Das ReparaturCafé als Transformationselement im urbanen Raum

Schwerpunkt: Forschungsperspektiven für Postwachstum in Technik, Wirtschaft und Gesellschaft

Das ReparaturCafé als Transformationselement im urbanen Raum

von Colette Waitz und Sarah Meyer-Soylu, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruhe

Wenn es darum geht, neue Wege in Richtung einer Degrowth-Gesellschaft zu beschreiten, rücken Städte als Zentren von Konsum und Energieverbrauch in den Fokus. Nachhaltigkeit und Degrowth stehen als eng verwandte und sich gegenseitig bedingende Konzepte eng beieinander und müssen gemeinsam betrachtet werden, spielen sie doch bei der Beantwortung relevanter Zukunftsfragen eine zentrale Rolle: Wie können bspw. immer mehr Menschen auf begrenztem Raum und mit begrenzten Ressourcen in nachhaltiger Weise zusammenleben? Welche Mechanismen oder Elemente können hierzu beitragen? In Städten zeigen sich diese Herausforderung zum einen besonders deutlich, zum anderen können hier auch besonders gut Lösungsansätze entwickelt und erprobt werden. Im folgenden Beitrag wird zu diesem Zweck am Beispiel des Karlsruher ReparaturCafés untersucht, ob dieses als sozialökologische Praxisform einen Beitrag zu Degrowth leisten kann. Eine Schlussfolgerung ist, dass das ReparaturCafé wesentliche Facetten von Degrowth umzusetzen vermag und somit gut geeignet ist, eine Transformation hin zu einer Degrowth-Gesellschaft zu fördern.

When exploring new avenues towards a Degrowth-Society cities as centers of consumption and energy usage become the focus of attention. Sustainability and Degrowth are close to each other and mutually dependent. Therefore they need to be considered together as they play an important role in finding answers for relevant questions regarding the future: How can an increasing population live on limited space and with limited resources in a sustainable way? Which mechanisms or elements could support more sustainable pathways? Cities are both, affected by those challenges and suitable places for developing and testing solutions. This paper reflects upon the “ReparaturCafé” in Karlsruhe and its potential as a socioeconomic praxis in order to contribute to Degrowth and its transformative potential in urban areas. It comes to the conclusion that “ReparaturCafés” are able to realize relevant aspects of Degrowth and therefore are well equiped for fostering a transformation to a degrowth-society.

1     Urbanisierung und Degrowth

Erstmals leben weltweit mehr Menschen in Städten als auf dem Land – Tendenz steigend (UN DESA 2014). In Europa zeigt sich dies vor allem durch eine zunehmende Reurbanisierung und Nachverdichtung bereits bestehender Stadträume (Brake 2011). Zudem beeinflussen globale Trends, wie die negativen Folgen des Klimawandels, weiterhin steigende Umweltbelastungen und gesellschaftliche Prozesse wie der demografische Wandel und Veränderungen in der Familienstruktur (Lietaert 2010) zunehmend mitteleuropäische Städte. Gleichzeitig müssen Konsumgüter und Energie importiert werden, um die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung zu befriedigen. Die Produktion von Konsumgütern ist ressourcen- und energieintensiv und führt dazu, dass Städte für rund 70 % des globalen Energieverbrauchs und rund 80 % der globalen Treibhausgasemissionen (und den dadurch verursachten Klimawandel) verantwortlich sind (UN-Habitat 2011; World Bank 2010). Historisch betrachtet sind Städte zwar Zentren sowohl des Konsums als auch der Produktion; trotzdem fallen mittlerweile Produkt- oder auch Energie-Nachfrage und -Angebot zunehmend räumlich auseinander: Produktionsstätten sind aus den Städten ausgelagert. Städte werden somit selbst zu Verursachern und Multiplikatoren von Problemen sozialer und ökologischer Art und zeigen Wirkungen bis weit außerhalb ihrer Stadtgrenzen. Dies alles sind Gründe, warum Städten auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung eine Schlüsselrolle zukommt. Nachhaltigere Konsumgewohnheiten werden dabei im Allgemeinen als eine Lösungsstrategie für die genannten Probleme in Städten angesehen (vgl. WBGU 2011, S. 61).

