Elektronisches Geld und Internet- Zahlungssysteme. Innovationen, Mythen, Erklärungsversuche

Schwerpunktthema: Elektronisches Geld und Internet- Zahlungssysteme

Elektronisches Geld und Internet-Zahlungssysteme. Innovationen, Mythen, Erklärungsversuche

von Knud Böhle und Ulrich Riehm, ITAS

In dem Projekt Technikfolgenabschätzung zu Elektronischen Zahlungssystemen für digitale Produkte und Dienstleistungen im Internet (PEZ), das von ITAS für das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) durchgeführt wird, wurde über Expertengespräche und "Internet-Empirie" Material gesammelt, das eine Deskription des Sachstands erlaubt. Für den vorliegenden Beitrag wird dieses Material nicht ausgebreitet (ein entsprechender Bericht ist in Vorbereitung), sondern nach gängigen "Mythen" durchsucht, die wir einer Kritik unterziehen wollen. Außerdem wird der Versuch unternommen, einige empirische Ergebnisse, die mit Fragen der Geldinnovation zusammenhängen, an theoretische Konzepte der sozialwissenschaftlichen Technikforschung anzuschließen. Damit der Kontext dieser Überlegungen besser verständlich wird, skizzieren wir das Projekt PEZ in einer Vorbemerkung.

1. Vorbemerkung

TA (Technology Assessment/Technikfolgen-Abschätzung) läßt sich als ein Rahmenkonzept verstehen, das offen ist für eine dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand angemessene Herangehensweise: Technik ist eben nicht gleich Technik. Das Stadium der Technikentwicklung und -diffusion ist zu berücksichtigen, der spezifische Anwendungskontext u.v.m. Dazu kommt nicht selten, daß viele Untersuchungen aus finanziellen und anderen Gründen nicht als "full fledged" TA angelegt werden, sondern bescheidenere Ziele bzw. Teilziele verfolgen.

In dem Projekt PEZ geht es um elektronische Zahlungssysteme in Bezug zum Internet-Handel, wobei hinzugefügt werden muß, daß der Endkundenbereich - im Gegensatz zum sogenannten "B2B-Bereich" (Business to Business) - im Vordergund steht.

Typisch für TA-Studien, die ein "Informatisierungs-Thema" zum Gegenstand haben, ist, daß sie nicht eine Technik zu untersuchen haben, sondern ein Technik-Ensemble (Chipkartentechnologie, Rechnernetze, Sicherheitstechnologie u.a.), aus dem für bestimmte Einsatzgebiete spezifische Anwendungen geformt werden.

Typisch ist auch die Entwicklungsphase, in der ein Interesse an Studien dieser Art entsteht. Beobachtet wird die Markteinführung (oder wenigstens der Versuch) bestimmter, innovativer informationstechnischer Anwendungen im Zahlungsverkehr. Die Entwicklung der Basistechnologien liegt je nachdem 10, 20 oder noch mehr Jahre zurück. Aber auch noch in der Phase der Markteinführung ist die Gestaltung der Anwendungen sowohl von der technischen Seite als auch von der sozialen Ausformung der Verfahren her keineswegs abgeschlossen. Es gibt Alternativen und Konkurrenz. In dieser Phase hängt der weitere Gang weniger von den Technikentwicklern als von den strategischen Akteuren einerseits und den Anwendern andererseits ab.

In dieser Phase entsteht bei der Politik ein Bedarf, möglicherweise entstehende Konfliktfelder frühzeitig zu erkennen, ihre eigene Rolle im Innovationsgeschehen zu bestimmen und ihre Steuerungsmöglichkeiten daraufhin zu reflektieren. Gleichzeitig ist die Einführungsphase auch dadurch gekennzeichnet, daß bei den Akteuren (und Betroffenen), die im Zuge der Innovation neu oder sogar erstmalig in Beziehung treten, ein gewisser Bedarf entsteht, die sich herausbildenden Verhältnisse besser einschätzen zu können. Wenn die Anwendungen auf ein breiteres Interesse stoßen, wie das derzeit für die meisten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Internet behauptet werden kann, treten auch die Massenmedien als Akteure auf, die sowohl zur Aufklärung als auch zur "Mythenbildung" beitragen. Insofern eine solche Untersuchung Orientierungswissens erzeugt, ist sie nicht nur an die Politik, sondern auch an die anderen Akteure adressiert. [1]

Was das Projekt PEZ zum Ziel hat, kann als problemorientierte Sachstandsanalyse angesprochen werden. Auf den Gegenstand elektronische Zahlungssysteme und Internet-Handel bezogen wird Problemorientierung durch drei Bezüge bestimmt: 

  1. Problem - Lösung

    Die elektronischen Zahlungssysteme für das Internet werden nicht für sich betrachtet, sondern auf das Praxisfeld Internet-Handel bezogen analysiert. Der Bedarf an elektronischem Geld und Internet-Zahlungssystemen kann nicht als per se evident unterstellt werden; die vorhandenen Verfahren müssen nach ihrer Eignung für bestimmte Geschäftsfelder differenziert werden und zudem müssen Alternativen zum Bezahlmodell "Geld-gegen-Ware" berücksichtigt werden. 

  2. Chancen - Risiken

    Die technischen Innovationen und neuen Verfahren sind akteursbezogen unter dem Gesichtspunkt Chancen/Risiken einzuschätzen, d.h. unter dem Gesichtspunkt ihres Problemlösungspotentials (bzw. ihrer Verringerung von Problemdruck) und ihres Potentials, neue Probleme (neue Herausforderungen, Zerstörung bestehender Strukturen) zu schaffen. 

  3. Konkreter Bereich - übergeordnetes Problemfeld

    Internet-Handel und elektronische Zahlungssysteme sind als Moment der sich abzeichnenden Kommerzialisierung des Internet zu begreifen, das die früher staatlich geförderte, "kostenlose" Internet-Kultur abzulösen beginnt. Internet-Handel und elektronische Zahlungssysteme stehen für eine Ebene der Informations-Infrastruktur. Der Bezug zu diesem übergeordneten Problemfeld ist herauszuarbeiten. [2]

Methodisch erscheinen Expertengespräche geeignet, die Problemsichten der unterschiedlichen Akteure zu einer Gesamtsicht zusammenzutragen. Ergänzend kann empirisches Material durch explorative Feldforschung im Internet gewonnen werden, indem Online-Shopping-Angebote und elektronische Zahlungsverfahren erprobt und an Pilotversuchen teilgenommen wird.

In einem projektbegleitenden Newsletter EZI-N, der auch im Internet (vgl. http://www.itas.fzk.de/deu/projekt/pez.htm ) abrufbar ist, informieren wir über aktuelle Entwicklungen und greifen Kontroversen auf. Die Mailinglist EZI-L, über die auch der Newsletter verteilt wird, bietet ein Forum, um über Themen, die von uns oder den derzeit über 400 Teilnehmern eingebracht werden, weiter zu diskutieren. In Termini der TA muß man EZI-L und EZI-N zwar nicht als Diskurselement auffassen, aber doch als Mittel, eine offene Diskussion projektbegleitend zu veranstalten. Interessierten Kreisen wird so Gelegenheit gegeben, auf wichtige Fragestellungen hinzuweisen und den TA-Forschern wird ermöglicht, ihre Überlegungen schon im Projektverlauf rückzukoppeln und zur Diskussion zu stellen.

Eine Funktion problemorientierter Sachstandsanalysen ist auch darin zu erblicken, die üblichen, plakativen, teils euphorischen, teils apokalyptischen Gemeinplätze durch differenziertere Sichtweisen zu ersetzen. In diesem Sinne "Mythen" und "Realitäten" gegenüberzustellen, ist eine Absicht dieses Beitrags. Für ein TA-Projekt dieses Zuschnitts schwieriger zu bewerkstelligen ist die Anbindung der gesammelten Beobachtungen und der pragmatischen Einschätzungen an komplexere Erklärungsmodelle, etwa aus der sozialwissenschaftlichen Technikforschung. Auf diesem Weg, das ist die andere Absicht dieses Beitrags, wollen wir im folgenden einige erste Schritte wagen. Thematisch kreisen die Themen, die wir herausgreifen, wesentlich um die spannungsreiche Differenz von "digitalem Bargeld" im engeren Sinne und elektronischen Zahlungssystemen für das Internet im weiteren Sinn.

