Konturen des Konzeptes einer innovationsorientierten Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung

Schwerpunktthema: Innovation

Konturen des Konzeptes einer innovationsorientierten Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung

von Stephan Bröchler und Georg Simonis, FernUniversität Hagen

Ein zentrales Problem der Technikfolgenabschätzung und -bewertung (TA) resultiert heute daraus, daß die konzeptionelle Orientierung der TA mit der hohen Differenzierung und der Entwicklungsdynamik im Bereich der Technikentwicklung und -bewertung nicht mehr Schritt hält. Das traditionelle Modell der TA ist die Antwort auf eine Frage, die man sich vor 25 Jahren stellte: Wie lassen sich rationale technikpolitische Entscheidungen treffen? Heute müssen aufgrund neuer Herausforderungen neue Antworten gesucht werden. Dies ist um so dringlicher, weil zunehmend offensichtlich wird, daß es nicht mehr ausreicht, allein auf die Problemlösungsfähigkeit des traditionellen TA-Konzeptes zu setzen. Zwar weist das traditionelle TA-Konzept beachtliche Leistungen auf, aber die Defizite können nicht übersehen werden. Das auf einer hierarchischen Staatskonzeption basierte alte Modell der TA gilt es in Richtung auf die partizipative Gestaltung und Kontextualisierung des Innovationsgeschehens zu erweitern. Der Arbeitskreis "Technikfolgenabschätzung und -bewertung" des Landes Nordrhein-Westfalen (AKTAB) hat sich zum Ziel gesetzt, zur Entwicklung eines solchen TA-Konzepts beizutragen.* Der folgende Aufsatz aus dem AKTAB Verbundprojekt "Innovationsorientierte Technikfolgenabschätzung und -gestaltung in NRW (VITA)" stellt die Konturen eines stärker gesellschaftszentrierten Konzepts der TA vor.

1. Die Krise des traditionellen TA-Konzepts

Das Konzept der TA wurde zwischen 1967 und 1972 in den USA entwickelt. Weitgehend unverändert prägt es bis heute die normativen Grundlagen und die Praxis der Technikfolgenabschätzung und -bewertung. Seine bekannteste Institutionalisierung fand das politikzentrierte TA-Konzept im "Office of Technology Assessment" (OTA). Mit der Schaffung einer eigenen TA-Beratungseinrichtung beim US-Kongreß waren von Beginn an hohe politische Erwartungen verbunden (Gibbons/Gwin 1986, S. 241ff.), wie die

Die wichtigsten technologiepolitischen Ziele dieses aus heutiger Sicht traditionellen TA Konzepts waren bzw. sind noch immer: 

Diese TA-Ziele sollen durch ein Umsetzungskonzept realisiert werden, das folgende Charakteristika aufweist: 

Die Umsetzungsstrategie der traditionellen TA beruht vor allem auf drei Annahmen: 

Die bisherigen Erfahrungen zeigen sowohl die Schwächen als auch die Stärken des traditionellen TA-Konzepts. Erstere kommen darin zum Ausdruck, daß es bisher nicht gelang, die vielfältigen Ziele einer TA-Untersuchung gleichzeitig einzulösen. Es zeigte sich, daß der Zielkranz des traditionellen TA-Konzepts zu heterogen und zu ambitioniert formuliert ist, wenn TA nicht nur Frühwarnfunktionen wahrnehmen, sondern auch partizipativ angelegt sein soll und darüber hinaus noch Handlungsoptionen aufzeigen und überprüfen soll. Vor allem aber sind grundlegende Annahmen des traditionellen TA-Konzepts inzwischen gesellschaftlich und politisch überholt: 

Trotz dieser kritischen Befunde wäre es voreilig, das traditionelle TA-Modell zu verwerfen. Es kann gerade auch im Hinblick auf die notwendige Debatte über die Weiterentwicklung der TA auf wichtige Leistungen verweisen. Besonders wichtige Erfolge liegen in der Institutionalisierung von TA, der Bereitstellung von TA-Referenzstudien und im Bereich der demokratischen Meinungs- und Willensbildung.

