Von „Aktionsforschung“ bis „Zielkonflikte“. Schlüsselbegriffe der Reallaborforschung

Schwerpunkt: Reallabore als Orte der Nachhaltigkeitsforschung und Transformation

Von „Aktionsforschung“ bis „Zielkonflikte“

Schlüsselbegriffe der Reallaborforschung

von Oliver Parodi, Richard Beecroft, Marius Albiez, Alexandra Quint, Andreas Seebacher, Kaidi Tamm und Colette Waitz, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruhe

„Reallabor“ und „Reallaborforschung“ sind junge und demgemäß noch wenig scharf umrissene Konzepte. Obwohl sie in einigen wissenschaftlichen Communities gerade Karriere machen, hat sich noch kein allgemein geteiltes, inhaltliches Verständnis herausgebildet. Die Sammlung von Schlüsselbegriffen soll einen schnellen Einstieg und ersten Gesamteindruck geben, was Reallabore auszeichnet, und die Bezüge zur umgebenden Wissenschaftslandschaft und Praxis aufzeigen. Die Autorinnen und Autoren explizieren hiermit ihr Begriffsverständnis und stellen dieses zur Diskussion mit dem Ziel, zu einem geteilten Begriffsverständnis in der Reallaborforschung beizutragen.[1]

“Real world laboratories” and “real world lab research” are new concepts, and therefore not yet clearly defined. Even though they are much regarded newcomers in certain scientific communities, no common understanding of their characteristics has emerged. This compilation of key terms offers a brief overview regarding real world laboratories and their position between science and practice. With this paper, the authors explicate their understanding of these key terms to invite for discussion, hopefully contributing to a consensus on the characteristics or real world laboratories.

Verzeichnis der Schlüsselbegriffe

  1. Aktionsforschung und Interventionsforschung
  2. Gesellschaftliche Lernprozesse, Social Learning, Societal Learning
  3. Interdisziplinarität und Transdisziplinarität
  4. Labore und Labs
  5. Nachhaltige Entwicklung, nachhaltig, zukunftsfähig
  6. Ort und Adressierbarkeit
  7. Partizipation und Akteure
  8. Planung, Gestaltung und Entwicklung
  9. Public Engagement in Science, Citizen Science
  10. Realexperiment, Experiment, transdisziplinäres Experiment
  11. Reallabor
  12. Transformationsforschung und Transformative Forschung
  13. Ziele und Zielkonflikte

Diese Schlüsselbegriffe-Sammlung hat Glossar-Charakter. Die einzelnen Begriffserläuterungen sind nicht (lexikalisch) kontextunabhängig verfasst, sondern zugeschnitten auf ihre Verwendung im Reallaborkontext. Die Darstellung der Begriffssammlung umfasst vier Typen von Begriffen: Wissenschaftstraditionen, in die sich die Reallaborforschung einordnen lässt (z. B. „Action Research“), wissenschaftstheoretische und methodologische Begriffe, die die besondere Arbeitsweise im Reallabor beschreiben (z. B. „Realexperiment“), allgemeingebräuchliche Begriffe (z. B. „Ort“), deren Gebrauch im Reallabor-Kontext einer Spezifizierung bedarf, sowie Ziele, denen die Reallaborforschung verschrieben ist (z. B. „Nachhaltigkeit“). Dementsprechend unterschiedlich ist der Charakter der Begriffserläuterungen. Diese sind bewusst kurz gehalten und können die jeweiligen Begriffsfelder nur anreißen. Die jeweils angegebene Literatur dient als Einstieg zur weiterführenden Beschäftigung.

1     Aktionsforschung und Interventionsforschung

Das Konzept „action research“ (dt. „Aktionsforschung“) wurde in den 1940er Jahren vom Sozialpsychologen Kurt Lewin geprägt (Lewin 1946). Die von ihm beschriebenen Prinzipien haben auch heute weitgehend noch Bestand. Aktionsforschung ist eine Form experimenteller Forschung, die an den Problemen einer Gruppe, einer Gemeinschaft oder einer Organisation ansetzt und mit den Beteiligten iterativ, empirisch und reflexiv arbeitet (Kemmis 2011; Stringer 2014). Ziel ist es, ein Verständnis der Problemsituation zu gewinnen und praktische Lösungen zu entwickeln – ursprünglich primär in Bildungskontexten. Die grundlegenden Schritte stellen eine Spirale aus Planen, Handeln, Beobachten und Reflektieren dar (Kemmis/McTaggart 1988; Kemmis 2011). Aktionsforschung wird mitunter von Praktikern eigenständig geplant und durchgeführt, um ihre eigene Praxis zu verbessern. V. a. aber erfolgt sie als partizipative Forschung in Kooperation von ForscherInnen und Praxisakteuren. Die Verwendung von Alltagssprache macht den Forschungsprozess zugänglicher und ermöglicht ein Selbstverständnis aller als an der Forschung Beteiligter.

Die Interventionsforschung ist seit den 1990er Jahren eine der Aktionsforschung verwandte Strategie, die sich durch eine stärkere Rolle der WissenschaftlerInnen, eine eher system- als handlungsorientierte Praxisvorstellung und eine stärkere Ausrichtung auf weitreichende Systemtransformationen auszeichnet: „Praxissysteme sollen durch Interventionsforschung Unterstützung auf ihrem Weg zu kollektiver Selbstreflexion und Aufklärung erhalten, [um] zu Entscheidungen über ihre eigene Zukunftsgestaltung zu gelangen“ (Kreiner/Lerchster 2012, S. 10f.).

