Lernort Multimedia. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1998 (Rezension)

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Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1998: Zukunft des Lernens und Zukunft aus Lernen

Rezension von Bernd Wingert, ITAS

Das vorliegende Jahrbuch 1998 machte sich den im Titel gewählten Schwerpunkt zum Thema: Es geht auf der einen Seite um Formen des Lernens und vor allem um zukünftige Formen, wie sie durch Multimedia und Telekommunikation möglich werden; es geht auf der anderen Seite um die Zukunft (in ökonomischer, sozialer und gesellschaftlicher Hinsicht), die sich aus solchem Lernen ergibt. Denn wenn eines klar ist mit der sog. Informations- oder Wissensgesellschaft, dann ist es die permanente Zumutung von Lernbereitschaft. Und es macht einen Reiz der Thematik aus, diesem komplexen Innovationsproblem nachzuspüren, das sich von der individuellen bis zu einer gesamtgesellschaftlichen Ebene erstreckt.

Kubicek und seine Mitherausgeber haben dem Band aber einen anderen Titel gegeben: Lernort Multimedia. Das ist etwas mißverständlich, denn "Multimedia" ist kein Lernort wie Schule und Hochschule (die mit ihren Möglichkeiten und Hindernissen dargestellt werden), sondern "Multimedia" ist ein Konzept; freilich kann es nach diesem Konzept gestaltete Lernumgebungen geben (über die dann auch gesprochen wird), aber in bezug auf die früher noch stärker als heute gehandelte lerntechnische Rationalisierung ähnelt "Multimedia" doch noch eher einem "Utopia", einem außerhalb aller Reichweite liegenden Un-Ort. Doch zeichnet es den Band aus, daß auch kritische Stimmen nicht fehlen.

Der Band mit seinen 470 Seiten liegt schwergewichtig auf dem Tisch und liegt schwer in der Hand; er fordert vom Rezensenten einen langen Atem; er hält außen noch ein paar dem Multimedia-Zeitgeist geschuldete bildliche Einladungen bereit, zeigt den Titel in einem hoffnungsvollen Blau auf schwarzem Grund, am rechten unteren Rand die Erdkugel (mit Blick auf Afrika, warum nicht Europa?) und einen Kommunikationssatelliten. Inwendig aber dominiert dann doch Text; selbst in Artikeln, wo über Lernumgebungen gesprochen wird, wird dem lesenden Auge kein Bild gegönnt. Hieraus resultiert ein etwas monotoner, ermüdender Eindruck. Der gedruckte Band wird begleitet von einer Diskette mit weiterem Text und Material und dem Online-Angebot. Zunächst einige Worte zum Aufbau und zur Rezensionsstrategie, und dann wird es mehr oder weniger stark referierend und raffend durch die einzelnen Beiträge gehen.

Dem Schwerpunktthema "Lernen und Multimedia" sind mit vier Abteilungen die ersten 290 Seiten gewidmet; dann folgen die von den anderen Jahrbüchern bekannten Rubriken: Das "Forum" ist dieses Mal Arbeitsmarktfragen gewidmet; die "Anstösse" (das 'ß' wurde schon 1997 geopfert) einer kritischen Würdigung der Liberalisierung der Telekommunikationsdienste; die "Szene" liefert Aktuelles eben aus der Szene; die "Fundgrube" bietet Rezensionen und zusätzlich Hinweise zu Neuerscheinungen (letzteres im letzten Jahr noch nicht), und schließlich die "Chronik", wobei bei bestimmten Themen (z.B. "Telekommunikation und Innere Sicherheit") die gleichen Berichterstatter wie im letzten Jahr auftreten (im genannten Fall Johann Bizer). Meine Rezensionsstrategie wird sein, das Schwergewicht auf die ersten beiden Abteilungen zu legen, und die Teile über "Hochschule", "berufliche Bildung", die "Chronik", "Rahmenbedingungen", "Anstöße" und "Rezensionen" in Gänze zu streichen, um so Platz zu schaffen für die auch dieses Mal nötige Reflexion des Publikationskonzeptes. Es müßte und sollte, dies schon vorab, weiterentwickelt werden. Wer an der ausführlichen Fassung von über 20 Seiten interessiert ist, möge seinen Wunsch per E-Mail artikulieren. Er oder sie erhält dann eine gedruckte Kopie.

Einleitung

Die Ehre des einleitenden Beitrages fiel in diesem Band Peter Glotz zu, mit dem Thema "Medienpolitik als Wissenschafts- und Bildungspolitik" (S. 11-21). Der Beitrag geht auf einen Vortrag Anfang des Jahres 1997 anläßlich eines Firmenjubiläums zurück. Der Text ist insoweit eher programmatisch als analysierend gehalten. Man kann, mit vielen Verkürzungen, die Botschaft auf zwei Punkte bringen: Glotz votiert für mehr Mut und Offenheit beim Erwerb von Medienkompetenz und "computer literacy" und deshalb auch für mehr Investitionen gerade für und an Schulen; aber auch: solide Analysen der Medienwirkungen seien gefordert, die angesichts des vielschichtigen Feldes auf neue Weise transdisziplinär angelegt sein müßten (und hier vergißt er nicht den dezenten Hinweis, daß die Universität Erfurt ein Erprobungsfeld für solche Kooperation sein möchte).

In dieser Analyse seien aber auch grundlegendere Fragen zu erörtern, wie etwa jene, woher die in der deutschen Kultur angelegte "Verdammung der Künstlichkeit" (auf Heidegger gemünzt) oder die "Angst vor der Zerstörung der Kommunikation durch Warentausch" (auf Adorno bezogen) wohl käme und ob man nicht eine "Philosophie der Medialität des Menschen" (nach Müller-Funk) fordern müsse. "Nur ein neuer Denkansatz dieser Art kann uns davor bewahren, von der durch die mikroelektronische Wende ausgelösten digitalen Revolution überrollt zu werden", meint Glotz abschließend. Medienpolitik, Wissenschaftspolitik und Bildungspolitik müßten auf neue Weise zusammenwirken.

Teil I: Was und wie soll gelernt werden?

Dieter Baacke geht in seinem nur wenige Seiten starken Beitrag (S. 22-25) kurz auf die Begriffsgeschichte von "Medienkompetenz" ein (insbesondere auf Spielarten des Kompetenzbegriffes bei Chomsky, Bourdieu, Habermas und Luhmann) und plädiert für eine weite Fassung, denn angesichts der die ganze Gesellschaft penetrierenden Medien dürfe das Konzept nicht auf individuelle Fähigkeiten oder Fertigkeiten eingeengt werden. Deshalb setzt er in seiner kurzen Ausfaltung des Konzeptes am Ende des Artikels die Medienkritik auch an die erste Stelle, die sich analytisch dem Gegenstandsbereich, aber reflexiv auch dem eigenen Handeln zuwenden müsse. Solche kritischen Urteilsfähigkeiten ergänzt er mit einer Wissenskomponente ("Medienkunde"), mit Formen der Mediennutzung (wo er eine rezeptive und eine interaktive Variante unterscheidet) und schließlich mit der Mediengestaltung. Aber alle Komponenten müßten an eine "überindividuelle" Diskursebene angeschlossen werden, auf der es um die "Informationsgesellschaft" gehe, so daß "Medienkompetenz" "in ihrer Vielfalt als zentrale Entwicklungsaufgabe des Informationszeitalters ins schärfere Licht" gesetzt werde (S. 27).