Institutionalisierung bei den Parlamenten: Im Jahre 1972 machte das "Office of Technology Assessment" (OTA) in den USA den Anfang der Institutionalisierung von TA bei den Parlamenten, dem in den achtziger Jahren Gründungen in Frankreich, der EG, den Niederlanden, Dänemark, Großbritannien, Österreich und (nach langer zäher Debatte im Bundestag) 1989 in Deutschland folgten. In den neunziger Jahren sind weitere Einrichtungen dazugekommen (z.B. in der Schweiz) und einige der TA-Institutionen haben Namens- und Organisationsreformen erfahren. In der Zwischenzeit wurde das OTA geschlossen (Ende 1995), und der Landtagsausschuß "Mensch und Technik" in Nordrhein-Westfalen mußte seine Arbeit einstellen (zu NRW siehe: Bröchler 1997). Dagegen hat sich das "Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag" (TAB) erfolgreich behauptet. Die Auflösung der TA-Einrichtungen in den USA und in Nordrhein-Westfalen macht jedoch deutlich, daß TA auch in institutionalisierter Form kein Selbstläufer ist.

Bereitstellung von TA-Referenzstudien: Die seit Gründung des TAB ansehnliche Zahl von TA-Studien hat das interdisziplinäre Wissen über Technik und über die Folgen von Technik beträchtlich vermehrt. Sie umfassen ein breites Spektrum und stellen besonders für die parlamentarische Arbeit Wissen in einer Vielzahl von Analysen über die Chancen und Risiken neuer Techniken zur Verfügung. Dieses Wissen kann zukünftig für den Bedarf des Parlaments genutzt werden, indem vorliegende TA-Studien als wichtige Referenzstudien dienen, auf denen weitere TA-Projekte aufbauen können.

Demokratische Meinungs- und Willensbildung: Die Veröffentlichung von TA-Studien stellt eine wichtige Voraussetzung zur Förderung der demokratischen Willens- und Meinungsbildung über Technikfolgen in der Gesellschaft dar. Damit wird häufig erst die Grundlage geschaffen, über die Folgen von Technik aufzuklären und den Diskurs über die Chancen und Risiken neuer Techniken im Parlament und in Parteien, Bürgerinitiativen etc. zu versachlichen.

Aufgrund seiner Leistungen stellt das traditionelle TA-Konzept einen unverzichtbaren Ansatz der Technikfolgenabschätzung und -bewertung dar. Auch können einige der festgestellten Defizite im Rahmen des traditionellen TA-Konzepts ausgeglichen werden, wie z.B. das überholte Verständnis von den Spielräumen staatlicher Techniksteuerung oder die naive Vorstellung von Politikberatung, wie sie das OTA-Konzept formulierte (Petermann 1992). Das traditionelle Konzept ist aufgrund seiner Orientierung auf den Staat jedoch nicht in der Lage, die Umsetzung neuer technischer Ideen und Verfahren, wie sie (im Regelfall) in den Unternehmen stattfindet, zu steuern. Ebenfalls überfordert ist dieses Konzept auch mit der Organisation eines gesellschaftlichen Technikdiskurses. Hier bedarf es ergänzend der Entwicklung geeigneter Konzepte der Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung.

2. Neue Herausforderungen an TA

TA verfolgt die übergreifende Aufgabenstellung, Hilfen zum akzeptablen Umgang mit Risiken und Unsicherheiten von Techniken zu geben. TA ist kein Selbstzweck und muß konzeptionell auf veränderte Anforderungen der Umwelt antworten. Im Unterschied zu den frühen siebziger Jahren stellen sich heute eine Reihe neuer Herausforderungen, die damals, als das traditionelle Konzept der TA formuliert wurde, noch nicht ausreichend erkennbar waren: 

Die bereits eingetretenen Schädigungen wie auch die zukünftig zu erwartenden Folgen ökologischer Krisen(Treibhauseffekt, Wasser- und Luftverschmutzung, Verkehr, Stofflawinen etc.) zeigen, daß das bestehende industrielle Fortschrittsmodell für die Menschheit keine (akzeptable) Zukunft bietet (Kreibich/Steinmüller 1997). TA ist herausgefordert, sich auf die Forderungen nach dauerhaft-nachhaltiger Entwicklung (Ludwig 1997; Brundtland-Bericht 1987) und nach einem qualitativ veränderten Umgang mit Ressourcen zu beziehen (Weizsäcker/Lovins/Lovins 1996): 