2. Der Mythos der "zwei Welten"

Die Rhetorik der Innovation betont den Gegensatz zwischen dem Neuen und dem Alten (vgl. Bechmann und Grunwald 1998), stilisiert ihn teilweise gar zum Antagonismus: Wer am Alten festhält, hat verloren, wer auf das Neue setzt, dem bieten sich die größten Chancen. Ohne daß man mit dem Alten radikal bricht, hat das Neue keine Chance. [3]

Für das Internet, den elektronischen Handel und das elektronische Geld kann man im Sinne dieser scharfen Entgegensetzung etwa die folgenden Behauptungen finden: In der "virtuellen Welt" des Internet gelten völlig andere Gesetzmäßigkeiten als im normalen Leben. Die Begrenzungen von Zeit und Raum sind aufgehoben, die sozialen Schranken eingerissen, das Konkurrenz- und Kommerzprinzip durch das Prinzip der Solidarität ersetzt, staatlich verfaßte Regeln und Gesetze durch das Prinzip der Selbstorganisation und Selbsthilfe abgelöst. Beim elektronischen Handel wird die Globalität der elektronischen Märkte betont, natürlich auch die Aktualität der Angebote und die Schnelligkeit der Transaktionen. Im elektronischen Markt findet der Markt seine ideale Form, in der Markttransparenz herrscht, die Marktteilnehmer gleichberechtigt sind, die Informationskosten gegen Null gehen und die Ressourcen im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage optimal verteilt werden (Schmid und Klein 1996, S. 22). Digitales oder elektronisches Geld verspricht optimierte Zahlungssystemeigenschaften: niedrige Transaktionskosten, internationale Verfügbarkeit und Einsetzbarkeit, Fälschungssicherheit und Anonymität.

Nimmt man allerdings die Innovationsbrille ab, dann erkennt man das notwendige Wechselspiel zwischen Neuem und Alten: Einerseits muß das Neue an bestehende Systeme angeschlossen werden und andererseits erweitert das Alte seinen Wirkungskreis auf neues Terrain. Der Internet-Handel, zunächst nichts anderes als ein neuer Bestellweg im Versandhandel, benötigt, um erfolgreich zu sein, eine Ankopplung an die bestehenden hausinternen Warenwirtschaftssysteme und eine Lösung der Logistikprobleme im Vertrieb. Kurios muten die Beispiele an, bei denen der Kunde im Internet elektronisch bestellt, diese Bestellung dann im Unternehmen ausgedruckt wird und an anderer Stelle in das unternehmensinterne Verkaufssystem wieder eingegeben wird. Und was nützen die globalen Bestellmöglichkeiten im Internet, wenn ihnen nicht globale, einfache und kostengünstige Vertriebsmöglichkeiten zur Seite stehen. Wechselt man die Perspektive und schaut auf die etablierten Zahlungssysteme, dann kann man feststellen, wie diese ihr Einsatzfeld auf das neue Terrain des Internet ausweiten, man denke an die Nutzung von Kreditkarten im Internet. Von den erhofften innovativen, neuen Geldsystemen bleibt dabei u.U. wenig übrig.

Unterscheidet man im Innovationszyklus eine Entstehungsphase, eine Stabilisierungsphase und eine Durchsetzungsphase (Weyer 1997) [4] , so würden wir die gegenwärtige Etappe in der Entwicklung elektronischer Zahlungssysteme im Internet in der Stabilisierungsphase verorten. In dieser Phase wird das soziale Netzwerk der ursprünglichen Innovatoren (insbesondere aus dem Bereich Internet und Kryptografie) um "strategiefähige Akteure" (besonders deutlich durch den Einstieg der Banken in die diversen Pilotversuche) erweitert. Deren Interesse richtet sich auf Anschlußmöglichkeiten an ihre vorhandenen Systeme und Verfahren. Beispiele hierfür sind etwa die Anbindung von "ecash", das zunächst als eine Art alternatives, frei zirkulierendes elektronisches Geld antrat, an ein Girokonto bei der herausgebenden Bank, die Integration von Lastschriftverfahren in das deutsche CyberCash-System oder Bestrebungen, die GeldKarte auch im Internet zum Einsatz zu bringen.

Bei Weyer knüpfen die spezifischen Leistungen der einzelnen Entwicklungsphasen aneinander an, folgen aber nicht deterministisch aufeinander (S. 132). Dafür wird auch der Begriff des Pfads oder der Trajektorie verwendet. Gerade für die Stabilisierungsphase, in der einerseits soziale Netzwerke strategiefähiger Akteure an Bedeutung gewinnen und andererseits der Lösungsraum eingeschränkt werden muß, kommt es auf die Berücksichtigung von Anschlußmöglichkeiten an bestehende Systeme an (Weyer 1997, S. 139). Das Wechselspiel zwischen Öffnung und Schließung der Technikentwicklung endet aber auch in der Diffusionsphase nicht. Weyer hebt für diese Phase die folgenden Entwicklungsvarianten hervor: inkrementale Weiterentwicklungen, "eigensinnige" Nutzungsaneignungen, Rekombination neuer Systeme (S. 144).

Technologieentwicklungen, die auf Anschlußfähigkeit des Neuen an das Alte achten, haben unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz den Vorteil, daß sie an Bekanntes und Vertrautes anknüpfen können. Die Kenntnis von Verfahren aus der realen Welt ist gerade für die abstrakte und unanschauliche Welt des Internet wichtig. Für die Innovatoren, die Systementwickler und Systembetreiber liegt der Vorteil in der Möglichkeit, die Systeme schrittweise zu entwickeln, was Aufwand und Risiko deutlich reduziert.

Eine integrative Sicht auf die neuen elektronischen Verfahren verhindert eine Überbewertung des Internet-Handels und elektronischer Zahlungssysteme. Ob der neue PC im Internet gekauft wird, weil der Kunde bei einem Ladenbesuch darüber besonders gut beraten wurde; oder ob dieser PC vor Ort im Laden gekauft wird, weil der Kunde sich vorher besonders gut darüber im WWW informieren konnte, wird zu einem nur noch schwer entscheidbaren Zurechnungsproblem. Das Starren auf den Anteil des "Internet-Handels" als Wirkung der neuen technologischen Möglichkeiten vergröbert unzulässig die Komplexität der Wirkungsbeziehungen und führt gegebenenfalls zu falschen, weil einseitigen Strategien.

Die Technikforschung, insbesondere die Technikgeneseforschung, konnte zeigen, daß der Technikentwicklungsprozeß weder linear von einer Ursprungsidee her zu denken, noch Technikentwicklung in der Anwendung abgeschlossen, sondern immer wieder neu sozial "konstruiert" und "kultiviert" wird. So spricht vieles dafür, die Anschlußfähigkeit der Technikinnovationen an die bestehenden Strukturen zu beachten, und die alten Strukturen nicht nur als eingrenzenden Faktor zu begreifen, sondern auch als eine Basis, die neue Möglichkeiten eröffnet (vgl. Weyer 1997, S. 132).

3. Der Mythos vom unaufhaltsamen Aufstieg

Der Bundesverband deutscher Banken geht von etwa 80 Millionen Girokonten in Deutschland aus, von denen Ende 1997 rund 3,5 Millionen online geführt wurden, was in Prozent ausgedrückt weniger als 5% bedeutet. [5] Diese Quote wurde erst 15 Jahre nach dem Startschuß zum Homebanking erreicht. Bei den deutschen Verlagen liegt der Anteil des Umsatzes, der mit elektronischen Publikationen erzielt wird - trotz des CD-ROM Booms -, noch immer unter 5 Prozent. Digitale Produkte und Dienstleistungen spielen in anderen Sektoren sogar noch eine deutlich geringere Rolle. Der Online-Umsatz des Versandhauses Quelle wurde für 1997 mit 85 Mio. DM angegeben, bei einem Gesamtumsatz von über 9 Mrd. DM. Hier erreicht man, trotz erheblicher Vertriebsanstrengungen sowohl in T-Online als auch direkt im Internet, nur knapp die 1 Prozent-Marke (vgl. com! 12/97, S. 24-26). Ohne der Zahlenmystik zu verfallen, geben diese niedrigen Anteile zu denken.

Richtig ist sicherlich, daß das Wachstum neuartiger, elektronischer Dienstleistungen ein langwieriger Prozeß ist. [6] Richtig ist weiterhin, daß Altes und Neues, wie im vorigen Punkt verdeutlicht, nicht in einem strikten Gegensatz stehen. Die neuen Dienstleistungen werden auf lange Zeit nur parallel oder ergänzend zu dem herkömmlichen Dienstleistungsspektrum existieren. Es ist von keiner schnellen Substitution auszugehen, sondern davon, daß sich das Dienstleistungsangebot zunächst weiter ausdifferenziert. Auch am Einsatz der Zahlungsmittel im Einzelhandel läßt sich zeigen, daß keineswegs die cashless society auf der Tagesordnung steht, sondern wir es auf absehbare Zeit mit einem doppelt ausgelegten Zahlungssystem bzw. einem Mischsystem zu tun haben werden: 76,5 % des Umsatzes im Einzelhandel entfielen 1996 noch auf Barzahlungen, 10 % dagegen auf kartengestützte Zahlungssysteme (was nicht immer elektronische Bezahlvorgänge meint). [7] Geht man von einem Mischsystem aus, bei dem die Beteiligten keines der Verfahren ganz aufgeben können, sind Rationalisierungsvorteile durch die Einführung elektronischer Verfahren schwieriger zu erzielen als im Falle einer Substitution, was die Ausbreitung des Neuen bremst.

