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Hearing der EU-Kommission zu PVC - Brüssel, 23. Oktober 2000 (eine Auswertung der dokumentierten Stellungnahmen)
Hearing der EU-Kommission zu PVC - Brüssel, 23. Oktober 2000
Eine Auswertung der dokumentierten Stellungnahmen von Udo Jeske, ITC-TAB [1]
Da sitz' ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor! (frei nach Johann Wolfgang von Goethe)
Der Kampf um PVC
Die Europäischen PVC Hersteller, Verarbeiter und Zulieferer haben zum Grünbuch eine Pro-PVC-Kampagne ihrer Mitgliedsfirmen organisiert, der sich teilweise auch Betriebsräte und Beschäftigte einzelner Firmen angeschlossen haben. Sie werden unterstützt von einigen PVC-Nutzenden. PVC-Kritiker haben nur wenige Stellungnahmen zum Grünbuch eingereicht. Die Kritiker haben sich, vertreten durch Organisationen und Institute, auf das Hearing zum Grünbuch konzentriert, das am 23. Oktober in Brüssel veranstaltet wurde. Hier konnten die beteiligten Kreise aus herstellender und verarbeitender Industrie, Handelsketten und Entsorgern, Ingenieurbüros, Umweltinstituten, Umwelt- und Gesundheitsverbänden, Gewerkschaften sowie Umweltbehörden ihre Positionen erneut darlegen und nach dem Hearing nochmals Stellungnahmen abgeben.
Bis Ende November 2000 sind ca. 2500 Seiten Stellungnahmen eingegangen und zusammen mit den vorbereitenden Dokumenten derzeit im Internet zugänglich. [2]
PVC und Nachhaltigkeit
Längst geht es bei der Debatte nicht mehr nur um PVC, sondern auch darum, mit PVC als exemplarischem Beispiel die vorhandenen Konzepte zur Nachhaltigen Entwicklung nach den je eigenen Interessen weiterzuentwickeln und durchzusetzen. Dabei werden Nachhaltigkeitsargumente sowohl für als auch gegen PVC verwendet. Drei Ansätze können unterschieden werden: Umweltschützer favorisieren einen Ansatz, der die Eigenständigkeit der Säule "Umwelt" betont und ihr eher ein höheres Gewicht vor ökonomischen und sozialen Faktoren einräumt. Eine relativ eigenständige vorsorgend "nachhaltige Stoffpolitik erscheint unverzichtbar für nachhaltige soziale und ökonomische Entwicklung." (UBA 12-1999) Dem gegenüber und ausgehend von der Erfahrung, dass Umweltbesorgnisse schnell zurückgestellt werden, wenn soziale oder ökonomische Besorgnisse wachsen, wird in der PROGNOS-Studie des PVC-Dialogprojekts (Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt 1999, S. 39ff) von einer hierarchischen Struktur der Abhängigkeiten zwischen den ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklungen ausgegangen, in der die Natur den weitesten Rahmen setzt, dem man sich zwar letztlich nicht entziehen kann, der aber nachrangig zum wirtschaftlichen Verhalten gesehen wird. Und hier werden
- "Wettbewerb und Kooperation zu Instrumenten (...) im Kampf ums Überleben, dem letztendlich auch die Entwicklung und Ausbreitung unterschiedlicher kultureller Wertvorstellungen entspricht." (...) "Unter dem Gesichtspunkt des Überlebens dominieren tendenziell individuelle über gruppenspezifische und diese über die Überlebensinteressen anderer, potenziell konkurrierender Gruppen."
So wird dem bisher dominanten eher normativen Nachhaltigkeits-Ansatz [3] , der die Integration von ökologischer, ökonomischer und sozialer Dimension in Verbindung mit geeigneten politisch institutionellen Rahmenbedingungen verfolgt, um "damit gerade auch einen strategischen Durchbruch für ökologische Belange" zu erzielen, in einer zentralen Frage eine Absage erteilt:
- "Gerade dann, wenn ökonomische und soziale Entwicklungsprozesse einer eigenen Dynamik unterliegen, kann nicht mehr wie bisher von allgemein gültigen Zielvorstellungen, wie etwa demjenigen eines gleichberechtigten Anspruchs aller Menschen an die Nutzung der vorhandenen natürlichen Ressourcen, ausgegangen werden."
In einem weiteren Schritt werden die eher mittel- bis langfristigen Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit (50 Jahre und länger) wegen der Prognoseunsicherheiten zurückgestellt zu Gunsten kurzfristiger (5-7 Jahre) bis allenfalls mittelfristiger Betrachtungen (bis 20 Jahre).
Die praktische Folge ist die Einbeziehung der Nutzungsphase durch die PVC-Lobby nicht wegen der sonst fehlenden Vollständigkeit der Umweltbelastungen während der Lebensdauer, sondern zur Betonung der nachhaltigen Wirkungen der günstigen Produkt-Eigenschaften auf Umsatz und Beschäftigung in dieser Phase.
