ITAS legt "Blütenträume" vor

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ITAS legt "Blütenträume" vor

von Knud Böhle, ITAS

Die Kommerzialisierung des Internet, die einhergeht mit der Entwicklung des Internet-Handels und der Entstehung von Zahlungssystemen für das Internet, bildete den Hintergrund für die vom BMBF in Auftrag gegebene Technikfolgenabschätzung zu elektronischen Zahlungssystemen für digitale Produkte und Dienstleistungen im Internet. Das Projekt wurde im Dezember 1998 abgeschlossen. Das Stichwort "Blütenträume" im Titel des Abschlußberichts ist weniger auf die Träume von Geldfälschern gemünzt, als vielmehr auf die vielerorts einkehrende Desillusionierung, daß unter der quirligen Oberfläche täglich wechselnder Neuheiten der Innovationsprozeß in der Breite nur langsam vorankommt und daß insbesondere der Traum vom "elektronischen Bargeld" als Zahlungsmittel im Internet auf unbestimmte Zeit noch ein Leitbild ohne Lobby bleiben wird.

Zum Projekt Elektronische Zahlungssysteme im Internet (PEZ)

In dem Projekt wurde eine problemorientierte Sachstandsanalyse erarbeitet, die den Bedarf an neuen elektronischen Zahlungssystemen anhand der Praxiserfordernisse des Internet-Handels bemißt und gleichzeitig die Interessen der Akteure (Handel, Verbraucher, Kreditwirtschaft, Technologiefirmen, Gesetzgeber) als treibende oder retardierende Kräfte sowie den Strukturwandel der Branchen in diesem Innovationsprozeß zu identifizieren suchte. Die wichtigsten Informationsquellen waren Expertengespräche mit mehr als 60 Personen und die (auch teilnehmende) Beobachtung des sich im Internet entwickelnden Geschäftsverkehrs.

Vom Gegenstand her untersuchte das Projekt insbesondere den Teil des Internet-Handels, der über den klassischen Versandhandel mit elektronischen Bestellwegen hinausgeht: digitale Produkte, Dienstleistungen und Anrechte (Eintrittskarten u.ä.). Bei der Untersuchung der Zahlungssysteminnovationen kam es dagegen darauf an, den Fokus nicht zu eng zu wählen. Deshalb wurde nicht nur das stark diskutierte Thema "elektronisches Geld" (Cybermoney, Cybercash etc.) aufgegriffen, sondern auch das Potential aller weiteren unbaren Zahlungsverfahren für den Zahlungsverkehr im Internet ausgelotet.

Hauptergebnisse in fünf Thesen

  1. Der Erfolg des Internet-Handels hängt nicht von neuartigen Zahlungssystemem ab

    In der Studie wird gegen die weit verbreitete Annahme argumentiert, der Erfolg des Internet-Handels hinge gegenwärtig von neuartigen elektronischen Zahlungssystemen ab. Insofern physische Güter über das Internet nur bestellt werden, taugen auch die altbekannten Verfahren, die im Versandhandel gebräuchlich sind, uneingeschränkt. Dazu kommt, daß im Zuge der technischen Modernisierung im Bankensektor die meisten herkömmlichen Bezahlverfahren (Überweisung, Lastschrift, Kreditkartenzahlung u.a.) bereits in das Internet "migrieren", d.h. im Internet direkt abgewickelt werden können. Vor allem Kreditkartenzahlungen - mit unterschiedlichen Sicherheitsniveaus allerdings - sind im Internet bereits gang und gäbe und ermöglichen auch grenzüberschreitende Zahlungen. Außerdem bieten viele Anbieter ihre Produkte und Dienste im Internet immer noch gratis an. Sie sind nicht auf eine direkte Bezahlung angewiesen und finanzieren sich z.B. durch Werbung oder setzen auf spätere Anschlußgeschäfte.

  2. Eine zunehmend bedeutendere "Zahlungssystemlücke" gibt es im klein- und kleinstpreisigen Bereich

    Bedarf an neuartigen, elektronischen Zahlungsverfahren entsteht vor allem im klein- und kleinstpreisigen Bereich. Zum einen ist es für viele kleinere Firmen und private Anbieter nicht möglich, an den elektronischen Zahlungssystemen der Kreditwirtschaft als Händler teilzunehmen (wegen Fixkosten, Gebühren, Vertragsbedingungen etc.). Zum anderen entstehen zunehmend automatisierte Dienstleistungen im Internet, die sich bei hohem Nutzungsaufkommen schon bei Einnahmen von Pfennigbruchteilen tragen würden. Im ersten Fall wären Zahlungsverfahren gefordert, die möglichst allgemein und gleichzeitig voraussetzungslos für jedermann wären, so daß auch spontane und sporadische Kaufakte im Internet stattfinden können. Im zweiten Fall wären Zahlungsverfahren gefordert, die auch kleinste Beträge noch so kostengünstig abrechnen, daß die Einnahmen des Anbieters nicht durch die Kosten des Zahlungssystems vollständig aufgezehrt werden.

