Schwerpunktthema: Theorie und Praxis der Informationsgesellschaft
Nach dem gescheiterten Multimedia-Versuch des Landes Baden-Württemberg - Chancen und Risiken
Nach dem gescheiterten Multimedia-Versuch des Landes Baden-Württemberg - Chancen und Risiken
von Günther Oettinger, CDU-Landtagsfraktion Baden-Württemberg
Die CDU-Landtagsfraktion hat im Frühjahr 1994 den Vorschlag der Landesregierung, im neuen Geschäftsfeld Multimedia initiativ zu werden, mit Optimismus mitgetragen. Die Federführung lag beim SPD-geführten Wirtschaftsministerium unter Dieter Spöri. Um eines vorwegzunehmen: Der Versuch war verdienstvoll - ohne daß gleich eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgemacht werden soll. Wer Mut zum Risiko zeigt, dem muß zugestanden werden, daß der Versuch auch fehlschlagen kann. Eine nüchterne, ehrliche Bilanz kommt inzwischen freilich zu dem Schluß: Der Versuch ist fehlgeschlagen.
Die beiden Ursachen liegen für den kritischen Beobachter auf der Hand: Die erste ist formaler Natur: Wer Vertragspartner hat, wer vertragliche Bindungen eingeht, muß diese Verträge einhalten. Dem Vertragspartner Telekom gegenüber war es letztlich nicht möglich, Termine einzuhalten, die zunächst den "Start im Sommer des Jahres 1995" vorsahen. Dann erfolgte die Verschiebung auf Frühjahr 1996, weil immer noch technische Probleme vorlagen, und schließlich auf Oktober 1996.
Aber es gibt einen inhaltlichen Grund für das Scheitern des Multimedia-Versuchs, der in der Art und Weise seiner grundsätzlichen Konzipierung zu suchen ist: Der Fernsehapparat ist das falsche Gerät, der PC ist das richtige. Die Freizeitgesellschaft ist der falsche Ansprechpartner, stattdessen wäre die Wirtschafts- und Lerngesellschaft der richtige Adressat gewesen.
Um es drastischer auszudrücken: Es ist das Gebot der Stunde, nicht das Verhalten der Bürger auf der Couch neben "Bier und Chips" zu erforschen, sondern dem Bürger den Einstieg in Multimedia für Schule, Hochschule und Betrieb zu erleichtern. Deswegen hat die CDU-Fraktion die Landesregierung unmittelbar nach Einstellung des Versuchs gebeten, auf der Grundlage einer gebündelten Kompetenz in Staats- und Wirtschaftsministerium unter Einbeziehung von Kultus- und Wissenschaftsministerium neue Initiativen zu erarbeiten und mit der Medien- und Filmgesellschaft zu verbinden.
Spricht man mit Vertretern von Handwerksbetrieben, namentlich mit Vertretern kleiner Unternehmen, so zeigt sich, daß es durchaus möglich wäre, durch ein Multimedia-Projekt zu erreichen, daß Angebote überbetrieblicher Ausbildungsstätten auch in die Betriebe kommen und damit die Trennung von Betrieb und Schule nicht mehr im bisherigen Maß notwendig ist. Deshalb halte ich die hinter dem Versuch stehende Intention - freilich in der hier benannten, umstrukturierten Form - nach wie vor für sinnvoll und hilfreich.
Ein Bundesland, das sein Profil als Medienstandort schärfen will, muß entschlossen auf multimediale Nutzungen setzen. Es muß entsprechende Ausbildungsformen anbieten, Ausbildungskapazitäten erschließen, auf die Fort- und Weiterbildung im Medienbereich setzen und standortsichernde Brücken zwischen Ausbildungsstätten und Medienbetrieben initiieren. Es kommt jetzt darauf an, verantwortungsbewußt und verantwortlich mit dem Wachstumsmarkt Multimedia umzugehen, damit eine enorme Chance nicht vertan wird. Wer nicht einsteigt, wird abgekoppelt.
Wir sollten dem beteiligten Firmenkonsortium um Acatel SEL, Sony Deutschland, Bosch und den anderen Partnern nicht voreilig die Türe zuschlagen. Ohne das Interesse der Industrie kann es keinen Versuch geben und ich möchte nochmals betonen, daß es ohne einen gewissen Mut zum Risiko keinen Erfolg geben kann. Schuldzuweisungen sind deshalb kontraproduktiv, auch wenn die Fehler ohne Scheuklappen beim Namen genannt werden müssen.
Mit dem vollzogenen Schlußstrich unter den alten Versuch müssen im Rahmen des finanziellen Spielraums der Politik zügig neue Anwendungsformen erprobt werden. Es geht darum, ein Projekt zu erarbeiten, bei dem durch Markteinführung eine Chance entsteht, die entsprechenden Produkte früher als andere zu erarbeiten und damit auch früher zu verkaufen. Das gilt für Hardware ebenso wie für Software.