In der Degrowth-Debatte (Lorenz in diesem Heft) wird die Überwindung des aktuell vorherrschenden Wachstumsgedankens problematisiert und versucht, neue Wege für eine zukünftige Entwicklung aufzuzeigen. In diesem Rahmen werden Produktions- und Konsumgewohnheiten grundlegend überdacht sowie deren Anpassung an veränderte Zielsetzungen erarbeitet und gelebt. Theoretische Überlegungen verbinden sich dabei mit aktivem Handeln. Der Bewusstseinswandel hinsichtlich vorherrschender Werte und das Ineinandergreifen von Theorie und Praxis ermöglichen eine Annäherung an eine Post-Growth-Ökonomie und -Gesellschaft (Demaria et al. 2011; Muraca 2013). Zentrale Inhalte der Degrowth-Debatte sind die Themen: Teilen, Gemeinschaft, Entschleunigung, Genügsamkeit sowie Achtsamkeit. Es geht um ein gutes Leben, in dem eine Gesellschaft auf Qualität anstatt auf Quantität, auf Kooperation anstatt auf Wettbewerb baut (Latouche 2003).

Im Unterschied zu technischen und effizienzbezogenen Lösungen zur Minderung bestehender Probleme setzt der Degrowth-Gedanke somit stark auf Suffizienz und behandelt die Frage nach dem „Was ist genug?. Hierbei spielen nachhaltige Lebensstile, ein verändertes Konsumverhalten und die Stärkung des Gemeinschaftsgedankens eine entscheidende Rolle. Einen spezifischen Beitrag hierzu könnten ReparaturCafés leisten, indem sie die drei genannten Ansätze aufgreifen und umzusetzen versuchen.

In diesem Artikel wird untersucht, ob ReparaturCafés als sozialökologische Praxisform einen Beitrag zu Degrowth leisten und welches transformative Potenzial sie in den urbanen Raum im Sinne von Degrowth überführen können. Als Beispiel wird das ReparaturCafé in Karlsruhe näher betrachtet. Dieses ist eingebettet in das nachhaltige Stadtentwicklungsprojekt „Quartier Zukunft – Labor Stadt“ und wird seit rund zwei Jahren wissenschaftlich begleitet.

2     Das ReparaturCafé Karlsruhe im Quartier Zukunft

ReparaturCafés sind Orte, an denen nach dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe defekte Gegenstände repariert werden können. Freiwillige Reparateure geben kostenlos ihr Wissen weiter und reparieren in lockerer Atmosphäre gemeinsam mit den Besuchern deren mitgebrachte Gegenstände; oft werden Kaffee und Kuchen angeboten. Die Idee stammt ursprünglich aus den Niederlanden (Heckl 2013; Stichting Repair Café Niederlande 2013). In großen Netzwerken[1] zusammengeschlossen existieren bislang weltweit über 1.000 und in Deutschland etwa 330 (Postma 2016) registrierte Initiativen.

In Karlsruhe fand das erste ReparaturCafé im November 2013 statt. Aufbauend auf dem großen Erfolg dieser ersten Veranstaltung haben seitdem sieben weitere ReparaturCafés in der Karlsruher Oststadt sowie drei in der Karlsruher Weststadt stattgefunden.