Akteure in der PVC-Auseinandersetzung
Im Verlauf der Debatte der letzten 15 Jahre haben sich drei Kraftzentren formiert. Zur Verteidigung die Europäische PVC-Industrie. Demgegenüber Greenpeace mit dem Ziel, PVC am Markt möglichst vollständig durch alternative Produkte zu ersetzen, sowie auf staatlicher Seite mit dem Versuch in Ergänzung des bestehenden Gemeinschaftsrechts weitere Restriktionen gegenüber PVC durchzusetzen, die Dänische Umweltagentur und auch das deutsche Umweltbundesamt. Letzteres hat Leitlinien zum Umgang mit PVC vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdiskussion veröffentlicht, die den Verzicht auf bestimmte Inhaltsstoffe beinhalten, was in der Folge auf eine Bereinigung der PVC-Produktpalette hinauslaufen würde (UBA 1999). Die Beiträge zum Hearing und die eingereichten Stellungnahmen zum Grünbuch lassen sich unterteilen in Darstellungen der jeweils unterschiedlichen Gesamtstrategien der Hauptkontrahenten einerseits und in Detaildarstellungen einzelner Beteiligter aus dem Blickwinkel der jeweiligen Zuständigkeit bzw. Betroffenheit innerhalb des PVC-Lebenszyklus andererseits.
Im Folgenden werden die Gesamtstrategien der Hauptkontrahenten unter Umwelt- und Gesundheitsgesichtspunkten behandelt.
Vorsorgen oder riskieren
Die einleitenden Worte der beim Hearing anwesenden Kommissionsmitglieder spannen den Diskussionsrahmen auf, innerhalb dessen sich vorsorgende und riskierende Ansätze begegnen. Vorsorgliche Ansätze werden von Verbraucherschutzorganisationen, Umweltinstituten und Umweltverbänden favorisiert, riskierende Ansätze von Industrie und Gewerkschaften. Dazwischen bewegen sich, mit unterschiedlicher Neigung zur einen oder anderen Seite staatliche Behörden, Handelsorganisationen und hauptsächlich die Verbrauchenden selbst.
Der riskierende Standpunkt beruht auf freiem Handel und Gefahrenabwehr und setzt auf Innovation. Schutz von Umwelt und Gesundheit, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation wurden von Kommissionsmitglied Erkki Liikanen, zuständig für die Bereiche Unternehmen und Informationsgesellschaft, als Eckpunkte zur Beurteilung des Materials PVC genannt. Unter diesen Vorgaben seien PVC-Zusatzstoffe wie Blei, Cadmium und Phthalate zu bewerten. Im Lichte der Gemeinschaftsstrategie zum Abfallmanagement sei die Anwesenheit von PVC in verschiedensten Abfallströmen zu bewerten. Und aus den Reihen der Industrie wird die Frage gestellt: "Brauchen wir das Vorsorgeprinzip?" (Chemicals Policy 1999)
Politik aus vorsorgender Perspektive versucht, die Erfahrungen mit gescheiterter Sorglosigkeit in neue Handlungsmuster umzusetzen, um nicht immer wieder vor demselben Problem zu stehen, einen unter Anwendungsgesichtspunkten erfolgversprechenden neuen Stoff zunächst euphorisch einzusetzen bzw. umstrittene Altstoffe weiterhin einzusetzen und erst später mit negativen Umwelt- und Gesundheitsgesichtspunkten konfrontiert zu werden.
Kommissionsmitglied Margot Wallström, zuständig für Umwelt, hob die bedeutsamsten Grundsätze der Gemeinschaftsstrategie zum Schutz von Umwelt und Gesundheit hervor: das Vorsorgeprinzip, die Beseitigung von Verschmutzungen an der Quelle und die Zahlungspflichtigkeit des/der Verschmutzenden. Zur Vorsorge gehört die vorbeugende Aktion mit dem Substitutionsprinzip, nach dem gefährliche Substanzen wann immer technisch und ökonomisch möglich durch weniger gefährliche ersetzt werden sollen. Dazu gehört auch die vorbeugende Untersuchung von umwelt- und gesundheitsrelevanten Wirkungen neuer Stoffe vor ihrem Einsatz sowie die nachträgliche Untersuchung der benutzten Altstoffe, wie gegenwärtig den Phthalaten.
Vorsorge ist nicht gleich Vorsorge
Vorsorge soll im Folgenden grob unterschieden werden nach vorsorgenden Maßnahmen zur Verhinderung des Eintretens einer bereits bekannten Gefahr (Kontrollen, Wartung, Innovation, ...) und vorsorgenden Maßnahmen zur Verhinderung einer vermuteten Gefahr ohne Kenntnis des letztlichen Ursachenzusammenhangs (Substitution, Stoff(strom)politik). Von vorsorglichem Handeln lässt sich im letzteren Fall sprechen, wenn nach derzeitigem Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können und daher insoweit noch keine Gefahr, sondern nur ein Gefahrenverdacht oder ein "Besorgnispotenzial" besteht. In diese Richtung zielt das Sondergutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen "Umwelt und Gesundheits-Risiken richtig einschätzen" (Umweltrat 1999), das die PVC-Lobby zur Unterstützung ihrer Position heranzieht. Vorsorge für die menschliche Gesundheit wird hier unterschieden in eine toxikologisch (oder ähnlich gefährlich) begründete Vorsorge und eine spekulative Vorsorge. Abgehoben wird auf die Position des Umweltrates, nach der eine Lage in, der
- "ein lediglich spekulatives Risiko besteht, das auf bloßen Vermutungen beruht, keine Rechtfertigungen für staatliche Eingriffe in die Rechte potenzieller Verursacher zur Reduzierung des vermuteten Risikos darstellt." (AgPU 11-2000)
Einschränkungen des freien Warenverkehrs auf der Basis von Spekulation sollen aber nicht hingenommen werden.
