ITAS-Tagung "25 Jahre Technikfolgenabschätzung in Deutschland" - eine bedenkliche Geschichtsklitterung?

In eigener Sache

ITAS-Tagung "25 Jahre Technikfolgenabschätzung in Deutschland" - eine bedenkliche Geschichtsklitterung?

In einem Schreiben an Prof. Dr. Herbert Paschen ist den Veranstaltern der Tagung "25 Jahre Technikfolgenabschätzung in Deutschland" von Prof. Dr. Günther Ropohl bedenkliche Geschichtsklitterung vorgeworfen worden. Da der Absender seinen Brief hat zirkulieren lassen, erlauben wir uns, ihn auszugsweise zu zitieren:

"Überdies erscheint mir der Titel der Veranstaltung als bedenkliche Geschichtsklitterung, mit der bestimmte Einzelaktivitäten fälschlich zur Kirchengründung hochstilisiert werden. Wie ich in meinem Buch von 1996 gezeigt habe, ist die Idee der Technikbewertung - ganz zu schweigen von Sombart 1934 - spätestens 1969 von der Gesellschaft für Zukunftsfragen und vom Deutschen Verband Technisch-wissenschaftlicher Vereine mit aller Deutlichkeit propagiert und 1970 auf der Mannheimer Tagung des Vereins Deutscher Ingenieure ausführlich diskutiert worden. Historisch korrekt wären die Veranstalter verfahren, wenn sie nächstes Jahr "Dreißig Jahre Technikbewertung" hätten würdigen wollen.

Sie dürfen es mir nicht als Unfreundlichkeit auslegen, wenn ich Kopien dieses Briefes zirkulieren lasse; ich reagiere damit nur auf die Ungeschicklichkeiten der Tagungsveranstalter.

Es tut mir ehrlich sehr leid, daß damit überschattet wird, was es doch wirklich zu würdigen gälte: Ihr 65. Geburtstag, Ihre persönlichen Verdienste um die Technikbewertung und das sympathisch-kritische Gesprächsklima, das ich in den Begegnungen mit Ihnen immer sehr geschätzt habe. So wünsche ich Ihnen persönlich alles Gute und hoffe auf weitere fruchtbare Gespräche."

Wir fragen uns, wodurch wir den professoralen Unmut auf uns gezogen haben. Wie im Tagungsprospekt zu lesen ist, haben wir den Titel "25 Jahre TA in Deutschland" an der Einbringung des Gesetzentwurfes zur Einrichtung eines parlamentarischen Amtes zur Bewertung technologischer Entwicklungen durch die CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1973 festgemacht, d.h. am Beginn der Institutionalisierungsdebatte von TA. Dies als singuläres Ereignis abzutun, erscheint uns nicht gerechtfertigt. Immerhin schloß sich daran eine langjährige intensive Diskussion zur parlamentarischen Institutionalisierung der Technikfolgenabschätzung an, in der sich u.a. zwei Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages mit der Thematik befaßten und die zwar nicht zur Kirchengründung, aber zur Einrichtung des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag führte. Eine Vielzahl weiterer Aktivitäten darüber hinaus hat sich damit verbunden und Konzept und Praxis der TA in Deutschland wesentlich bestimmt. Die von Prof. Ropohl angesprochenen zeitlich früheren Aktivitäten der Gesellschaft für Zukunftsfragen, des Deutschen Verbandes Technisch-wissenschaftlicher Vereine und des VDI könnte man mit weit mehr Berechtigung als "Einzelaktivitäten" einstufen.

Wir wollen natürlich nicht die profunde Geschichtskenntnis Professor Ropohls in Frage stellen. Aber natürlich wissen auch wir, und nicht erst seit Erscheinen des Buches von Prof. Ropohl im Jahre 1996 (Günther Ropohl: Ethik und Technikbewertung. Frankfurt: Suhrkamp Verlag, 1996), sondern aus eigener Forschungserfahrung, daß schon vor 1973 über Technikfolgenabschätzung bzw. über Technikbewertung nachgedacht wurde. Waren doch Prof. Paschen und einer der Organisatoren der Tagung Mitarbeiter der damaligen Studiengruppe für Systemforschung, die sich seit 1963 mit Fragen der Forschungs- und Technologiepolitik und in diesem Zusammenhang auch mit Fragen der Forschungs- und Technologieplanung und bewertung wissenschaftlich beschäftigt hat. So können wir uns einer Aussage aus dem Buch Professor Ropohls nur anschließen: "Statt sich allein auf die Importeure des Technology Assessments zu kaprizieren, müßte eine Geschichte der Technikbewertung in Deutschland geschrieben werden, die all jene Organisationen und Personen zu würdigen hätte, die an dieser Konzeption beteiligt waren" - so u.a. auch die Studiengruppe für Systemforschung, die Professor Ropohl in einer Fußnote auch in diesem Zusammenhang ausdrücklich nennt. Wer weiß, wann welcher Geburtstag der Technikfolgenabschätzung, pardon: Technikbewertung, in Deutschland dann zu feiern wäre, wenn diese Geschichte erst einmal geschrieben ist.