Wenn die Annahmen der Ausdifferenzierung und des Mischsystems zutreffen, dann kann eine hundertprozentige Marktdurchdringung kein realistisches Ziel für die angesprochenen Innovationen darstellen. Diese Feststellung entlastet nicht von der Frage, ob auf längere Sicht die elektronischen "Geldprodukte" und Zahlungsverkehrsdienstleistungen dominant werden, oder genauer gefragt, wie die Diffusionskurven verlaufen werden. Diese Frage läßt sich durch kein "geschichtsphilosophisches" Telos digitaler, elektronischer oder virtueller Welten erledigen. Beispiele aus der Unterhaltungselektronik mögen daran erinnern, daß manches mit vielen Vorschußlorbeeren versehene Produkt sich nicht einmal eine Nische erobern konnte. Nur manche werden sich heute überhaupt noch etwas unter dem "Bookman" oder CD-I-Geräten (Compact Disc - Interactive) vorstellen können. Andere Produkte werden aus ihrem Nischendasein nicht herauskommen, etwa DSR (Digitaler Satelliten-Rundfunk) oder DAT (Digital Audio Tape).

Nüchtern betrachtet ist zur Zeit noch ungewiß, ob die Innovationsbereitschaft (hier vor allem in bezug auf Online-Shopping, Homebanking, "elektronisches Geld") über die "innovators" und "early adopters" hinaus auch auf die "early majority" überspringt - von noch weiterer Verbreitung ganz abgesehen. [8] Selbst für das Internet als ganzes sollte man nicht vorschnell von einer ungebremsten, unaufhaltsamen Entwicklung ausgehen. [9]

Die Gruppe der "innovators" und "early adopters" von der Mehrheit zu unterscheiden macht nur Sinn, wenn ihnen ein spezifisches Verhalten eignet, das eben nicht ohne weiteres auf die Mehrheit zu übertragen ist. Andernfalls wäre die Diffusion ja nur eine Frage der Zeit und nicht ein Problem zusätzlicher Motivation. Die Bereitschaft, finanzielle Belastungen auf sich zu nehmen, um die Innovationen zu nutzen, ist vielleicht ein ganz gutes Kennzeichen der "early adopters". Das mag im vorliegenden Zusammenhang zunächst etwas widersprüchlich erscheinen, weil Homebanking und Online-Shopping gerne als die im Vergleich zu konventionellen Dienstleistungsangeboten kostengünstigere Variante gelten.

Die Stiftung Warentext kommt aber mit Bezug auf das Homebanking zu dem Ergebnis, daß jemand, der sein Konto per Homebanking führt, erstens bereit ist, bis zu 194 DM Jahresgebühren und zweitens noch 200 bis 300 DM jährlich für Telefon- und Online-Kosten dafür zu bezahlen (Finanztest Heft 11, 1997, S. 29-33). In dieselbe Richtung weisen die Ergebnisse einer jüngst veröffentlichten OECD-Studie (OECD 1998), in der untersucht wurde, wie sich die Preise im Internet-Handel im Vergleich zum stationären Handel verhalten. Der Hintergrund der Frage war die verbreitete Annahme, die Preise müßten im Internet-Handel fallen. Die Internet-Empirie zeigte das Gegenteil: Die Preise für gleiche Güter sind im Internet tendenziell höher als im stationären Handel. Auch die Forscher der OECD leiten daraus eine Bereitschaft der derzeitigen Internet-Kundschaft, im Internet etwas mehr zu bezahlen, ab. Diese Bereitschaft mag bei den "early adopters" vorhanden sein. Für eine weitere Diffusion der Dienstleistungen im Internet könnte es aber genau darauf ankommen, über niedrigere Preise zu motivieren.

Eine Überlegung von Volker Wittke (1997) ergänzt unsere Argumentation. In Dienstleistungsangeboten wie dem Homebanking trifft das Rationalisierungsbestreben der Anbieter, durch Externalisierung von Aufgaben an die Konsumenten, Kosten zu sparen, auf die durch ein Interesse an der Technik motivierte "Do-it-yourself"-Bereitschaft der Pioniere. Nutzern jedoch, denen das "Do-it-yourself" als "Eigenarbeit" bewußt wird, werden sowohl einen Vergleich mit den konventionellen Formen vornehmen als auch Preisanreize erwarten, die sie zur "Eigenarbeit" bewegen.

Die Diskrepanz zwischen früher Adoption und breiter Akzeptanz sollte auf Basis der vorliegenden Daten nicht überbewertet oder gar zum unüberwindlichen Abgrund hochgespielt werden. Aber klar wird dennoch, daß die Diffusion der Innovationen begrenzt bleiben wird, solange sie eine Bereitschaft voraussetzt, vergleichsweise höhere Quanten an Arbeit, Geld und Zeit aufzuwenden statt über nachweisliche Preisvorteile, Zeitersparnis und Arbeitsersparnis zu motivieren.

4. Der Mythos von der Zahlungssystemlücke im Internet

Die verbreitete Auffassung, es gäbe eine Zahlungssystemlücke im Internet, meint, daß neue elektronische Zahlungssysteme die entscheidende Voraussetzung eines take off des elektronischen Handels darstellen. In Blick durch die Wirtschaft wurde 1996 getitelt: "Kommerz im Internet. Elektronische Zahlungsverfahren sind das größte Hindernis" (Weisshuhn 1996, S. 11). Ende 1997 heißt es in einem Artikel in der ZEIT: "Die Bundesregierung rechnet damit, daß bis zum Jahre 2001 das Volumen des Internet-Handels auf stattliche 500 Milliarden Mark anwachsen wird; aber eben nur, wenn es dort auch sichere Zahlungsmittel gibt" (Lütge 1997, S. 33). Eine Zuspitzung auf "elektronisches Geld" erfährt die These etwa bei dem Soziologen Achim Bühl: "Der elektronische Handel spielt zur Zeit noch eine relativ unbedeutende Rolle; ob dies in Zukunft anders wird, hängt entscheidend von der Akzeptanz des elektronischen Geldes ab" (Bühl 1998, S. 237). Der Zusammenhang zwischen Internet-Handel und Internet-Zahlungssystemen ist unserer Auffassung nach zum einen keineswegs so zwingend wie oft angenommen wird, zum anderen entdeckt man bei genauerem Hinsehen nicht eine allgemeine Zahlungssystemlücke, sondern drei spezifische Lücken. Einige Differenzierungen erscheinen also angebracht.

Auch noch Mitte 1998 kann man feststellen, daß der Versandhandel über das Internet, bei dem es um materielle Güter geht (Computer, CDs, Bücher etc.), ohne spezifische Internet-Zahlungsmittel auskommen kann und auskommt (vgl. aktuell etwa COM! 6/98, S. 50ff). Das Internet fungiert hier nur als weiteres Bestellmedium neben Postkarte, Telefonanruf oder Fax. Der Versandhandel insgesamt hat sich trotz der zeitlichen und räumlichen Entkopplung des Geschäfts und der damit verbundenen Risiken dahin entwickelt, dem Kunden Rückgaberecht und Bezahlung nach Erhalt der Ware anzubieten. Das etablierte Verfahren kann als vergleichsweise verbraucherfreundlich gelten. Elektronische Bezahlverfahren in Verbindung mit der Bestellung im Internet sind in diesem Segment möglich, aber nicht unbedingt notwendig. An der Meßlatte, die durch die Einfachheit der Telefonbestellung und die Verbraucherfreundlichkeit der etablierten Geschäftsabwicklung relativ hoch liegt, werden sich die neuen Zahlungsverfahren messen lassen müssen.

Elektronische Bezahlverfahren werden schon eher im Bereich digitaler Güter und Dienstleistungen benötigt. Auch dafür gibt es einfache elektronische Bezahlverfahren. Die Zahlungsverkehrsdaten für eine Kreditkartenzahlung oder eine Lastschrift werden einfach vom Käufer an den Händler weitergegeben. Dieser Datentransfer kann ungesichert oder mit einer gewissen Sicherheit unter Verwendung kryptografischer Verfahren (PGP, SSL u.a.) vor sich gehen. Man kann diese Verfahren zwar aus Sicherheitsgründen, wegen fehlender Anonymität oder unzureichender Anbindung an das Bankennetz kritisieren, aber man kann nicht behaupten, es hätte nicht von Anfang an Möglichkeiten gegeben, im Internet zu bezahlen.

Die Lücke sicherer Zahlungssysteme wird im Zuge der Migration der herkömmlichen, unbaren Zahlungsverfahren (Kreditkartenzahlung, Lastschriftverfahren, Überweisungen per Internet-Banking) ins Internet geschlossen. Zahlungsverfahren, die bereits am Point of Sale eingesetzt werden oder vom Homebanking her bekannt sind, werden für das Internet fit gemacht, d.h. sie werden mit der in offenen Netzen nötigen Sicherheit versehen und an das bestehende Bankennetz angekoppelt. [10] Diese Verfahren sind grosso modo für den Betragsbereich, in dem die Zahlungsinstrumente auch außerhalb des Internet Verwendung finden, als geeignet anzusehen.

Dennoch bleiben drei Zahlungssystemlücken bestehen.