Die intensivierte Globalisierung führt zu erheblich verkürzten Lebenszyklen für Produkte und Verfahren: "Während sich in der Vergangenheit der Reifeprozeß neuer Technik noch über Jahrzehnte erstreckte, ist heute der Zeitraum von der wissenschaftsbasierten Innovation über die anwendungsgetriebene Markterweiterung hin zur kostengetriebenen Prozeßoptimierung bei großvolumigen Standardprodukten auf wenige Jahre geschrumpft. Heutige High-Tech-Produkte und Verfahren werden in wenigen Jahren breit verfügbare "commodities und Standardtechnologien sein" (Fürstenwerth 1996, S. 227). Angesichts dieser Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts ergibt sich für TA die Gefahr, der Technikentwicklung hinterherzuhinken. TA ist aufgefordert, sich mit diesem Problem in konzeptioneller und methodischer Hinsicht verstärkt auseinanderzusetzen.

Die Beschleunigung des Innovationsgeschehens erfordert von den Unternehmen und vom Staat erhöhte Investitionssicherheit. Aus unternehmerischer Sicht resultiert der gestiegene Bedarf nach Investitionssicherheit aus weiter steigenden Kosten für Forschung und Entwicklung (FuE). So haben die vier forschungsintensivsten Branchen in Deutschland (Elektrotechnik, Automobilbau, Chemie und Maschinenbau) in den Jahren 1973 bis 1995 zusammen mehr als 6000 Mrd. DM in Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten investiert (Fürstenwerth 1996, S. 223). In der nächsten Zukunft treibt die Entwicklung des qualitativen Zusammenwachsens neuer Technologien (z.B. Mechatronik, Optoelektronik) die Kostenentwicklung weiter an (Grupp 1995). Diese "Zukunftstechnologien des 21. Jahrhunderts" erfordern hohe Investitionskosten, die Zunahme interdisziplinärer und transdisziplinärer Felder, eine steigende Bedeutung der Grundlagenforschung sowie die Notwendigkeit der Vernetzung zwischen Technikproduzenten und Technikanwendern. Diese Entwicklungen führen - gerade angesichts hoher Flexibilität - zur Verlängerung der Planungszeiträume und somit zum Bedürfnis erhöhter Investitionssicherheit der Unternehmen. Darüber hinaus drohen Investitionen in FuE zu versickern, weil der Transfer bereits verfügbarer Technologien in marktfähige Produkte, Verfahren und Dienstleistungen häufig nicht gelingt. Auch der Staat hat ein Interesse an Investitionssicherheit, wenn es um den Umgang mit neuartigen Folgen geht, die neue Techniken hervorrufen können. TA ist herausgefordert, einen Beitrag zur unternehmerischen und gesellschaftspolitischen Investitionssicherheit zu leisten, indem sie sozial- und umweltverträgliche akzeptable Handlungskorridore für Technikanwendungen unter Hinweis auf mögliche Chancen und Risiken, auf Unsicherheiten und Kosten aufzeigt, um Marktchancen zu erkennen und Fehlinvestitionen zu vermeiden.

In den letzten Jahren vollzieht sich in Unternehmen ein Bewußtseinswandel in ihrem Verhältnis zur gesellschaftlichen Umwelt. Ausgelöst durch Katastrophen (z.B. Chemie-"Störfälle") einerseits und neue ökologische Anforderungen (nachhaltige Entwicklung) andererseits, entdecken Unternehmen, daß neben dem Markt und dem Preismechanismus zunehmend die soziale und ökologische Umwelt zu Lenkungsmechanismen der Wirtschaft werden (Dyllick 1989, S. 205). Das Umgreifen dieser Erkenntnis führt sowohl zu neuen Managementansätzen (Dyllick 1992 und 1994; Hopfmann/Winter 1997) als auch zu neuen unternehmenspolitischen Formen des Dialogs mit der Öffentlichkeit (z.B. bei Hoechst, Nestlé, Eternit, Von Roll) und zu Selbstverpflichtungen (z.B. die gemeinsame Erklärung von führenden deutschen Unternehmen und dem BUND) sowie zu Zusammenschlüssen ökologisch aufgeschlossener Unternehmen wie B.A.U.M., A.U.G.E. oder die "Unternehmerinitiative Umwelt". Eine wichtige Aufgabe für TA besteht darin, den Unternehmen Hilfestellungen für die neuen Aufgaben zu geben (Tacke 1997). Wichtige Ansatzpunkte für diese Unterstützung liegen in der Beratung und der Moderation kommunikativer Verfahren.