Reallabore und Reallaborforschung stehen in der Tradition der Aktions- und Interventionsforschung. Diese funktionieren besonders gut in experimentellen Settings, die auf iterative Prozesse und kontinuierliche Reflexion setzen. Hierfür bieten Reallabore ideale Ausgangspunkte. Reallaborforschung lässt sich auch als eine Form institutionalisierter Aktions- bzw. Interventionsforschung auffassen.

Literatur

Lewin, K., 1946: Action Research and Minority Problems. In: Journal of Social Issues 2/4 (1946), S. 34–46

Kemmis, S., 2011: A Self-Reflective Practitioner and a New Definition of Critical Participatory Action Research. In: Mockler, N.; Sachs, J. (Hg.): Rethinking Educational Practice Through Reflexive Inquiry. Dordrecht, S. 11–29

Kemmis, S.; McTaggart, R. (Hg.), 1988: The Action Research Planner. Victoria

Kreiner, L.; Lerchster, R. E., 2012: Interventionsforschung Bd. 1: Paradigmen, Methoden, Reflexionen. Wiesbaden

Stringer, E.T., 2014: Action Research: A Handbook for Practitioners. Thousand Oaks, CA

2     Gesellschaftliche Lernprozesse, Social Learning, Societal Learning

Die Forschung in Reallaboren, wie transdisziplinäre Forschung allgemein, wird mitunter auch als gesellschaftlicher Lernprozess beschrieben (Schneidewind/Singer-Brodowski 2015). Damit werden unterschiedliche Aspekte bezeichnet: Erstens ist die Reallaborforschung ein iterativer Prozess des Sammelns von Erfahrungen, Reflektierens und Veränderns für die Beteiligten. Das Reallabor stellt dafür einen unterstützenden Lernort dar. Zweitens bietet Reallaborforschung die Gelegenheit, im sozialen Austausch mit- und voneinander zu lernen (peer learning, mutual learning). Drittens betrifft der Lernprozess gesellschaftliche Fragen und involviert verschiedene Stakeholdergruppen (social learning, Reed et al. 2010). Viertens kann und soll Reallaborforschung als Motor gesellschaftlicher Transformationsprozesse wirken und stellt in diesem Sinne den Ausgangspunkt eines gesamtgesellschaftlichen Lernprozesses dar (societal learning). Fünftens lassen sich diese Lernprozesse, soweit sie das Welt- und Selbstbild der Beteiligten verändern, auch als (gesellschaftliche) Bildungsprozesse auffassen (Beecroft/Dusseldorp 2009). Alle fünf Bedeutungsebenen verweisen aufeinander, die bloße Beschreibung als „gesellschaftlicher Lernprozess“ verleitet aber zu Ungenauigkeit zwischen diesen Bedeutungsebenen.

Auch wenn Reallaborforschung oft als „gesellschaftlicher Lernprozess“ bezeichnet wird und teilweise schon in diesem Sinne geplant wird, gibt es bislang wenige Bezugnahmen auf die Erfahrungen der Didaktik mit der Planung von Lern- bzw. Bildungsprozessen.

Literatur

Beecroft, R.; Dusseldorp, M., 2009: TA als Bildung. Ansatzpunkte für Methodologie und Lehre. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 3/18 (2009), S. 55–64

Reed, M.; Evely, A.; Cundill, G. et al., 2010: What is Social Learning? In: Ecology and Society 15/4 (2010); http://www.ecologyandsociety.org/vol15/iss4/resp1/ (download 10.11.16)

Schneidewind, U.; Singer-Brodowski, M., 2015: Vom experimentellen Lernen zum transformativen Experimentieren: Reallabore als Katalysator für eine lernende Gesellschaft auf dem Weg zu einer Nachhaltigen Entwicklung. In: Zeitschrift für Wirtschafts- und Unternehmensethik 16/1 (2015), S. 10–23

3     Interdisziplinarität und Transdisziplinarität

Inter- und Transdisziplinarität beschreiben zwei aufeinander aufbauende Forschungsparadigmen: Interdisziplinarität bezeichnet die Zusammenarbeit von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen mit dem Ziel, Wissen zu generieren, das den je einzelnen Disziplinen verborgen bliebe (Kocka 1987). Transdisziplinarität bezeichnet die Öffnung der Wissenschaft hin zu a) lebensweltlichen Problemlagen, b) der Integration außerwissenschaftlicher Akteure und c) der explizit normativen Bearbeitung ihrer Themen. Transdisziplinäre Forschung arbeitet in aller Regel auch interdisziplinär (Bergmann et al. 2010) und versteht sich als aufwändiger Forschungsprozess, der gemeinsam mit außerwissenschaftlichen Akteuren gestaltet wird, wodurch sich auch die „Forschungsfragen, Hypothesen, Methoden und die Sprache der Forschung verändern“ (Eckhardt 2014, S. 7; Bergmann et al. 2010).