Dieses "schärfere Licht" trifft auch die an einer Stelle berührte Abkehr von Erwägungen darüber, was noch pädagogisch zuträglich sei und was nicht mehr: "Die Medien von heute aber fragen nicht danach; sie machen alles sichtbar, bringen übers Internet jede Form von Information, jede Möglichkeit von Kommunikation in den Horizont des Erfahrbaren und des Machbaren. Wir leben in einem Zeitalter ständiger Grenzüberschreitungen im Bereich der Information" (S. 24). Und ob angesichts solcher Überschreitungen das einzelne Individuum zu einer verantwortungsvollen und sogar selbst gestalteten Mediennutzung in der Lage sei (oder sein sollte, wie es in seinem "Kompetenztheorem" gefordert wird) - dies läßt er am Ende dann doch mit einem leichten Zweifel stehen.

Franz Büllingen, Cornelia Fries und Annette Hillebrand, alle aus dem WIK, dem Wissenschaftlichen Institut für Kommunikationsdienste in Bad Honnef, schließen in ihren Betrachtungen zur "Medienkompetenz" (S. 28-40) in gewisser Weise an Baacke an, greifen sein "Medienkompetenztheorem" auf und führen in ihrem letzten Abschnitt dann an drei Beispielen einige kritische Momente eines voll entfalteten Kompetenzbegriffes aus; sie bestätigen damit Verdachtsmomente, die einem schon bei dem nur angerissenen Kompetenzbegriff bei Baacke beschleichen. Wird er nicht mit so "... hohen normativen Erwartungen an die Lernfähigkeit, die Lernwilligkeit und die schrankenlose Verbreitung von Wissen und Informationen über alle soziale Schichtungen und Bildungsvoraussetzungen hinweg befrachtet", daß diese Aufgabe sich zu einer wahrhaft herkulischen Dimension auswächst, also eigentlich gar nicht mehr lösbar und umsetzbar ist?

Verdienstvoll erscheint es mir, daß die Autoren auf drei Problemfelder und konzeptionelle Risiken eines solchen umfassenden Konzeptes hinweisen: 1) Zwar stehen diverse technische Hilfsmittel bereit, um sich z.B. mit Suchmaschinen das eigene Interessenprofil mit Information zu füllen, um sich mit Filtern vor Schundinfo zu schützen, eigene Dateien vor fremdem Zugriff zu verschlüsseln usw., aber diese dann komplexer gewordene Technik zu durchschauen und sie für eigene Bedürfnisse wieder zielentsprechend einsetzen zu können, ist keine leichte Aufgabe, d.h. die Anforderungen an die Nutzer werden nicht geringer.

2) Neue Nutzungsformen (z.B. Bezahlen im Internet mit einer elektronischen Geldbörse) entwickeln sich auf dem Bodensatz bestimmter kultureller und alltäglicher Muster und formen sich in bestimmten Kontexten zu neuen Handlungsgewohnheiten aus - aber wo diese Kontexte liegen und wie die neuen Formen aussehen (auf die hin ja dann kompensatorische Förderung zu leisten wäre!), dies dürfte nicht so leicht zu antizipieren sein.

Schließlich ist 3) zu beachten, und dies wird am Projekt "Schulen ans Netz" ausgeführt, daß die Initiierung solcher Innovationen Folgekosten provoziert, über deren Tragbarkeit heute, in der Initiativphase, noch wenig Sicheres absehbar ist. Diese am Ende des Artikels erst entwickelte Problematisierung des Medienkompetenzkonzeptes scheint mir hier der fruchtbarste Beitrag, von den anderen klugen Einlassungen davor ganz abgesehen.

Ergänzen könnte man noch, daß auch andere Faktoren bei der Medienkompetenz eine Rolle spielen. So dürfte jeder Nutzer bzw. jede Mediennutzerin je andere individuelle Voraussetzungen und Bereitschaften mitbringen, an solcher Kompetenzförderung teilzunehmen (oder eben nicht); und auch mit Blick auf die empirischen Nutzungsmuster wolle nicht so recht einleuchten, warum nach jahrzehntelangem Training in Fernseh-Konsum plötzlich ein ungezügelter Interaktions-Mut aus den Zuschauern und Zuschauerinnen herausbrechen und die Sendeanstalten mit Interaktion überschwemmen solle (so ein Argument von Opaschowski) oder warum gerade beim Fernsehen die Zuschauer auf Unterhaltung verzichten und stattdessen "interaktiv" werden wollten (so Peter Vorderer).

Dies ändert freilich nichts daran, daß es, wie auch ich meine, normativ gesehen sinnvoll ist, das Konzept der Medienkompetenz breit anzulegen und anschlußfähig zu halten und nicht individualistisch zu verkürzen. Und diese Gefahr einer zu engen Fokussierung auf 'individuelle Mediennutzung' ist dem Konzept eingeschrieben, denn das komplementäre Konzept müßte sich auf die Strukturverantwortung der Sender richten. "Kompetenz für Selektion" richtet sich als Anforderung an beide Seiten.

Sabine Hadamik, Justitiarin der Landesanstalt für Rundfunk NRW und u.a. für Lokalfunk und Offene Kanäle zuständig, widmet sich in ihrem kurzen Beitrag der Frage, wie " ökonomische Notwendigkeit und gesellschaftliche Aufgabe" zusammengebracht werden könnten (S. 41-44). Sie weist als ein Beispiel auf die Mischfinanzierung des Europäischen Zentrums für Medienkompetenz hin, das in Marl auf Initiative der Landesregierung gegründet wurde und bei dem auch die Initiative "Schulen ans Netz" angesiedelt ist. Das heißt, "public private partnership" ist auch hier das einschlägige Stichwort. In solchen Mischfinanzierungen und privat-staatlichen Kooperationsmodellen sei es möglich, wirtschaftliche Interessen und staatliche Vorsorge zusammenzubringen. Denn die Industrie könne ohne medienkompetente Nutzer ihre Produkte und Leistungen nicht verkaufen, der Staat seinerseits die vielfältigen Aufgaben, z.B. die medientechnische Modernisierung der öffentlichen Schulen, allein ebenfalls nicht bewältigen.

Stephan Schwan und Friedrich W. Hesse, beide vom Deutschen Institut für Fernstudium an der Universität Tübingen (DIFF), gehen auf das "Lernen mit neuen Medien" ein, und zwar unter dem engeren Blickwinkel des internetbasierten Teleteaching (S. 45-54). Hier können dann Vergleiche zwischen dem "Medienverbund" früherer Prägung (das DIFF war, wie bekannt, Partner in den Funkkolleg-Kursen) und dem heute möglichen "Verbundmedium" gezogen werden, wobei sie sich nur für die Online-Variante interessieren (aber auch die Offline-Variante eines komplexen Multimedia-Lehrbuches könnte genausogut als "Verbundmedium" durchgehen). Geht man vom Hintergrund des klassischen Unterrichts aus, dann können die neuen Medien in zwei grundlegenden Funktionen eingesetzt werden, a) als Speichermedium, aus dem etwa vorbereitete Stoffe, Präsentationen usw. in den laufenden Unterricht eingespeist werden - von der Funktion her gesehen würde dann zwischen einem in die Stunde aufgenommenen Lehrfilm und einer computerbasierten Animation noch kein wesentlicher Unterschied bestehen; erst mit b) als Informations- und Kommunikationsmedium treten neue und andere Qualitäten auf, zumal wenn die einzelnen Inhalte auf einer Plattform (z.B. WWW) integriert seien: "Dieses einheitliche 'Verbundmedium' erlaubt somit eine stärkere wechselseitige synchrone und diachrone Verknüpfung der verschiedenen Komponenten des Lehrangebotes" (S. 46).