In Bereichen besonders kontrovers geführter Technikauseinandersetzungen lassen sich neue Ansätze der gesellschaftlichen Konfliktregulierung im Umgang mit technischen Risiken und Unsicherheiten feststellen. Obwohl heute vielfach noch immer versucht wird, technologiepolitische Entscheidungen durch Einsatz von Macht oder staatlicher Gewalt durchzusetzen (z.B. Transrapid, Castor-Transporte), gibt es auch Beispiele für eine alternative Form des Umgangs mit technischen Risiken und Unsicherheiten, z.B. im Bereich der Bio- und Gentechnik, aber auch bei Standortkonflikten für die Abfallbehandlung in Deponien. Hier wurden in den letzten Jahren diskursive Verfahren zur Konfliktregulierung durchgeführt. Es zeigt sich jedoch, daß die neuen Verfahren nicht per se eine höhere Problemlösungsfähigkeit besitzen, wie manche gehofft haben. Probleme ergeben sich z.B. durch die unterschiedliche Verteilung von Macht, Information und Professionalität der Akteure der Konfliktgruppen und der Gefahr, daß kommunikative Verfahren in folgenlose Akzeptanzbeschaffung und Public Relation entgleisen. Eine Gefahr besteht darüber hinaus darin, die Erfolgsaussichten unrealistisch hoch einzuschätzen. So hat sich gezeigt, daß kommunikative Verfahren nicht in der Lage sind, fundamentale Technikkonflikte zu lösen. Die Chancen für innovationsorientierte TA bestehen vielmehr darin, bei Bedarf kommunikative Verfahren organisieren zu helfen, (Forschungs-)Wissen einzubringen, Ungleichgewichte der Ausgangsbedingungen transparent zu machen und (soweit wie möglich) abzubauen, sowie in der aktiven Moderation dieser sozialen Experimente (Simonis 1997, S. 445).

Ein neues Verständnis des Technisierungsprozesses verweist nachdrücklich auf den Einfluß der sozialen Einbettung von Technik in die Gesellschaft für den Erfolg von Innovationen. Früher wurde die Technisierung häufig als technisch-wissenschaftlich determiniert aufgefaßt. Heute setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, daß die Technikentwicklung nicht nur durch technische, sondern vor allem auch durch nicht-technische, d.h. soziale Faktoren, wie Ökonomie, Kultur, Politik etc. mitbestimmt wird (Mayntz 1991; Braczyk 1997; Simonis 1997). Je nachdem wie eine Technik in die jeweilige Gesellschaft eingebettet bzw. kontextualisiert ist, kann sich eine ganz unterschiedliche Nutzung und Akzeptanz von ein und derselben Technik ergeben (Lutz 1991, S. 70). TA ist gefordert, gerade die nicht-technischen Faktoren im Prozeß der Technikgestaltung zur Geltung zu bringen.

Die skizzierten Entwicklungen stellen große Anforderungen an die Problemlösungsfähigkeit der TA. Technikfolgenabschätzung und -bewertung kann die neuen Aufgaben jedoch nur auf der Basis eines problemadäquaten Konzepts für den Umgang mit Risiken und Unsicherheiten angehen.

3. Perspektivenerweiterung der TA

Die Krise des traditionellen TA-Konzepts und neue Herausforderungen führen zu einem Wandel im Verständnis und in der Praxis der Technikfolgenabschätzung und -bewertung (Ropohl 1994). Allein für Deutschland können heute 270 Institutionen mit TA-Kapazitäten identifiziert werden. Neben TA sind weitere Ansätze der Technikforschung getreten. Verwiesen sei hier auf die Technikgenese-, die Diffusions- und die Folgenforschung. Daneben haben sich alternative Ansätze der Technikbewertung und -gestaltung wie Akzeptanz- und Akzeptabilitätsforschung, das Konzept der sozialen Beherrschbarkeit und der Ansatz der sozialverträglichen Technikgestaltung etabliert. Öko-Bilanzen, Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) oder Öko-Audits sind heute gängige Verfahren und Methoden zur Bewertung und Gestaltung ökologisch-technischer Entwicklungen. Diese Perspektivenerweiterung ist für Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen bedeutsam (Bröchler 1995). An dieser Stelle soll kurz auf zentrale Aspekte des Wandels hingewiesen werden:

Selbstverständnis: Der Anspruch der TA entwickelt sich von einem Beratungsinstrument für die Techniksteuerung der Legislative zu einem Instrument der Gestaltung von Innovationen (Krohn/Simonis/Weyer 1995). Dies hat zur Folge, daß TA nicht auf die Förderung der Meinungs- und Willensbildung begrenzt bleiben darf, sondern zu einem Instrument der unmittelbaren Technikgestaltung entwickelt werden muß.

Gestaltungsanspruch: Der Steuerungsoptimismus der sechziger und siebziger Jahre und seiner Utopie, die gesellschaftliche und technische Entwicklung quasi am "Reißbrett" durch die Politik planen zu können, ist heute der Erkenntnis gewichen, daß sich gesellschaftliche Steuerung zwischen repräsentativen Akteuren der Funktionssysteme Staat, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbände und Gesellschaft in Netzwerken vollzieht (Münch 1995). Der Aufbau eines neuen institutionellen Gefüges z.B. in Form von Innovationsnetzwerken ist zu fördern, um Handlungskorridore identifizieren zu helfen und um Blockaden zu vermeiden.

Akteure: Die Fixierung auf Legislative und Exekutive als Auftraggeber und Akteure wird zunehmend zugunsten der Erkenntnis aufgegeben, daß der Wirtschaft und den normsetzenden Verbänden eine maßgebliche Rolle im Bereich der sozialen und ökologischen Technikgestaltung zukommt (VDI 1991). Darüber hinaus wird in den letzten Jahren zunehmend gefordert, auch andere gesellschaftliche Gruppen, wie Bürgerinitiativen oder Techniknutzer, durch partizipative Verfahren einzubeziehen. Hieraus folgt als Konsequenz, daß besonders die Wirtschaft aufgerufen ist, sich engagierter an TA-Aktivitäten zu beteiligen, als dies heute noch der Fall ist.

Institutionalisierung: Die langwierigen und zähen Diskussionen um eine politische Institutionalisierung der TA in der Bundesrepublik Deutschland führten nicht nur zu Institutionalisierungen im Landtag von Nordrhein-Westfalen und dem Deutschen Bundestag (TAB), sondern auch zu Institutionalisierungen außerhalb des politischen Systems wie z.B. der "Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg" oder zur Gründung der "Europäischen Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH". Es gilt, die unterschiedlichen Aktivitäten der TA-Organisationen besser zu vernetzen und durch Kooperationen Synergieeffekte zu fördern.

Die Perspektivenerweiterung zeigt, daß TA vor eine Vielzahl neuer Herausforderungen gestellt ist. Im Unterschied zu den frühen siebziger Jahren erscheint es jedoch nicht mehr sinnvoll, nach einem neuen "Idealkonzept" der TA zu suchen. Dagegen spricht die hohe Entwicklungsdynamik und Ausdifferenzierung im Bereich der Technikentwicklung und -bewertung. Die Neuorientierung der TA hat die Aufgabe, der Entwicklung der Perspektivenerweiterung eine Richtung zu geben. Im folgenden sollen Überlegungen für ein TA-Konzept vorgestellt werden, das nicht beansprucht, ein "Königsweg" zu sein. Mit dem Konzept der innovationsorientierten TA wollen wir an einem Punkt ansetzen, dem das traditionelle TA-Konzept aufgrund seiner konzeptionellen Orientierung zu wenig Gewicht beigemessen hat: der unmittelbaren Gestaltung des Innovationsgeschehens.