Ursprung beider Forschungsparadigmen war die Kritik an der Begrenztheit der (disziplinären) Wissenschaft (Euler 2005). Während Interdisziplinarität im heutigen Diskurs diesen problemorientierten Impetus weitgehend verloren hat, nimmt er in der Transdisziplinarität die Form einer positiven, normativen Orientierung, insb. am Leitbild Nachhaltiger Entwicklung, an (Brand 2000). Ein zweiter Diskurs zu Transdisziplinarität betont die Verbindung von Wissenschaft und Kunst (Tröndle/Warmers 2011). Sowohl Inter- als auch Transdisziplinarität sind zentrale Kategorien der fachübergreifenden Lehre. Im Rahmen von Reallaboren stellt Transdisziplinarität das übliche Forschungsparadigma dar.

Literatur

Bergmann, M.; Jahn, T.; Knobloch, T. et al., 2010: Methoden Transdisziplinärer Forschung. Ein Überblick mit Anwendungsbeispielen. Frankfurt a. M.

Brand, K.-W. (Hg.), 2000: Nachhaltige Entwicklung und Transdisziplinarität. Berlin

Eckhardt, F., 2014: Stadtforschung. Gegenstand und Methoden. Wiesbaden

Euler, P., 2005: Interdisziplinarität als kritisches „Bildungsprinzip“ der Forschung: methodologische Konsequenzen. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 14/2 (2005), S. 63–68

Kocka, J. (Hg.), 1987: Interdisziplinarität. Praxis – Herausforderung – Ideologie. Frankfurt a. M.

Tröndle, M.; Warmers, J. (Hg.), 2011: Kunstforschung als ästhetische Wissenschaft. Beiträge zur transdisziplinären Hybridisierung von Wissenschaft und Kunst. Bielefeld

4 Labore und Labs

Ein Labor bezeichnet einen Ort und eine gebaute Infrastruktur zur Wissensgenerierung. Es ermöglicht stabile Bedingungen für experimentelle Forschungen und deren Dokumentation. Labore sind eng mit der Entwicklung der Natur- und Technikwissenschaften verbunden (Schmidgen 2011).

Heutzutage tragen viele (Forschungs-)Einrichtungen und Projekte die Bezeichnung „Lab“ in ihrem Namen, um den technischen, infrastrukturellen oder innovativ-kreativen Charakter zu betonen (SENWTF 2013). Die Etikettierung als „Lab“, „Laboratory“, „Labor“ wird derzeit inflationär verwendet.

Bei Reallaboren (real world laboratories) stehen Transformationsforschung, der Nachhaltigkeitsbezug und Transdisziplinarität im Vordergrund. Diese dreifache Festlegung unterscheidet sie mitunter erheblich von den folgenden „Laboren“, deren experimentelles Vorgehen oft auch nur bedingt wissenschaftlich ist und deren Erkenntnisse nicht notwendigerweise in den wissenschaftlichen Diskurs zurückfließen:

Des Weiteren gibt es viele Formate, wie die Internationale Bauausstellung oder die REGIONALE, die als Labors angelegt sind, dies jedoch nicht im Titel tragen (Hohn et al. 2014).

Literatur

Baier, A.; Hansing, T.; Müller, C.; Werner, K. (Hg.), 2016: Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis. Bielefeld

Geibler, J. von; Erdmann, L.; Liedtke, C. et al., 2013: Living Labs für nachhaltige Entwicklung: Potenziale einer Forschungsinfrastruktur zur Nutzerintegration in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Wuppertal

Hohn, U.; Kemming, H.; Reimer, M. (Hg.), 2014: Formate der Innovation in der Stadt- und Regionalentwicklung. Reflexionen aus Planungstheorie und Planungspraxis. Lemgo

Nevens, F.; Frantzeskaki, N.; Gorissen, L. et al., 2013: Urban Transition Labs. Co-creating Transformative Action for Sustainable Cities. In: Journal of Cleaner Production 50 (2013), S. 111–122

Schmidgen, H., 2011: Labor. In: Europäische Geschichte Online (EGO) (2011). Institut für Europäische Geschichte. Mainz http://www.ieg-ego.eu/schmidgenh-2011-de (download 10.11.16)

SENWTF – Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung, Landesinitiative Projekt Zukunft, 2013: Innovations- und Kreativlabs in Berlin. Räume und Events als Schnittstellen von Innovation und Kreativität. Berlin

5     Nachhaltige Entwicklung, nachhaltig, zukunftsfähig

Das Leitbild „Nachhaltige Entwicklung“ (engl. „Sustainable Development“) entspringt der Einsicht, dass die global dominanten, westlich-modernen Wirtschafts- und Lebensweisen zunehmend existenzielle Problemlagen hervorbringen (Meadows et al. 1972), dass sie nicht „zukunftsfähig“ bzw. „nachhaltig“ sind.

Im Wechselspiel zwischen politischen, wissenschaftlichen und ethisch-philosophischen Debatten wurden Ende des 20. Jh. unterschiedliche Nachhaltigkeitskonzepte erarbeitet (Grunwald/Kopfmüller 2012). Diese nehmen ökologische, soziale, ökonomische und teils auch kulturelle und institutionelle Aspekte einer zukunftsfähigen globalen Entwicklung zusammen in den Blick (oder integrieren diese) und stellen Indikatoren-Sets hierfür auf (Kopfmüller et al. 2001; BUND et al. 2008). Grundlegend ist das Verständnis der sog. Brundtland-Kommission von Nachhaltigkeit als intra- und intergenerativer Gerechtigkeit: Eine nachhaltige Entwicklung sei dann realisiert, wenn sie „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (Hauff 1987, S. 46). Nachhaltigkeit ist aus ethischer Perspektive eine Konzeption des guten und richtigen Lebens unter Berücksichtigung und Wertschätzung der Mitwelt, Umwelt und Nachwelt.