Die EU-Kommission hat eine Stellungnahme zum Vorsorgeprinzip und dessen bisheriger rechtlicher Verankerung abgegeben (EU Vorsorge 2000), in der das Vorsorgeprinzip dem Risiko-Management innerhalb einer wissenschaftlichen Risiko-Analyse, bestehend aus Risiko-Abschätzung, Risiko-Management und Risiko-Kommunikation zugeordnet wird. Im Hinblick auf das Vorsorgeprinzip ist dabei die Einschränkung bedeutsam, dass die wissenschaftliche Untersuchung gerade nicht erlaubt, das Risiko mit zufriedenstellender Genauigkeit zu bestimmen.
Die PVC-Industrie fordert nun bei der Interpretation dessen, was ein "Ursachenzusammenhang" ist, der "weder bejaht noch verneint" werden könne, den toxikologischen Nachweis der Gefährdung im Sinne eines Effektnachweises nach den Regeln des EU-Risk-Assessments ein. Bei dem Gefahrenverdacht müsse es sich um einen wissenschaftlich plausiblen Verdacht handeln, andernfalls sei ein Risiko, das sich aus dem Verdacht ergebe, reine Spekulation. Deshalb müsse das Risiko durch wissenschaftliche Untersuchungen ermittelt werden.
Der in der PVC-Debatte umstrittene Vorsorgebereich entzieht sich nun aber stets ein stückweit dieser Form der Risikoermittlung durch den qua Definition noch nicht völlig geklärten Ursachenzusammenhang. Aus der alleinigen Tatsache der Persistenz von Stoffen und der Ubiquität in zeitlicher und räumlicher Hinsicht wie zum Beispiel bei Phthalaten, die als PVC-Weichmacher verwendet werden, lässt sich noch keine Wirkung und damit auch kein quantifizierbares Risiko ableiten. Vorsorglich wäre dann eine Politik zu nennen, die mit dem Hinweis auf frühere Schäden durch ähnlich verteilte andere Stoffe darauf zielt, den Eintrag persistenter und ubiquitär verteilter anthropogener Stoffe zu unterbinden. Eine solche Vorsorgepolitik braucht strenggenommen keine toxikologische Evidenz. Je weniger genau aber die Gefahr beschrieben werden kann, desto weniger Menschen werden Besorgnis zeigen und Vorsorge fordern. Um so mehr Gewicht erhalten dann die Nutzungsinteressen der Verbrauchenden, die ökonomischen Interessen der Herstellenden und die sozialen Interessen der im diskutierten Sektor Beschäftigten. Auf Vorsorge zielende Maßnahmen dürften nennenswerte Unterstützung nur dann erhalten, wenn die Besorgnisse gegenüber den Nutzungsinteressen erhebliches Gewicht erhalten. Gleichzeitig soll verhindert werden, dass das Vorsorgeprinzip zum Zwecke des Protektionismus missbraucht wird oder dass in Bezug auf das vermutete Risiko unproportionale Maßnahmen ergriffen werden. Ohne eine plausible, auf Fakten gestützte, am besten wissenschaftlich begründete Untermauerung der Besorgnisse wird Vorsorge in aller Regel nicht durchsetzbar sein. Je konkreter aber die Besorgnisse benannt werden, desto eher werden sie andererseits experimentellen Untersuchungen zugänglich, die, wenn sie durchgeführt werden, ihre Zeit brauchen, während dessen sich am Status quo der Umweltbelastung zunächst nichts ändert.
So entsteht das Dilemma, dass vorsorgliches Handeln zwar deshalb erfolgen soll, weil es vermutete Gefahren gibt, dass aber die Vermutungen so hinreichend stark begründet sein müssen, dass sie in der Lage sind, genügend Besorgte zu überzeugen und Handeln zu ermöglichen. Dies geht gewöhnlich ebenfalls nicht ohne wissenschaftliche Untersuchung. So nähern sich der vorsorgende und der riskierende Standpunkt aneinander an. Zwischen Vorsorge aus Umwelt- und Gesundheitsinteresse auf der einen Seite und Risikobereitschaft aus Nutzungs- bzw. Verkaufsinteresse auf der anderen Seite werden Kompromisse ausgehandelt.
Vorsorgliches Handeln kann in einer solchen Situation darauf zielen, Ursachenzusammenhänge weiter zu erforschen und zwischenzeitlich ein Gefährdungsrisiko einzugehen. Vorsorgliches Handeln kann aber auch darin bestehen, den Stoffeinsatz zu beenden bzw. zu reduzieren und das vermutete Risiko / die Gefährdung nicht einzugehen bzw. zu vermindern. Werden ersatzweise andere Stoffe benutzt, geht das Spiel wieder von vorne los, wenn diese Stoffe ebenfalls Besorgnis auslösen. So kann es zu einer weiteren Variante des Vorsorgehandelns kommen, die darin besteht, den ursprünglich ins Gerede gekommenen Stoff solange weiterzuverwenden, bis die Alternativen als ungefährlicher gelten: auch business as usual kann vorsorgliches Handeln sein. Alle Varianten sind im Streit PVC durch die eine oder andere Partei vertreten.
Die Fragen der Kommission zur Beantwortung auf dem Hearing
Die Fragen der Kommission, die beim Hearing beantwortet werden sollten, werden hier nochmals wiedergegeben.