Diese "neuen Qualitäten", und nur diesen Punkt möchte ich herausgreifen, sehen sie in drei Momenten begründet: erstens in der "zunehmenden Individualisierung", die sich etwa über die Wahl der Darstellungsmöglichkeiten aus Anbietersicht und in der Selektion der zu lernenden Informationsstücke aus Lernersicht ergibt (in bezug auf die ebenfalls in diesem Zusammenhang häufig genannte Anpaßbarkeit der dargebotenen Inhalte an die Lernerbedürfnisse geben sie keine exakte Auskunft, was gemeint ist, am Ende intelligente Agenten?); zweitens in der "kommunikativen Erweiterung", die vertikal zwischen Lehrenden und Lernenden wie auch horizontal zwischen den letztgenannten erfolgen kann; und drittens in der "verstärkten Integriertheit" der Komponenten, was u.a. eine "homogene Benutzeroberfläche" und die Möglichkeit bedeutet, sowohl die Lehrstoffe wie die Kommunikation (in Form schriftlicher Diskussionsbeiträge etwa) weiterverarbeiten zu können.

Was an diesem Beitrag positiv auffällt, ist das Bemühen um eine exakte Begrifflichkeit dessen, was als Teleteaching auftritt; was nicht so positiv auffällt, ist der Mangel an Beispielen, dies selbst dann, wenn mit den Autoren gewiß zu konzidieren ist, daß "ein definierter Kanon 'internettauglicher' und empirisch validierter Organisationsformen des Wissenserwerbs ... sich bislang ... noch nicht etabliert ..." habe (S. 50). Dieser Punkt wird uns auch beim nachfolgenden Beitrag beschäftigen.

Gabi Reinmann-Rothmeier und Heinz Mandl haben einen flüssig und programmatisch geschriebenen Beitrag abgeliefert, der für eine Umorientierung des Lehr- und Lernverständnisses und die Entwicklung einer neuen Lernkultur auf konstruktivistischer Grundlage votiert ("Auf dem Weg zur Entwicklung einer neuen Lernkultur", S. 55-61). Dabei geraten manche Positionen vielleicht etwas zu plakativ und grob, so wenn die "traditionelle Lehr-Lernphilosophie" sehr eng mit einem Modell von einem "Wissenstransport vom Lehrenden zum Lernenden" identifiziert wird, mit der unausgesprochenen Implikation, daß schülerzentrierte Erwägungen (etwa in der didaktischen Vorbereitung) völlig außen vor blieben, während allein die konstruktivistische Variante schülerzentriert denke. Das ist etwas holzschnittartig, aber im Sinne der Klärung der Botschaft auch tolerierbar: "Wir brauchen an unseren Bildungseinrichtungen eine neue Lernkultur, die die Position von Lehrenden und Lernenden korrigiert, ja zum Teil sogar revidiert" (S. 61).

Als Beleg für erste Schritte in diese Richtung und als Hinweis, daß sich die nicht einfache Aufgabe der Implementierung eines ehrgeizigen und weitreichenden Planes lohnen könnte ("Implementierung - eine vernachlässigte Aufgabe", so die Überschrift für den vorletzten Abschnitt), wird auf die "Pädagogische Schulentwicklung" in München hingewiesen. Was da auf dem Weg ist, wird mit einigen Punkten angedeutet: "Lehrende werden in diesem Fall zu Lernenden, doch der damit verbundene Lernprozeß gestaltet sich oft schwieriger als vermutet und erfordert Ermutigung und Unterstützung" (S. 60); aber dieser Organisationsentwicklungsprozeß wird dann nicht weiter ausgeführt. Der Leser ist neugierig gemacht, bleibt mit seinen Informationswünschen aber auf das Literaturverzeichnis verwiesen. Dies scheint mir eine durchaus typische Schwierigkeit der Darstellung in einem solchen Jahrbuch zu sein, das ja kein Jahrbuch für "Bildung und Gesellschaft" ist, sondern für "Telekommunikation und Gesellschaft". Wer an konkreten Innovationsprozessen im Schulsektor interessiert ist, kann ja in der zweiten Abteilung nachsehen. Tatsächlich findet sich dort ein weiterer Artikel der beiden o.g. Autoren, über "Lernen mit Multimedia in der Schule" (S. 109-119).

Hat man den vorgängigen Artikel gelesen, dort die Programmatik wahrgenommen und den eher sparsamen Hinweis auf eine konkrete Schul-Veränderungs-Praxis noch akzeptiert, dann würde man in dieser Abteilung, "Lernen in der Schule", nun doch konkretere Beispiele oder Szenen erwarten, ohne daß die Autoren ins Konkretistische abgleiten müßten. Es wird in diesem Teil zwar etwas konkreter, aber doch nicht so konkret, wie ich es mir wünschen würde. Das Schulprojekt ist dieses Mal das CSILE-Projekt von Scardamalia & Bereiter (1994), bei dem die Autoren am ehesten ihre "gemäßigt konstruktivistischen Ideen" einer reformierten Lehr-/Lernpraxis erfüllt sehen.

"Das CSILE-System ist technisch betrachtet ein text- und grafikfähiges Netz von Computern eines Klassenzimmers oder einer Schule mit Zugang zum Internet. Was das mit CSILE initiierte Programm besonders auszeichnet ist, daß es systematisch die neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik für das schulische Lernen nutzt" (S. 112). Man lernt aus der Beschreibung, daß es nicht nur auf diese Hardware-Ausstattung und die Vernetzung ankommt, sondern auch auf die soziale Praxis des sich wechselseitigen Kritisierens und Kommentierens, des projektbezogenen Lernens und des Zugriffs auf externe Datenbanken. Aber wie das konkret vonstatten gehen könnte bzw. faktisch geht, muß doch im Dunkeln bleiben. Die Autoren haben diese Anwendung wohl auch deshalb ausgewählt, weil erste Evaluationen schon durchgeführt wurden. Danach ergibt sich (bisher), daß CSILE-Teilnehmer im Vergleich zu Kontrollgruppen bei den Sprachleistungen stetige Fortschritte erzielten, während sich etwa in Mathematik keine Unterschiede ergaben. Diese stellen sich wieder beim Lesen schwieriger Texte und beim Problemlösen ein.

Die Autoren votieren auch in diesem Beitrag für ein strategisches Vorgehen und einen "systemischen Wandel". "Traditionelle Lehr-Lernansätze wandeln sich nicht von selbst, indem man einfach nur Computernetze installiert. Was wir für die Schulen brauchen, ist ein systemischer Wandel, der die Schule als lernende Organisation begreift" (S. 117; Hervorh. i.O.). Und daß mit Multimedia, Vernetzung und virtueller Realität - diese drei miteinander zusammenhängenden Techniken unterscheiden die Autoren eingangs - sich automatisch alles zum Besten wandele, wäre eine zu naive Sicht. Wohltuend die kritische Distanz, die die Autoren bei allem Engagement für Veränderung wahren, so wenn sie einleitend auf drei typische "Medienfallen" hinweisen, daß a) das Lernen mit Neuen Medien nur Spaß mache, daß b) alles schneller gehe und daß c) sich alles effektiver durchführen ließe. "Daß Lernen gleichsam einem Produktionsprozeß stetig rationalisierbar ist, ist eine Illusion" (S. 112). Wer sich mit solcher kritischen Distanz an das Veränderungsmanagement machte, dem würde man es auch zutrauen. Aber sind sie denn in diesem Bereich tatsächlich engagiert? Wir erfahren es nicht.

