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GROUP OF HIGH LEVEL PRIVATE SECTOR EXPERTS ON ELECTRONIC COMMERCE (Sacher Group): Electronic Commerce. Opportunities and Challenges for Government. Paris: OECD, 1997.
GROUP OF HIGH-LEVEL PRIVATE SECTOR EXPERTS ON ELECTRONIC COMMERCE (Sacher-Group): Electronic Commerce. Opportunities and Challenges for Government. Paris: OECD 1997
Rezension von Ulrich Riehm, ITAS
Der vorliegende Bericht wurde erarbeitet von einer Gruppe von 19 Experten aus privaten Unternehmen unterschiedlicher Branchen, der sogenannten "Sacher-Group", die nach ihrem Leiter, John Sacher, Executive Director von Marks and Spencer, England, benannt wurde. Unterstützung erhielt diese Gruppe vom in technologiepolitischen Fragen renommierten Science Policy Research Institute (SPRU), University of Sussex, England, und der Keio Universität in Japan. Die Stellungnahme integriert die Erfahrungen und Ansichten von ca. 100 Unternehmen weltweit, die im Laufe der Arbeit der Gruppe kontaktiert und interviewt wurden, ohne daß der Bericht eine formelle Auswertung dieser Interviews enthalten würde. Der Bericht ist so weder ein wissenschaftlicher Forschungsbericht noch ein offizielles Dokument der OECD, sondern eine industriepolitische Stellungnahme, die sich durch ein abgewogenes, differenziertes und praxisorientiertes Urteil bezüglich der Chancen und Risiken des elektronischen Handels auszeichnet und konkrete Handlungsempfehlungen an die Politik enthält.
Im ersten Kapitel "Defining Electronic Commerce and Assessing its Potential" geht es um grundsätzliche Abgrenzungen und Definitionen. Im zweiten Kapitel "The Mechanics of Electronic Commerce" werden die ökonomische, die technische und die organisatorische Dimension des elektronischen Handels diskutiert. Im dritten Kapitel "Issues and Opportunities in the Implementation of Electronic Commerce" werden eine Fülle von Problemen genannt, die die Entwicklung des elektronischen Handels behindern könnten.
Diskutiert wird das Problem, daß gerade im internationalen Handel mit immateriellen Gütern Probleme in der Überprüfung der Gültigkeit und Verläßlichkeit von Produktbeschreibungen und Garantieregelungen, sowie in der Zuverlässigkeit der Auslieferung bestehen. Notwendig sei deshalb die Dokumentation und Nachvollziehbarkeit des gesamten Ablaufs des elektronischen Handels - vom ersten Austausch von Informationen bis zur Bezahlung und Auslieferung. Aber ohne Vertrauen der Geschäftspartner könne auch der elektronische Handel nicht funktionieren, Vertrauen, das durch Transparenz, Legitimität und einen fairen Interessenausgleich in Konfliktfällen erreicht werden müsse.
Generell wird die These problematisiert, daß die Eintrittsschwelle für den elektronischen Handel niedrig sei und deshalb für kleine und neue Firmen eine besondere Chance darstellen würde. Relativiert wird auch die Vorstellung, daß sich im elektronischen Milieu eine reine Preiskonkurrenz durchsetzen würde. Wichtiger als der Preis können auch im elektronischen Handel die guten Erfahrungen mit einem Lieferanten inklusive der technologischen Kompatibilität des Händler- und des Kundensystems sein. Nicht ausgeschlossen werden auch wirtschaftliche Auseinandersetzungen bis hin zu Boykottmaßnahmen zwischen Handelsunternehmen, Zwischenhändlern und (neuen) Direktvertriebsunternehmen, wenn herkömmliche Handelsbeziehungen massiv in Frage gestellt würden.
Zu den sich entwickelnden elektronischen Zahlungssystemen im Internet wird bemerkt, daß dafür nicht nur durch koordinierte Maßnahmen der öffentlichen und privaten Finanzinstitutionen Sicherheit und Vertrauen hergestellt werden müßte, sondern insgesamt eine Fülle ökonomischer und rechtlicher Probleme zu klären seien - um nur ein Beispiel zu nennen, eine Abschätzung der Transaktionskosten der unterschiedlichen Systeme.
Es wird keine generelle Steuerbefreiung für den elektronischen Handel gefordert. Viel wichtiger seien praktikable, diskriminierungsfreie und transparente Steuerregelungen.