Im Gegensatz zum niederländischen Ansatz und der Mehrheit der ReparaturCafés kam der Anstoß für das Karlsruher ReparaturCafé aus der Wissenschaft durch das Projekt „Quartier Zukunft – Labor Stadt“[2], das thematische Anstöße in Richtung Nachhaltigkeit im Quartier gibt und dort Möglichkeiten, Grenzen, Konflikte und Erfolgsbedingungen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit im urbanen Raum erforscht. Die Themen Nachhaltigkeit und Degrowth werden im vorliegenden Beitrag als eng miteinander verknüpft angesehen. Dem Quartier Zukunft liegt ein integriertes Nachhaltigkeitsverständnis (Kopfmüller et al. 2001) zugrunde, welches neben Effizienz auch Suffizienz und Konsistenz als Strategien für Nachhaltigkeit thematisiert. Letztere spielen auch in der Degrowth-Debatte eine zentrale Rolle. Im Bereich Konsum und durch ReparaturCafés lassen sich beide Denkansätze gut verknüpfen. Nachhaltiger Konsum, der ökologische, soziale, kulturelle und ökonomische Auswirkungen mitdenkt, kann letztlich einen Beitrag zu Degrowth leisten. Er kann also als Bedingung für Degrowth angesehen werden, umgekehrt aber nicht funktionieren, wenn eine Veränderung im vorherrschenden Wachstumsparadigma gesellschaftlich nicht akzeptiert ist (Lorek/Fuchs 2013).

Eingebettet in das Quartier Zukunft bildet das ReparaturCafé einen von vielen Ansätzen in der Karlsruher Oststadt, um eine „dichte Nachhaltigkeit“[3] im Quartier zu erzeugen sowie ein Bewusstsein für nachhaltigere Denk- und Handlungsmuster zu schaffen (Parodi et al. 2015). Gelingt dies, kann hierdurch ein grundlegender Baustein für Degrowth gelegt werden. Eben dieses Zusammenwirken mit weiteren thematisch vielfältigen Nachhaltigkeitsaktivitäten im urbanen Raum auf Quartiersebene stellt einen besonderen Kontext für das ReparaturCafé in Karlsruhe dar und erleichtert den Anschluss an weitere Nachhaltigkeitsthemen wie bspw. Konsum, Mobilität oder Gemeinschaft.

Des Weiteren vereinfacht der wissenschaftliche Kontext eine vielfältige wissenschaftliche Beforschung und bindet das Thema „Reparatur“ in die universitäre Lehre[4] ein. Die übergeordnete Projektinfrastruktur und langfristige personelle Verfügbarkeit des Quartiers Zukunft erlauben zudem, die ehrenamtlichen Reparateure hinsichtlich der Zielfindung des ReparaturCafés und dessen Organisationsstruktur zu unterstützen. So gab es bereits mehrere Treffen und einen Workshop zur Vorbereitung der einzelnen Cafés, in denen auch die Motivation und Zielsetzung des Formats diskutiert wurde und eine Reflexion über das Verhältnis zwischen Besuchern und Reparateuren stattfand. Es zeigte sich, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Gruppe insgesamt eine wichtige Rolle spielt und einzelne Aspekte wie Ressourcenschonung, Wissensaustausch, soziale Unterstützung, Gemeinschaft, Aufklärungsarbeit oder Bewusstseinsbildung seitens der aktiv beteiligten Personen explizit genannt wurden. Diese Unterstützung der Ehrenamtlichen durch das Quartier Zukunft erhöht die Erfolgsaussichten der Initiative und forciert deren Verstetigung im Quartier. Eine globale Studie über ReparaturCafés und Hackerspaces (Charter/Keiller 2014) nennt als Hauptmotivationsgründe für die Partizipation an einem ReparaturCafé das Anbieten von Dienstleistungen für die Gemeinschaft, die Motivation anderer für ein nachhaltiges Leben und die Steigerung von Produkt-Reparabilität und -lebensdauer.

ReparaturCafés können als sozialökologische Praxisform[5] verstanden werden, da in ihnen Lebens- und Wirtschaftsweisen erprobt werden, die auf eine soziale und ökologische Transformation abzielen (Lay/Westermayer 2014). Vor dem Hintergrund der Reurbanisierung in europäischen Städten und der damit einhergehenden Verantwortung von Städten als Problemverursacher ist diese Transformation vor allem im urbanen Raum und den dortigen Lebensweisen relevant.