- Horizontale Strategie/Instrumente Welches sind die geeigneten Instrumente zur Entwicklung einer horizontalen Strategie zu PVC? Sollte für einige Produkte eine PVC-Substitutionspolitik ins Auge gefasst werden? Wenn ja, für welche?
- Stabilisatoren Welches Maßnahmenpaket sollte eingesetzt werden, um das Problem der Verwendung von Blei und Cadmium in neuem PVC anzugehen? Innerhalb welchen Zeitrahmens?
- Weichmacher Sollen spezielle Maßnahmen bezüglich der Verwendung von Phthalaten als Weichmacher in PVC getroffen werden? Wenn ja, wann und mit welchen Instrumenten?
- Werkstoffliches Recycling Mit welchem Maßnahmenkatalog ließe sich das Ziel einer stärkeren Nutzung des PVC-Recyclings am effektivsten erreichen?
- Chemisches Recycling Sollte das werkstoffliche Recycling von blei- und cadmiumhaltigem PVC-Abfall an spezielle Bedingungen geknüpft werden? Wenn ja, an welche?
Welcher Katalog von Maßnahmen wäre am geeignetsten für das chemische Recycling von PVC-Abfall? - Verbrennung Welcher Maßnahmenkatalog würde die mit der Verbrennung von PVC-Abfall zusammenhängenden Probleme am effektivsten ausräumen?
- Deponierung Sind mit Blick auf die Deponierung von PVC-Abfällen spezielle Maßnahmen erforderlich? Wenn ja, welche?
Die Antworten der Akteure
Exemplarische Antworten werden im Folgenden aus 5 Gruppen stellvertretend zusammengestellt:
- Industrie (EU-PVC-Industrie, Bundesverband Sekundärstoffe und Entsorgung),
- Gewerkschaften (IG BCE),
- Umweltbehörden (UBA, Dänische EPA),
- Umweltinstitute (Öko-Institut),
- Umweltorganisationen (Greenpeace).
Hearing der EU-Kommission zu PVC (23.10.2000), Stellungnahme Gewerkschaften: Industriegewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie (IG BCE) /IG BCE 2000/ Strategie / Instrumente Instrument der Wahl für alle Maßnahmen sind "Freiwillige Selbstverpflichtungen" bzw. "Freiwillige Vereinbarungen". Additive In einer Mitteilung der Kommission zur Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips wird ein Ansatz zur wissenschaftlichen Risikobewertung eingefordert. Die Diskussion dieses Ansatzes der EU-Kommission vor dem Hintergrund der PVC-Additive unterbleibt leider nahezu vollständig im Grünbuch. Ein kürzlich vorgelegter Kommissionsvorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in elektrischen und elektronischen Geräten enthält im Anhang IV der Begründung eine zusammenfassende Darstellung von Gefahreigenschaften, Dosis-Wirkungs-Verhältnissen, wichtige Expositionswege, allgemeine Risikobewertung und den Hinweis, dass während der Gebrauchsdauer von elektrischen Geräten nicht damit zu rechnen ist, dass die genannten Schwermetalle zu einer signifikanten Belastung werden können. PVC-Additive spielen vor diesem Hintergrund keine Sonderrolle. Die freiwillige Selbstverpflichtung der PVC-Industrie zum Verzicht auf Cadmium bis 2001 ist die konsequenteste und am schnellsten zu verwirklichende Maßnahme. Maßnahmen zur Beschränkung von Blei in PVC-Produkten sind nach den Kriterien der EU-Kommission und aufgrund der angebotenen Maßnahmen der PVC-Branche nicht gerechtfertigt. Recycling Es ist zu beachten, dass es Berechnungen gibt, die allgemein vor zu hohen werkstofflichen Verwertungsquoten bei Kunststoffen warnen.* "Es ist festzuhalten, dass eine Festlegung auf bestimmte Verwertungsverfahren und Verwendungsquoten nicht zielführend - da innovationshemmend - ist." Verbrennung Die positive Rolle von Chlor verbessert die Qualität der Schlacke (300 kg/t Müll) hinsichtlich der Schwermetalle und konzentriert diese auf den mengenmäßig kleinen Anteil der Rauchgasreinigungsrückstände (25 kg/t Müll). Die variablen Kosten können vom PVC-Gehalt im Hausmüll beeinflusst werden. Solche Mehrkosten...liegen bei etwa 350 DM pro Tonne PVC. Bei Vollauslastung haben Kunststoffe und PVC hohe Behandlungskosten, da eine Tonne Abfall mehr als eine Tonne Restmüll verdrängt. Der Anteil der Behandlungskosten des PVC im Restmüll beträgt ca. 2 % und ist somit nicht dominierend. Die Mitverbrennung verursacht keine Probleme, daher sind keine Maßnahmen erforderlich. Deponie * hier wird eine falsche und ins Gegenteil verkehrte Darstellung eines Öko-Instituts-Berichtes, der sich zudem nur auf Verpackungsabfälle bezieht und nicht PVC-spezifisch ist, verwendet. (Öko-Institut 4-2000) |
Hearing der EU-Kommission zu PVC (23.10.2000), Stellungnahme Behörden: Dänisches Umweltamt, /DK EPA 2000/ Strategie / Instrumente Additive Substitution Recycling Werkstoffliches Recycling Verbrennung Deponierung |