Eine echte Zahlungssystemlücke kann im kleinpreisigen Bereich ausgemacht werden, in dem die angesprochenen Zahlungsverfahren sich nicht mehr rechnen (weil z.B. die Transaktionskosten über dem Wert der Transaktion liegen). In diesem Bereich können spezifische Internet-Zahlungssysteme - seien es nun Formen "elektronischen Bargelds" oder sogenannte Micropaymentsysteme - eine Rolle spielen. Für den kleinpreisigen Bereich ist aber mitzudenken, daß sowohl die Werbefinanzierung eine Alternative bietet als auch Abonnentenmodelle und Inkassosysteme. Die beiden letztgenannten beruhen auf vertraglichen Beziehungen. Die wirkliche Zahlungssystemlücke ist also noch weiter zu spezifizieren. Sie tritt auf im Falle eines Spontankaufs eines digitalen Produkts, das im Kleinbetragsbereich angesiedelt ist und bei einem selten frequentierten Anbieter erworben werden soll. Es gibt zahlreiche Entwicklungen von Micropaymentsystemen (z.B. MilliCent, MiniPay), die bisher aber nur sehr begrenzt zum Einsatz kommen.

Die zweite echte Zahlungssystemlücke setzt am anderen Ende an, wo es um hochpreisige digitale Güter geht, die nur bei entsprechenden Sicherheiten zum Verkauf kommen. Hier werden komplexere Protokolle benötigt, die den ganzen Geschäftsprozeß modellieren und in denen das Zahlungsmodul nur ein, wenn auch notwendiger Teil ist. Auch hier gilt, daß es eine ganze Reihe von Projekten gibt (z.B. SEMPER oder OBI), aber der praktische Einsatz noch aussteht.

Die dritte Zahlungssystemlücke besteht bei bargeldnahen Zahlungssystemen im Internet. Die Forderung nach "elektronischem Bargeld" ist von besonderer Art, weil sie sich, unserer Auffassung nach, nicht auf funktionale Notwendigkeit gründen kann. Wie gezeigt wurde, gibt es eine ganze Reihe von Zahlungsmöglichkeiten im Internet - auch wenn sie teilweise erst im Entstehen begriffen sind. "Digitales Bargeld" ist dazu eine Alternative, die sich vor allem über Werte wie Datenschutz und Anonymität begründen muß

Bei der Diskussion um neue, elektronische Zahlungssysteme geht es also erstens nicht um die conditio sine qua non des Internet-Handels, sondern um Kriterien und Ansprüche, denen solche Zahlungssysteme genügen sollen: Sicherheitsstandards, Grad der Integration ins bestehende Bankensystem, Fairness der Verfahren, Bargeldnähe, Anonymität, Kontounabhängigkeit etc. Anders formuliert: Zahlungssysteme für den Internet-Handel werden nur bis zu einem gewissen Grad durch Sachzwänge determiniert. In einem nicht zu unterschätzenden Maße nehmen sie vermittelt über Interessen und Wertvorstellungen der Akteure - und das schließt Konflikte ein - Gestalt an. Gerade die, denen an bargeldnahen Formen elektronischen Geldes im Internet gelegen ist, haben wenig Grund, auf einen Selbstlauf der Entwicklung zu vertrauen.

5. Der David-Goliath Mythos oder Technik macht frei

Es ist schon erstaunlich, daß seit der Erfindung des PC immer aufs Neue sowohl die Kampfansage an das Zentrum - das "Imperium" - als auch die Utopie der Befreiung aus bestehenden Abhängigkeiten aktualisiert wird. Die PCs waren die Davids, die den Goliath IBM herausforderten. Mancher erinnert sich vielleicht noch an den martialischen PR-Film, in dem Apple ziemlich ungeschminkt diesen Mythos inszenierte. Der Personal Computer zerschlägt das Imperium und legt die Macht in die Hände des Einzelnen. In der Folge gab es fast keine PC-Anwendung, in deren Einführungsphase der anti-zentralistische Affekt einerseits und die versprochene Zunahme an Autonomie des Einzelnen bzw. das Potential der Selbstorganisation andererseits keine Rolle gespielt hätten. Daß es sich stets um "Revolutionen" zu handeln scheint, verstärkt den Eindruck, daß möglicherweise latent vorhandene Wunschvorstellungen von "Freiheit und Abenteuer" oder auch politischer Umkrempelung der Verhältnisse auf die Technik projiziert werden.

Das Desktop Publishing (produktionsseitig) und das Elektronische Publizieren (vertriebsseitig) wurden als Befreiung des Autors vom Verlagssystem gefeiert. Das Aufkommen der Hypertextsysteme wurde - von poststrukturalistischen Theorien flankiert - als Befreiung der Leser vom Autor und des Textes von der Linearität des Buchdrucks inszeniert - selbst das interaktive Fernsehen sollte noch den Zuschauer zum Programmdirektor machen. [11] Der Aufschwung des Internet hat weitere Nahrung für diese Art der Wahrnehmung geliefert. Das gilt auch im Zusammenhang mit dem "elektronischen Geld". Sowohl die Verfechter eines "green money" (im Sinne einer Geldwirtschaft ohne Zins), Vertreter von Tauschringen als auch Befürworter des "free banking" (nicht eine Zentralbank, sondern private Banken in Konkurrenz geben Geld heraus), vereint durch den Affekt gegen die Zentralbank-Geldordnung, sahen ihre Chancen durch die neue Technologie verbessert. Dazu kam, daß der E-Cash-Feldversuch der Firma Digicash erfolgreich das Funktionieren einer Privatwährung demonstrieren konnte und so Vorstellungen von einer relativen Autonomie des Internet, in dem andere Bedingungen als in der "realen" Welt herrschen könnten, Vorschub leistete.

Es ist interessant zu verfolgen, was aus dieser Anfangseuphorie im Lauf der Zeit wurde. Auch da kann die Analogie zu politischen Revolutionen bemüht werden. Drei Optionen liegen auf der Hand: Die Revolution wird verraten, das Imperium schlägt zurück oder die Revolutionäre werden müde. Wagt man einen Interpretationsversuch für den Fall des "elektronischen Geldes" auf dieser Linie, würde man feststellen, daß alle Momente eine Rolle spielen. Die Kreditwirtschaft hat inzwischen die Initiative an sich gerissen und versucht, ihre Verfahren im Internet durchzusetzen; die frühen "start-up-companies" arbeiten inzwischen mit der Kreditwirtschaft zusammen und passen ihre Lösungen deren Anforderungen an; und schließlich - das wäre der Verrat der Ideale - droht die Utopie "elektronisches Bargeld", ausgestattet mit den Ingredienzien der freien, anonymen, unkontrollierbaren Geldverwendung im alles verrechnenden und kontrollierenden Rechnernetz zu verschwinden.

Damit soll aber nun gerade nicht der verführerischer Polit-Science-Fiction das Wort geredet werden, sondern die ernsthafte Frage aufgeworfen werden, wie die Inszenierung dieser Mythen funktioniert, welche Funktion ihnen bei der Diffusion der Innovationen zukommt und ob sich unter dem Gerede ein belastbarer konkret-utopischer Kern befindet.

6. Elektronisches Bargeld - Technik ohne Lobby?

In der Diskussion um elektronisches Geld wird oft nicht genügend unterschieden, daß es sich um zwei verschiedenartige Innovationen handelt, die unterschiedliche Ausgangspunkte haben und unterschiedliche Konsequenzen zeitigen. Einerseits geht es um neue Zahlungsinstrumente im Internet für sogenanntes Buchgeld. Andererseits geht es um originäres, den Geldwert direkt verkörperndes digitales Geld.

Der erste Innovationstypus reiht sich ein in die gesamte Elektronifizierung des Zahlungsverkehrs, der sich zunächst auf die internen Verarbeitungsprozesse des Bankensektors bezog (back office-Systeme) und nun zunehmend die Kundenschnittstelle mit einbezieht. Das Rationalisierungsinteresse der Banken geht einher mit bestimmten Zeit-, Kosten- und sonstigen Bequemlichkeitsvorteilen bei den Kunden, wenn Bargeld nicht mehr in der Filiale, sondern am Automaten bezogen werden kann, wenn Überweisungen nicht mehr per Überweisungsbeleg, sondern gleich elektronisch im Homebankingsystem erfolgen, wenn Kreditkarten nicht mehr nur per Unterschrift und Online-Autorisierung im Laden, sondern auch im Internet eingesetzt werden können. In all diesen Fällen ändert sich am Charakter des Geldes nichts, es ändert sich nur die Art und Weise, wie über die Konten verfügt wird.

Beim zweiten Innovationstypus stellen sich viel weitergehende Fragen: Handelt es sich bei "digitalem Geld" um Buchgeld, Bargeld oder um ein Geld sui generis, das den bisherigen Geldformen Bar- und Buchgeld nicht zuzuordnen ist? Wer gibt digitales Geld heraus und garantiert seinen Wert? Wie sind die sicherheitstechnischen (Fälschung), wie die geldpolitischen Risiken (Geldwäsche, Geldmengenkontrolle) zu bewerten und zu beherrschen? Während die Diskussion um diese Fragen relativ umfassend geführt wird, wenn auch nicht unbedingt mit immer befriedigenden Ergebnissen, sind die konkreten Beispiele, auf die sich eine solche Diskussion beziehen könnte, kaum vorhanden.