Schritte zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung erfolgen seitdem auf vielen politischen Ebenen (z. B. national: Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, kommunal/EU: Aalborg-Charta). Den Vereinten Nationen kommt dabei die treibende Rolle zu. Die Diskrepanz zwischen den Zielen Nachhaltiger Entwicklung und deren bisheriger Realisierung bleibt allerdings nach wie vor eklatant.

Als erkenntnis- und handlungsleitendes Prinzip ist Nachhaltige Entwicklung zentral für die Reallaborforschung, die der Nachhaltigkeitsforschung entstammt, auf eine Nachhaltigkeitstransformation abzielt und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) ermöglicht. Dieser starke Nachhaltigkeitsbezug kann auch zur Abgrenzung von anderen laborhaften oder experimentellen Unternehmungen herangezogen werden (vgl. die Begriffserläuterungen „Labore und Labs“ und „Reallabor“).

Literatur

BUND – Bund für Umwelt und Naturschutz; Brot für die Welt; Evangelischer Entwicklungsdienst (Hg.), 2008: Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt. Ein Anstoß zur gesellschaftlichen Debatte. Frankfurt a. M.

Grunwald, A.; Kopfmüller, J., 2012: Nachhaltigkeit. 2., akt. Auflage. Frankfurt a. M.

Hauff, V. (Hg.), 1987: Unsere gemeinsame Zukunft. Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven

Kopfmüller, J.; Brandl, V.; Jörrisen, J. et al., 2001: Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren. Berlin

Meadows, D.; Meadows D.; Randers, J. et al., 1972: The Limits to Growth. New York

6     Ort und Adressierbarkeit

Als Infrastruktur für transdisziplinäres, partizipatives Arbeiten sollte ein Reallabor über einen eigenen Ort verfügen, der leicht zugänglich ist und im Projektgebiet liegt – außerhalb des „Elfenbeinturms der Wissenschaft“. Zentrale Anforderungen an diesen Ort sind Sichtbarkeit, Zugänglichkeit, Adressbildung und Adressierbarkeit. Gemeinsame Charakteristika und Funktionen sind:

Die Ausgestaltung des Ortes kann sich, je nach thematischer Ausrichtung und lokalen Begebenheiten, im Detail wesentlich unterscheiden. Er kann Charakteristika eines Quartiersbüros, Wissenschaftsladens (Steinhaus 2015), Agendabüros (de Haan et al. 2013), Ateliers, Bürgerzentrums und/oder Forscherbüros aufweisen – geht aber nicht in diesen auf. Als Hybrid vereint er unterschiedliche Funktionen und Nutzungsformen zu einem eigenen Profil. Über den ständig präsenten Ort erhält ein Reallabor auch ein (physisch) ästhetisches Gesicht („Adressbildung“). Dieses dient der Identifikation nach innen und Markenbildung nach außen.

Literatur

de Haan, G.; Kuckartz, U.; Rheingans-Heintze, A., 2013: Bürgerbeteiligung in Lokale Agenda 21-Initiativen: Analysen zu Kommunikations-und Organisationsformen. Frankfurt a. M.

Steinhaus, N., 2015: Wissenschaftsläden vielerorts. In: Finke, P. (Hg.): Freie Bürger – Freie Forschung. Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm. München

7     Partizipation und Akteure

Partizipation, die Teilhabe und Teilnahme an Projektarbeit, Forschung und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen, spielt für das Verständnis der transdisziplinären Forschung eine tragende Rolle. Sie ist die Grundlage für Co-Design und Co-Creation im Reallabor. Durch Sensibilisierung der Beteiligten für unterschiedliche Sichtweisen und durch transparente Prozesse ermöglicht die aktivierende Partizipation Teilhabe auf Augenhöhe und informiertes Mitentscheiden und Mitgestalten. Ausdrücklich weist dies auch WissenschaftlerInnen eine gestaltende Rolle zu. Die Intensität von Partizipation wird oft in Schichten eingeteilt (Arnstein 1969; Selle 2013) z. B. von Information als basale Schicht (1), über Konsultation (2), Kooperation (3) und gleichberechtige Kollaboration von Wissenschafts- und Praxisakteuren (4) bis hin zum Empowerment (5), der Ermächtigung von Akteuren zum autonomen, kompetenten Entscheiden und Handeln (Brinkmann et al. 2015). Reallabore können sich in der Intensität der Partizipation unterscheiden. Um dem transdisziplinären Anspruch gerecht zu werden, sollte zumindest kooperativ (Schicht 3) gearbeitet werden (Meyer-Soylu et al. in diesem Heft).

Akteure sind individuelle wie überindividuelle sozial Handelnde (Gabriel 2004), die als natürliche oder juristische Personen (aktiv) in einen gesellschaftlichen Prozess eingreifen. Die Akteurslandschaft eines Reallabors setzt sich je nach Thematik aus unterschiedlichen Beteiligten – auch aus der Wissenschaft – zusammen. Sie schließt auch Akteure ein, die nachhaltige Entwicklung nicht als Schwerpunkt ihres Wirkens ansehen oder ihr vielleicht sogar ablehnend gegenüber stehen. Physisch präsente Akteure, die Nachhaltigkeits-Crowd, entwickeln durch stärkere „Resonanzbeziehungen“ (Rosa 2016) größere Wirkmächtigkeit im Sinne von Mobilisierung, Werbung und Bewusstseinsbildung als die lediglich „digital Aktiven“, die Nachhaltigkeits-Cloud. Eine Kategorisierung der Akteure kann auch entlang anderer Aspekte erfolgen, etwa nach Formalisierungsgrad, Bezug zum Projekt(-gebiet), Intensität der Aktivitäten, Höhe des Mitteleinsatzes, Grad der expliziten Nachhaltigkeitsorientierung, Wirkmächtigkeit oder Gewinnorientierung sowie nach Freiheitsgraden bei Ideenentwicklung und -umsetzung.

