Schwerpunktthema
ETAN-Projekt: Klimaänderung und Herausforderungen für die Politik im Bereich von Forschung und technologischer Entwicklung
ETAN-Projekt: Klimaänderung und Herausforderungen für die Politik im Bereich von Forschung und technologischer Entwicklung (FTE)
Eine unabhängige Experten-Arbeitsgruppe des European Technology Assessment Network (ETAN) (siehe TA-Datenbank-Nachrichten Nr. 3/4, 7. Jg., November 1998, S. 13 ff.) hat im Auftrag der Europäischen Kommission ein Arbeitspapier vorgelegt, das sich mit den Herausforderungen für die Forschungs- und Technologiepolitik der EU wie auch generell beschäftigt, die sich aus den Risiken möglicher Klimaänderung ergeben.
Der Bericht umreißt zunächst die Gefahren durch mögliche globale Klimaänderung und beschreibt Wege, wie Forschung und technologische Entwicklung (FTE) und FTE-Politik dabei helfen können, dieser Herausforderung zu begegnen. Insbesondere beschäftigt sich der Bericht mit einer großen Anzahl von Faktoren, die bei der Festlegung von FTE-Prioritäten und politischen Maßnahmen berücksichtigt werden müssen. Ferner legt er dar, wie anhand dieser Faktoren die FTE-Programme in einer Reihe von Schlüsselbereichen ausgestaltet werden können, die wahrscheinlich zur Klimaänderung beitragen oder von der Klimaänderung betroffen sind (Energie, Verkehr, gewerblicher Bereich, Landwirtschaft und Finanzdienstleistungen).
Nach Ansicht der Verfasser sind Forschung und technologische Entwicklung nicht nur von Bedeutung für das Verständnis der Ursachen und wahrscheinlichen Konsequenzen der Klimaänderung und können damit, soweit es möglich ist, zur Beseitigung eines großen Teils der Unsicherheiten beitragen, die die gegenwärtige Debatte kennzeichnet. Auch für die Vermeidung und Abmilderung negativer Auswirkungen in der Zukunft bzw. bei der Hilfestellung für die Gesellschaft bei der Anpassung an die unvermeidlichen Konsequenzen der globalen Erwärmung und Klimaänderung kann FTE erhebliches leisten. Die Verfasser gehen davon aus, daß das Ausmaß unserer derzeitigen Unsicherheit, die uns insbesondere daran hindert, die derzeitige Situation als "sicher" oder "gefährlich" einzustufen, uns dazu zwingt, so rasch wie möglich in alle möglichen FTE-Optionen zu investieren, d.h. Erwerb von Kenntnissen über den Klimawandel, Vermeidung und Abmilderung der Auswirkungen und Anpassung an die Konsequenzen der Klimaänderung (learning, mitigation and adaptation).
Außerordentliche FuE-Anstrengungen sind insbesondere erforderlich, um unser Verständnis der Dimension des Klimawandelproblems wie auch unserer Reaktionsmöglichkeiten zu verbessern. Dies sollte jedoch nicht zu Lasten anderer, stärker auf Maßnahmen ausgerichteter FTE-Aktivitäten gehen, die der Erkundung von Verwendungs- und Anpassungsmöglichkeiten dienen. In erster Linie müssen wir nach Strategien suchen, die unsere Lage "sicherer" machen, und Strategien finden, die auf allen Ebenen Vorteile bieten und gleichzeitig unterschiedlich Ziele erreichen (z.B. saubere Technologien, die nicht nur die Treibhausgase verringern, sondern gleichzeitig auch wettbewerbsfähig sind).
Dreh- und Angelpunkt des Berichts ist die Notwendigkeit, bei der Auswahl der FTE-Prioritäten ein gewisses Gleichgewicht zwischen miteinander konkurrierenden Optionen aufrechtzuerhalten (Erarbeitung von Kenntnissen über die Klimaänderung, Vermeidung und Milderung der Auswirkungen und Anpassung an die Konsequenzen der Klimaänderung, kurz- und langfristige Forschung). Diese Auswahlmöglichkeiten helfen bei der Gestaltung von FTE-Programmen und den damit verbundenen FTE-Tätigkeiten und erfordern notwendigerweise die Berücksichtigung eines breiten Spektrums gesellschaftlicher Bedürfnisse und Prioritäten. Folgende wichtige Faktoren liegen der Formulierung von Forschungsoptionen zugrunde:
- Existenz zentraler und miteinander konkurrierender Themen, für die die Forschung und technologische Entwicklung Antworten finden muß, insbesondere Antworten, die sich - abhängig vom jeweiligen Fall - auf den Erwerb von Kenntnissen über die Klimaänderung, auf die Vermeidung der Auswirkungen bzw. die Anpassung an die Konsequenzen der Klimaänderung beziehen.