Friedrich Hagedorn kommt vom Grimme-Institut und äußert sich über "Pädagogische Metamorphosen. Zum Wandel der Bildungsorganisation in der Mediengesellschaft" (S. 62-71). Bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber dem Wandel scheint durch seine Darstellung auch eine gewisse Skepsis durch, denn schon allzu häufig mußte man in diesem Bereich Anschluß an die immer neuen Innovationen suchen: "Auch die Medienpädagogik versucht, diesen Wandel ["... von der Didaktik zum Management"] nachzuvollziehen. Noch bis in die 80er Jahre dominierten hier nämlich Vorstellungen von Medienkunde und (kritischer) Medienerziehung, mithin die Überzeugung, durch Aufklärung und praktische Erprobung zu einem bewußten, kritischen Medienverhalten hinführen zu können. In ihrer eigenen Konzeptualisierung definierte sich Medienpädagogik als Steuerungsmittel, das über organisierte Lernprozesse unmittelbar auf das Medienverhalten einwirken könne. Aktuelle 'medienpädagogische' Konzepte ... tendieren hingegen zur Gestaltung von medialen Lernkontexten ..." (S. 63; Hervorh. i.O.), in denen Lernende relativ autonom, d.h. dann auch selbstverantwortlich und riskant, ihr eigenes Lernen bestimmen. Die um sich greifende Rhetorik, die sich von "Erziehung" und "Bildung" abkehrt und "Kompetenz" zur Leitkategorie erhebt (und damit, wie ich meine, geschickt Souveränitätsillusionen nährt), signalisiert einen "Modernisierungsdruck", der die Kräfte einer einzelnen Disziplin, z.B. der 'Medienpädagogik', übersteigt.

Hagedorn skizziert in einem zweiten Abschnitt sechs solcher medialer Modernisierungen, die er an zentralen Kategorien wie "Information", "Raum" oder "Zeit" festmacht, um dann im letzten Abschnitt acht Trends und Perspektiven festzuhalten, denen sich Weiterbildungsorganisationen stellen müssen. Greifen wir nur den Zeitaspekt heraus: "Nicht nur die Zeiten, in denen, sondern auch die, mit denen Weiterbildung agiert, werden strukturell anders zu organisieren sei[e]n. 'Just in time'-Bildung, neue Mixturen von themenorientierten Angebots- und flexiblen, individuellen Nachfrage-Konzepten, aber auch eher erlebnisorientierte 'Events' ... werden zukünftig eine größere Rolle spielen" (S. 69; Hervorh. i.O.).

In diesem Beitrag (wie dem nachfolgenden von Dohmen) wird stärker als in den anderen Beiträgen deutlich, daß das Innovationsproblem einer "lernenden Gesellschaft" auf ganz unterschiedlichen Systemebenen sich abspielt: auf jener individuellen, auf der der einzelne lernt; auf jener organisatorischen, auf der die je fragliche Einrichtung neue Angebote und Unterstützungsformen bereitstellt; auf jener bereichsübergreifenden einer bestimmten Art von Weiterbildungsinstitutionen (z.B. Volkshochschule) bis hin zur intersektoralen Ebene ganzer Bereiche und gesellschaftlicher Felder. Auch wenn alle ganz eifrig lernen, ist damit noch keineswegs garantiert, daß die Gesellschaft umlernen wird. Der Wandel im System und der Wandel des Systems sind ganz verschiedene paar Stiefel, wie eine alte systemtheoretische Einsicht lautet.

Man kann, ohne damit der schlüssigen und erfreulich problemorientiert ansetzenden Argumentation Günther Dohmens vom Frankfurter Institut für Erwachsenenbildung gerecht zu werden, sein Votum für ein "lebenslanges Lernen für alle" vielleicht auf die folgenden drei Punkte bringen (S. 72-80): Zunächst müsse man sich der Tatsache bewußt werden, daß "lebenslanges Lernen" heute schon vielfach stattfinde, und zwar überwiegend in Form eines selbstbestimmten informellen Lernens. Dies müsse man sich zuallerst bewußt machen und nur diese Form könne - zweitens - die Grundlage für eine breite Entwicklung abgeben, weil institutionalisierte Formen des Lernens auf breiter Basis gar nicht finanzierbar seien. Dieses informelle Lernen müsse unterstützt werden mit modular aufgebauten Angeboten, mit neuen Lernorten, mit Orientierungswissen auf seiten der Lernenden, wo welche Hilfen in Anspruch genommen werden können, und schließlich - drittens - durch die Förderung eines sozialen und gesellschaftlichen Klimas, einer "neuen Lernkultur": "Wir müssen in Zukunft viel mehr pädagogisch-didaktische und organisatorische Phantasie auf die Entwicklung einer anregenden gesellschaftlichen bzw. kommunalen Lernatmosphäre in einer modernen Lerngesellschaft ausrichten" (S. 79).

Mir erscheint dieses Votum schlüssig und es beleuchtet das immense Erneuerungsproblem, dem wir wohl alle nicht entkommen können. Aber es hat doch auch einen korporatistischen Anstrich (ohne dies als Position dem Autor unterstellen zu wollen), d.h. es wird m.E. das Thema zu wenig konflikttheoretisch angegangen. Denn Lernen steht immer auch in einem sozialen Differenzierungszusammenhang, d.h. es geht immer auch (nie ausschließlich) um Vorteile, um Abgrenzung und Absetzung, also um das damit ermöglichte Machtspiel. Kommunikation erzeugt mit ihrer u.U. konsequenten Themenverfolgung - wie Luhmann betont - auch Anschlußzwänge und Abgrenzungshürden; man kann nicht beliebig zu einer Diskussion, die schon länger läuft, hinzustoßen und davon ausgehen, alle würden wieder von vorne anfangen. Jeder Teilnehmer steht unter dem Zwang, informativ sein zu müssen, d.h. er oder sie muß etwas Neues beitragen. So gesehen ist es z.B. in Diskussionsforen für den Neuling eine legitime Zumutung, sich erstmal die "frequently asked questions" anzueignen, um einigermaßen auf die Höhe des Diskussionsstandes zu gelangen.

Nichts gegen konzeptionelle Überlegungen, wie sie zum Teleteaching etwa von Schwan & Hesse angestellt wurden; auch nichts gegen eine wohlstrukturierte Programmatik zu einem "lebenslangen Lernen für alle", wie es gerade von Dohmen vorgestellt wurde; aber wie interessant es wird, wenn man das Lernen, hier konkret das multimedial ausgestaltete Telelernen, einmal nicht von den Möglichkeiten her betrachtet, sondern die praktische Erprobung und Realisierung studiert - dies zeigt dann der Beitrag von Günter Clar und Gerhard Fuchs, beide von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart (S. 81-92).

Natürlich hat Telelernen von den Möglichkeiten her gerade entlang der Dimension "Flexibilisierung" enorme Potentiale, denn theoretisch kann das individuelle Lernen zeitlich, inhaltlich und sozial je selbstgesteuert, am Eigenbedarf orientiert usw. eingesetzt werden; aber funktioniert's denn auch praktisch? Nicht so gut, vor allem nicht mit der Zielsetzung einer Erprobung des "neuen Lernens".

Das von den Autoren ausgeführte (leider nicht zu Ende geführte) Beispiel bezieht sich auf ein Kursangebot zum Thema "Controlling", welches per ISDN von einer Weiterbildungsinstitution diversen Kursteilnehmern einer Firma angeboten und durchgeführt wurde; dieses sei insgesamt vom Betrieb und den Teilnehmern gut aufgenommen worden. Auf dem Hintergrund dieses Projektes und anderer von der Akademie durchgeführter Untersuchungen ergeben sich u.a. folgende kritischen Erkenntnisse: 

Telelernen sei, so die Autoren abschließend, in den derzeit vorfindbaren Ausgestaltungen noch keineswegs "die neue Form des Lernens"; es setze sich vor allem unter Kostengesichtspunkten durch, als Rationalisierung bestehender Angebote.