Literatur

Arnstein, S., 1969: A Ladder of Citizen Participation. In: Journal of the American Institute of Planners 35/4 (1969), S. 216–224

Brinkmann, C.; Bergmann, M.; Huang-Lachmann, J. et al., 2015: Zur Integration von Wissenschaft und Praxis als Forschungsmodus – Ein Literaturüberblick. Report 23, Climate Service Center Germany. Hamburg

Gabriel, M. (Hg.), 2004: Paradigmen der akteurszentrierten Soziologie. Wiesbaden

Rosa, H., 2016: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin

Selle, K., 2013: Über Bürgerbeteiligung hinaus: Stadtentwicklung als Gemeinschaftsaufgabe? Detmold

8     Planung, Gestaltung und Entwicklung

„Planung“, „Gestaltung“ und „Entwicklung“ sind in der Reallaborforschung gelegentlich synonym verwendete Begriffe, um die teils absichtsvolle Veränderung des Untersuchungsfeldes zu beschreiben. In Theorie und Praxis besitzen diese drei Ansätze jedoch essentiell unterschiedliche Charakteristika.

Planung ist ein absichtsvoller Prozess, der den Weg und den zeitlichen Ablauf von der Ausgangslage bis zum Ziel der Erreichung abstrakter und/oder konkreter Ergebnisse entwirft (Jessel 1998; Reimer et al. 2014). Mit bestimmten Maßnahmen und Instrumenten soll auf die Umgebung eingewirkt werden, um ein gewünschtes Ziel in der Zukunft zu erreichen. Unter „Stadtplanung“ versteht man die planvolle Entwicklung einer Stadt, für die Konzepte auf Basis räumlicher, ökonomischer und ökologischer Analysen sowie unter Berücksichtigung der Interessen öffentlicher und privater Akteure erarbeitet werden (Streich 2011).

Gestaltung ist ein kreativ angetriebener, zweckorientierter Schaffensprozess, bei dem von den beteiligten Akteuren Neues hergestellt oder Bestehendes modifiziert und weiterentwickelt wird. Im Zusammenhang mit Nachhaltiger Entwicklung gilt es zunächst, Nachhaltigkeitsprobleme zu erkennen und Wissen über nachhaltige Entwicklung auf diese anzuwenden, um so Gestaltung zu ermöglichen.

Entwicklung ist ein fortlaufender Prozess und bedeutet ein – planvolles, planarmes oder gar planloses – Sich-Entfalten und Fortschreiten. Im Kontext Nachhaltiger Entwicklung bezieht sich „Entwicklung“ im weiteren Sinne auf das prozesshafte Fortschreiten und im engeren Sinn oft auf die wirtschaftliche Entwicklung ärmerer Länder.

In der Reallaborpraxis spielen alle Begriffe eine mitunter zentrale Rolle (insbesondere bei Reallaboren im städtischen Kontext). Dementsprechend sollten die Begriffe hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Bedeutungen trennscharf verwendet werden.

Literatur

Jessel, B., 1998: Landschaften als Gegenstand von Planung – theoretische Grundlagen ökologisch orientierten Planens. Berlin

Reimer, M.; Panagiotis, G.; Blotevogel, H.H. (Hg.), 2014: Spatial Planning Systems and Practices in Europe. New York

Streich, B., 2011: Stadtplanung in der Wissensgesellschaft. Ein Handbuch. Wiesbaden

9     Public Engagement in Science, Citizen Science

Ausgehend von der Wahrnehmung großer gesellschaftlicher Vorbehalte gegen Wissenschaft und Technik („Expertokratie“) begann eine Suche nach Wegen, Akzeptanz für Wissenschaft und Technik zu erreichen. Unter der Annahme, dass die mangelnde Akzeptanz primär durch mangelndes Verständnis bedingt ist, werden nach wie vor wirksame Bildungsprogramme zum „Verstehen der Wissenschaft“ bzw. „Public Understanding of Science“ initiiert, die einen lebendigen, spielerischen, eigenaktiven Zugang zu wissenschaftlichen Themen ermöglichen sollen.

Diese Aktivitäten wurden unter dem Schlagwort „Public Engagement in Science“ erweitert und vertieft (kritisch rekonstruiert in Weingart 2005), indem Forschung geöffnet wurde, und nicht nur fertige Ergebnisse, sondern auch der vielgestaltige Weg zu ihnen sichtbar und erlebbar gemacht wurden. Anders als der Begriff nahelegt, ist in diesem Programm bislang kaum vorgesehen, auch die Auswahl der Forschungsfragen zu öffnen.

