POST-Studie: "Radioactive Waste - Where Next?"

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Studie des POST über die gescheiterte Suche nach einem Endlagerstandort

von Reiner Papp, Forschungszentrum Karlsruhe, Projektträgerschaft Entsorgung

Das Parliamentary Office of Science and Technology (POST), London, ist ein vom englischen Parlament finanziertes Büro beim Parlament, das beiden Häusern Informationen und Analysen zu technisch-wissenschaftlichen Themen liefert. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Standortentscheidung für ein Endlager für radioaktive Abfälle, genauer gesagt ein sog. Untertagelabor (UTL), dessen Zweck darin besteht, die Eignung eines Standortes für die spätere Errichtung eines Endlagers festzustellen. Um den ständigen Informationsbedarf der Parlamentarier zum Thema Entsorgung inkl. Endlagerung radioaktiver Abfälle zu befriedigen, wurde dieser Bericht von POST erstellt; in ihm werden sowohl die allgemeine Problematik der radioaktiven Abfälle als auch der Ereignisablauf im Zusammenhang mit dem beantragten Standort (Sellafield) behandelt.

UK Nirex (Nuclear Industry Radioactive Waste Management Executive) wurde Mitte der 80er Jahre auf Regierungsbeschluß von der britischen Nuklearindustrie gegründet, um einen Standort zu suchen, an dem mittel- und schwachaktive radioaktive Abfälle in tiefen geologischen Schichten endgelagert werden sollen. 1989 wählte Nirex den Standort Sellafield aus und stellte den Antrag zur Errichtung eines Untertagelabors. Ende 1994 versagte die zuständige lokale Behörde (Cumbria County Council) die Genehmigung, im März 1997 wurde auch Nirex' Berufung gegen diesen Bescheid nach einer öffentlichen Anhörung vom Umweltminister abgelehnt. Damit war ein Prozeß zu einem jähen Ende gekommen, der, alles gerechnet, 1976 begonnen und annähernd 450 Millionen Pfund gekostet hatte.

Was war falsch gelaufen? Umstritten ist vor allem, ob die Behörde beim Genehmigungsverfahren für das UTL - in dem keine Radioaktivität gehandhabt werden soll - zu Recht die Frage nach der Eignung dieses Standortes für die Endlagerung radioaktiver Abfälle zur Kernfrage gemacht hatte, oder sich auf die Prüfung der Umweltverträglichkeit des UTL hätte beschränken müssen. Die Genehmigungsbehörde warf Nirex vor, zu geringe Kenntnisse über die komplizierten hydrogeologischen Verhältnisse an diesem Standort aufzuweisen, verhinderte aber gleichzeitig durch die Ablehnung des UTL die Verbesserung eben dieses Kenntnisstandes. Entscheidend für die Ablehnung war schließlich noch Nirex' Konzentration auf Sellafield als einzigem Standort. Dies hatte jedoch seinen Grund darin, daß die Suche nach Standorten schon in den 80er Jahren nur in Gegenden mit kerntechnischen Anlagen wie Sellafield und Dounreay nicht am Widerstand der Bevölkerung gescheitert war. Außerdem schreiben die einschlägigen (britischen) Gesetze nicht vor, daß im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung ein Standort mit Alternativen zu vergleichen sei. Allerdings hatte Nirex vor 1989 mehrere Standorte an Hand einer multi-attribute decision analysis miteinander verglichen, wobei die Entscheidung zugunsten Sellafield im wesentlichen durch den Faktor Transportweg zustande kam.

In Großbritannien stellt sich nun nach der Ablehnung der Berufung die Frage, ob die geübte Genehmigungspraxis nicht die Garantie des Scheiterns beinhaltet. Der größte Teil der Insel weist kristallinen Untergrund auf, so daß es schwierig wäre zu belegen, daß grundsätzlich kein geeigneter Endlagerstandort gefunden werden könnte.

Trotzdem besteht wenig Grund zu der Annahme, daß das Genehmigungsverfahren an einem neuen Standort einen anderen Verlauf nehmen würde. Neben den verfahrenstechnischen Unwägbarkeiten verdeutlichte das Sellafield-Verfahren, daß das Hauptproblem der Endlagergenehmigung darin besteht, Konsens in der Beurteilung der, in erster Linie durch Modellrechnungen nachgewiesenen, Langzeit-Sicherheit herzustellen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle die wesentliche Zielgröße - gleichzeitig auch Endlager-Auslegungskenngröße -, deren Einhaltung durch eben diese Modellrechnungen nachzuweisen ist: In Großbritannien ist diese risikobezogen definiert, es darf das individuelle Krebsrisiko zu keinem Zeitpunkt 10 6/Jahr überschreiten (im Vergleich dazu die deutsche Zielgröße: eine Individualdosis von 0,3 mSv/Jahr = 30 mrem/Jahr).