Der Rundfunk unterscheidet sich technisch und strukturell sehr deutlich von den heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien, so daß aus den Erfahrungen mit dem "Bildungsfernsehen" für die heutigen Angebots- und Lernformen (z.B. Telelernen; vgl. die Beiträge von Schwan & Hesse sowie von Clar & Fuchs) nicht so ohne weiteres Schlüsse gezogen werden können. Und doch zielt Hans Paukens, Leiter des Grimme-Instituts, gerade darauf (S. 93-98): "Der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Kann man aus den Erfahrungen des Bildungsfernsehens lernen?"

Er sieht drei Lehren: 1) "Medien können als Katalysatoren für Innovation und Reformen des Bildungswesens fungieren" (S. 96). Obwohl heute die Rahmenbedingungen andere wären als noch Ende der sechziger Jahre, gäbe es doch einen Vergleichspunkt darin, daß - damals wie heute - die Bedeutung der neuen Medien u.a. in einer Reform des Bildungswesens und in einem "effektiveren und authentischeren Lernen begründet" werde (S. 97); 2) "Lernkonzeptionelle Überlegungen für mediales Lernen müssen zwischen institutionell und individuell organisiertem Lernen differenzieren" (ebda.). Für den Erfolg individuell organisierten Lernens sei u.a. nicht das Etikett "Bildung" oder die didaktische Gestaltung entscheidend als vielmehr die Beziehung, "die die Nutzer zwischen ihren Erfahrungen und Bedürfnissen und den dargebotenenen Themen und Inhalten herstellen können" (ebda.). Man könnte dies auf die Formel verkürzen, daß ein bedarfsorientiertes Thema wichtiger ist als die mediale Präsentation und die didaktische Aufbereitung.

Schließlich hält Paukens aufgrund der zurückliegenden Erfahrungen den allgemeinen Punkt fest, 3): "Die öffentliche Verantwortung für das Medien- und Bildungssystem muß sichergestellt werden" (ebda.). Denn wie sich die Teilprivatisierung von Bildungsangeboten (z.B. über gemischte Trägerschaften öffentlicher und privater Stellen) langfristig auswirken werde, bleibe abzuwarten.

Teil II: Lernort Schule

Der zweite Teil ist dem Lernort "Schule" gewidmet, der aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt und kommentiert wird. Dabei wird am ehesten deutlich, was in der Landesiniative in Nordrhein-Westfalen "läuft"; überblickt man aber, im nachhinein, die nun folgenden Beiträge, dann erstaunt doch etwas, daß zwar auf manche Beispiele schulbezogener Projekte und Innovationen hingewiesen wird (vgl. den Beitrag zu den Netdays NRW), aber keines im Detail mal farbig, direkt und meinetwegen auch unsystematisch geschildert wird. So überwiegen dann im folgenden doch die abgewogenen Kommentare, während die Innovationspraxis in den Projekten unbelichtet bleibt, fast wie eine terra incognita erscheint, um nicht zu sagen Utopia.

Detlev Schnoor, bei der Bertelsmann-Stiftung Referatsleiter für Bildung und Medien, faßt unter dem Titel "Schulentwicklung durch neue Medien" (S. 99-108) erste Erfahrungen mit der Implementierung und Nutzung von Neuen Medien in den Schulen zusammen, wobei der Akzent immer wieder auf die Internet-Nutzung gelegt wird. Schnoor sieht die Schulen ungenügend gerüstet, die Neuen Medien aufzunehmen, sie in der eigenen Institution zu nutzen und zum eigenen Vorteil weiterzuentwickeln, wobei er auch eine "geringe Wahrnehmung der methodisch-didaktischen Potentiale" sieht. Diese Problemlagen schildert er im ersten Abschnitt; im zweiten unterscheidet er drei Typen von Medienschulen, im dritten und vierten Abschnitt kommentiert er kritische Faktoren für innere Anforderungen und äußere Unterstützungsfaktoren.

"Schulen befinden sich in sehr unterschiedliche[n] Stadien der Medienintegration, die in Beziehung zu ihrer curricularen und organisatorischen Innovationsfähigkeit gesetzt werden können" (S. 103). Den ersten Typ nennt er "Die sporadische Medienschule"; Medieneinsatz bleibt dem Engagement einzelner Lehrer bzw. Lehrerinnen überlassen, er ist sporadisch und unkoordiniert, noch ohne methodische Konsequenzen. Im zweiten Typ, der "additiven Medienschule", haben die Aktivitäten schon einen größeren Umfang angenommen, bleiben aber noch neben, "additiv", den anderen Formen. Erst im dritten und empirisch verständlicherweise raren Typ (Zahlen werden allerdings keine genannt), in der "sich selbst erneuernden Medienschule" ist es gelungen, "... Computer neben anderen Medien situationsorientiert im Unterrichtsalltag einzusetzen" (S. 193).

Bei den Entwicklungsanforderungen von innen werden u.a. Fragen des schulinternen Medienzuganges, der Unterrichtsentwicklung und der Fortbildung und "Selbstqualifizierung" angesprochen; bei der Unterstützung von außen betont Schnoor Faktoren wie die unverzichtbare Unterstützung durch die Schuladministration und die Qualitätssicherung bei Lernsoftware. So würden von weit über zweitausend begutachteten Einheiten nur ganze 80 von der SODIS-Datenbank als empfehlenswert eingestuft.

Technikbegeisterung am Anfang ist normal. Aber erst wenn sie überwunden wird, steigt der Nutzen. Dies ist die zweite der Thesen und Erkenntnisse, die Kubicek & Breiter in ihrem Beitrag präsentieren, der auf einen Vortrag auf der letztjährigen Fachtagung zu "Schulen ans Netz" zurückgeht (S. 120-129). Ihre Frage ist, was kommt nach der Begeisterung, welche Anforderungen sind zu gewärtigen, welche Fähigkeiten sind gefordert. Und an dieser Kippstelle zwischen der erfolgreich bestandenen Initialphase und dem Übergang in die "Normalisierung", also in die mehr oder weniger vollständige Integration von PC, Online-Diensten und Multimedia in den alltäglichen curricularen und didaktisch-pädagogischen Ablauf, entscheidet sich endgültig der Erfolg von solchen Innovationen. Gefordert ist dabei nicht einmal viel Technik und Geld (ohne dies wird man freilich nicht auskommen), sondern Organisationstalent, flexibles Reagieren und engagiertes Durchhalten. Die Autoren nennen es unhandlich, aber präzis "Informationstechnik-Management".

Bei ihren Empfehlungen stützten sich die Autoren dabei auf ein von der VW-Stiftung gefördertes Projekt, in dem sie die amerikanischen Erfahrungen einholen und auswerten konnten. Eines der Elemente ist dabei ein "Technologieplan", also ein wohlüberlegter, auf breitem Konsens und vielen Rollen ruhender Technikeinsatz- und Personalschulungsplan, der in den USA Vorbedingung dafür ist, um in den Genuß von Fördermitteln zu gelangen. Und trotz der immensen Kosten gelte: Ein Computer für jeden Schüler ist keine Utopie. Dies muß nur geplant und organisiert werden. Die Kosten sind enorm, gewiß. Aber sie verlieren selbst für die USA ihren Schrecken, wenn man sie auf die Anzahl der Schüler umlegt (nach MIT-Berechnungen 450 US $ p.a., wenn sich je zwei Schüler einen Computer teilen). Mit Nachdruck weisen die Autoren auf die vier entscheidenden Handlungsfelder hin, a) Zugang zu Multimedia-Computern, b) leistungsfähige Software, c) Internetanschluß der Klassenzimmer sowie d) Training und Unterstützung der Lehrer.