Hearing der EU-Kommission zu PVC (23.10.2000), Stellungnahme Behörden: Umweltbundesamt (UBA) /UBA 2000 Instrumente Stabilisatoren Weichmacher Weich PVC-Anwendungen (z. B. Kabel-Ummantelungen, Bodenbeläge, Wandbeläge, Planen/Schläuche/ Profile, Weichfolien, Pastenanwendungen) sollten schrittweise durch Produktalternativen ersetzt werden, unter Würdigung/Prüfung der mit den Produktalternativen bestehenden Probleme. Produktgruppen mit den höchsten Weichmachergehalten sollen primär behandelt werden. Werkstoffliches Recycling: Cadmium-Stabilisatoren Chemisches Recycling Verbrennung in MVA Deponierung Brandfall |
Hearing der EU-Kommission zu PVC (23.10.2000), Stellungnahme Umweltinstitute: Öko-Institut / Öko-Institut 11-2000/ Strategie / Instrumente Additive Recycling Garantiertes Recycling der verbleibenden langlebigen PVC-Hart-Produkte, einschließlich der Integration der Recycling- und Deponiekosten in den Produktpreis, einer Aufkaufverpflichtung, einem Garantiefonds für Recycling Aktivitäten, hohen Recyclingquoten und produktspezifischem Recycling. |
Hearing der EU-Kommission zu PVC (23.10.2000), Stellungnahme Umweltorganisationen: Greenpeace / Greenpeace 2000/ Strategie / Instrumente Die Dioxinbildung ist ein mit der PVC-Abfallablagerung verbundenes Hauptproblem. Das Problem der Dioxin-Bildung in Brandfällen, Deponiebränden, Verbrennungsanlagen und dem Metallrecycling (u. a. Autoshredder mit PVC-Anteilen) wurde aber vom Untersuchungsumfang der EU-Vorstudien ausgenommen. Ebenso ausgenommen wurden die regelmäßigen Unfälle bei der PVC-Herstellung und die damit verbundene Exposition der Beschäftigten und der Bevölkerung. Kurzfristige Beendigung von kurzlebigen PVC-Produkten wie Verpackungen und Spielzeug sowie Medizin-Produkte, für die Alternativen existieren. Abtrennung von PVC vom allgemeinen Abfallstrom und zeitweise Lagerung durch die Hersteller, bis eine Lösung für den PVC-Abfall durch die Hersteller gefunden wurde. Finanzieller Ausgleich durch die Hersteller für zusätzliche Beseitigungskosten, die durch entgegen Vorschrift in die Verbrennung gelangende PVC-Abfälle entstehen. Additive Werkstoffliches Recycling Chemisches Recycling Verbrennung Deponierung * Im Vorfeld des Hearings hat die PVC-Industrie das Ende des Cadmium-Einsatzes in der EU in 2001 angekündigt. |
Die PVC-Kaskade
Hersteller und Verarbeiter haben eine gestaffelte Verteidigung aufgebaut: Die PVC-Kaskade. Diese beginnt mit dem Gegenstück zur Vorsorge: der Unbedenklichkeit.
1. Unbedenklichkeit
Die grundsätzliche Haltung und damit die Ausgangslage der PVC-Lobby ist: Es existieren derzeit keine akuten Probleme durch PVC im Hinblick auf Umwelt und Gesundheit. Alle früher einmal insbesondere durch das Krebs erregende Vorprodukt Vinylchlorid und durch die Quecksilberemissionen bei der Kochsalz-Elektrolyse existierenden Probleme sind gelöst bzw. werden gelöst, sobald die letzte Quecksilber-Elektrolyse außer Betrieb genommen wird. Eine besondere Dioxinbildung in der Hausmüllverbrennung ist zumal bei gegenwärtigen PVC-Anteilen von unter 1 % bzw. 50 % des eingetragenen Chlors nicht nachweisbar. Unkontrollierte Brände auf europäischen Deponien sind selten. Es gibt daher grundsätzlich keinen weiteren Handlungsbedarf. Pauschale Maßnahmen gegen PVC wie etwa Verwendungsverbote sind deshalb nicht gerechtfertigt.
2. Freiwilliges Entgegenkommen
Die nächste Stufe der Kaskade ist freiwilliges Entgegenkommen.
Die PVC-Hersteller und -Verarbeiter haben sich unter politischem Druck freiwillig zu weiteren umweltentlastenden Maßnahmen verpflichtet, die sie im Grunde aber nicht für nötig halten, weil keine Umwelt- und Gesundheitsgefahren feststellbar seien.
Problematische Zusatzstoffe:
- Verzicht auf Cadmium-Stabilisatoren in frischen Fensterprofilen bis 2001 (weiterhin Recycling von cadmiumhaltigen Profilen)
- Risiko-Studien zu Bleistabilisatoren und Weichmachern stehen kurz vor der Fertigstellung.
Recycling:
- Materialrecycling bei geeigneten Produkten (überwiegend Fensterprofile, Rohre, Bodenbeläge) mit einer Quote, die sich nicht auf die tatsächlich in den Abfall gelangende Menge bezieht, sondern auf deren Verfügbarkeit in Sammelsystemen beruht.
- Pilotanlagen zum chemischen Recycling: Verbrennen PVC-reicher Kunststoffabfälle mit Salzsäure Rückgewinnung (Schlackebad-Verfahren), Lösung der Nicht-PVC-Komponenten in Kompositwerkstoffen so, dass PVC zurückgewonnen werden kann ("VINYLLOOP(r)"-Verfahren).