Eine Fragebogenerhebung zum ReparaturCafé Karlsruhe hatte zum Ziel, mehr über die Motivation und die Beweggründe der Besucher sowie über den Stellenwert, den Aspekte wie „Reparieren, Teilen, Tauschen“ in ihrem Leben haben, herauszufinden. Hierzu wurde im Rahmen des Projektes Quartier Zukunft ein Fragebogen für die Besucher entwickelt, der in seiner finalen Version bislang dreimal zur Datenerhebung eingesetzt wurde (N = 132)[6]. Außerdem wurden ab dem ersten ReparaturCafé Informationen – in Form von Feedbackbögen – über die Art der mitgebrachten Gegenstände und den Reparaturerfolg gesammelt (N = 265). Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte dieser Erhebungen exemplarisch dargestellt.

3     Das ReparaturCafé in Karlsruhe: Empirische Einblicke

Die Auswertung der Feedbackbögen zeigte, dass bisher rund 300 Gegenstände, überwiegend aus dem Elektronikbereich, ins ReparaturCafé Karlsruhe gebracht wurden, wovon knapp zwei Drittel repariert werden konnten. Jedoch führt eine Verlängerung der Produktlebensdauer – abhängig von der Art des Produktes, seiner Nutzung sowie den Eigenschaften und Nutzungsmustern eines möglichen alternativen neuen Produkts – nicht notwendigerweise zu einer Ressourcenverbrauchssenkung. Die bekannte Gefahr von Rebound-Effekten, wenn durch die Reparatur freigewordene finanzielle Ressourcen für zusätzlichen Konsum genutzt werden, findet sich auch in diesem Bereich (Asara et al. 2015).

Die Fragebogenerhebung ergab, dass die Themen Ressourcenschonung, Müllvermeidung sowie das gemeinschaftliche Reparieren von den Teilnehmern als besonders attraktiv an einem ReparaturCafé bewertet werden. Ebenso werden die größere Unabhängigkeit von einer Massenindustrieproduktion und die Weitergabe von Wissen als wichtige Motivation wahrgenommen.

54 Befragte gaben zudem an, neben dem ReparaturCafé auch noch andere Teil- und Tauschangebote zu nutzen. Als Beispiele wurden hier unter anderem Carsharing, Kleidertausch und Foodsharing genannt. Eine Zusammenarbeit mit der Foodsharing-Initiative Karlsruhe wurde bereits realisiert, indem das ReparaturCafé als „Fair-Teil-Ort“[7] für gerettete Lebensmittel diente.

Auch über nachhaltigere Mobilitätslösungen wird nachgedacht, sei es in Form von Fahrgemeinschaften der Reparateure oder der Idee, mit Video-Livestreams aus dem ReparaturCafé Unterstützung für die Reparatur eines Gegenstandes zuhause anzubieten, was vor allem für schwer transportierbare Gegenstände interessant sein dürfte. Es bildet sich also ein soziales Netzwerk, das nicht bei der eigentlichen Reparatur Halt macht, sondern vielmehr anschlussfähig ist an weitere Themen, die auch die Degrowth-Bewegung bearbeitet, wie bspw. nachhaltige Ernährung, Gemeinschaft oder Mobilität.

Diese thematisch vielfältigen Blickrichtungen bieten in einem weiten Sinne das Potenzial und den Raum für die Entstehung von Beiträgen zu einer Post-Growth-Ökonomie und -Gesellschaft; in Karlsruhe zunächst in dem begrenzten Umkreis eines Quartiers, der Oststadt. Neue Handlungslogiken und -strategien können ausprobiert werden und sich nach und nach etablieren. Somit spiegelt sich das Bewusstsein einer globalen Verantwortung der Befragten in ihren eigenen Konsum- und Handlungsmustern wider.