Vielleicht erklärt sich die Reaktion von Herrn Professor Ropohl auch daraus, daß es trotz seiner jahrelangen Bemühungen bisher nicht gelungen ist, den Begriff "Technikfolgenabschätzung" aus dem deutschen Sprachgebrauch zu tilgen. Diese Wortschöpfung bezeichnet er in seinem Buch von 1996 als Ergebnis einer Gechichte mißglückter Übersetzungsversuche, und er widmet dieser immerhin einige Seiten seines Buches. So seien in die deutsche Übersetzung von technology assessment "zwar von den Inhalten gerechtfertigt", (...) "aber ungedeckt vom Quellwort, die Folgen hineingemogelt worden". Der unbekannte Übersetzer ist dann doch eher zu loben.

Ihm wirft der Briefschreiber weiterhin vor, nicht im Langenscheidt nachgeschlagen zu haben und statt der dort u.a. zu findenden Übersetzung "Bewertung" das Wort Abschätzung gewählt zu haben, angeblich um die "ärgerliche" Abkürzung TA zu retten. Nun findet sich in Wörterbüchern, auch im Langenscheidt, als Übersetzung von Assessment durchaus auch das Wort Abschätzung, bei dem man nach Ropohl "vor allem in Verbindung mit Folgen eher an die Feststellung von Sachverhalten denkt, die nur näherungsweise zu bestimmen sind". Dem kann man aufgrund unserer Erfahrungen mit den Folgen neuer Technologien nur zustimmen: Glückwunsch an den unbekannten Übersetzer!

Auch wenn der Begriff Technikfolgenabschätzung wegen zeitgeistbedingter, teilweise negativer Besetzung der Begriffsbestandteile Technikfolgen und Abschätzung seit kurzem einmal wieder in Kritik gerät, erscheint er uns immer noch angemessen. Letztlich ist aber ein semantisches Herumstochern in Begriffen wenig zielführend. Wer aus guten Gründen einen Begriff wählt und definiert - sei es Technikbewertung oder Technikfolgenabschätzung -, dem sollte dies nicht als begriffliche Irrung und Wirrung angelastet werden. Wir zumindest sind hier für Toleranz und nicht für Zensur.

Da Professor Ropohl uns Ungeschicklichkeiten vorgeworfen hat, die sogar den 65. Geburtstag und die Verdienste von Herrn Paschen überschatten könnten - was wir natürlich auf jeden Fall vermeiden möchten -, sahen wir uns zu dieser Replik veranlaßt. Wir bedauern es, daß Herr Professor Ropohl, wie er uns wissen ließ, wegen seiner Lehrverpflichtungen nicht teilnehmen kann und so "die TA-Gemeinde" bei unserer Tagung "unter sich bleiben wird". Leider aber lassen sich Geburtstage nun einmal nicht verschieben. Seine Befürchtung, daß wegen der Terminansetzung die Universitätsforschung auf der Tagung nicht vertreten sein würde, können wir aufgrund der Anmeldungen ausräumen.

(R. Coenen/Th. Petermann)

Zu diesem Heft

Guter Rat war teuer als sich abzeichnete, daß dieses Heft der TA-Datenbank-Nachrichten die von der Redaktion gesetzte oberste Grenze für den Umfang sprengen würde. Wir sind dann dem Vorschlag unserer Kollegen K. Böhle und U. Riehm gefolgt und bieten drei der Beiträge zum Schwerpunktthema nur in der elektronischen Version der TA-Datenbank-Nachrichten an. Alles weitere hierzu findet sich in der Einführung zum Schwerpunktthema. Wir hoffen, daß unseren Lesern diese Lösung lieber ist, als auf die Beiträge ganz zu verzichten.

Die Redaktion