Interessanterweise werden die Kriterien, an denen "echtes" digitales Geld gemessen wird, aus den Eigenschaften des Bargelds gewonnen. Dazu gehören die Abwicklung finaler Zahlungen, die Wertbeständigkeit, die direkte Weitergebbarkeit, die Möglichkeit anonymer Zahlungen, die Annahmegarantie (oder der Annahmezwang), die jederzeitige Ein- oder Umtauschbarkeit in eine andere Geldform (wie z.B. in Buchgeld), die universelle Einsetzbarkeit. Obwohl Innovationen sich ja dadurch auszeichnen sollten, das Bisherige "aufzuheben", gibt es solches elektronische Bargeld noch nirgends. Nimmt man noch Anforderungen hinzu, die sich aus den besonderen Möglichkeiten des elektronischen Milieus ergeben - wie Effizienzgewinne im Zahlungsverkehr durch den Einsatz digitalen Geldes statt Bargeldes, eine beliebige Teilbarkeit, Mehrwährungsfähigkeit, höhere Fälschungssicherheit, Konditionierbarkeit (oder auch Programmierbarkeit, siehe unten die Diskussion zur "Materialität" des Geldes) - dann wird der Abstand zwischen realer Entwicklung und Anforderungskatalog immer größer. Warum ist dies so?

Es liegt nicht daran, daß es keine sozialen Kräfte und keine Lösungsansätze gäbe. Weber hat in seiner Studie über die "sozialen Alternativen in Zahlungsnetzen" (1997, vgl. auch die Besprechung von Riehm in der Online-Ausgabe dieses Heftes) nachweisen können, daß es sowohl soziale Milieus als auch technische Lösungen für elektronisches Geld mit Bargeldeigenschaften (oder Bargeldähnlichkeit) gibt. Er verortet diese Milieus, denen er im Technikgeneseprozeß eine entscheidende Bedeutung beimißt, im demokratisch-liberalen Milieu der amerikanischen Informatikerszene und sieht als technologischen Kern dieser Innovation die asymetrische Verschlüsselung im Public Key Verfahren mit ihrer Weiterentwicklung zur "blind signature" (durch David Chaum).

Greifen wir hier die Überlegungen von Weyer (1997) zu den Anforderungen an eine technologische Innovation in ihren unterschiedlichen Phasen noch einmal auf, dann kann man die These aufstellen, daß in der Entstehungsphase der Innovation ("bargeldähnliches, elektronisches Geld") sowohl ein sozio-technischer Kern herausgebildet als auch ein soziales, innovatives Netzwerke etabliert werden konnte. In der Stabilisierungsphase gelang es aber (bisher) nicht, eine erweiterte Akteurskonstellation zu finden, die die Grundidee an bestehende Systeme und Interessen anschlußfähig machen und zu einer verallgemeinerbaren sozio-technischen Lösung weiterentwickeln konnte. Ein ökonomisches Interesse an elektronischem Geld in der Stabilisierungsphase ist nur schwer auszumachen. Hier folgen wir Kubicek und Klein, die auf der Suche nach ökonomischen Interessen für anonyme Wertkarten auch nicht fündig geworden waren (1995, S. 274ff). Ihre These von einer Technik ohne Lobby würden wir auf bargeldähnliches, elektronisches Geld anwenden.

Die nicht einheitlich bewerteten systemischen Sicherheitsrisiken sind ein Faktor, der dieser Innovation entgegensteht. Die ökonomischen Interessen des Kreditgewerbes sind ein wichtiger anderer. Diese lassen sich eher festmachen an Geldprodukten, die den Geldkreislauf immer wieder in den der Banken zurückführen und den Geldwert möglichst lange bei den Banken halten. Ein elektronisches Geldprodukt, das einen vom herkömmlichen Zahlungsverkehr losgelösten Geldumlauf etabliert, der gegebenenfalls mehrstufige, lange Transaktionsketten beinhaltet, bis wieder eine Berührung mit dem Bankensystem erfolgt, wird dagegen weniger auf Zustimmung stoßen. [12]

Gleichwohl hat auch die deutsche Kreditwirtschaft, Aktivitäten anderer Unternehmen aus anderen Branchen und dem Ausland abwehrend, mit der GeldKarte auf die "Leitidee" vom elektronischen Bargeld reagiert (vgl. zum Konzept der GeldKarte Gentz in diesem Heft). Die GeldKarte ist konzipiert für "Waren des täglichen Bedarfs", bei denen bisher Bargeld eingesetzt wurde. Sie soll Bargeld ersetzen. Die GeldKarte ist in ihren Eigenschaften aber nicht bargeldähnlich, wenn man u.a. die fehlende Weitergebbarkeit von GeldKarten-Geld von einer Karte zur anderen und die prinzipielle Möglichkeit der Rückverfolgung von Zahlungstransaktionen im GeldKarten-System, mehrfach vom Datenschutz kritisiert, bedenkt.

Ein eigenständiges Interesse an bargeldähnlichem elektronischen Geld hätten die Verbraucher und der Datenschutz, die jedoch schlecht organisiert und für die Teilnahme an dieser Art sozio-technischer Innovation bisher nicht gerüstet sind. (Wobei zu bedenken ist, daß Anonymität und Datenschutz im Bewußtsein der Verbraucher, wie Befragungen immer wieder zeigen, nicht unbedingt sehr ausgeprägt sind, vgl. dazu Kubicek und Klein 1995).

Inwieweit andere Akteursgruppen ein Interesse an bargeldähnlichem elektronischen Geld entwickeln könnten und inwieweit sie dann auch über ausreichende Ressourcen für ihre Durchsetzung verfügten, ist schwer zu beantworten. Ansatzpunkte hierfür zeigen sich etwa beim Handel, wo über Bonuspunkte, die als eine Art Nebenwährung verstanden werden könnten, Kundenbindung angestrebt wird. Bonuspunkte mögen durch elektronische Bezahlformen einfacher und effektiver implementierbar sein; ob sich daraus jedoch in einem größeren Umfang bargeldähnliches elektronisches Geld entwickeln könnte, wird eher skeptisch beurteilt (vgl. hierzu den Beitrag von Krüger und Godschalk in diesem Heft). Ein potentielles Interesse könnte auch bei Unternehmen vorliegen, die über eine entsprechend komplexe technische Infrastruktur, eine breit gestreute Massenkundschaft und eine hohe ökonomische Potenz (und Solvenz) verfügen. Zu denken ist hier insbesonder an die Energiekonzerne, Telekommunikationsunternehmen und andere Netzbetreiber und an große Softwareunternehmen. Nicht zuletzt gesetzliche Regelungen, insbesondere die sechste Novelle des Kreditwesengesetzes, die Anfang 1998 in Kraft trat, haben solchen Entwicklungen einen Riegel vorgeschoben, indem sie allein die Banken zur Herausgabe von Karten- oder Netzgeld legitimieren. Vielleicht wurden damit ja vorsorgend schwer beherrschbare Risiken im Zahlungsverkehr frühzeitig ausgeschaltet; vielleicht wurde damit eine "Technik ohne Lobby" endgültig auf das Abstellgleis geschoben; vielleicht wurde damit aber auch die eigentlich sozial interessante Innovation im Interesse des Bankensektors schon in einem Stadium verhindert, bevor sie eine adäquate Form finden konnte.

7. Kontrolle ist gut, Bargeld ist besser

Auf das Kontrollpotential elektronischer Zahlungsmittel weist z.B. der in Dresden lehrende Kryptologe Andreas Pfitzmann gerne hin, indem er ein Planspiel des US-Geheimdienstes von 1971 heranzieht, in dem auf die "Preisfrage" nach der optimalen Methode, Menschen zu überwachen, die damals wohl überraschende Antwort lautet: durch elektronische Zahlungssysteme. Der Trick liegt darin, daß sozusagen vorderhand die Illusion der Unbeobachtetheit und Freiheit aufrechterhalten wird, während die perfekte Überwachung und Auswertung aller Bezahlvorgänge im Hintergrund mitläuft. Der Gegensatz von Freiheit und Kontrolle wird mehr noch als im allgemeinen Bezug auf "elektronische Zahlungsmittel" im Bezug auf "elektronisches Bargeld" in seiner Zuspitzung deutlich. Denn Bargeld steht gewissermaßen für Freiheit. Als Einkommen bzw. Lohn bedeutet es die Freiheit von persönlichen Abhängigkeiten und erlaubt bis zu einem gewissen Grad, nach freiem Willen, von niemandem kontrolliert Geschäfte zu tätigen. Gerade deshalb dürfte eine Überwachung, die am Bargeld ansetzt, als besonders perfide empfunden werden.

Etwa seit Anfang der 70er Jahre beschäftigen sich Kryptologen damit, elektronische Zahlungsmittel zu entwickeln, die genau dieser Gefahr begegnen können. Wenn sie also Konzepte für elektronisches Geld entwerfen, bedeutet das gleichzeitig, daß sie erhebliche Anstrengungen dafür aufwenden, das Kontrollpotential durch geeignete Vorkehrungen auszuschalten bzw. zu reduzieren.

