Auszug aus der Rede vor dem Landtag zum Stuttgarter Pilotversuch

Schwerpunktthema: Theorie und Praxis der Informationsgesellschaft

Rede von Dr. Dieter Spöri im Landtag am 13.11.96

Am 13.11.1996 führte der Landtag von Baden-Württemberg eine Aktuelle Debatte über "Multimedia Baden-Württemberg - Neue Chancen nach dem Scheitern der Datenautobahn" durch, auf der Dieter Spöri (damals noch SPD-Fraktion) zum gescheiterten Pilotversuch in Stuttgart eine ausführliche Stellungnahme abgab. Spöri war in seiner Zeit als Wirtschaftsminister die treibende Kraft hinter diesem Pilotversuch. Wir dokumentieren im folgenden Auszüge aus seiner Rede vor dem Landtag aus dem Landtagsprotokoll, 12. Sitzung der 12. Wahlperiode, S. 550 - 552. (UR)

Erstens: In den achtziger Jahren ... hat die baden-württembergische Wirtschaft aufgrund einer gewissen Selbstgefälligkeit über die Erfolge in den Traditionsbranchen den Umstieg in die Informationsgesellschaft, in neue Wertschöpfungs- und neue Marktpotentiale, in neue Arbeitsplätze in großem Umfang vernachlässigt und verschlafen.

Zweitens: Wir haben deshalb gemeinsam versucht, ein Engagement zu unterstützen, als die Telekom und andere hier ansässige Firmen gesagt haben: Wir wollen interaktives Fernsehen in Baden-Württemberg nicht nur erproben, sondern mit einer neuen Spitzentechnologie entwickeln. Ich habe das natürlich - da wird mir Vollmundigkeit und zuviel Euphorie vorgeworfen - begeistert unterstützt, weil das interaktive Fernsehen große Marktpotentiale hat ... und weil die Firmen bereit waren, für diesen Ansatz zusätzlich zu den Landesmitteln weitere 20 bzw. 40 Millionen DM einzusetzen.

Drittens: ... Die Bereitschaft ... betriebliche Anwendungen, die sehr wichtig sind, mit dem PC finanziell in einer ähnlichen Größenordnung, also mit 40 Millionen DM, zu unterstützen, war nach meiner Gesprächserfahrung zum damaligen Zeitpunkt bei der deutschen Telekom und bei den beteiligten Firmen des Konsortiums nicht vorhanden.

Das hatte ... zwei Gründe. Erstens: Der PC ist technologisch weit entwickelt und hat eine marktgängige Reife. Da kann man augenblicklich nicht viel Technologieförderung gestalten. Zweitens ist es so, daß viele wichtige und zentrale Anwendungsformen, ... aus betrieblichem Interesse heraus bereits laufen, zum Beispiel die Telearbeit bei IBM. ...

Dennoch hat das Wirtschaftsministerium, weil wir wußten, daß das für die Nutzung von Kosten- und Effizienzpotentialen sowie für die Konkurrenzfähigkeit enorm wichtig ist, immer wieder versucht, betriebliche Anwendungsformen zu puschen und zu fördern. ...

Viertens: Ich warne ... vor einer ideologischen Fixierung auf eine Technologie. ... Ich warne davor, betriebliche Anwendung als quasi edel und Konsumanwendung als quasi schnöde auszuspielen. Wenn man sich das einmal wirtschaftspolitisch ansieht, ist es so, daß natürlich der Stuttgarter Versuch vom Konsortium vorrangig eine eindeutige Haushaltsausrichtung gehabt hat und deswegen auch eine starke Konsumausrichtung - neben Informationsanwendung Telelearning und andere Informationen. Dennoch warne ich davor, sich wirtschaftspolitisch gegenüber konsumptiven Anwendungen und gegenüber der Förderung der Technologie in diesem Zusammenhang elitär auszusprechen.

Fünftens: Der Niedergang Deutschlands in Teilbereichen der Industrie hat vor allen Dingen in der gehobenen Konsumgüterindustrie stattgefunden. Wir sind im Bereich der betrieblichen Technologie nach wie vor sehr stark und in der Investitionsgüterindustrie am Weltmarkt führend. Was wir verloren haben, ist unsere Produktions- und Konkurrenzkkompetenz im Bereich der gehobenen Konsumgüter, beispielsweise der Konsumelektronik. ...

Dieser Prozeß hat nicht aufgehört. Er hat uns unheimlich viele Arbeitsplätze gekostet. Es wäre eine ungeheure Chance für Deutschland, für Baden-Württemberg und auch für unsere Arbeitsplätze, wenn wir in der gehobenen Konsumgüterelektronik wieder führend bei einer neuen Technologie dabei wären.

...
Sechstens: Ein Großteil der Menschen wird auch nach Einschätzung der USA, wo die Dinge vorangeschritten sind, auch in Zukunft trotz aller Bemühungen nicht nur mit dem PC kommunizieren, sondern vor allen Dingen zu Hause mit der Set-top-box als Zusatzgerät zum Fernseher. Viele in den USA sagen, die Set-top-box als Weiterentwicklung, als einfacher Computer, hätte sogar eine größere Marktchance, weil sie einfacher zu bedienen sei. Ich möchte mich da nicht ideologisch auf eine Seite schlagen, aber deswegen war der Stuttgarter Ansatz ... durchaus ein richtiger Ansatz.