3. Bestehende Probleme relativieren
Die dritte Stufe der Kaskade besteht darin, bestehende Probleme zu relativieren bzw. deren Marginalität zu betonen.
- Nur 5 % der gesamten Ölförderung gehen in die Kunststofferzeugung. Selbst mit hohen Recyclingquoten kann deshalb kein nennenswerter Beitrag zur Ressourcenstreckung des Erdöls erbracht werden.
- 50 % der Chlorfracht in Müllverbrennungsanlagen kommen aus anderen Abfällen. Auch ohne PVC im Abfall würden die Dioxinbildung und die Chlorkorrosion ein Problem darstellen.
- Erschwerung des Recyclings von gemischten Kunststoffen durch niedrigschmelzende PVC-Anteile ist nicht anders zu bewerten als z. B. die Erschwerung durch höherschmelzende PET-Anteile. Sortenreines Recycling ist in jedem Fall notwendig. Ein Störstoffproblem gibt es auch beim Metallrecycling.
- Blei wird durch umweltoffene Anwendung beim Fischen und Schießen in weitaus höherem Maß in die Umwelt eingetragen als durch PVC. Ein vielfach größerer Bleistoffstrom ist mit Autobatterien verbunden.
- Dioxine sind im Brandfall in hohem Maße an den Ruß gebunden. Der muss wegen der giftigen und krebserregenden PAK ohnehin besonders entsorgt werden.
4. Weitere Analysen fordern
Die vierte Stufe der Kaskade besteht darin, weitere Analysen zu fordern.
- Zum Vergleich von PVC-Produkten mit anderen Produkten und zu deren Beurteilung sind ganzheitliche Bilanzierungen über den gesamten Lebensweg notwendig. Diese existieren noch nicht in ausreichendem Maße. Solange dies nicht der Fall ist, sind Maßnahmen gegen PVC nicht gerechtfertigt.
5. PVC aus Vorsorgegründen weiterverwenden
Schließlich besteht die fünfte Stufe der Kaskade darin, das Vorsorgeargument zur Fortsetzung des PVC-Einsatzes zu nutzen.
- Als Reaktion auf die Kritik an PVC und seine Zusatzstoffe ist PVC ein gut untersuchter Stoff. Diese Untersuchungen untermauern, dass von PVC keine akuten Gefahren für die Menschen ausgehen. Solange für alternative Produkte nicht die gleiche Untersuchungstiefe existiert, ist ein PVC-Ersatz durch diese Produkte nicht begründbar und gerechtfertigt. In AgPU 11-2000 wird dazu die Enquête-Kommission "Schutz des Menschen und der Umwelt" von 1994 zitiert:
- "Ohne ökonomische oder ökologische Begründung kann die Enquête-Kommission jedoch die Substitution von PVC durch andere Werkstoffe nicht empfehlen. Eine solche Umstellung birgt die Gefahr einer Problemverschiebung, wenn nicht gar einer Verschlechterung des gegenwärtigen Zustandes in sich."
Und schließlich wird der Präsident des UBA, Prof. Troge zitiert, der mit dem Vorwort zur jüngsten PVC-Studie des Amtes (UBA 1999) zitiert wird:
- "Vor der Einführung von Ersatzprodukten müssen diese jedoch ausreichend geprüft sein, inwieweit sie den in dieser Studie entwickelten Maßstäben besser genügen als die entsprechenden Produkte auf PVC-Basis".
Sammel- und Sortierkosten abwälzen
Der Vorteil der PVC-Kaskade besteht offensichtlich darin, auf allen Ebenen reagieren zu können und sich bei Schwierigkeiten auf einer Stufe immer wieder auf eine andere retten zu können, ohne eine übermäßige finanzielle Verpflichtung eingehen zu müssen. So werden in Europa auf verschiedene Länder bzw. Konzerne verteilt Demonstrationsanlagen für die diskutierten PVC-Segmente errichtet und deren Innovationscharakter wird vermarktet, gleichzeitig aber wird durchweg abgelehnt, die Kosten für die Achillesverse des Recyclings, das Sammelsystem, aufzubringen, die PVC-Produkte sortiergeeignet zu kennzeichnen und das Sammelsystem überhaupt erst in relevante Größenordnungen zu bringen. Gewöhnlich kostenfrei werden hingegen angelieferte gebrauchte, derzeit bereits rezyklierbare Produkte abgenommen (insbesondere Fensterprofile und Rohre). Wer jedoch PVC-Produkte kauft und dennoch Umweltbesorgnisse hat, soll selbst dafür sorgen, dass die vorhandenen Entsorgungsanlagen erreicht werden. Wer keine PVC-spezifischen Umweltbesorgnisse hat, kann auf die Mülltonne oder die Schuttmulde zurückgreifen, für die zwar auch zu bezahlen ist, deren Kosten aber unspezifisch beim Endverbrauchenden anfallen und vor allem nicht auf den PVC-Produktpreis durchschlagen.