Unter dem Begriff „Citizen Science“ sammeln sich gegenwärtig zahlreiche Aktivitäten, in denen durch interessierte Bürger große Datenmengen gesammelt werden. Schwerpunktmäßig geschieht dies noch zu naturwissenschaftlichen Fragen (z. B. Tagfalteratlas), nach und nach werden aber auch Bürger in die Auswertung der Daten und in die Generierung neuer, interdisziplinärer Forschungsfragen einbezogen. Auf Citizen Science werden auch große Hoffnungen zur Rückbindung der Wissenschaft in die demokratische Gesellschaft gesetzt (Finke/Laszlo 2014). Allerdings wirft Citizen Science als Programmatik auch ernstzunehmende Fragen zum Verhältnis von Wissenschaft (als Profession) und Bürgerschaft auf.

Für Reallabore kann Citizen Science zukünftig eine wertvolle Ergänzung des Methodenspektrums darstellen, um eine große Zahl von BürgerInnen zu beteiligen und deren Problemwahrnehmungen und Lösungsideen einzubinden. „Public Engagement in Science“ wird in Reallaboren in der Regel weit umfangreicher realisiert als die Programmatik bislang vorsieht.

Literatur

Finke, P.; Laszlo, E., 2014: Citizen Science: Das unterschätzte Wissen der Laien. München

Weingart, P., 2005: Die Wissenschaft der Öffentlichkeit: Essays zum Verhältnis von Wissenschaft, Medien und Öffentlichkeit. Weilerswist

10     Realexperiment, Experiment, transdisziplinäres Experiment

Experimente sind in vielen Wissenschaften ein zentraler Weg, um zu Wissen zu gelangen, insbesondere um Thesen zu validieren oder zu wiederlegen. Für ein wissenschaftliches Experiment gilt:

  1. Es wird unter zumindest teilweise kontrollierten Bedingungen durchgeführt.
  2. Es ist in einen theoretischen Zusammenhang eingebunden.
  3. Bedingungen, Verlauf und Ergebnisse werden umfassend dokumentiert.
  4. Sein primäres Ziel und Ergebnis ist neues Wissen.

Damit gehört das Experiment zu den induktiven Vorgehensweisen, die aus einzelnen Fällen allgemeinere Schlüsse ziehen. Es lässt sich abgrenzen gegen das (teilnehmende) Beobachten (ohne kontrollierte Bedingungen), gegen das bloße Ausprobieren (das nicht theoriegeleitet ist), gegen „reine“ Messungen (die nicht der Theoriebildung dienen, z. B. Qualitätssicherung) sowie gegen Demonstrationsexperimente (deren Ergebnis bekannt ist). Es gibt eine Reihe Experimentformen, die vom klassisch naturwissenschaftlichen Experiment abweichen, wie das Gedankenexperiment, das Computerexperiment oder das Selbstexperiment. In letzterem sind die Experimentierenden selbst Teil des Experiments (Riehm/Wingert 1996) – mit vielfältigen epistemologischen und ethischen Implikationen.

Die in Reallaboren durchgeführten Experimente lassen sich naheliegender Weise als „Realexperimente“ bezeichnet. Ursprünglich bezog sich „Realexperiment“ (frühe Nennung: Krohn/Weyer 1990) aber kritisch auf den unkontrollierten und gerade nicht wissenschaftlichen Charakter technischer, politischer und gesellschaftlicher Experimente mit ungewissem Ausgang (1.–4. treffen nicht zu). Trotz neuerer konstruktiver Deutungen (Groß et al. 2005) bleibt der Begriff in der Öffentlichkeit negativ konnotiert – und ist damit für die transdisziplinäre Reallaborpraxis unbrauchbar.

Die Autoren schlagen daher vor, stattdessen von „transdisziplinären Experimenten“ (ggf. auch von „Nachhaltigkeitsexperimenten“, „Transformationsexperimenten“) zu sprechen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass das experimentelle Setting selbst, also Design, Durchführung, Aus- und Verwertung, offen sind für gesellschaftliche Beteiligung. Transdisziplinäre Experimente können im Hinblick auf die komplexe Rolle der Beteiligten die Form von (Gruppen-)Selbstexperimenten annehmen oder im Hinblick auf mitunter kaum kontrollierbare Randbedingungen Ähnlichkeiten mit teilnehmender Beobachtung zeigen. Sie orientieren sich aber immer an den o. g. vier Charakteristika.

Literatur

Groß, M.; Hoffmann-Riem, H.; Krohn, W., 2005: Realexperimente. Ökologische Gestaltungsprozesse in der Wissensgesellschaft. Bielefeld

Krohn, W.; Weyer, J., 1990. Die Gesellschaft als Labor. In: Halfmann, J.; Japp, K.-P. (Hg.): Riskante Entscheidungen und Katastrophenpotentiale. Opladen, S. 89–122

Riehm, U.; Wingert, B., 1996: Methodisch kontrollierte Eigenerfahrung – ein neues Element einer TA-Methodik. In: Bechmann, G. (Hg.): Praxisfelder der Technikfolgenforschung. Konzepte, Methoden, Optionen. Frankfurt a. M. u.a., S. 299–327; http://www.itas.kit.edu/pub/v/1996/riwi96a.pdf (download 26.11.16)

11     Reallabor

Der Terminus „Reallabor“ erobert seit wenigen Jahren den deutschsprachigen Diskurs im Kontext der Nachhaltigkeitsforschung und -transformation. Um ein tragfähiges, konsistentes Konzept „Reallabor“ wird indes noch gerungen.