4. Überlegungen zu ersten Ansätzen eines Konzepts innovationsorientierter TA (ITA)

Das Konzept der innovationsorientierten Technikfolgenabschätzung und -gestaltung (ITA) knüpft an die Kontextualisierungsdebatte der sozialwissenschaftlichen Technikforschung (Hack/Fleischmann u.a. 1991, Bonß / Hohlfeld / Kollek 1993, Saretzki 1995) an. Dieses Konzept geht - stark verkürzt - davon aus, daß Technik erst im Verlauf ihrer gesellschaftlichen Nutzung und Diffusion entsteht, als ein Aneignungsprozeß, in dem Menschen das technische Wissen anwenden und nutzen. Gestaltungsoptionen für neue Technologien ergeben sich besonders dann, wenn sich Techniken erst am Beginn dieses Prozesses befinden und noch Einfluß auf den gesellschaftlichen Aneignungsprozeß genommen werden kann (Simonis 1997). Das ITA-Konzept greift diesen Ansatz auf und betont die zentrale Funktion von sozialen und institutionellen Faktoren für die Gestaltung des Innovationsgeschehens. Zugleich wendet sich ITA gegen ein verkürztes Innovationsverständnis, daß das Innovationsgeschehen auf die einzelwirtschaftliche Perspektive der Erzeugung von Innovationen verengt. Die populäre Forderung, es reiche für die Lösung der Innovationsprobleme aus, nur recht schnell die Umsetzung neuer Technikanwendungen in marktfähige Produkte zu betreiben, droht in eine Innovationsblockade umzuschlagen, wenn nicht die soziale Dimension der Einbettung neuer Techniken in die Gesellschaft hinreichend berücksichtigt wird. Denn nicht technische Eigendynamiken oder Sachzwänge, sondern soziale Prozesse sind für den Erfolg von Technikanwendungen bestimmend.

Für das Verständnis des konzeptionellen Ansatzes von ITA ist es sinnvoll, normative Ansprüche und Aufgaben zu benennen sowie auf erforderliche Neuorientierungen hinzuweisen.

Das ITA-Konzept stellt folgende normative Prämissen auf:

Die Aufgaben innovationsorientierter TA liegen besonders auf folgenden Ebenen: der Vernetzung bestehender TA-Akteure, dem Aufbau von Netzwerken zur Gestaltung sozialer Innovationen, der Organisation von kommunikativen Verfahren zur Verständigung und der Erarbeitung neuer (Forschungs-) Erkenntnisse. 

Um die dargestellten Aufgaben erfüllen zu können, bedarf es einer, im Unterschied zur traditionellen TA, erneuerten Umsetzungsstrategie: 

Fazit:

Die Auseinandersetzung mit dem derzeit prägenden, staatszentrierten TA-Konzept hat gezeigt, daß die traditionelle TA-Konzeption nicht in der Lage ist, ihre zentralen Ziele zu erreichen. Darüber hinaus erfordern neue Herausforderungen und ein breiter Perspektivenwechsel im Bereich der TA neue Konzepte der Technikbewertung. Das Konzept der innovationsorientierten Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung (ITA) greift einen Aspekt auf, dem das traditionelle TA-Konzept zu wenig Gewicht beigemessen hat: die unmittelbare Gestaltung des Innovationsgeschehens. Mit dieser Orientierung will das ITA-Konzept nicht die traditionelle TA ersetzen, sondern vielmehr sinnvoll ergänzen. Die hier skizzierten Konturen des ITA-Konzepts stellen noch erste Überlegungen dar, die im Rahmen eines Diskussions- und Erprobungsprozesses ergänzt und vertieft werden müssen. Die zukünftige Entwicklung des Konzepts bedarf neben der theoretischen Absicherung der Erprobung in der Praxis. Besonders attraktiv scheint hier die Anschlußfähigkeit des ITA-Konzepts an bereits entwickelte Ansätze der qualitativen Technikgestaltung, wie sie im Rahmen der Programme "Humanisierung der Arbeit", "Mensch und Technik - Sozialverträgliche Technikgestaltung" und des schwedischen LOM-Programms ("Management, Organisation, Mitbestimmung") erarbeitet wurden. Auch sind neue Ansätze im methodischen Bereich erforderlich, um die Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung systematisch mit der Entwicklung und Durchsetzung sozio-technischer Innovationen zu verbinden. 
* Siehe dazu auch den Beitrag von Robert Tschiedel: "Neun Thesen zu einem neuen Leitbild: Innovationsorientierte Technikfolgenabschätzung und Technikgestaltung", in: Vita-Newsletter 1/97.

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Kontakt

Dr. Stephan Bröchler
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