Siebtens: Wenn sich die Entwicklung und damit der Start des Versuchs um über ein Jahr verzögert hat, hat mir das am meisten gestunken. ... Das hat die Firmen verunsichert. ... Das hat die Interessierten verunsichert. Das war eine Hängepartie, die uns sehr genervt hat und dann natürlich auch die neue Amtsführung nerven mußte. Dennoch muß ich ... sagen: Derartige Verzögerungen sind bei technologischen Neuentwicklungen durchaus nicht unüblich. Niemand käme auf den Gedanken, zum Beispiel ein neues, visionäres solares Großprojekt in Spanien zur Wasserstofferzeugung deswegen abzubrechen, weil es um ein paar Jahre verzögert worden ist. Niemand käme auf den Gedanken, das bei um Jahrzehnte verzögerten Schnellbahnprojekten zu tun. Niemand käme auf den Gedanken, deswegen Weltraumprojekte einzustellen. ...

Achtens: Natürlich kann das Wirtschaftsministerium ... den Versuch nicht einfach selbstherrlich fortsetzen, wenn die Telekom als Betreibergesellschaft die Technik nicht abnimmt. Das geht nicht. Wenn dafür technische Funktionsmängel der vertragliche Anlaß waren, müssen diese Funktionsmängel zunächst zur Kenntnis genommen werden. In diesem Zusammenhang muß man neben den juristischen, vertraglichen Aspekten aber dringend auch andere Aspekte berücksichtigen und beachten.

Die Telekom war bereit, sich in Baden-Württemberg in einem Maß über den von mir unterstützten Pfad zu engagieren - mit Millionen -, das in Wahrheit über die vertraglichen Festlegungen hinausging. Sie war bereit, sich in Baden-Württemberg in der Multimedia-Entwicklung mehr zu engagieren als in jedem anderen Bundesland. Es wäre mir angst, wenn sich die Telekom bei diesem Thema aus dem Land Baden-Württemberg zurückzöge. Dagegen muß man alles unternehmen.

... Es wäre absurd, wenn eine Spitzentechnologie - und ich glaube den Firmen, dem Konsortium, den Entwicklern, den Mitarbeitern in diesen Firmen, daß die Spitzentechnologie nach Anfangsschwierigkeiten inzwischen funktioniert -, wenn eine technologisch neu entwickelte Spitzentechnologie für einen Wachstumsmarkt, meinetwegen auch für einen Konsummarkt nicht bei uns erprobt würde. ... Es wäre schade, wenn diese Technologie in anderen Regionen zu wirtschaftlichen Erfolgen führen würde, wie das beim Fax der Fall war und wie das auch einmal beim Wankelmotor der Fall gewesen war.

...
Neuntens: Wir haben viel zu wenig PC-Anwendung auch in anderen Bereichen. Das kann man alles machen. Das ist eine nützliche Verwendung [für das restliche Geld]. Neue Modellprojekte sind sicherlich eine nützliche Verwendung. Aber sie sind keine Entwicklung, keine Förderung einer neuen Technologie im Bereich der Kommunikationselektronik. Sie sind keine Förderung einer neuen Technologie, die neue Märkte erschließen soll. Sie sind etwas, was in den begünstigten Sektoren auch Applaus finden wird. Vor allem für die Firmen, die PCs verkaufen, sind sie eine wertvolle Verkausförderung. Sie sind sicherlich sehr sinnvoll.

Zehntens: Wenn sich jetzt manche aufblähen, sage ich zum Abschluß eines: ... Es gibt beim Ballungsraumfernsehen Verzögerungen, die viel größer sind. Es gibt beim DAB-Projekt Probleme. Man ist da hinter den Zielen, die man sich gesetzt hat, meilenweit zurück. ...
Derartige Schwierigkeiten lassen sich nicht ganz abstellen. Aber man könnte nach meiner Erfahrung die Effizienz der baden-württembergischen Politik für den Medienstandort dadurch erhöhen, daß man die zersplitterte medienpolitische und medientechnologische Kompetenz in einem Ministerium zusammenführt, wie das zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen praktiziert worden ist, und unnötige Ressortrivalitäten und auch parteitaktische Rivalitäten vor Wahlkämpfen von vornherein unterbindet. ... Deswegen sage ich: Koordinierungsgruppen zwischen Ressorts können diese Funktionsmängel nicht aufheben.

Ich sage Ihnen abschließend: Es war ein Risiko. Aber Sie werden, wenn Sie Neuland betreten, wenn Sie Chancen für unsere Firmen öffnen wollen, immer wieder diese Risiken, diese Probleme haben. Das Schlimmste ist der Politikertypus, der dieses Risiko scheut. Er ist das größte Standortrisiko.