- Die heikle Frage nach dem Zeitpunkt für das Ergreifen von FTE-Maßnahmen (timing), insbesondere Faktoren, die die Wahl beeinflussen, früher oder später einzugreifen.
- Die Komplexität der soziotechnischen Systeme, die von den Auswirkungen der Klimaänderung betroffen sind, die strukturelle Unbeweglichkeit (inertia), die Innovationen behindert, und die Art der gesellschaftlichen Veränderungen zu erkennen, die erforderlich sind, um das Problem der Klimaänderung wirksam anzugehen.
- Die zunehmende Notwendigkeit, die FTE-Tätigkeiten in einen breiteren Zusammenhang der Innovationspolitik einzubinden. Die Schwierigkeit, auf das globale Problem der Klimaänderung durch die Einleitung bzw. Koordinierung einer Reihe von Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen (weltweit, europäisch, national und regional) zu reagieren.
Alle diese Faktoren sollten bei der Auswahl der FTE-Optionen berücksichtigt werden, nicht zuletzt deswegen, weil eine breite Diskussion dieser Fragen zu neuen Ideen für die Lösung des Problems der Klimaänderung führen kann. Auf Grundlage der Diskussion über diese Faktoren kommen die Verfasser dieses Berichts zu folgenden Schlußfolgerungen:
- Ein Hinauszögern der Entscheidungen über FTE-Investitionen im Bereich Klima ist keine vernünftige Option.
- Die Marktkräfte werden viele kurzfristige FTE-Aktivitäten initiieren, eine Unterstützung durch die öffentliche Hand wird jedoch für längerfristige Arbeiten erforderlich sein.
- Eine Unterstützung durch die öffentliche Hand ist auch für grundlegendere FTE-Arbeiten notwendig, die neue technologische, industrielle und gesellschaftliche Paradigma oder Konzepte fördern sollen.
- Ein größerer Anteil "weicher" wissenschaftlicher Forschung (soft science research) ist erforderlich, um Struktur, Zusammensetzung und Dynamik dieser potentiellen neuen Paradigma zu erforschen.
- Unterstützungsmaßnahmen für die Forschung und technologische Entwicklung müssen in umfassendere Innovationsmaßnahmen (einschließlich beispielsweise Instrumente zur Technologiediffusion) einbezogen werden, wenn neue Paradigma Gestalt annehmen sollen.
- Die Balance zwischen den FTE-Optionen (z.B. Erarbeitung von Kenntnissen über die Klimaänderung, Forschung zur Verminderung der Auswirkungen und Anpassung an die Konsequenzen der Klimaänderung) wird sich je nach Sektor (Energie, Verkehr, Landwirtschaft usw.) unterscheiden, und die Wahl angemessener Optionen muß jeweils sorgfältig abgewogen werden.
- Es müssen auf verschiedenen Ebenen (weltweit, europäisch, national, regional usw.) Politiken für den Umgang mit den Herausforderungen der Klimaänderung ausgearbeitet werden, wofür jeweils eine breite Beteiligung von Akteuren der öffentlichen und privaten Sektoren notwendig sind.
Wichtigste Schlußfolgerung der Arbeitsgruppe ist jedoch, daß die Potentiale, die Forschung und technologische Entwicklung bieten, besser abgeschätzt werden müssen, wenn die Gesellschaft in der Lage sein soll, der Herausforderung durch die Klimaänderung wirksam entgegenzutreten. Die Europäische Union muß hierbei eine herausragende Rolle spielen; es wird sich auszahlen, wenn die EU langfristig die Führerschaft bei der Einführung nachhaltiger Techniken und Strukturen und ihrer breiten Anwendung übernimmt.
Der Beitrag beruht weitgehend auf der im Arbeitsbericht der ETAN Expert Working Group enthaltenen Zusammenfassung
(Reinhard Coenen, ITAS)
Bibliographische Angaben
European Commission (ed.): Climate Change and the Challenge for Research and Technological Development (RTD) Policy. ETAN Working Paper, Final Report, Brussels, 1999. 39 S. ISBN 92-828-5689-5