Der Raumbezug von Nachhaltigkeitsindikatoren

Schwerpunktthema: Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland

Der Raumbezug von Nachhaltigkeitsindikatoren

von Robert Backhaus und Stefan Weiers, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Die Implementierung eines Systems von Nachhaltigkeitsindikatoren wirft auch Fragen nach ihrer räumlichen Differenzierung auf. Insbesondere in der ökologischen Dimension können gravierende Nachhaltigkeitsrisiken aus ungünstigen räumlichen Verteilungen der Landnutzung und -bedeckung resultieren. Daher wurde im Rahmen der HGF-Vorstudie untersucht, inwieweit der räumliche Bezug von Indikatoren für ein integratives Konzept nachhaltiger Entwicklung relevant ist und welche Schlussfolgerungen sich für die Operationalisierung des Konzepts ergeben.

Räumliche Explizität vs. statistische Aggregation

Die Definition von Nachhaltigkeitsindikatoren stützt sich bisher überwiegend auf räumlich mehr oder weniger verteilungsfreie oder gering auflösende Parameter mit administrativem Flächenbezug. Es überwiegen statistische Indikatoren aus den Bereichen Produktion, Konsum und Flächennutzung. In der ökologischen Dimension kommen raum-zeitliche Mittelwerte von medienbezogenen Schadstoffkonzentrationen und Emissionsraten hinzu, die wiederum teilweise aus produktions- bzw. konsumstatistischen Daten hergeleitet und in Bezug zu unter Laborbedingungen ermittelten Grenzwerten gesetzt werden.

Demgegenüber bestehen offensichtlich diagnostische Defizite bei der Erfassung solcher Nachhaltigkeitsrisiken, die primär durch spezifische räumliche und zeitliche Muster von Landschafts- und Landnutzungsstrukturen verursacht werden. Dabei ist für die Bundesrepublik Deutschland besonders auf den Konflikt zwischen den raum-zeitlichen Verteilungsmustern von intensiver landwirtschaftlicher Produktion und urbaner Infrastruktur einerseits und den hochgradig nachhaltigkeitsrelevanten ökologischen Regulationsfunktionen andererseits hinzuweisen. Als Beispiele für diesen Problemkomplex seien genannt die Degradation von Boden und Landschaftswasserhaushalt (Pimentel 1997, Held 1997, Ripl 1995) sowie die Verluste an ökologisch funktionaler Biodiversität infolge von Biotopzerstörung. So hat für die ökologische Nachhaltigkeitsdimension der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen bereits wiederholt auf die Notwendigkeit des räumlichen Bezugs hingewiesen, und zwar unter dem Aspekt der Zustandsbewertung und der Ableitung von Handlungsempfehlungen (SRU 1994, Tz. 157; SRU 1998, Tz. 206).

Durch ökologisch unangepasste räumliche Verteilungsmuster verursachte Nachhaltigkeitsrisiken erfordern regional angepasste Maßnahmen auf der Grundlage regional disaggregierter, räumlich expliziter Indikatoren. Wenn das jeweilige Informationssystem den räumlichen Bezug der Primärdaten nicht oder nur mit unzureichender Auflösung vorhält, kann es keine disaggregierte Information für die regionale Umsetzung liefern. Die Bereitstellung dieser Information erfordert dann einen zusätzlichen Rückgriff auf räumlich explizite Daten und ist damit nicht kosteneffizient.

Effizienzverluste sind ebenfalls bei der Allokation raumwirksamer Maßnahmen zu befürchten, da mit hochaggregierten Indikatoren keine räumliche Optimierung möglich ist. Bei der hohen Infrastrukturdichte der Bundesrepublik Deutschland stellt die Bodenfläche ein knappes Gut dar, dessen nachhaltige Bewirtschaftung vor dem Hintergrund vielfacher Nutzungskonflikte größtmögliche Effizienz in der räumlichen Verteilung der Landnutzungsstrukturen erfordert.