  3. Elektronisches Geld kann (nur) ein Teil der Lösung sein

    Unter elektronischem Geld werden häufig Zahlungssysteme zusammengefaßt, die gegenüber den herkömmlichen unbaren Zahlungsverfahren geringere Transaktionskosten aufweisen und deshalb eher für Kleinbetragszahlungen in Frage kommen. Die Einführung dieser neuen Zahlungsverfahren hat schon am stationären "Point of Sale" mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen und ihre Einführung - ob softwarebasiert, chipkartenbasiert oder kombiniert - im Internet befindet sich erst oder noch immer im Stadium der Feldversuche. Diesen Zahlungssystemen kommt dennoch mittelfristig eine größere Bedeutung bei Zug-um-Zug-Geschäften im Internet zu - vor allem auch dann, wenn die Kunden Wert auf anonyme Zahlungen legen. Diese Zahlungssysteme werden dagegen nicht das Problem der "Micropayments" lösen und sie befriedigen auch nur partiell die Nachfrage nach "elektronischem Bargeld".

  4. Die Realisierung "elektronischen Bargelds" liegt noch in der Zukunft

    Gemessen an den Eigenschaften des Bargeldes (Zirkulationsfähigkeit, Diskriminierungsfreiheit, Geltungsbereich, Erfüllungswirkung u.a.m.) sind die als elektronisches Geld angebotenen Verfahren noch weit vom Leitbild "elektronischen Bargelds" entfernt. Das liegt zum einen daran, daß die tatsächlich im Internet anzutreffenden Formen elektronischen Geldes heute vorwiegend nur "Einmal- bzw. Einwegzahlungen" (Kunde → Händler → Bank) erlauben, folglich eine Zirkulation von Geld (wie beim Bargeld) nicht oder in nur sehr engen Grenzen vorkommt. Zum anderen fehlt dem heutigen elektronischen Geld der Infrastrukturcharakter des Bargelds. Die vorfindlichen Systeme sind nicht allgemein einsetzbar, ihre Zahlungseinheiten sind nicht zwischen den Systemen austauschbar und sie sind in ihrer Nutzung mit teilweise erheblichen Gebühren verbunden.

  5. "Elektronisches Bargeld" ist eine politische Forderung

    Die derzeitigen Regelungen reservieren den Banken das Monopol auf die Herausgabe von elektronischem Geld. Da die Interessen der Kreditwirtschaft aber nicht unbedingt mit dem Leitbild "elektronischen Bargelds" in Einklang zu bringen sind, wird es "elektronisches Bargeld" nur dann geben - die Lösung der Sicherheitsfragen vorausgesetzt -, wenn sich politisch wirksame Interessen daran knüpfen. Die Forderung der Verbraucherverbände, die Wahlfreiheit der Zahlungsmittel auch im Internet herzustellen, könnte "elektronisches Bargeld" mit einschließen. Ebenso könnte von der Politik aus ein Bedarf gesehen werden, auch im Internet ein allgemeines, vielleicht sogar gesetzliches Zahlungsmittel bereitzustellen. Dies bedeutet nicht automatisch, daß der Staat selbst die Herausgeberfunktion für "elektronisches Bargeld" zu übernehmen hätte. Aufgefordert ist die Politik jedoch in jedem Fall, die nötigen Rahmenbedingungen zu setzen.

Weitere Themen des Projekts

Ausführlicher werden in dem Bericht folgende Aspekte behandelt: der Platz des klassischen Versandhandels im Internet-Handel, der Handel mit digitalen Produkten, Dienstleistungen und Anrechten und die dabei auftretende Zahlungssystemlücke, die Bedeutung des Internet-Handels für lokale Märkte, relevante Zahlungssysteminnovationen in Deutschland, Lösungen für kleine und kleinste Beträge, Wirtschaftlichkeitsfragen, das Innovationsinteresse der Kreditwirtschaft, die Entwicklung der internet-fähigen Zahlungssysteme aus einer technikgenetischen Perspektive, der Zusammenhang von elektronischem Geld und Geldordnung, Definitionen elektronischen Geldes, die nicht-technischen Aspekte von Sicherheit und Anonymität, Risiken der Verbraucher beim Internet-Handel und offene Forschungsfragen. Das Schlußkapitel bietet unter der Überschrift "Zahlungssysteminnovationen: Ergebnisse und offene Forschungsfragen" ein Destillat der im Projekt erarbeiteten Einschätzungen und einen Aufriß noch zu bearbeitender Themen.

Anmerkung

Der Bericht von Knud Böhle und Ulrich Riehm: "Blütenträume" - Über Zahlungssysteminnovationen und Internet-Handel in Deutschland. Karlsruhe 1998 (FZKA 6161) kann bei den Autoren bestellt werden oder in elektronischer Form von den WWW-Seiten des Projektes heruntergeladen werden. Die Projektseite http://www.itas.fzk.de/deu/projekt/pez.htm enthält weitere Informationen über das Projekt, weitere Publikationen und Informationen zu dem projektbegleitend herausgegebenem elektronischen Newsletter EZI-N und der Mailingliste EZI-L, die auch jetzt noch aktiv ist und allen Interessierten offen steht.

Kontakt

Dipl.-Soz., M.A. Knud Böhle
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.:+49 721 608-22989
E-Mail: knud boehle∂kit edu