Die Praxen, die gegenwärtig als „Reallabor“ firmieren, zeigen eine Bandbreite an Einzelaktivitäten, Zielen, theoretischen Hintergründen und methodischen Zugängen. Im Kern geht es meist um Transformations- oder Lernprozesse, mit stärkeren oder schwächeren Bezügen zu Wissenschaft und dem Leitbild Nachhaltiger Entwicklung. Aufbauend auf ersten Begriffsbestimmungen (Schneidewind/Scheck 2013; Schneidewind 2014; Wagner/Grunwald 2015), schlagen die Autoren folgende Begriffsklärung vor:

Ein Reallabor bezeichnet eine transdisziplinäre Forschungseinrichtung, um in einem räumlich abgegrenzten gesellschaftlichen Kontext Nachhaltigkeitsexperimente durchzuführen, um Transformationsprozesse anzustoßen und um entsprechende wissenschaftliche wie gesellschaftliche Lernprozesse zu verstetigen. Ein Reallabor zeichnet sich dabei durch folgende sieben konstitutive Charakteristika aus (Parodi et al. 2016; Beecroft/Parodi in diesem Heft):

  1. Forschungsorientierung: Reallabore dienen als wissenschaftliche Einrichtungen der Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung.
  2. Normativität: Reallabore orientieren sich am Leitbild Nachhaltiger Entwicklung und machen ihre normativen Annahmen, Grundlagen und Ziele explizit.
  3. Transdisziplinarität: Reallabore arbeiten transdisziplinär. Sie koppeln Wissenschaft und Gesellschaft (Praxisakteure) in direkter Art und Weise und wenden in ihren Experimenten Formen und Methoden transdisziplinärer Forschung an.
  4. Transformativität: Reallabore betreiben transformative Forschung. Sie sind hybride Unternehmungen, die zugleich auf wissenschaftliche Erkenntnis und auf gesellschaftliche Gestaltung abzielen. Sie ermöglichen Nachhaltigkeitsforschung und liefern gleichzeitig experimentelle Beiträge Nachhaltiger Entwicklung.
  5. Zivilgesellschaftliche Orientierung: Reallabore beziehen insbesondere Bürgerschaft und/oder Zivilgesellschaft als starke Partner und Entscheider in ihre Arbeiten von Beginn an mit ein. Reallabore betreiben Partizipation von der Information und Konsultation über Kooperation bis zum Empowerment und entwickeln ihre transdisziplinären Experimente im Co-Design.
  6. Langfristigkeit: Reallabore sind langfristig angelegte Forschungseinrichtungen mit einem Zeithorizont von (vielen) Jahrzehnten.
  7. Laborcharakter: Reallabore sind Labore. Sie stellen eine transdisziplinäre Infrastruktur dar, um möglichst gute und stabile Bedingungen für experimentelle Forschung und Beobachtung in komplexen realweltlichen Kontexten zu gewährleisten. Sie bieten einen zuverlässigen Erkenntnisrahmen und eine adäquate physische und personelle Ausstattung zur Durchführung der transdisziplinären Experimente.

Des Weiteren sind Reallabore insbesondere geeignet, eine Dimensionen-, Disziplinen- und Sektoren-übergreifende „dichte Nachhaltigkeit“ herzustellen und zu erforschen. Reallabore sind (zumindest implizite) Bildungseinrichtungen und stellen anregende gesellschaftliche Lernorte dar. Sie haben oft Modellcharakter und können auf eine Übertragbarkeit in andere räumliche oder gesellschaftliche Kontexte angelegt sein.

Literatur

Parodi, O.; Albiez, M.; Beecroft, R. et al., 2016 (i. E.): Das Konzept „Reallabor“ schärfen. Ein Zwischenruf des Reallabor 131: KIT findet Stadt. In: GAIA 25/3 (2016)

Schneidewind, U., 2014: Urbane Reallabore – ein Blick in die aktuelle Forschungswerkstatt. In: pnd online III (2014), S. 1–7; https://epub.wupperinst.org/files/5706/5706_Schneidewind.pdf (download 7.12.16)

Schneidewind, U.; Scheck, H., 2013: Die Stadt als „Reallabor“ für Systeminnovationen. In: Rückert-John, J. (Hg.): Soziale Innovation und Nachhaltigkeit. Wiesbaden, S. 229–248

Wagner, F.; Grunwald, A., 2015: Reallabore als Forschungs- und Transformationsinstrument. Die Quadratur des hermeneutischen Zirkels. In: GAIA 24/1 (2015), S. 26–31

12     Transformationsforschung und Transformative Forschung

Der Begriff Transformation leitet sich von lat. „transformare“: „umformen“ ab, und wird in den Wissenschaften unterschiedlich verwendet. In den Politikwissenschaften und der Ökonomie beispielsweise wird unter „Transformation“ die Wandlung von Gesellschafts-, Wirtschafts- oder politischen Systemen verstanden. Der Begriff findet sich außerdem in der Geographie, Stadtforschung, Linguistik, Rechtwissenschaft und Genetik.

Im Reallaborkontext gilt die Transformationsforschung als eine Form der Nachhaltigkeitsforschung (Schneidewind 2014). Sie untersucht gesellschaftliche Veränderungen und generiert mithilfe von Beobachtung, Modellierung und Analyse übertragbares Wissen über Transformationsprozesse und ihre Bedingungen für eine Nachhaltige Entwicklung (WBGU 2011, S. 66-69). In ihr „werden Übergangsprozesse exploriert, um Aussagen über Faktoren und kausale Relationen in Transformationsprozessen zu treffen. […] Die Transformationsforschung sollte aus dem Verständnis der entscheidenden Dynamiken solcher Prozesse, ihrer Bedingungen und Interdependenzen gezielt Lehren für die Transformation zur Nachhaltigkeit ziehen.“ (WBGU 2011, S. 23).