Für die transformative Wirkung einer Praxisform ist auch der Bildungsaspekt ein entscheidender Faktor. Das Karlsruher ReparaturCafé wirkt in mehrfacher Hinsicht in den Bildungsbereich hinein. Neben dem Bildungseffekt bei den Besuchern und Reparateuren durch Weitergabe und Austausch von Handlungswissen untereinander, hat sich im vergangenen Wintersemester (WS 15/16) auch eine Gruppe von Studierenden des KIT im Rahmen der Lehrveranstaltung „Reparieren, Wiederverwenden, Selbst Machen: Projektseminar zum ReparaturCafé Karlsruhe“ näher mit dem Thema auseinandergesetzt. Eine Umfrage an Bildungseinrichtungen in Karlsruhe im Rahmen dieser Lehrveranstaltung ergab ein großes generelles Interesse an dem Thema, woraus sich künftig viele Aktionen ableiten lassen können. Auch in der Fragebogenerhebung erachteten 87 Befragte das Reparieren als lobenswert, da dadurch Wissen erhalten und weitergegeben wird.

4     ReparaturCafés im urbanen Raum und in der Degrowth-Debatte

Insgesamt sind ReparaturCafés bisher noch wenig beforscht und im Einzelfall werden die beschriebenen positiven Effekte von ReparaturCafés und deren Verknüpfung mit dem Degrowth-Gedanken im urbanen Raum nur schwer zu beziffern sein. Grundlegende Untersuchungen über Treiber und Hemmnisse von ReparaturCafés stehen ebenfalls noch aus. Somit lässt sich noch nicht einschätzen, welche direkten Effekte bspw. in Form der Vermeidung von Elektroschrott, anderen Konsummustern oder stärkerer Inanspruchnahme von Reparaturdienstleistungen, entstehen können. Interessant wäre auch die Frage nach indirekten Effekten bspw. inwieweit ReparaturCafés als Kristallisationspunkte für weitere nachhaltigkeitsbezogene Themen und Aktionen wirken können und, falls ja, wie sich das Handeln und Denken der Besucher durch die Erfahrungen mit und in einem ReparaturCafé verändern. Werden zukünftig mehr Gegenstände repariert, auch bei professionellen Dienstleistern? Wird anders konsumiert, bspw. hinsichtlich des Neukaufs leichter zu reparierender Gegenstände? Wird Teilen und Leihen auch in anderen Lebensbereichen ausprobiert oder intensiviert? Wenn es gelingen sollte, den Reparaturgedanken wieder in alltägliche Routinen einfließen zu lassen und ihm einen festen Platz im sozialen Gefüge zu geben (Lay/Westermayer 2014), könnten umfassendere Untersuchungen zu diesen Fragen durchgeführt werden.

In der Bildung von Alltags-Routinen lässt sich auch das wesentliche transformative Potenzial von ReparaturCafés vermuten. Besonders wichtig scheint somit die Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Lebensweise (auch über den Reparaturgedanken hinaus im Anschluss an weitere Themen der Degrowth-Debatte) zu sein, ebenso wie die Kommunikationsarbeit in die Bevölkerung hinein. Das ReparaturCafé Karlsruhe ist hierbei eingebettet in die ganzheitliche Kommunikationsstrategie des Quartiers Zukunft und hat diesbezüglich ein hohes Potenzial, in diesem Themenbereich wahrgenommen zu werden.

5     Fazit

Die Aufmerksamkeit, die ReparaturCafés erzeugen, macht diese attraktiv für den medialen Diskurs (Research & Degrowth 2010), was zu einer Verbreitung des Themas beiträgt und das Transformationspotenzial weiter erhöhen kann. In der Karlsruher Medienlandschaft gab es bisher rund 15 Beiträge in Print- und Onlinemedien sowie im Radio. Berichtet wurde sowohl über anstehende Termine als auch rückblickend über vergangene ReparaturCafés. Neben der medialen Aufmerksamkeit erhielt das Quartier Zukunft auch zahlreiche Anfragen und Interessensbekundungen aus der Bürgerschaft; einige wollen ebenfalls ein ReparaturCafé im eigenen Quartier organisieren.

