GERHARD BANSE, GOTTHARD BECHMANN: Interdisziplinäre Risikoforschung. Eine Bibliographie. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH, 1998.

Neues aus ITAS

GERHARD BANSE, GOTTHARD BECHMANN: Interdisziplinäre Risikoforschung. Eine Bibliographie. Opladen/Wiesbaden: Westdeutscher Verlag GmbH, 1998. 413 S. ISBN 3-531-12644-X

Eine Einführung in den Band von G. Banse, Brandenburgische Technische Universität Cottbus, und G. Bechmann, ITAS *

Außer der zunehmenden strukturbedingten Arbeitslosigkeit in den führenden Industriestaaten hat wohl kein anderes Thema die öffentliche Diskussion so erhitzt und zu grundsätzlichen Kontroversen geführt, wie die Folgen, Gefahren und Risiken der wissenschaftlich-technischen Entwicklung. Die Krise der überkommenen Organisation und Verteilung der Arbeit sowie die gesundheitlichen, ökologischen und politischen Risiken der dynamischen Entwicklung von Wissenschaft und Technik scheinen nur die zwei Seiten eines Prozesses zu sein, der zu einer Selbstgefährdung der Gesellschaft durch ihre eigenen Strukturen führt.

Folgen der technisch-industriellen Produktion sind allgegenwärtig. Sie treffen nicht nur den einzelnen in seiner täglichen Lebensführung, sondern beschäftigen auch organisierte Systeme wie Politik, Wirtschaft und Bildung - jedoch schon seit mehr als hundert Jahren. Neu ist an der Kontroverse, daß dies in Form der Risikothematisierung geschieht. Risikokommunikation wird damit universell. Alle zu treffenden Entscheidungen können nun auch unter der Perspektive der Übernahme oder der Ablehnung von Risiken thematisiert werden.

Das gesteigerte Risikobewußtsein deutet darauf hin, daß sich wesentliche Grundzüge der Gesellschaft verändert haben.

Die Politik sieht sich mit einer Folgenreflexion der eigenen Entscheidungen konfrontiert. Gesellschaftliche Risikolagen werden zunehmend politisiert (Emissionen von Betrieben, Folgen des Straßenverkehrs, Klimaänderungen, Waldsterben) und es wird erwartet, daß die Politik die dem Einzelnen aufgefallenen Risiken beseitigt oder neue Gefahrenlagen erst gar nicht entstehen läßt. Risikovorsorge und Risikowarnung erweitern den politischen Verantwortungsbereich bis hin zu einer generellen Frühwarnung für gesellschaftlich riskante Entwicklungen. Politik gerät dadurch zum Zurechnungspunkt für gesellschaftliche Ängste und Befürchtungen, die kaum noch zu steuern sind.

Die neuen Anforderungen an die Politik sind nur Ausdruck des Bewußtseins, daß immer mehr "natürliche" Gefahren, für deren Eintreten niemand verantwortlich gemacht werden konnte, in Risiken transformiert werden, die auf Entscheidungen zugerechnet werden können. Das eigentlich skandalöse an den modernen Risiken ist nicht so sehr das Ausmaß ihrer Schadensmöglichkeiten, sondern, daß man im Fall der Katastrophe die auslösenden Ursachen Menschen oder Organisationen, mithin der Gesellschaft zurechnen kann. Immer mehr Gefahren werden als menschlich verursacht wahrgenommen und entsprechend wird gehandelt.

Hinzu kommt, daß die Wissenschaft eine ambivalente Rolle in dieser Debatte spielt. Wie in keiner Gesellschaft zuvor gilt heute, daß die Wahrnehmung, Bewertung und Regulierung von technisch erzeugten Gefahren durch das Medium Wissenschaft gesteuert wird. Keine Debatte über die Risiken und Gefahren der gesellschaftlichen Entwicklung kann heute unter Ausschluß der Wissenschaft stattfinden, da erst mit ihrer Hilfe überhaupt über die Existenz und das Ausmaß von Gefährdungen befunden werden kann.

Gleichzeitig ist sie, in Verbindung mit einer zunehmend wissenschaftsabhängigen Technologie, eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Risiken und Gefahren, die es bisher in dieser Form noch nicht in der Gesellschaft gegeben hat. Die Erzeugung von Risiken durch die Wissenschaft und ihre Wahrnehmung mit Hilfe von Wissenschaft - dies dürfte das eigentlich Neue an der Risikokommunikation sein: daß sich die Wissenschaft auch mit ihren eigenen Folgen beschäftigen muß.

Faßt man all diese Symptome und Tendenzen zusammen, so läßt sich zumindest ein gemeinsames Merkmal der Risikokommunikation festhalten: das Bewußtsein, daß die Zukunft von Entscheidungen abhängt, die in der Gegenwart getroffen bzw. nicht getroffen werden, und daß über die Folgen dieser Entscheidungen hinsichtlich ihres Eintretens und Ausmaßes Unsicherheit besteht, die auch bei weitestgehendem Einsatz von Wissenschaft nicht beseitigt oder in Sicherheit verwandelt werden können.

Diese Hypothek trägt auch die Risikoforschung mit sich und bildet die ihr zugrundeliegende Problematik.