Insofern der Kontrollaspekt - so etwa Beninger (1986) und Mulgan (1991) - essentiell zur Informationsgesellschaft gehört, sollte man ihn - auch wenn er latent bleibt - im Auge behalten. Ohne auf den Horror eines Überwachungsstaates anzuspielen zu müssen, läßt sich in unserem Zusammenhang auf wenigstens zwei Tendenzen hinweisen, die der weiteren Beobachtung und Einschätzung wert sind. Zum einen nimmt die Idee Gestalt an, daß man das Kontrollpotential der Informationstechnik selektiv bei elektronischen Geldprodukten einsetzen könnte. Die Idee, z.B. zweckgebundene Sozialhilfe in Form elektronischen Geldes auszuteilen, deutet an, daß die Übergänge vom Geld zu "polizeylichen" Maßnahmen fließend gestaltet werden können. Zweitens zeichnet sich im elektronischen Milieu des Internet ein Konflikt ab zwischen den bargeldnahen elektronischen Zahlungsverfahren einerseits und den kontobasierten, buchgeldorientierten Verfahren, die weder anonym noch datensparsam zu nennen sind. Sollte sich keine wirklich bargeldnahe Variante elektronischen Geldes im Internet durchsetzen, bekäme die völlig überzogene Vision der seit den sechziger Jahren propagierten "cashless society" einen spezifischen Sinn: es wäre eine Gesellschaft, die nicht nur keine Münzen und Scheine mehr kennt, sondern auch auf die damit verbundenen Freiheiten verzichtet.

8. Von der Materialität des immateriellen Mediums Geld

Das Aufkommen elektronischer Zahlungssysteme und elektronischen Geldes hat viele Autoren dazu geführt, von einer neuen Stufe der Entstofflichung, Entsubstantialisierung, von der Virtualisierung oder von der Immaterialisierung des Geldes zu sprechen. Dieser Vorgang bedeutet eine Veränderung in den Medien- und Kommunikationstechniken, zu denen Geld als "symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium", um das systemtheoretische Konzept hier zu verwenden, gehört. Veränderungen in den Kommunikationsverhältnissen indizieren immer auch gesellschaftliche Veränderungen und sind von daher sowohl für den theoretisch orientierten Soziologen als auch für den an gesellschaftlichen Folgen von Technik Interessierten bedeutsam.

Die Beschäftigung mit dem Phänomen Geld von der Systemtheorie Luhmanns (1988) ausgehend, hat zum Verständnis des Geldes als Kommunikationsmedium, Zeichen oder Information beigetragen. [13] Eine solche Auffassung des Geldes scheint geradezu prädestiniert, die Immaterialität digitalen Geldes als neue Entwicklungsstufe zu erfassen. So heißt es bei Hörisch: "Das Monitorgeld ist das plausible Telos in der Entwicklungslogik vom handfesten Wert über das gemünzte Gold und die Assignaten bis zum Scheck und über beschriebenes Papier hinaus in schlechthin immaterielle Sphären hinein. Nicht nur die Informationen, die zählen, sondern auch das Geld verläßt zur Zeit die Gutenberggalaxis" (1998, S. 81). Daß angesichts der Immaterialisierung des Geldes noch ein erheblicher Bedarf besteht, die Technikfolgen abzuschätzen, darauf weist Hörisch ebenfalls hin: "Die Folgen dieses proteischen Gestaltwandels des Geldes sind im einzelnen schwer abzuschätzen" (1998, S. 81).

Das würden wir unterstreichen. Was uns bei der Beobachtung der Immaterialisierung des Geldes und der Reflexion ihrer Folgen jedoch etwas verloren zu gehen scheint, ist die Beachtung des parallel verlaufenden Technisierungsprozesses, oder um es anders zu formulieren: nach unserem Eindruck wird hier derzeit noch zu wenig auf die Materialität immaterieller Medien abgestellt. Die "Materialität der Kommunikation" zu untersuchen war vor gar nicht langer Zeit noch Programm (vgl. Gumbrecht 1988), das sich aber angesichts der digitalen Medien zu verflüchtigen scheint. Das halten wir für falsch und wollen deshalb auf einige Punkte hinweisen, an denen eine die Materialität der Digitaltechnik ernst nehmende Beschäftigung mit "elektronischem Geld" ansetzen könnte. Der Parallelismus, daß - wie Hörisch formuliert - Informationen und Geld die Gutenberggalaxis verlassen, kann als Ausgangspunkt dienen, weil die allgemeine Diskussion um digitale Medien etwas weiter zu sein scheint als die spezielle zum digitalen Medium Geld.

1. Die Diskussion um die elektronischen Medien (Hypertexte, Multimedia) hat den nützlichen Begriff des "programmierbaren Mediums" (vgl. etwa Coy 1994, S. 19) hervorgebracht. Texte und Dokumente, die früher statisch waren, sind nun programmtechnisch veränderbar, werden Objekte der Informationsverarbeitung. In Analogie ließe sich nun entsprechend vom Geld als programmierbarem Medium, kurz: von programmierbarem Geld sprechen. Über das Potential dieser Innovation darf spekuliert werden; vorstellbar ist etwa ein Geld, das per Programm auf dem Heim-PC verzinst wird; eine programmtechnische "Fernwartung", die einer inflationären Geldentwicklung entgegensteuern könnte. Ein wichtiger Aspekt ist auch darin zu sehen, daß ein Angebot von bestimmten Bedingungen abhängt. Nach Nutzerpräferenz, aber auch nach Nutzerverhalten kann ein Lernprogramm z.B. unterschiedliche Inhalte anbieten. Auf Geld übertragen könnte die wenn-dann-Eigenschaft des Mediums z.B. bedeuten, daß ein elektronisches Darlehensprogramm seine Konditionen danach richtet, wer es benutzt, daß Preise für online angebotene Waren danach festgesetzt werden, wer die shopping-mall betritt etc. Es ist auch daran zu denken, daß elektronisches Geld so programmiert werden kann, daß es nicht mehr für die Bezahlung beliebiger Waren zur Verfügung steht. Ein vergleichsweise harmloser Fall wäre das elektronische Taschengeld, mit dem man weder Alkohol, Tabak noch "junk food" kaufen kann (vgl. Coates in diesem Heft).

2. Die Grenzen zwischen unterschiedlichen Informationsarten werden fließend. Ein elektronisches Handbuch kann z.B. eine CAD-Software ergänzen oder ein CAD-Programm kann zu Veranschaulichungs- und Lernzwecken in ein elektronisches Buch über Architektur integriert sein. Elektronisches Geld kann - und das ist beim Design multifunktionaler, elektronischer Geldbörsen bereits berücksichtigt - von Zusatzangeboten umgeben sein. Rabatte, Bonuspunkte und sonstige Vergünstigungen und Zusatzleistungen können gewährt, Parkscheine, Fahrkarten u.a. mit diesen Chipkarten verwaltet und abgerechnet werden. Das allgemeine, gesetzlich verbindliche Zahlungsmittel steht in dynamischem Austausch mit "Nebengeldern".

3. Wie ein elektronisches Dokument nur als Einheit von Software und mitzuteilender Information verstanden werden kann, die Informationen also nirgendwo eine unabhängige Existenz besitzt, ist auch elektronisches Geld nicht als irgendwo abgespeicherte Information zureichend zu begreifen. Elektronisches Geld existiert nur im Zusammenhang mit der Zahlungssoftware. Elektronisches Geld ist sozusagen ohne das elektronische Portemonnaie nicht zu haben. Die Funktionalität der Zahlungssoftware und das Design ihrer Benutzungsoberfläche wirken mit an dem, was elektronisches Geld bedeutet und wie es gebraucht werden kann. Auch an der Bedienung der Computer-Software erweist sich der materielle Charakter des Mediums. Das digitale Medium Geld erbt zudem alle Probleme von Computeranwendungen (Absturzgefahr, Datenverlust, Inkompatibilitäten etc.). Der Aspekt der Materialität ist selbstverständlich auf die Hardware, auf der die Zahlungssoftware läuft, auszuweiten - egal ob PC, Wallet (wie bei Mondex oder CAFE) oder SmartCard.

9. Zahlungssysteminfrastrukturen und Politik

Es verwundert, daß in der Diskussion um elektronisches Geld bisher unseres Wissens nicht Bezug genommen wurde auf die sozialwissenschaftliche Forschung über große technische Systeme und die damit verknüpften Infrastrukturfragen. Uns scheint eine Berücksichtigung dieses Forschungsgebiets produktiv für einige technikgenetische Fragen und für die Identifikation politischer Probleme im Kontext von Zahlungssysteminnovationen.

Nach Mayntz (1993, S. 98) sind große technische Systeme weiträumige, zur dauerhaften Erfüllung eines spezifischen Zwecks verbundene Netzwerke heterogener technischer und sozialer Komponenten. Es bedarf kaum einer detaillierten Begründung, daß die (unterschiedlichen) Zahlungssysteme unter diese allgemeine Definition genauso subsumiert werden können, wie die Telekommunikations-, die Verkehrs- oder die Energieversorgungssysteme.