Was man bisher belegen kann, ist, dass das ReparaturCafé in Karlsruhe die Besucher inspiriert und zu konkreten Reparaturerfolgen und damit längerer Lebensdauer von Gegenständen geführt hat. Besucher und Reparateure setzen sich mit Themen wie Ressourcenschonung direkt auseinander und erfahren, dass ihr Handeln „einen Unterschied“ machen kann. Das ist vermutlich mehr als Vorträge, Poster oder andere „passive Formate“ zu leisten vermögen.

ReparaturCafés gelten somit als Orte mit positiven externen Effekten im sozialen Bereich (Sekulova et al. 2013), indem dort (Handlungs-)Wissen zur Verfügung gestellt und dieses niederschwellig weitergegeben werden kann. Eine mögliche Anonymität in der Stadt kann sich verringern, indem Gemeinschaft und Kommunikation gefördert und erlebt werden. Viele kommen regelmäßig ins ReparaturCafé und nutzen den Raum neben der Reparatur auch zu sozialem Austausch. Es können auch Personen erreicht werden, die nicht per se an Nachhaltigkeitsthemen, sondern „nur“ an einer kostengünstigen Reparatur oder der Geselligkeit der Veranstaltung interessiert sind. Eine enge Vernetzung von Menschen, die sich für das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten interessieren, wird ermöglicht und somit ein geeignetes Klima geschaffen, um weitere, auch anders geartete Projekte und Aktionen ins Leben zu rufen. Durch die ehrenamtlichen Reparatur-Initiativen werden Wissen und Zeit aus dem Markt genommen, die amateur economy und sharing economy als nicht-monetäre Netzwerkaktivitäten gestärkt. Diese Aspekte deuten den Versuch an, die vorherrschende kapitalistischen Marktlogik zu überwinden, da sie nicht auf wirtschaftliches Wachstum abzielen (Carlsson 2015; Nørgård 2013); sie greifen hiermit die Wachstumskritik der Degrowth-Debatte auf. Die Möglichkeit, eigene Talente zu nutzen und zu tauschen, das eigene Wissen zu teilen, Zeit für die Gemeinschaft aufzuwenden ohne im konventionellen Sinne dafür bezahlt zu werden, indem man nur Teilzeit statt Vollzeit einer Erwerbsarbeit nachgeht, sind zentrale Gedanken in der Degrowth-Debatte (Paech 2015).

ReparaturCafés als Praxisform können dadurch und aufgrund ihrer zahlreichen Existenz, ihres Erfolgs und der zunehmenden Professionalisierung insgesamt als wertvoller und schon heute praktisch erfahrbarer Baustein der Degrowth-Praxis angesehen werden. Dennoch kann sich das Thema Degrowth in einem auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaftssystem nur langsam im urbanen Raum etablieren. Die kapitalistischen Märkte basieren auf langen Wertschöpfungsketten und oft ineffizienter Ressourcennutzung. Verbraucher haben wenig Spielraum, in diese Ketten einzugreifen und sie bewusst zu verändern. Produkte können in der Regel lediglich erworben werden, ohne dass Einfluss auf die Produktionsweise in Hinblick auf ökologische oder soziale Aspekte genommen werden kann. Im Gegensatz hierzu steht der Degrowth-Gedanke als prozesshafte, längerfristig angelegte Veränderung des Wirtschaftssystems mit lokalen Strukturen, eingebettet in den globalen Rahmen. Kreislaufprozesse stehen im Vordergrund (Haselbach/Vosse 2014). Mit ReparaturCafés als einem Transformationselement von vielen wird versucht, diese Veränderung in den Alltag und in allgemeine Denkmuster zu überführen sowie diese Praxisform in das tägliche Handeln zu integrieren.