Gerhard Tulodziecki gliedert seinen Beitrag über "Neue Medien als Herausforderung für Schule und Lehrerbildung" in drei Abschnitte (S. 130-138): 1. Zur Bedeutung der neuen Medien für Schule und Unterricht; hier diskutiert er etwa Auswirkungen der neuen Medien auf die Lernvoraussetzungen der Schüler und die je anderen Rollenerwartungen, die "draußen" und im Unterricht gelten (z.B. prompte Bedürfnisbefriedigung vs. Bedürfnisaufschub), auf die schulischen Arbeitsformen sowie deren Inhalte und Ziele; im 2. Abschnitt geht er auf die Frage ein, für welche Qualifizierungen auf seiten der Lehrenden zu sorgen wäre und schließlich, im 3. Abschnitt, wie sie umzusetzen wären.

Tulodziecki blättert einen sorgfältig sortierten Katalog der unterschiedlichen Aspekte, Forderungen und Beispiele auf, deren Reiz vielleicht steigt, wenn man weiß, daß er Schulpägagogik und allgemeine Didaktik lehrt und in Paderborn am BIG-Projekt beteiligt ist (Bildungswege in der Informations-Gesellschaft), das von der Bertelsmann-Stiftung und der Heinz Nixdorf-Stiftung gefördert wird und an dem nicht nur Didaktiker beteiligt sind, sondern etwa auch der Bereich "Informatik und Gesellschaft" des Heinz Nixdorf Instituts involviert ist. In diesem Projekt wurden, in der in diesem Jahr auslaufenden ersten Phase, bereits Vorschläge entwickelt, wie die Neuen Medien in die Lehrerausbildung an den Hochschulen eingebettet werden könnten; diese Grundausbildung wäre die erste Säule, eine zweite wären die Studienseminare, die dritte schließlich die Lehrerfortbildung - auf allen drei Ebenen wäre die Erneuerung der Ausbildung anzusetzen, so daß auch in diesem Beitrag ein etwas komplexeres Innovationsproblem geschildert wird.

Renate Schulz-Zander, die an der Universität Dortmund Bildungsforschung und Schulentwicklung lehrt, geht auf fünf Fragen ein (S. 139-147): Entstehen durch Netze neue Qualitäten in Lernprozessen? Was ist im Bildungsbereich unter Medienkompetenz zu verstehen? Wie verändern sich Lehrerrolle und Schülerrolle? Kommt es zu anderen, z.B. offeneren, aktiveren Lernformen? Und welche Rahmenbedingungen müssen für eine erfolgreiche Praxis des Lehrens und Lernens mit "Multimedia und Netzen in Schulen" gegeben sein? Die in ihrem Titel nachgeschobene Frage, ob "eine Chance für eine neue Lernkultur" bestehe, versieht sie mit einem Fragezeichen. Technikeinsatz allein bringt es nicht, zentral ist vielmehr die Lehrperson und - dies scheint mir hier der interessanteste Punkt zu sein - deren Lehr- und Unterrichtskonzeption.

Im Rückgriff auf die mehrere Jahre laufenden Beobachtungen an kanadischen Schulen zur Lerneffektivität und dem Umgang der Lehrpersonen mit den neuen Medien (Miller & Olson 1995), aber auch aus Ergebnissen von eigenen Befragungen, gehe die zentrale Bedeutung des Unterrichtskonzepts hervor: "Die vorausgegangene Unterrichtspraxis wirkt stärker - so ihr Befund - als der Einsatz der Informationstechnologie, d.h. die unabhängig von der Technologie praktizierten Unterrichtsmethoden und didaktischen Ansätze haben oftmals die Fähigkeiten und das Verhalten von Schülerinnen und Schülern geprägt" (S. 143). Wer schon ohne Computer offenen und projektförmigen Unterricht kannte, wird und kann es mit Computern erst recht tun und damit zu Formen finden, die den Medieneinsatz auch für das Lernen produktiv machen - und zwar auch für die Mädchen. So sei es bedenklich, wenn im nordrhein-westfälischen Projekt "Schulen ans Netz" (das übrigens vor dem gleichnamigen bundesdeutschen Projekt initiiert war) von 150 Moderatorenstellen nur sechs mit Lehrerinnen besetzt seien. Dadurch fehlten den Mädchen schlicht Vorbilder, mit Hilfe derer sie zu einer intensiveren Beschäftigung mit Computern angeregt werden könnten.

Peter Diebold von der Humboldt-Universität Berlin (Abt. Pädagogik und Informatik) beschreibt Aufbau und Arbeitsweise des Deutschen Bildungsservers (DBS), der im Herbst 1996 gegründet wurde und für drei Jahre mit Mitteln des BMBF finanziert und aufgebaut wird (S. 148-158). Eine zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Rezension aktuelle Einstiegsseite zeigt nachfolgende Abbildung. Der Server bietet u.a. Lehr- und Unterrichtsmaterialien, ein Verzeichnis der Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft oder Verzeichnisse der deutschen Schulen im Web und die Schulserver der Bundesländer, mit denen Arbeitsabsprachen erfolgen.

Entscheidend bei alledem ist aber, daß der DBS ( http://dbs.schule.de/ ) ein Meta-Server ist, d.h. zu den genannten Unterrichtsmaterialien finden sich ausführliche bibliographische Beschreibungen inkl. der Internet-Adressen, zu denen man dann "weitergereicht" wird, um sich das Material zu "holen". So habe ich mich probehalber mal zu einer Bruchsaler Realschule durckgeklickt oder ins sechste Kapitel des Simplicissimus (bei http://gutenberg.aol.de/) reingesehen, von dem es heißt: "Ist so kurz und so andächtig, daß dem Simplicio darüber ohnmächtig wird". Der Aufforderung zur Kürze habe ich mich beim anstehenden Text über den DBS sofort angeschlossen, denn hier gilt sicher der alte Spruch, Probieren geht über Studieren. [1]

Abb.: Homepage

Unter dem nicht auf Anhieb verständlichen Titel "Interaktiver Online-Dienst Schule" schildert Michael Drabe, bei der Dt. Telekom mit der Koordination des Projektes "Schulen ans Netz" befaßt, zunächst Initiativen in einigen europäischen Ländern (vor allem Niederlande, England) und diskutiert dann einige technische, organisatorische und finanzielle Aspekte einer vernetzten Schule (S. 159-166). Dies ist sein Ausgangsszenario, eine Schule, deren Klassenzimmer, Lehrer- und Verwaltungszimmer, Bibliothek usw. untereinander vernetzt und an einen zentralen Server angeschlossen sind. Zwei konkrete Beispiele, inklusive der Finanzierungsmodelle, werden dargelegt, das Stadtschulnetz Göttingen und das Bürgernetz im Landkreis Dillingen. Am Ende seines Beitrages tischt Drabe einige provokative Fragen auf, z.B. diese (S. 166): "Warum sollten unsere gut bis sehr gut verdienenden Angestellten ihre Steuerlast nicht eher durch eine Direktinvestition in einer Schule im Bereich des veranlagenden Finanzamtes reduzieren als durch die Investition in ein unter fremder Flagge stehendes Schiff?"