Unter dem Stichwort Risk-Assessment werden die unterschiedlichsten Studien subsumiert, die sich mit Aspekten der Sicherheit moderner Technologien befassen. Dazu gehören Bestimmung oder "Messung" des Risikos einer bestimmten Gefahr; Bewertung von Risiken und möglichen Schäden durch betroffene Gruppen; Risiko-Management durch Design; Festlegung von Sicherheitsbestimmungen, Überwachung und Training sowie solche speziellen Techniken wie die Risk-Impact-Analyse, die quantitative Grundlagen für den Vergleich von Risiken schaffen sollen, und Ereignis- und Fehlerbaum-Analysen für die Bestimmung der Typologie von Unfallserien und Sicherheitsrisiken. Unter die Rubrik Risk-Assessment fallen aber auch psychologische Studien zur Akzeptanz und zum Konfliktverhalten bei der Einführung von Technologien.

Die Risikoforschung ist - wie Johnston bereits 1979 meinte - zum großen Geschäft für die Wissenschaft geworden. Gleichzeitig mit der beschleunigten Entwicklung der Risikoforschung zu einem lukrativen Forschungszweig zeigte sich zum einen, daß die Gefahren moderner Großtechnologien sich als komplexer und unübersehbarer herausgestellt haben, als zunächst angenommen wurde, zum anderen wurde deutlich, daß massive soziale Konflikte mit der Einführung dieser Technologien verbunden sind, die auf die Konsolidierung und Institutionalisierung der Risikoforschung als eigenständige wissenschaftliche Problemgemeinschaft konstitutive Auswirkungen hatten. An der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über die Zumutbarkeit von Risiken kann man ablesen, daß es bei der Etablierung der Risikoforschung weniger um ein technisches oder administratives Problem geht als um eine im Kern gesellschaftliche Problematik.

Bei aller explosionsartigen Vermehrung der Risikoforschung, die man an der laufend zunehmenden Anzahl der Veröffentlichungen und den verschiedenartigsten Disziplinen ablesen kann, die den Risikodiskurs bestimmen und strukturieren, besteht doch ein eklatanter Widerspruch zwischen der Institutionalisierung der Risikoforschung einerseits und ihrer Identität als Wissenschaft andererseits.

Trotz aller Bemühungen ist es der Risikoforschung nicht gelungen, einen einheitlichen Risikobegriff, geschweige denn eine zusammenhängende Risikotheorie zu entwickeln, die das neu entstandene Forschungsgebiet und die vielfältigen Ergebnisse zur Risikoproblematik strukturieren könnten.

Dieser Stand drängt auf ein kritisches Befragen des Vorhandenen, sowohl, um begründete Einsichten und konsensfähige Positionen, als auch, um Defizite und Widersprüchliches sichtbar zu machen. Das kann und will die vorliegende Übersicht nicht leisten. Wohl aber - bescheidener - eine Voraussetzung dafür schaffen, indem eine Bestandsaufnahme vorgelegt wird, eine Sammlung, Systematisierung und Klassifizierung des Erreichten, wobei der Analyserahmen bewußt auf deutschsprachige Literatur zur Risikothematik seit Beginn der achtziger Jahre beschränkt wurde, werden mußte, denn zu umfänglich ist das bereits Vorhandene.

Die auf diese Weise erhaltene Bibliographie ist das Ergebnis einer längeren Zusammenarbeit zwischen der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus, Lehrstuhl Allgemeine Technikwissenschaft, und dem Forschungszentrum Karlsruhe Technik und Umwelt, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, in die spezifische Erfahrungen und unterschiedliche Ergebnisse eingebracht wurden.

Im 1. Teil wird der Versuch unternommen, in gedrängter Form eine Übersicht über die Risikoforschung im deutschsprachigen Raum, ihre Sichtweisen und wichtigsten Diskussionsbereiche zu geben. Teil 2 enthält - sozusagen als Hauptteil - eine alphabetisch geordnete Bibliographie zur Risikoforschung vor allem der letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre. Damit ist ein Zeitraum abgesteckt, in dem sich besonders im deutschsprachigen Raum die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem "Phänomen" Risiko qualitativ und quantitativ stark ausgeweitet hat. Jedem Titel dieser Bibliographie sind ein Kurzwort (Name + Jahreszahl) sowie in Zahlenform ein Klassifikator oder mehrere Klassifikatoren zugeordnet. Die Übersicht über die Klassifikatoren kann dem Abschnitt 3.1 entnommen werden. Abschnitt 3.2 schließlich enthält eine Zuordnung der bibliographierten Titel (erfaßt mit dem Kurzwort) zu den einzelnen Klassifikatoren, so daß ein Auffinden der zu einem bestimmten Klassifikator gehörenden Literatur im Teil 2 ermöglicht wird.

Die Verfasser erheben keinesfalls den Anspruch, die Totalität der vorliegenden Risikoliteratur zusammengefaßt zu haben - wohl aber wichtige Denkansätze, Konzeptionen, Ergebnisse sowie an der Debatte beteiligte Autoren und Forschungsgruppen mit ihren Überlegungen einschließlich institutionalisierter Risiko-Diskurse erfaßt und gewertet zu haben.

* Es handelt sich hierbei um das Vorwort zu dem Band, das durch ein Versehen des Verlags nicht abgedruckt wurde.