Würden die absehbar hohen Kosten des Sammelns und Sortierens sowie des chemischen Recyclings hingegen auf die PVC-Produkte umgelegt, wären Markverschiebungen zu Ungunsten von PVC zu erwarten. Der Kampf zur Abwehr der Verantwortlichkeit für die Sammelsysteme und insbesondere gegen Modelle, die darauf hinauslaufen, deren Kosten in den Produktpreis zu integrieren und somit die Kaufentscheidung zu beeinflussen, kann als strategischer Kern der Bemühungen der PVC-Lobby angesehen werden. Um an dieser Stelle den Rücken frei zu behalten, werden auf der technischen Seite Anstrengungen unternommen, das Recycling als machbar zu demonstrieren und so den Ruf des Werkstoffs zu verbessern. Offenbar mit Erfolg, denn der Sachverständigenrat für Umweltfragen wird so zitiert:
- "Die mit PVC verbundenen Gesundheits- und Umweltrisiken rechtfertigen kein Verbot oder umfangreiche Beschränkungen mehr. Zur Begründung seiner Haltung weist der Rat ausdrücklich auf die zwischenzeitliche Entwicklung der Produktions- und Entsorgungstechnik hin." (Umweltrat 1998, in: AgPU 11-2000)
Produktion gesichert, Details in der Diskussion
Im Hinblick auf die primäre PVC- Produktion (mit Ausnahme der vorhandenen Quecksilberelektrolyseanlagen) konnte die PVC-Industrie ihre Position mit Hilfe von Verbesserungen (Automatisierung der gefährlichen Bereiche der Polimerisation, Entgasung der Produkte und Nachverbrennung von Abgasen) tatsächlich bis hinein in die Reihen ihrer Kritiker konsolidieren. In seiner Stellungnahme zum Hearing betont das Umweltbundesamt:
- "Maßnahmen in Bezug auf die Herstellung und Verarbeitung von PVC werden über das bisherige Maß und die von der PVC-Industrie selbst eingegangenen Verpflichtungen hinaus offensichtlich (von der Europäischen Kommission, der Autor) nicht für erforderlich gehalten. Dieser Einschätzung kann aus Sicht des Umweltbundesamtes gefolgt werden." (UBA 11-2000)
Kritik übt das UBA an einigen eingesetzten Zusatzstoffen und der Entsorgungspraxis sowie an der unzureichenden, auf Verzögerung angelegten Art und Weise, in der die PVC-Industrie ihre "Selbstverpflichtungen" abgibt (PVC-SelbstV 2000).
- "Diese Selbstverpflichtung wird nach unserer Einschätzung in der vorliegenden Form weder formalen Kriterien an Selbstverpflichtungen gerecht noch kann die inhaltliche Ausgestaltung überzeugen. Nachbesserungsbedarf wird insbesondere bei den Verpflichtungen zu den verwendeten Additiven gesehen. Die Selbstverpflichtung ist in ihrer derzeitigen Form keinesfalls geeignet, die Einleitung administrativer und ordnungsrechtlicher Maßnahmen auf der Grundlage des Grünbuchs aufzuschieben oder überflüssig zu machen." (UBA 11-2000)
Im Hinblick auf die Ersetzung der Cadmium-Stabilisatoren durch Kalzium-Zink-Systeme wird kritisiert: "Der bisherige, eigentlich von allen Beteiligten akzeptierte Ausstieg, der praktisch langsam und zögernd verläuft" (trotz jahrelangen Drucks wurden 1994 noch 25 % der Mitte der 80er Jahre eingesetzten Cadmium-Menge verarbeitet) zeigt, dass zum Erreichen der vollständigen Substitution folgende begleitende Maßnahmen notwendig sind:
- eindeutige Verpflichtungserklärungen der Beteiligten mit knapper Terminsetzung [4],
- alternativ die Vorbereitung ordnungsrechtlicher Maßnahmen (Einbezug aller PVC-Anwendungen mit Cadmium-Stabilisatoren in die EG-Cadmium-RL),
- Pflicht zur unverschlüsselten Kennzeichnung, "um den Cadmium-Produktkreislauf beim Recycling geschlossen zu halten ...." (UBA 11-2000).
Bei den Weichmachern wird durch das UBA kaum eine stoffliche Alternative zu den Phthalaten gesehen, außer evtl. durch Adipinsäureester. Deshalb wird als Konsequenz "ein schrittweiser Ausstieg aus der Verwendung von Weich-PVC" gefordert, "bei gleichzeitiger Prüfung von Produktalternativen".
Schwieriger zu durchschauen ist die Situation beim Recycling:
- "Das Umweltbundesamt hält ein abgestuftes Abfallentsorgungskonzept mit den Komponenten werkstoffliches Recycling, rohstoffliches Recycling, energetisches Recycling und Mitverbrennung in Abfallentsorgungsanlagen für sinnvoll. Dem werkstofflichen Recycling wird bei entsprechenden Voraussetzungen Priorität eingeräumt." (UBA 11-2000)
So gut das klingt, in Greenpeace 2000 wird darauf verwiesen, dass die von der PVC-Industrie europaweit für 2010 erwartete Menge für das werkstoffliche Recycling von 200.000 t lediglich einen Anteil von 4 % an der erwarteten Nachverbrauchs-Abfallmenge von 4.7 Mio. t darstellt. 96 % würden demnach in die Verbrennung oder auf die Deponie gelangen. Die PVC-Industrie hingegen beziffert heute bereits in der ihr eigenen Zählweise die deutsche Recyclingquote unter Einschluss der Verbrennung auf 51 % (AgPU 11-2000).
Sind unlautere Methoden notwendig?