Transformative Forschung unterscheidet sich von der eher distanziert-analytischen Transformationsforschung durch ihren aktivierenden Zugang. Sie initiiert, begleitet und unterstützt Transformationsprozesse mithilfe sozio-technischer Innovationen (WBGU 2011, S. 23; Schneidewind 2014). Reallabore pflegen in der Regel den Stil transformativer Forschung, indem „Forscherinnen und Forscher Interventionen im Sinne von ‚Realexperimenten‘ durchführen, um über soziale Dynamiken und Prozesse zu lernen“ (Schneidewind 2014, S. 3). Dabei sind die Übergänge zwischen Transformations- und transformativer Forschung fließend.

Unter dem Begriff Transition (sowie „Transition Management“, „Transition Research“) werden ebenfalls gesellschaftliche Übergänge beschrieben, wobei hier weniger eine soziotechnische als vielmehr eine sozioökonomische Perspektive im Mittelpunkt steht (Brinkmann et al. 2015, Kap. 4.5). Daneben firmiert unter dem Begriff „Transition“ eine Vielzahl von weiteren Auffassungen, wie gesellschaftliche Übergänge zu beschreiben oder sinnvoll anzugehen sind (z. B. Transition Town Bewegung). Im Transition Research ist eine gestaltende Einflussnahme auf die Übergänge, insbesondere mit dem Ziel nachhaltiger Entwicklung, nicht unüblich. Dementsprechend lassen sich Reallabore auch in dieses breite Forschungsfeld einordnen. Eine tiefergehende theoretische Verhältnisbestimmung zwischen Transition und Transformation steht bislang noch aus.

Literatur

Brinkmann, C.; Bergmann, M.; Huang-Lachmann, J. et al., 2015: Zur Integration von Wissenschaft und Praxis als Forschungsmodus – Ein Literaturüberblick. Report 23, Climate Service Center Germany. Hamburg

Schneidewind, U., 2014: Urbane Reallabore – ein Blick in die aktuelle Forschungswerkstatt. In: pnd online III (2014), S. 1–7; https://epub.wupperinst.org/files/5706/5706_Schneidewind.pdf (download 7.12.16)

WBGU – Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen (Hg.), 2011: Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation (Hauptgutachten). Berlin

13     Ziele und Zielkonflikte

Die Arbeit in den an Nachhaltigkeit orientierten Reallaboren verfolgt zugleich Forschungs-, Transformationsziele und oft auch Bildungsziele. Dabei kann es zu zwei Typen von Konflikten kommen. Während „Interessenkonflikt“ das Aufeinandertreffen unterschiedlicher (berechtigter oder unberechtigter) Interessen unterschiedlicher Akteure in der Praxis bezeichnet, sind echte Zielkonflikte grundsätzlicher, theoretischer Natur. Werden mehrere Ziele gleichzeitig verfolgt und schließt sich deren vollständige Realisierung aus, so liegt ein Zielkonflikt vor.

Zielkonflikte ergeben sich in Reallaboren nicht nur zwischen Forschungs-, Praxis- und Bildungszielen, sondern auch aus der Multidimensionalität Nachhaltiger Entwicklung, wenn deren Subziele einander in ihrer Erreichung ausschließen. Zielkonflikte dieser grundsätzlichen Natur entspringen also bereits der Theorie und nicht erst der Umsetzung in der Praxis und können dementsprechend kaum gelöst werden (Dusseldorp 2007; Dusseldorp 2016). Im Rahmen der Reallaborarbeit tauchen Zielkonflikte also unabwendbar auf und machen fallspezifische und kontextualisierte Abwägungen von Lösungsmöglichkeiten nötig. Ziel- und Interessenkonflikte können gleichzeitig auftreten. Ein offener, transparenter Umgang mit Konflikten und der Dialog mit allen beteiligten Akteuren erscheinen sinnvoll, eine gänzliche Auflösung von Zielkonflikten darf indes nicht erwartet werden.

Literatur

Dusseldorp, M., 2007: Zielkonflikte der Nachhaltigkeit als Herausforderung für die Technikfolgenabschätzung. In: Bora, A.; Bröchler, S.; Decker, M. (Hg.): Technology Assessment in der Weltgesellschaft. Berlin, S. 417–421

Dusseldorp, M., 2016 (i. E.): Zielkonflikte der Nachhaltigkeit. Zur Methodologie wissenschaftlicher Nachhaltigkeitsbewertungen. Stuttgart

Anmerkung

[1] Dieser Beitrag basiert auf den internen Glossar-Workshops des „Quartier Zukunft – Labor Stadt“ sowie dem „Forschungskolloquium Reallabore: Experimentierraum Stadt“ der Karlsruher Schule der Nachhaltigkeit in Kooperation mit dem „Reallabor 131: KIT findet Stadt“ (WS 2015/16) am KIT. Wir danken allen Studierenden, BürgerInnen und ForscherInnen, die sich an diesem Austausch beteiligt haben.

Kontakt

Dr. Oliver Parodi
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstraße 11, 76133 Karlsruhe
E-Mail: oliver.parodi∂kit.edu