Anmerkungen

[1] http://www.reparatur-initiativen.de und http://www.repaircafe.org

[2] Das Quartier Zukunft – Labor Stadt ist ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Es versteht sich als Plattform für eine Vielzahl konkreter Projekte, die Lösungsansätze für eine nachhaltigere Entwicklung über das gesamte Spektrum des städtischen Lebens hinweg bieten sollen. Ziel ist die Transformation der Karlsruher Oststadt in ein nachhaltigeres Stadtquartier. Im Folgenden wird das Projekt kurz als „Quartier Zukunft“ bezeichnet.

[3] Im Quartier sollen vielzählige und vielfältige Lösungsansätze bzw. potenzielle Beiträge zu einer Nachhaltigen Entwicklung angestoßen und entwickelt werden. Diese gilt es zusammenzudenken und -bringen, um so Wege zu einer nachhaltigeren Stadt zu testen.

[4] Zu nennen wäre hier die Lehrveranstaltung der Karlsruher Schule der Nachhaltigkeit am KIT: „Reparieren, Wiederverwenden, Selbst Machen: Projektseminar zum ReparaturCafé Karlsruhe“.

[5] „Praxisformen verstehen wir als ein über mehrere Projekte hinweg typisches Arrangement von Praktiken und damit Deutungsmustern, Fähigkeiten und Dingen.“ (Lay/Westermayer 2014, S. 2)

[6] Die Erhebungen durch Feedbackbogen und Fragebogen wurden in den ReparaturCafés in der Karlsruher Oststadt durchgeführt. Die im Folgenden genannten Ergebnisse beziehen sich somit nur auf diese ReparaturCafés exklusive die der Karlsruher Weststadt.

[7] http://www.foodsharing.de

Literatur

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Brake, K., 2011: „Reurbanisierung“-Globalisierung und neuartige Inwertsetzung städtischer Strukturen „europäischen“ Typs. In: Frey, O.; Koch, F. (Hg.): Die Zukunft der Europäischen Stadt. Stadtpolitik, Stadtplanung und Stadtgesellschaft im Wandel. s.l., S. 299–323

Carlsson, C., 2015: Nowtopians. In: D’Alisa, G.; Demaria, F.; Kallis, G. (Hg.): Degrowth. A Vocabulary for a New Era. New York, NY, S. 182–184

Charter, M., Keiller, S., 2014: Grassroots Innovation and the Circular Economy. A Global Survey of Repair Cafés and Hackerspaces

Demaria, F.; Schneider, F.; Calsamiglia, A. et al., 2011: Degrowth in Südeuropa: Komplementarität in der Vielfalt. In: Rätz, W.; Egan-Krieger, T. von; Muraca, B. et al. (Hg.): Ausgewachsen! Ökologische Gerechtigkeit. Soziale Rechte. Gutes Leben. Hamburg, S. 161–172

Haselbach, D., Vosse, C., 2014: Self-providing as a Motor for Degrowth. Group Assembly Process (GAP)

Heckl, W.M., 2013: Die Kultur der Reparatur. München

Kopfmüller, J., Brandl, V., Jörissen, J. et al., 2001: Nachhaltige Entwicklung integrativ betrachtet. Konstitutive Elemente, Regeln, Indikatoren. Berlin

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Lay, J., Westermayer, T., 2014: Tauschen, teilen, Erfahrungen sammeln. Das transformative Potential sozial-ökologischer Praxisformen. Konferenzbeitrag

Lietaert, M., 2010: Cohousing’s Relevance to Degrowth Theories. In: Journal of Cleaner Production 18/6 (2010), S. 576–580

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Paech, N., 2015: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München

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UN-Habitat – United Nations Programme for Human Settlements (Hg.), 2011: Cities and Climate Change. London

WBGU – Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, 2011: Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin

World Bank, 2010: Cities and Climate Change: An Urgent Agenda. Washington, DC

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