Lösungsansätze

Im Rahmen eines integrierten Konzepts nachhaltiger Entwicklung kann offensichtlich auf die Einbeziehung räumlich expliziter Indikatoren nicht verzichtet werden. Dies gilt vorrangig für die Bewertung intensiv genutzter und partiell urbanisierter Agrarlandschaften im Hinblick auf Wasserhaushalt, Bodenfruchtbarkeit und Ertragssicherung, ökologisch funktionale Artenvielfalt und abiotische Regulationsfunktionen. Im Hinblick auf diese Problemschwerpunkte wurden vorliegende Konzepte der regionalen Landschaftsbewertung analysiert (Schade 1999), und zwar in den Kategorien Eignungsbewertung, Belastungsbewertung, Wertanalyse und Risikoanalyse.

Es zeigte sich erwartungsgemäß, dass das komplexe Indikationsziel "Nachhaltigkeit der Landschaft" von strukturellen und sektoralen Bewertungsverfahren nicht erfüllt wird, sondern möglichst ganzheitliche, an den Funktionen der Landschaft orientierte Ansätze erfordert. Unter den Gesichtspunkten der Anzahl erfasster Funktionen, der Quantifizierung der Einflussfaktoren, der Verfahrenstransparenz und der datentechnischen Umsetzbarkeit verdient das Konzept der funktionalen Landschaftsbewertung von Marks et al. (1992) besondere Beachtung (vgl. Meyer 1997). Es umfasst die Funktionen Erosionswiderstand, Filter-, Puffer- und Transformationsfähigkeit, Grundwasserschutz und -neubildung, Abflussregulation, Immissionsschutz, Klimamelioration, Ökotopbildung und Naturschutz, Wasserdargebotspotential, biotisches Ertragspotential, Erholungs- und landeskundliches Potential. Die Bewertung ausgewählter Funktionen wurde im Zusammenhang mit der HGF-Vorstudie anhand räumlicher Datensätze auf der Grundlage eines Geographischen Informationssystems (GIS) und einer fernerkundungsbasierten Landnutzungs-/Landbedeckungskartierung für eine Agrarregion in Schleswig-Holstein beispielhaft demonstriert (Schade 1999).

Eine Analyse der normativen Randbedingungen der Landschaftsbewertung machte deutlich, dass für unscharfe Begriffe wie "Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts" (BNatSchG § 1) ein hoher Operationalisierungsbedarf besteht. Die Anforderung, bereits die sektorale Bewertung einzelner Landschaftsfunktionen wissenschaftlich zu fundieren, erscheint zunächst vorrangig. Ihre Erfüllung bietet die Grundlage für die Anwendung multikriterieller Bewertungsverfahren sowie für tragfähige Lösungen von Zielkonflikten im Rahmen diskursiver Prozesse.

Im Zusammenhang mit Konzepten der räumlich expliziten Landschaftsbewertung stellt sich die Frage nach den für ihre Umsetzung geeigneten Technologien. Als komplementäre Informationsinstrumente sind hier die Geographischen Informationssysteme und die Satellitenfernerkundung zu nennen.

Leistungsfähige GIS sind für wissenschaftliche und operative Anwendungen kommerziell verfügbar. Im Vergleich zu konventionellen analogen Kartenwerken bieten sie den Vorteil der digitalen Speicherung und integrierten Prozessierung thematisch unterschiedlicher raumbezogener Datensätze und sind damit das Mittel der Wahl zur datentechnischen Generierung raumbezogener Indikatoren mit Hilfe geeigneter Modelle sowie zur flexiblen räumlichen, zeitlichen und thematischen Aggregation/Disaggregation solcher Indikatoren.

Problematisch für GIS-Anwendungen ist vielfach die kostengünstige Bereitstellung der erforderlichen räumlichen Datensätze mit einer hinreichenden Aktualität und Zuverlässigkeit. Die Nutzung von Information aus Satellitendaten bietet dafür ein großes und vielfältiges Potential, ist aber derzeit noch nicht operationell entwickelt (Backhaus 1997).