Betrachten wir beispielsweise das Eurocheque-System, dann wird deutlich, daß es als ein Banken-Schecksystem viel zu eng gefaßt wäre. In einem komplexen technischen, rechtlichen und sozialen Geflecht sind am Eurocheque-System neben den Kreditunternehmen die Händler, die Zahlungsnetzwerkbetreiber, die Terminalhersteller, die Verrechnungszentralen und andere mehr beteiligt. Typisch für solche großen technischen Systeme ist ihre relativ hohe Stabilität bei gleichzeitiger Entwicklungsfähigkeit oder Offenheit für weitergehende Anwendungen. Während das Eurocheque-System in seinem sozio-technischen Kern über die Jahrzehnte stabil blieb, ist die ursprüngliche Anwendungsidee, ein internationales, bankenübergreifendes Scheckgarantiesystem zu schaffen, weitgehend marginalisiert worden, da der Papierscheck immer mehr zurückgedrängt wurde. Das System Eurocheque konnte sich aber mit neuen, an die Basisleistungen anknüpfenden Zahlungsformen stabilisieren und weiterentwickeln. Zu nennen sind hier in erster Linie die Einführung von electronic cash (in seinen unterschiedlichen Varianten) als belegloses Zahlungsverfahren an der Händlerkasse (EFTPOS-System, electronic fund transfer am point of sale; vgl. zur langwierigen und verschlungenen Entwicklungsgeschichte dieses Zahlungsverfahrens Klein (1993), sowie die Sammelrezension von Riehm in der Online-Ausgabe dieses Heftes), das Maestro-Zahlungsverfahren als internationale Variante eines EFTPOS-Systems (zusammen mit dem Kreditkartenunternehmen Mastercard) und nicht zuletzt der GeldKarten-Chip, der von den meisten Bankinstituten zusammen mit der Eurocheque-Karte ausgegeben wird.

Wir vermuten, daß sich relativ singuläre Zahlungssysteminnovationen einzelner Akteure vom Typ First Virtual oder CyberCash schwer tun, ihren Nischencharakter zu überwinden. So interessant und innovativ sie im einzelnen auch sein mögen, es bedarf ausreichender Anknüpfungspunkte an die vorhandenen technischen Systeme und Koalitionspartner unter den ökonomischen Akteuren, um die Einzelinnovation in eine verallgemeinerbare Zahlungssysteminfrastruktur einzugliedern. [14] Gegenwärtig ist die dominierende Strömung der Zahlungssysteminnovationen im Internet die Übernahme von etablierten Zahlungsverfahren außerhalb des Internets für das Internet. Die bisherigen Zahlungssysteme bleiben dabei im Kern unangetastet, werden aber um einige neue Schnittstellen und "Zuleitungen" erweitert.

Der Trend, daß die bisher über proprietäre, gesonderte Netzwerke abgewickelten elektronischen Zahlungssysteme zunehmend ins offene Internet wandern, ist wahrscheinlich unumkehrbar. Er hängt damit zusammen, daß sich das Internet als Basisinfrastruktur für Netzanwendungen sowohl im Banken-, als auch im Geschäfts- und Konsumentenbereich herausbildet. Wenn alle Zahlungsakteure das Internet für ihre Zahlungssysteme als Netzinfrastruktur nutzen und statt spezieller Kartenterminals Standard-PCs mit Chipkartenleser zum Einsatz kommen, dann verbreitern sich die Einsatzmöglichkeiten für elektronische Zahlungssysteme schlagartig. Andererseits ist erwartbar, daß die Unternehmen, die bisher in diesem geschützten Geschäftsbereich agierten, dieser Entwicklung auch Widerstand entgegensetzen. Ob die Schwierigkeiten für die Einführung der GeldKarte im Internet damit zusammenhängen, ist nicht mehr als eine Hypothese und bedürfte einer genaueren Untersuchung.

Faßt man die elektronischen Zahlungssysteme als große technische Systeme mit Infrastrukturcharakter auf, dann stellen sich mindestens zwei Probleme, die aus anderen technischen Kommunikationssystemen auch bekannt sind, und dort immer auch einer politischen Regelung bedurften: die Probleme der Interoperabilität und des offenen Zugangs.

Die Vielfalt der Akteure, der Ansätze und der bestehenden Basissysteme führt in der gegenwärtigen Phase der Zahlungssysteminnovation zu einer Reihe nicht kompatibler Lösungen. Nicht jedes Zahlungsterminal akzeptiert alle Chipkarten, nicht jede Wallet-Software für das Bezahlen im Internet ist geeignet, alle Zahlungsverfahren abzuwickeln, nicht jede Händlersoftware für den elektronischen Handel ist auf beliebige Zahlungsverfahren eingerichtet. Gleichzeitig haben die Systeme nur dann eine Chance, wenn sie eine kritische Masse überschreiten, sich also selbst als Quasistandard durchsetzen oder einem offenen Standard entsprechen. Die Herstellung von Interoperabilität wird so zu einem Erfolgsfaktor jeder Zahlungssysteminnovation. Andererseits besteht die Gefahr, daß Einzelunternehmen oder Unternehmensverbünde versuchen, konkurrierende Lösungen von der Nutzung der Zahlungssysteminfrastruktur auszuschalten, um sich damit einen relativen Konkurrenzvorsprung zu sichern, den allgemeinen Infrastrukturcharakter damit aber selbst in Frage stellen.

Diese inhärente Widersprüchlichkeit läßt sich unter den gegebenen Rahmenbedingungen zwar nicht lösen, aber doch bearbeiten. Sind die Einzelakteure dazu nicht in der Lage, ist der Staat als Moderator oder Regulator mit seiner Infrastrukturverantwortung gefordert. Dabei geht es um einen schwierigen Balanceakt zwischen der Herstellung interoperabler Bedingungen ohne Behinderung des technischen Fortschritts und einer Begrenzung von Marktmacht, wenn diese droht, die Konkurrenz auszuschalten und die Zahlungssysteminfrastruktur als allgemeine, offene zu gefährden, ohne die legitimen Wirtschaftsinteressen der Einzelunternehmen zu verletzen.

Wir wollen diese Probleme abschließend an zwei aktuellen Beispielen verdeutlichen. Bei der GeldKarte gibt es die Möglichkeit, Zusatzanwendungen, z.B. Bonussysteme, Parkzeitabrechnung etc., aufzuladen. Sieht man die GeldKarte als Bestandteil einer offenen Zahlungsinfrastruktur, dann müßten erstens die Schnittstellen zur Nutzung dieser Zusatzanwendungen standardisiert und öffentlich zugänglich sein und zweitens die Kontrolle über die Aufladung solcher Zusatzanwendungen bei den Kartenbesitzern, den Endkunden, liegen. Tatsächlich ist es aber momentan so, daß es keine Normierung für diese Zusatzanwendungen gibt, und die Kreditinstitute allein darüber entscheiden, was aufgeladen werden kann oder nicht. Das ist fast so, als wollte Intel sich das Recht anmaßen, darüber zu bestimmen, welche Software auf Intel-Rechnern laufen darf.

Nicht weniger brisant kann das zweite Beispiel werden. Hier geht es um die sogenannte Wallet-Software auf PCs, die für Zahlungen im Internet die Kundenschnittstelle darstellt. Im Idealfall würde man sich wünschen, daß man mit Hilfe dieser Wallet-Software selbst entscheiden kann, ob man per Rechnung oder Kreditkarte, per Lastschrift oder GeldKarte, unter Einschaltung der einen oder der anderen Bank bezahlen kann. Ein vielleicht nicht unrealistisches Gegenszenario könnte wie folgt aussehen: Eine der nächsten Versionen des Betriebssystems Windows, das bekanntlich über ein Quasi-Monopol verfügt, enthält als integrierten Bestandteil die Microsoft-Wallet-Software. Diese ließe nur bestimmte Zahlungsverfahren zu. Das wäre in etwa so, als wenn der Verkäufer einer Hose den Geldbeutel ("gratis") gleich mitliefert, aber dann auch darüber bestimmen wollte, welche Währung und welche Zahlungskarten in diesem Geldbeutel Platz finden. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen in den USA um die Integration des Microsoft WWW-Browsers in das Betriebssystem Windows weisen in diese Richtung.

Anmerkungen

[1] Das korrespondiert dem Selbstverständnis des BMBF von der Aufgabe der Technikfolgenabschätzung als "Politikberatung und Schaffung von Orientierungswissen". Vgl. etwa Hunger 1996.

[2] Wenn man den Aufbau der Informations-Infrastruktur zu den "big problems", um das alte Schlagwort von Weinberg aufzugreifen, rechnete, ließe sich von hier aus ein Bogen zur "problemorientierten Forschung" schlagen (vgl. Bechmann und Frederichs 1996).

[3] Schumpeter spricht, oft zitiert, von der Notwendigkeit der "schöpferischen Zerstörung", vgl. etwa Rammert 1997.

[4] Kubicek und Klein (1995, S. 104) akzentuieren etwas anders mit der Unterscheidung in eine Explorations-, Mainstream-, Diffusions- und Reaktionsphase. Die Feinheiten dieser Unterschiede spielen hier jedoch keine Rolle.

[5] Vgl. auf dem Server des Bundesverbandes deutscher Banken unter http://www.bdb.de/bank/kurzinfo.htm#punkt1

[6] Es liegen ausgezeichnete sozialwissenschaftliche Arbeiten vor, die sich mit der Entwicklung elektronischer Zahlungssysteme befassen, die jedenfalls eines gemeinsam haben, daß sie die Nicht-Determiniertheit und die Langwierigkeit der Innovationsprozesse eindrucksvoll belegen. Vgl. Kubicek und Klein (1995), Klein (1997) und Weber (1997).