Gabriele Behler ist in Nordrhein-Westfalen Ministerin für Schule und Weiterbildung. "Schulen ans Netz ist nicht mehr das Thema. Die Schulen haben mit der inhaltlichen Arbeit im Netz begonnen" (S. 175). Mit dieser "Akzentverschiebung" leitet sie ihren kurzen Betrag ein (S. 175-180); sie stellt ihre Sicht von Medienkompetenz dar (die man sich analog dem Freischwimmerschein vorstellen könne, also quasi ein Internetschein für die "Datenflut"); umreißt das NRW-Projekt "Schulen ans Netz", das hier immer mit dem Untertitel "Verständigung weltweit" geführt wird, und in dem schon 2.000 der 3.300 weiterführenden Schulen mit einem Netzanschluß versorgt seien; schildert den Aufbau des Bildungsservers (htt://www.learn-line.nrw.de/), der vom Landesinstitut in Soest aufgebaut und betrieben wird, und sie beschreibt den Verein "Lernen in der Informationsgesellschaft NRW" und dessen Aufgabenstellungen, der sich die Förderung von Medienkompetenz auf die Fahnen geschrieben hat. Auch er ist eine Public-Private-Partnership, zu deutsch, eine Kooperation öffentlicher und privater Träger. 1998 sei es noch zu früh, "realistische Prognosen für die Rolle von Multimedia und Telekommunikation für das Lernen in der Schule zu erstellen" (S. 180), dafür sei die "verstrichene Praxiszeit" noch zu kurz.

Neben dem Artikel zu den Netdays und der Sicht der Schuladministration rundet ein kurzer Beitrag zur Begleitforschung die NRW-Ecke ab, von Klaus Peter Treumann und seinen Projektmitarbeitern (S. 181-186). Das Begleitforschungsteam ist an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld bzw. an der Akademie für Medienpädagogik, Medienforschung und Multimedia angesiedelt. Die Begleitforschung ist eine der vier Teilprojekte der NRW-Initiative "Schulen ans Netz", also neben der Ausstattungsinitiative, dem Bildungsserver "learn-line" und der Beratung und Qualifizierung der Lehrer und Lehrerinnen, konkret der Ausbildung von 150 Moderatoren (-innen), unter denen sich, wie im Beitrag von Schulz-Zander kritisch angemerkt wurde, nur sechs Frauen befinden. Die Autoren berichten über einige Ergebnisse aus einer ersten Befragung von 31 Lehrern und Lehrerinnen, die am Projekt teilnehmen (zum Befragungszeitpunkt April - Juni 1997 waren erst 1.200 Schulen angeschlossen).

Zum Bildungsserver ergab diese Befragung etwa den Befund, daß er zwar den meisten Befragten bekannt war, "genutzt wird der NRW-Bildungsserver zum Zeitpunkt der Untersuchung jedoch relativ selten" (S. 185). Dies mag u.a. daran liegen bzw. gelegen haben, daß die wirklichen Probleme, mit denen sich die Projektverantwortlichen in den Schulen herumschlagen müssen (vor allem mit der Installation des Netzzugangs) zum Befragungszeitpunkt noch zu wenig angesprochen waren (Klagen über zeit- und nervenaufreibende Netzprobleme finden sich aber auch heute noch auf dem Server); deshalb schlug die Begleitforschung vor, den Server stärker als Kommunikationsplattform auszubauen.

Was die Einstellung zu Multimedia und Internet angeht, waren in der Befragung drei Gruppen zu erkennen: a) eine relativ große Gruppe, die (nach dem Urteil der Interviewten, wie man vorsichtigerweise ergänzen muß) kein Interesse an der Nutzung von Informationstechnologien haben; b) eine ebenfalls relativ große Gruppe, die Computer teilweise schon nutzt, aber beim Thema "Internet" noch abwartet; und c) eine kleine Gruppe, die sich intensiv mit dem Internet auseinandersetzt. Das Begleitforschungsteam empfahl hierzu u.a., die schulinterne Lehrerfortbildung verstärkt auszubauen und "Begeisterung für Medien" in den Schulen zu fördern.

Forum Arbeitsmarkt

Der infolge neuer Technologien und geänderter Strukturbedingungen vermutete, wahrscheinliche und auch nur plausible Beschäftigungssaldo ist gerade im Bereich Multimedia und Telekommunikation eine wichtige und beliebte Streitfrage. Im "Forum Arbeitsmarkt" werden zu diesem Problemkreis drei Beiträge geliefert.

Der erste über "Beschäftigungseffekte des Strukturwandels im deutschen Telekommunikationsmarkt" von Dieter Elixmann und Alfons Keuter, beide vom WIK, sowie von Bernd Meyer, Professor für VWL an der Universität Osnabrück und Leiter der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (S. 292-305). Der Beitrag ist Ergebnis einer gemeinsamen Arbeit, in der mit Hilfe eines stark desaggregierten Input-Output-Simulationsmodells direkte und indirekte Beschäftigungseffekte errechnet werden, die sich zum einen aus dem Personalabbau der Deutschen Telekom und zum anderen aus dem Personalaufbau der "Neuen Wettbewerber" ergeben. Die Annahmen und das Variablengefüge sind zu komplex, um hier referiert werden zu können. Ich beschränke mich deshalb auf eine summarische Einschätzung der Autoren am Ende ihres Beitrages: "Als Ergebnis aller Änderungen, die in den Simulationen als Folgen von Privatisierung und Liberalisierung im TK-Sektor berücksichtigt wurden, zeigen sich mittelfristig Beschäftigungsgewinne von ca. +60.000 Arbeitsplätzen. Langfristig [bis 2005] ergibt sich ein negativer Saldo mit ca. -60.000 Stellen" (S. 304).

Der zweite Beitrag (S. 306-314) nimmt eine breitere Einordnung verschiedener in den letzten Jahren vorgelegter Analysen zu den Beschäftigungswirkungen vor (u.a. jene von A.D. Little 1996; DIW/Prognos 1995, auch die gerade erwähnte WIK-Simulationsstudie 1997) und arbeitet die einzelnen Ansätze und Modellannahmen heraus. Die Analyse basiert auf einer Auswertung für die Enquete-Kommission "Neue Medien" und wurde von Gerhard Bosch angefertigt (Institut für Arbeit und Technik des Wissenschaftszentrums NRW). Von seinen in zwanzig Punkten zusammengestellten Ergebnissen greife ich den letzten heraus, der die Bedeutung der sozialen Kontexte unterstreicht: "Bei technischen Revolutionen kann die Informationsgesellschaft nicht als reine Wirtschaftsgesellschaft realisiert werden, sondern die neuen Technologien müssen sozial eingebettet sein. Die Politik ist hier auf vielen Gebieten gefordert ... Diese Aufgaben werden immer wieder unterschätzt, da die öffentliche Diskussion von zweckoptimistischen Politikern und Anbietern sowie technikbegeisterten Erstanwendern dominiert wird" (S. 314).

Im dritten Beitrag (S. 315-317) berichtet Gerhard Fuchs über einige Erkenntnisse einer internationalen Konferenz, die von der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart organisiert wurde und die sich der Frage nach den regionalen Wirtschaftsstrukturen als Ausgangspunkt für eine Multimediabranche widmete. Dabei ergab sich u.a., daß diese regionalen Entwicklungspfade sehr spezifisch sind und "... daß Multimedia selbst in den am weitesten fortgeschrittenen Regionen [z.B. Kalifornien] nur einen kleinen Beitrag zur Beschäftigung und Arbeitsplatzbeschaffung leisten kann" (S. 317).

