasch ändernden Anforderungen der (politischen und wirtschaftlichen) Praxis könnte gerade die Stärke der deutschen und vielleicht auch der europäischen TA-Landschaft sein.

Anmerkungen

[1] Verweise auf Beiträge im vorliegenden Heft sind dadurch erkennbar, dass der Autor / die Autorin bzw. die Autoren ohne Angabe einer Jahreszahl genannt werden.

[2] So wird in einer Vorstudie zu einer ITA-Studie über Nanotechnologie (Malanowski 2001) ständig von "Innovations- und Technikanalyse" im Sinne von "Technology Assessment" geredet, was es auch nicht leichter macht, beides auseinander zu halten.

[3] Mein Buch über "Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Technikgestaltung" (Grunwald 2000b) ist denn auch, wie es im Vorwort explizit heißt, kein Buch über TA.

[4] Wenn dies beklagt wird, sollte man nicht vergessen, dass TA auch ganz andere und viel indirektere Wirkmechanismen hat als nur die direkte Umsetzung in Entscheidungen (Paschen 1999).

[5] Diese Arbeitsteilung zwischen Industrie und Staat hinsichtlich der Legitimation von Technik ist nicht ohne Risiken und kann insbesondere das Auftreten nichtintendierter Technikfolgen nicht komplett verhindern. Beispielsweise haben massenhaft eingesetzte phosphathaltige Waschmittel zu gravierenden Problemen hinsichtlich der Gewässerbelastung geführt (Eutrophierung), obwohl die Nutzung dieser Waschmittel im Einklang mit den geltenden Regulierungen erfolgte.

[6] Auch die Akteure im Silicon Valley arbeiteten nicht in einem politischen Vakuum, sondern unter (in diesem Falle offenkundig förderlichen) Rahmenbedingungen.

Literatur

Bechmann, G., 2001: Paradigmenwechsel in der Wissenschaft? - Anmerkungen zur problemorientierten Forschung. Jahrbuch des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse 1999/2000, S. 93-109

Fürstenwerth, H., 2000: TA mit Politik und Wirtschaft. TA-Datenbank-Nachrichten 9(2000)4, S. 157-165

Gethmann, C. F., 1999: Rationale Technikfolgenbeurteilung. In: A. Grunwald (Hrsg): Rationale Technikfolgenbeurteilung, Konzeption und methodische Grundlagen, Berlin: Springer Verlag, S. 1-10

Grunwald, A., 1999: Verantwortungsbegriff und Verantwortungsethik? In: A. Grunwald (Hrsg.): Rationale Technikfolgenbeurteilung. Konzeption und methodische Grundlagen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag, S. 175-194

Grunwald, A., 2000a: TA - Politikberatung oder Unternehmensberatung? TA-Datenbank-Nachrichten, 9(2000)3, S. 121-125

Grunwald, A., 2000b: Technik für die Gesellschaft von morgen. Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Technikgestaltung. Frankfurt: Campus

Grunwald, A., 2001: Warum das Thema "TA und Industrie" umfunktionieren in eine Generaldiskussion über TA? TA-Datenbank-Nachrichten 10(2001)1, S. 153-155

Kloepfer, M., 1998: Recht als Technikkontrolle und Technikermöglichung. GAIA 7, S. 127-133

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Kontakt

Prof. Dr. Armin Grunwald
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-22500
E-Mail: armin.grunwald∂kit.edu