Weitgehende Übereinstimmung besteht darin, daß nur eine gründliche Neuordnung der Strukturen und Zuständigkeiten einen Ausweg bieten könnte. Kernstück müßte eine der Regierung und dem Parlament unterstellte Kommission sein, die, finanziert aber sonst unabhängig von der Nuklearindustrie, Entsorgungslösungen entwickelt und schließlich die Standortwahl trifft. Diese Kommission müßte beispielsweise auch eine Überprüfung (peer review) ihrer wissenschaftlichen Arbeit und der von ihr getroffenen Entscheidungen zulassen. "Transparenz" ist das neue Zauberwort.

Schließlich seien zwei der Gesichtspunkte erläutert, die nun in Großbritannien beim weiteren Vorgehen eine Rolle spielen werden. Der eine, die Rückholbarkeit des Abfalls aus dem Endlager, ist in den Endlagerplanungen der meisten Kernenergie-Länder vorgesehen - nicht jedoch in Deutschland, wo das möglichst schnelle Verschließen der Hohlräume durch die "Konvergenz" des Salzes ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist -; der zweite, die Langzeitzwischenlagerung, gewinnt hingegen in allen diesen Ländern an Bedeutung. Beiden gemeinsam ist die Frage, wie Technik zu bewerten ist, die zu Risiken für Generationen führt, die keinen Nutzen aus dieser Technik ziehen konnten.

Bei der Rückholbarkeit geht es darum, daß einer zukünftigen Gesellschaft die Möglichkeit bewahrt werden soll, das Sicherheitsniveau zu verbessern und Material aus dem Endlager zu holen. Schwedische Behörden haben dies so formuliert, daß das Endlager ohne Überwachung und Wartung sicher sein muß, aber auch nach dem Verschließen zum Ende der Betriebsphase im Prinzip zugänglich bleiben muß; und weiter, daß die Verantwortung für das Endlager nicht diesen Generationen aufgeladen werden darf, diese jedoch "auf Wunsch" in der Lage sein müssen, Verantwortung zu übernehmen.

Langzeitzwischenlagerung wird in allen Kernenergieländern in Erwägung gezogen. In Frankreich ist sie sogar eine der drei gesetzlich vorgeschriebenen Säulen - die beiden anderen sind Tieflagerung und partitioning/transmutation -, die mit gleichem Gewicht verfolgt und 2006 dem Parlament zur Bewertung vorgelegt werden müssen. Diese Variante hilft, für die Suche nach einem Endlagerstandort Zeit zu gewinnen, durch den radioaktiven Zerfall eröffnet sich in manchen Länden (Frankreich, England u.a.) für einen Teil des Abfallstroms die Möglichkeit, oberflächennah (und vergleichsweise billig) endzulagern, weiter ist der Zugang zum Abfall immer möglich und schließlich werden für den Sicherheitsnachweis keine komplizierten und mit Unsicherheiten behafteten Rechenmodelle benötigt. Kritiker äußern, daß dies nicht die endgültige Lösung sein könne und somit dem Prinzip der Nachhaltigkeit klar widerspreche.

Im britischen Beispiel handelt es sich um schwachaktive Abfälle, die noch bis Mitte des nächsten Jahrhunderts ins oberflächennahe Endlager Drigg gebracht werden können, sowie um mittel- und hochaktive Abfälle - Abfälle, die tiefgelagert werden müssen -, die teils an Kernkraftwerken selbst, teils am Gelände der Nuklearanlage Sellafield zwischengelagert werden; diese Kapazitäten reichen noch 30-50 Jahre. Das Beispiel zeigt, daß keine besondere Eile bei der Standortsuche aus technischen Gründen geboten erscheint. Andererseits verstärken m.E. lange Zwischenlagerzeiten in der Öffentlichkeit den Eindruck, die Frage des endgültigen Verbleibs sei, auch technisch, noch nicht gelöst.

Bibliographische Angaben

Parliamentary Office of Science and Technology (POST): Radioactive Waste - Where Next? London 1997. 99 S. ISBN 1 897941 61 7.

Die Studie kann bezogen werden über

The Parliamentary Bookshop
12 Bridge Street, London SW1A 2JX
Tel.: + 44 (0) 71-219-3890

Eine 4-seitige Zusammenfassung der Studie ist über
ITAS erhältlich:
Ingrid von Berg,
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