Das Buch und seine elektronischen Begleiter

Die Rezension abschließend soll wie angekündigt noch kurz auf die elektronischen Begleiter des gedruckten Bandes eingegangen werden, die Diskette und das Online-Angebot. Was die Diskette inhaltlich bietet, ist auf der Seite vor dem Inhaltsverzeichnis angegeben; es geht uns im folgenden nicht um eine ähnlich ausführliche Wiedergabe wie bei den gedruckten Beiträgen, meine Frage war vielmehr: Sind die Ergänzungen wirklich Ergänzungen? Dabei nehme ich nur eine fallweise Prüfung vor:

(1) Es gibt auf der Diskette eine "graphische Darstellung der statistischen Auswertung der Netda@ys NRW" (siehe den Beitrag von Gapski u.a.). Sind diese Grafiken so umfangreich, komplex, kompliziert oder wichtig, daß sie unbedingt auf die Diskette müssen? Die Abbildung 1 zeigt drei Verteilungen der Schultypen in Nordrhein-Westfalen, nämlich die Verteilung insgesamt ist, wie sie sich für die Projekttage darstellte und wie sie beim landesweiten Projekt "Schulen ans Netz" aussieht. Daß sich die teilnehmenden Schulen bei den Netdays anders verteilten als im Landesdurchschnitt, wird aber im Text bereits gesagt, d.h. eigentlich könnten wir auf die Abb. 1 verzichten. Abbildung 2 zeigt, woher die Projektpartner kamen, 58 kamen aus der Computerbranche, 36 waren "sonstige", alle anderen Werte liegen bei 11 und darunter (Sparkassen, Einzelhandel usw.), ist also auch nicht sonderlich informativ. Bleibt die Abbildung 3, die die "Art der Unterstützung durch die Projektpartner" zeigt wie "fachliche Beratung" (75%), Mithilfe bei der Veranstaltung (64%), "sonstige Unterstützung" (42%), Sachspenden (32%), Geldspenden (17%) sowie Bereitstellung von Ressourcen (8%). Das ist informativ und warum nicht diese eine Grafik in den Band aufnehmen?

(2) Meine zweite Prüfung bezieht sich auf die "Eckdaten der Informationsgesellschaft" und die statistischen Grafiken vom ZVEI. Meine Frage war, wie neu werden die wohl sein. Sie sind nicht sonderlich neu: neben eigenen VDMA- und ZVEI-Zahlen gibt es 96er und 97er Daten aus der EITO, Mikrozensus-Daten von 1995 u.a.m. In einer Grafik zu den "Informations-Infrastrukturen in Deutschland und den USA" taucht ein Wert auf von 24% der Einwohner in der BRD und 48% jener in den USA, die einen PC haben, Stand Ende 1996, Quelle VDMA und ZVEI. Dieser Wert ist 1998 nicht mehr informativ, wo wir bereits mit über 45% der Haushalte rechnen, die einen PC haben. Weitere Fragen kommen einem: was bedeuten diese "24 Prozent"? 24 Leute von 100 "haben" einen eigenen PC, besitzen ihn also, oder "nutzen", haben "Zugang", nutzen ihn "privat oder beruflich", und wer sind die "Einwohner", die "ausländischen" auch, usw.? Also auch hier stellen sich berechtigte Fragen nach dem Nutzen unkommentierter Statistiken, so daß eine Alternative darin liegen könnte, kommentierte Adreßverzeichnisse zusammenzustellen, wo solche Statistiken zu finden sind (z.B. auf dem ISPO-Server: http://www.ispo.cec.be/). Und solche geordneten Adreßsammlungen werden auf dem jtg-Server ja bereitgehalten!

(3) Meine dritte Prüfung bezieht sich auf zwei Texte von der KMK, einer von 1995 und auf die Medienpädagogik in Schulen bezogenen, einer von 1997 über "Neue Medien und Telekommunikation im Bildungswesen". Ich kannte diese Texte noch nicht und war neugierig, was die Kultusministerkonferenz zu diesen Themen gesagt hat. Ich fand in den Texten keine überwältigenden Einsichten, aber gefallen hat mir der nüchterne und abwägende Ton. In dem 97er Papier werden unter "Beschlußlage" auch die früheren Äußerungen erwähnt; zwei sind auf der Diskette, warum nicht die anderen? Die Diskette als ergänzendes Archiv - dies wäre eine klare Funktionsbestimmung. Diese Frage nach dem Funktionsprofil muß auch für die Online-Version des Jahrbuches gestellt werden, auf die Kubicek in seinem Editorial hinweist.

Inspiziert man dieses Angebot, dann wird schnell klar, daß "Online-Version" die Sache nicht ganz trifft; das Inhaltverzeichnis ist zwar vollständig da, aber bei den Beiträgen zum Schwerpunktthema findet man nur ein Abstract, was auf den ersten Blick nicht so deutlich ist. So habe ich mich naheliegenderweise gefragt, ob in jenem Netd@ys-Artikel dieses Mal die Grafiken wohl da seien. Sie sind es, aber jetzt fehlt der Text! Die Vermutung zu den Medienprofilen von Buch und Online-Angebot, daß sinnvollerweise die aktuellen Informationen, also die Rubriken und vor allem die "Chronik" online als Volltexte angeboten werden, bestätigte sich also nicht. Vielleicht im "Forum"? In der Tat sind die Beiträge des Forums als Volltexte da, was ich mal am ersten Beitrag von Elixmann, Keuter und Meyer überprüft habe. Auch die Tabellen erscheinen, die Abbildungen sind aufrufbar, selbst die Fußnoten sind da, im Text mit einer blauen Ziffer gekennzeichnet. Ich klicke mal auf die "1" und finde mich am Ende des Artikels wieder, wo alle Fußnoten versammelt sind; soweit sogut, und wie komme ich zurück? Ich lokalisiere die Fußnote anhand des gedruckten Exemplars, sehe, sie steht in einem Absatz vor dem dritten Abschnitt über "3. Status quo ...", also mit "back" an den Anfang, viermal "pagedown", einmal "pageup" und ich bin da; nun ist aber die "1" so grau eingefärbt, daß ich sie im Text kaum noch finde. Wundersame Online-Welt. Waren wir da nicht mit elektronischer Buchsoftware vor zehn Jahren schon weiter?

Ich stelle diese Erfahrungen hier vor und zerbreche mir anstelle der Herausgeber auch meinen eigenen Kopf, wie denn eine klarer konturierte Publikationsstrategie aussehen könnte, z.B.: den gedruckten Band noch stärker selektieren (der neue Band wird online nun schon mit 500 Seiten angekündigt! Thema "Multimedia und Verwaltung") und dichter berichten; die Diskette m.E. ganz streichen, dafür im Buch Listen und kommentierte Verzeichnisse aufnehmen; das Online-Angebot von den berichteten "Mischlingen" säubern (was nützen mir schon die Abstracts?) und die frei werdende Energie in verlinkte Volltextangebote stecken. Auch am Erscheinungsbild der Buchversion kann m.E. noch gearbeitet werden; so empfand ich es als angenehm, daß die Fußnoten auf der Leseseite erscheinen; lästig war, bei jedem neuen Artikel hinten nachzuschlagen, woher die Betreffenden kommen, warum dies nicht als Anmerkung auf die erste Seite? Es gab an etlichen Stellen Verklumpungen von Buchstaben oder noch nicht getilgte Trennstriche. Aber, auch dies muß gesagt werden, ich habe fast keine Tippfehler gefunden. Auch diese Bemerkungen werden gemacht, um zu weiterer Qualitätssicherung und Profilierung beizutragen. Denn trotz aller kleineren Mängel ist auch klar, daß dieses Jahrbuch und daß diese Reihe mit ihrer kompakten Berichterstattung eine wichtige Funktion erfüllt. Aber es muß das Publikationskonzept stärker profiliert werden. Diese Aufforderung ist nicht neu; schon beim letzten Band hat mein Kollege Böhle genau dieses angemahnt.

Anmerkung 

[1] Die Kapitelüberschrift ist ein frühes Beispiel einer paradoxen Textreferenz, denn ohnmächtig wird dem Simplicio natürlich nicht ob des kurzen Textes, sondern ob der Begegnung mit einer wunderlichen Gestalt.

Bibliographische Angaben

Kubicek , Herbert u.a. (Hrsg.): Lernort Multimedia. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 1998. Heidelberg: R.V. Decker 1998, 470 S., mit Diskette

Kontakt

Bernd Wingert
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Postfach 3640, 76021 Karlsruhe