Das werkstoffliche Recycling wird aus heutiger Sicht noch längere Zeit aus technischen und logistischen Gründen bzw. durch die mit Logistik und Trennung verbundenen Kosten auf einen kleinen Teil der PVC-Produktion begrenzt bleiben. Das schmerzt angesichts der gegenwärtig geführten Nachhaltigkeitsdebatte, in der es auch um Ressourcenproduktivität geht. Um hier vom ungünstigen Image wegzukommen, scheint ein Teil der PVC-Lobby verführbar, auch zu unlauteren Mitteln zu greifen. In der AgPU-Stellungnahme für die Kommission wird eine Studie des Öko-Instituts zitiert (Öko-Institut 4-2000), nach der das Öko-Institut ermittelt habe, dass das Optimum des werkstofflichen Recyclings von Kunststoffabfällen bei 15 % liege, um dann stolz hinzuzufügen:
- "Sollte man also für den Werkstoff PVC - wie in den EU-Staaten prognostiziert - im Jahre 2020 eine Verwertungsquote bei post-consumer Abfällen von 18 % erreichen, hätte man das vom Öko-Institut ermittelte Optimum sogar überschritten." (AgPU 11-2000, S. 4)
Die IG BCE toppt die falsche Darstellung nochmals, in dem behauptet wird, dass die Autoren des Berichtes vor höheren Quoten als 15 % warnen. (IG BCE 2000)
Abgesehen davon, dass die Quote dann immer noch nicht der Rede Wert ist: Beim Nachlesen stellt sich heraus, dass den Autoren Aussagen unterstellt werden, die sich an keiner Stelle der Studie finden! Die zitierte Studie befasst sich mit den Möglichkeiten des Recyclings von Kunststoffverpackungen mit einem PVC-Anteil von 9,8 % (in Deutschland verwertete DSD 1998 540.000 t Kunststoffverpackungsabfälle mit einem PVC-Anteil von 3-5 %). Im Anhang der Studie wird das Executive Summary eines TNO-Berichts für APME zum Recycling von Kunststoff-Verpackungsabfällen dargestellt. Zu den TNO-Annahmen gehört, dass Verpackungsabfälle nur bis 15 % technisch hochwertig rezykliert werden können. Größere Recyclingmengen lassen sich nach den Annahmen nur in niederwertigen Produkten unterbringen, wobei gleichzeitig die Recyclingkosten steigen. Anders als von AgPU zitiert und schon gar nicht als eigenes Ergebnis kritisieren die Autoren des Öko-Instituts die von TNO gewählte 15 % Quote und einen Teil der Methodik der angewendeten "Ökoeffizienz-Methode" (BASF 2000). Hingegen wird in der Stellungnahme der Europäischen PVC-Industrie die TNO-Studie korrekt wiedergegeben (EU PVC 2000). Tatsächlich bestätigt also die TNO-Studie bestenfalls nochmals die relative Ungeeignetheit eines Großteils der heutigen Verpackungsabfälle für hochwertiges Recycling, solange kein ausreichendes Trennsystem etabliert ist. Daraus ein vom Öko-Institut ermitteltes "Optimum" zu machen erscheint dreist.
Ausblick
Die Gegenüberstellung der Standpunkte der PVC-Kontroverse macht deutlich, dass sowohl Konzepte wie Instrumente nachhaltiger Entwicklung noch nicht in einem Maße entwickelt und verfügbar sind, dass ihre Anwendung in einem konsensualen Sinne möglich wäre. Während insbesondere die für Umwelt zuständigen Behörden und die Umweltorganisationen auf die Weiterentwicklung und Anwendung des Stoffrechts für vorsorgend nachhaltigen Umweltschutz setzen, versucht die Industrie, klaren Verpflichtungen durch weiche "freiwillige Vereinbarungen" auszuweichen. Unbefriedigend erscheint außerdem die von der Industrie favorisierte ausschließliche Fokussierung der Risikoabschätzungen auf die menschliche Gesundheit, sobald ubiquitär verteilte Chemikalien eine Rolle spielen. Im Streit um Legitimität und Instrumentierung vorsorglichen Handelns in Bereichen, in denen Risiko-Analysen (noch) nicht greifen, ist in der PVC-Debatte keine Lösung in Sicht.
Anmerkungen
[1] Der folgende Beitrag knüpft an an die Rezension des Grünbuchs der Europäischen Kommission zu den Umweltaspekten von PVC des Autors in Heft 4 der TA-Datenbank-Nachrichten vom Dezember 2000, S. 117-122.
[2] http://europa.eu.int/comm/environment/pvc/index.htm, http://europa.eu.int/comm/environment/pubs/studies.htm
[3] http://www.itas.fzk.de/zukunftsfaehigkeit/Projektbeschreibung.htm
[4] Diese knappe Terminsetzung ist im Vorfeld des Hearings nunmehr erfolgt. Das Ende des Cadmium-Einsatzes in der EU soll 2001 erfolgen.
Literatur
AgPU 11-2000: Stellungnahme zur Anhörung in Brüssel am 23.10.2000 zum PVC-Grünbuch. Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt (AgPU), in: http://europa.eu.int/comm/environment/pvc/contributions/reactions.pdf
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Kontakt
Dr. Ing. Udo Jeske
Zentralabteilung Technikbedingte Stoffströme (ITC-ZTS)
Institut für Technische Chemie
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640, 76021 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-24189