Fazit

Die Umsetzung des Leitbilds "Nachhaltigkeit" kann im Bereich der Landnutzung nur gelingen, wenn eine nationale, regelorientierte top down-Strategie komplementiert wird durch themenorientierte bottom up-Aktivitäten auf regionaler und lokaler Ebene (vgl. Mohr 1995). Raumwirksame Entscheidungen auf dieser Ebene erfordern jedoch räumlich explizite und disaggregierte Daten und Indikatoren. Die Realisierungschancen sind aufgrund langjähriger landschaftsökologischer Forschung und der Verfügbarkeit leistungsfähiger Geographischer Informationssysteme als günstig zu beurteilen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, einen Teil der benötigten räumlichen Basisdaten kostengünstig mittels Satellitenfernerkundung zu gewinnen bzw. auf diesem Wege vorhandene Datenbestände zu aktualisieren (Weiers et al. 1999).

Erheblicher Forschungsbedarf besteht für die Überprüfung und Anpassung beschriebener Verfahren zur landschaftsökologischen Indikation, für die Entwicklung integrierter, multikriterieller Indikatoren und für die Umsetzung vergleichender regionaler Fallstudien. Darüber hinaus ist eine Integration statischer Bewertungsmodelle, dynamischer Ökosystemmodelle und innovativer Instrumente zur Entscheidungsunterstützung erforderlich. Dabei ist auf Kompatibilität zu den vom Gesetzgeber formulierten planerischen Verfahren zu achten, desgleichen auf Transparenz und Nachvollziehbarkeit für Planungsträger und Öffentlichkeit.

Literatur

Backhaus, R., 1997: Operationalisierung von Satellitendaten für den Umweltschutz: Technologischer Selbstzweck oder zukunftsweisende Gestaltungsperspektive? GAIA 6, no. 4, 276-288

Held, M. ,1997: Der letzte Dreck - Gründe für die gesellschaftliche Ignoranz der Tragweite der Bodendegradation, GAIA 6 no. 3, 205-211

Marks, R. et al., 1992: Anleitung zur Bewertung des Leistungsvermögens des Landschaftshaushaltes. Forsch. z. dt. Landeskde., Vol. 229, Trier

Meyer, B. , 1997: Landschaftsstrukturen und Regulationsfunktionen in Intensivagrarlandschaften im Raum Leipzig-Halle. - Regionalisierte Umweltqualitätsziele - Funktionsbewertungen - multikriterielle Landschaftsoptimierung unter Verwendung von GIS. UFZ-Ber., 24, 223 S.; Leipzig

Mohr, H. , 1995: Perspektiven einer nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland. In: Bundesministerium für Bildung und Forschung/VDI - Technologiezentrum Düsseldorf (Hrsg.): Langfristige Perspektiven technischer und gesellschaftlicher Entwicklung in Deutschland, Düsseldorf, S. 95-118

Pimentel, D. , 1997: Soil Erosion and Agricultural Productivity: The Global Population/Food Problem. GAIA 6, no. 3, 197-204

Ripl, W. , 1995: Nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen aus wasserwirtschaftlicher Sicht. In: P. Fritz, J. Huber, H.W. Levi (Hrsg.): Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Hirzel, Stuttgart, 69-80

Schade, B. , 1999: Bewertung von Bodenschutz und Wasserhaushaltsfunktionen mit Hilfe von GIS und Fernerkundungsmethoden am Beispiel der Landschaft Stapelholm (Schleswig-Holstein). Diplomarbeit, Universität zu Köln

SRU (Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen), 1994: Umweltgutachten 1994: Für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung. Metzler-Poeschel, Stuttgart

SRU (Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen), 1998: Umweltgutachten 1998: Umweltschutz: Erreichtes sichern - Neue Wege gehen. Metzler-Poeschel, Stuttgart

Weiers, S., Mielby, S., Groom, G., Stjernholm, J., Wissen, M., Bock, M., Schade, B., Tschach, E. , 1999: Monitoring of Changes in Biotope and Land Use Inventory in Denmark and Schleswig-Holstein by means of Satellite Image Analysis and GIS Technology. Final Report, EU Contract No. ENV4-CT96-0367

Kontakt

Dr. Robert Backhaus
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)
Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum (DFD)
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