Zu den Sicherheitsproblemen in offenen Netzwerken wird festgestellt, daß es eine absolute Sicherheit nicht geben könne. Es komme vielmehr darauf an, die Einsicht zu verbreiten, daß es unterschiedliche Sicherheitslevel geben müsse, je nach der Bedeutung der zu sichernden Vorgänge. Wichtig ist auch der Hinweis, daß man Sicherheit nicht auf technische und kryptographische Fragen beschränken dürfe, sondern Organisationsfragen mindestens genauso wichtig seien.
Im Bereich der Infrastruktur wird als unmittelbares Ziel die Schaffung eines leistungsfähigen, internationalen Internet-Backbone gefordert, das ausreichende Bandbreite, Zuverlässigkeit und Zugänglichkeit für die Anforderungen des elektronischen Handels gewährleistet.
Im Bereich internationaler Standards spiele der ISO-Standard EDI (Electronic Data Interchange) eine wichtige Rolle; allerdings wird die Praxistauglichkeit dieses Standards immer noch als relativ gering angesehen. Nicht alle Anwendungsbereiche seien in gleicher Weise für Standardisierungsmaßnahmen geeignet.
Es wird davon ausgegangen, daß der elektronische Handel auch das sozio-kulturelle Leben insgesamt verändere. Über die Art und Weise dieses Anpassungsdrucks wisse man allerdings noch sehr wenig, auch nicht darüber, inwieweit das gesellschaftliche Gleichgewicht dadurch negativ beeinflußt werde. Es wird deshalb dringend ein international ausgerichtetes "Monitoring" des sozio-kulturellen Wandels gefordert, der durch den elektronischen Handel und ähnliche Entwicklungen ausgelöst werde.
Im vierten Kapitel "The Role of Government in Electronic Commerce" wird auf die Bedeutung des öffentlichen Sektors als Abnehmer von Produkten und Dienstleistungen aufmerksam gemacht, der eine Vorreiterrolle in der elektronischen Verwaltung und im elektronischen Handel einnehmen sollte. Das abschließende fünfte Kapitel "Conclusions" fordert einen breiten Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen, den Konsumenten (und Bürgern) und den Regierungen. Der Abbau von Barrieren und ein offener und gleichberechtigter Zugang zum "Netzwerk" des elektronischen Handels sei ein Schlüssel für die Wettbewerbsfähigkeit.
Dieser OECD-Bericht scheint mir aus fünf Gründen Beachtung zu verdienen. Erstens wird ein differenziertes und konkretes Bild der Möglichkeiten und Grenzen des elektronischen Handels gezeichnet, das in vielen Aspekten einer einseitig euphorischen Betrachtung, wie sie teilweise in Wissenschaft und Politik zu finden ist, entgegentritt. Zweitens wird eine einseitige technikorientierte Behandlung des Themas als unzulänglich gekennzeichnet. Organisatorische, wirtschaftliche, rechtliche und sozio-kulturelle Faktoren sind in gleicher Weise zu berücksichtigen. Drittens ist bemerkenswert, wie aus Unternehmenskreisen eine umfassende und koordinierte Infrastrukturpolitik, konkret eine "Internet-Politik", gefordert wird, um den Defiziten des Internets für die Erfordernisse des elektronischen Handels zu begegnen. Viertens werden die Regierungen und staatlichen Instanzen in die Pflicht genommen. Einerseits sollen sie die notwendigen Rahmenbedingungen für die Entwicklung des elektronischen Handels schaffen, da viele bestehende Regelungen unzureichend sind und offensichtlich eine Selbstregulierung als nicht ausreichend angesehen wird. Dabei wird nicht verschwiegen, daß sich alle diese Anstrengungen von vornherein auf schwierige internationale Regulierungen beziehen müßten. Andererseits wird gefordert, daß die Regierungen in den von ihnen direkt beeinflußbaren Bereichen als Innovatoren und Promotoren der elektronischen Verwaltung und des elektronischen Handels vorangehen sollten. Fünftens werden Forschungsdefizite festgestellt und ein internationales Monitoring gefordert, denn die Unvermeidlichkeit des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels sei zwar unstrittig, aber sein konkreter Verlauf und seine Folgen noch wenig verstanden und abschätzbar.
Download der Berichte möglich über
http://www.oecd.org/dsti/pubs/sacher.htm
Informationen zu den Aktivitäten der OECD zum elektronischen Handel unter
http://www.oecd.org/subject/electronic_commerce/documents/emergence.htm