[7] Die Zahlen wurden vom EHI, dem EuroHandelsinstitut Köln, mitgeteilt. Bezahlung per Scheck oder Rechnung sind die zu ergänzenden Zahlungsverfahren.

[8] Rogers (1971, S. 182ff) arbeitet mit der fast klassischen Einteilung: innovators (die ersten 2,5%); early adopters (die folgenden 13,5%), gefolgt von der early majority (34%), der late majority (34%) und den laggards (16%).

[9] Kubicek (1997, S. 213-239) unternimmt den interessanten Versuch, die Entwicklung der verschiedenen Internet-Dienste im Rahmen eines Entwicklungs- und Diffusionsmodells für Massenmedien zu diskutieren. Dabei wird deutlich, daß das Internet keineswegs der Selbstläufer bleiben muß, als der es heute erscheint.

[10] Stichworte in diesem Zusammenhang, die wir hier nicht weiter erklären wollen, sind etwa SET (Secure Electronic Transaction), HBCI (Home-Banking-Computer-Interface oder edd (electronic direct debit).

[11] Wir haben an anderen Stellen versucht, diese Vorstellungen zu kritisieren. Vgl. Böhle und Riehm (1986 zum DTP), Riehm und Wingert (1996 zu Multimedia), Böhle u.a. (1997 zu Hypertexten).

[12] Eine genauere Untersuchung wäre in diesem Zusammenhang für "Mondex" nötig. Mondex ist ein elektronisches Geldsystem, das vielleicht die bargeldähnlichsten Eigenschaften besitzt, und ursprünglich aus dem englischen Bankenkontext stammt. In Deutschland spielt das Mondex-System aus Gründen, die nicht ganz transparent sind, bisher praktisch keine Rolle.

[13] Um drei Autoren in diesem Zusammenhang herauszustellen, die unterschiedliche Entwicklungsrichtungen verfolgen, sei auf den Wirtschaftssoziologen Baecker (1988), auf Hutter (1995) mit seiner Zeichentheorie des Gelds und den Medienwissenschaftler Hörisch (1998), der auch die frühere Diskussionen um Geld und Geist im Anschluß an Sohn-Rethel verarbeitet hat, aufmerksam gemacht.

[14] Das Internet-Zahlungsverfahren First Virtual macht sich sowohl die allgemein verfügbare E-Mail-Infrastruktur zu Nutze als auch die Verbreitung von Kreditkarten und verknüpft diese beiden Basiselemente mit einem interessanten kundenorientierten Zahlungsmodus (der Kunde kann der Zahlung widersprechen, ähnlich dem Lastschriftverfahren).

Literatur

Baecker, Dirk: Information und Risiko in der Marktwirtschaft. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1988

Bechmann, Gotthard und Frederichs, Günter: Problemorientierte Forschung: zwischen Politik und Wissenschaft. In: Bechmann, G. (Hrsg.): Praxisfelder der Technikfolgenforschung. Frankfurt am Main und New York: Campus: 1996, S. 11-37 (Veröffentlichungen des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Band 3)

Bechmann, Gotthard und Grunwald, Armin: Innovation. "Was ist das Neue am Neuen, oder: wie innovativ ist Innovation?" TA-Datenbank-Nachrichten 7(1998)1, S. 4-11 (auch im WWW unter http://www.itas.fzk.de/deu/TADN/TADN198/schwer.htm#schwer)

Beninger, James: The Control Revolution: Technological and Economic Origins of the Information Society. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1986

Böhle, Knud; Riehm, Ulrich; Wingert, Bernd: Vom allmählichen Verfertigen elektronischer Bücher. Ein Erfahrungsbericht. Campus Verlag: Frankfurt am Main und New York 1997 (Veröffentlichungen des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Band 5)

Böhle, Knud und Riehm, Ulrich: Elektronisches Publizieren und Desktop Publishing. Variationen für Schreibende und Publizierende. In: Paul, M. (Hrsg.): GI - 17. Jahrestagung: Computerintegrierter Arbeitsplatz im Büro, München, 20.-30. Oktober 1987. Berlin u.a: Springer 1987, S. 252-268 (Informatik-Fachberichte 156)

Braun, Ingo und Joerges, Bernward (Hrsg.): Technik ohne Grenzen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1994

Bühl, Achim: Cybermoney oder die Verflüchtigung des Geldes. In: Brill, A. und de Vries, M. (Hrsg.): Virtuelle Wirtschaft. Opladen und Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 1998, S. 224-240

Coy, Wolfgang: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Bolz, N.; Kittler, F.; Tholen, Ch. (Hrsg.): Computer als Medium. München: Fink 1994, S. 19-37

Gumbrecht, Ulrich und Pfeiffer, K. Ludwig (Hrsg.): Materialität der Kommunikation. Franfurt am Main: Suhrkamp 1988

Hörisch, Jochen: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998

Hunger, Bernd: Technikfolgenabschätzung im BMFT als Doppelaufgabe: Politikberatung und Schaffung von Orientierungswissen. In: Bechmann, G. (Hrsg.): Praxisfelder der Technikfolgenforschung. Frankfurt am Main und New York: Campus: 1996, S. 109-114 (Veröffentlichungen des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Band 3)

Hutter, Michael: Signum non olet: Grundzüge einer Zeichentheorie des Geldes. In: Schekle, W. und Nitsch, M. (Hrsg.): Rätsel Geld. Marburg: Metropolis 1995, S. 325-352

Klein, Stephan: Hürdenlauf electronic cash. Die Entstehung eines elektronischen kartengestützten Zahlungssystems als sozialer Prozeß. Mölln: Steinau 1997, 2. Auflage (zuerst 1993)

Kubicek, Herbert: Das Internet auf dem Weg zum Massenmedium? - Ein Versuch, Lehren aus der Geschichte alter und anderer neuer Medien zu ziehen. In: Werle, R. und Lang, Ch. (Hrsg.): Modell Internet. Entwicklungsperspektiven neuer Kommunikationsnetze. Frankfurt und New York: Campus 1997, S. 213-239

Kubicek, Herbert und Klein, Stephan: Wertkarten im Zahlungsverkehr. Trends und Perspektiven auf dem Weg zur elektronischen Geldbörse. Wiesbaden: Gabler 1995

Lütge, Gunhild: Viele Bits für eine Mark. Jetzt ist auch in Deutschland der Startschuß für virtuelles Geld im Internet gefallen. DIE ZEIT, 12.12.1997, Nr. 51, S. 33; http://uranus.ecce-terram.de/zeit-archiv/cybermon.txt.19971212.html

Luhmann, Niklas: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988

Mayntz, Renate: Große Technische System und ihre gesellschaftstheoretische Bedeutung. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 45(1993)1, S. 97-108

Mulgan G.J.: Communication and Control. Networks and the New Economics of Communication. Cambridge: Polity Press 1991

OECD: Electronic Commerce: Prices and Consumer Issues for Three Products: Books, Compact Discs, and Software. DSTI/ICCCP/IE(98)4/FINAL. OECD: Paris 1998. Im Internet zugänglich über http://www.oecd.org/dsti/sti/it/ec/prod/ie98-4.htm

Rammert, Werner: Innovation im Netz. Neue Zeiten für technische Innovationen: heterogen verteilt und interaktiv vernetzt. Soziale Welt 48(1997)4, S. 397-416

Riehm, Ulrich und Wingert, Bernd: Multimedia. Mythen, Chancen und Herausforderungen. Mannheim: Bollmann 1995

Rogers, Everett M. und Shoemaker, F. Floyd: Communication of Innovation, New York: The Free Press 1971 (First edition 1962)

Schmid, Beat und Klein, Stefan: Electronic markets and the transformation of business. In: Schmid, Beat, Pigneur, Yves, Schiesser, Giaco: Electronic Markets: Importance and meaning for Switzerland. Bern: Schweizerischer Wissenschaftsrat, Programm TA 1996, S. 21-55 (TA 23/1996)

Weber, Arnd: Soziale Alternativen in Zahlungsnetzen. Frankfurt am Main und New York: Campus 1997

Weisshuhn, Arndt und Weisshuhn, Bernhard: Kommerz im Internet. Elektronische Zahlungsverfahren sind das größte Hindernis - eine Marktübersicht. Blick durch die Wirtschaft, 16.8.1996, Nr. 158, S. 11

Weyer, Johannes: Vernetzte Innovationen - innovative Netzwerke. Airbus, Personal Computer, Transrapid. In: Rammert, W. und Bechmann, G. (Hrsg.): Technik und Gesellschaft: Jahrbuch 9. Frankfurt am Main und New York: Campus 1997, S. 125-152

Wittke, Volker: Online in die Do-it-yourself-Gesellschaft? - Zu Widersprüchlichkeiten in der Entwicklung von Online-Diensten und denkbaren Lösungs-formen. In: Werle, R. und Lang, Ch. (Hrsg.): Modell Internet. Entwicklungsperspektiven neuer Kommunikationsnetze. Frankfurt und New York: Campus 1997, S. 93-112

Kontakt

Dipl.-Soz., M.A. Knud Böhle
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.:+49 721 608-22989
E-Mail: knud boehle∂kit edu