Schwerpunktthema: Theorie und Praxis der Informationsgesellschaft
Multimediagesetzgebung in Deutschland. Ein föderales Trauerspiel in mehreren Akten
Multimediagesetzgebung in Deutschland Ein föderales Trauerspiel in mehreren Akten
Martin Recke <mr94Ykj1∂prenzlnet in-berlin de
Vorgeschichte
,,A human year is about five Internet years``, meint der frühere Netcom-Marketingmann John Zeisler. Dieses Zeitmaß zugrunde gelegt, wären Bund und Länder schon seit mehr als sieben Internet-Jahren dabei, einen Rechtsrahmen für ,,Multimedia`` zu zimmern, und zudem mit zweifelhaftem Erfolg. Die Gesetzgebungsverfahren sind zwar inzwischen weit fortgeschritten, sie haben jedoch zur Klärung der Rechtslage wenig beitragen können. Der Hamburger Justizsenator und Medienrechtler Wolfgang Hoffmann-Riem meinte jüngst gar, ihm sei es ,,nicht gelungen, die Geltungsbereiche dieser Regeln zu erkennen`` (epd medien 5/1997).
Die heutige Konfusion geht zurück auf die Ausgangssituation am Ende des Jahres 1995. Damals hatte der Anfang 1995 von Bundeskanzler Kohl einberufene Technologierat seinen Bericht vorgelegt und darin empfohlen, ein ,,national einheitliches Medienordnungsrecht`` zu schaffen, um zu einer ,,freien Entfaltung der Marktkräfte`` bei den neuen Medien zu gelangen. Gegen die Länderkompetenzen zielte der Vorschlag, den stets umstrittenen Rundfunkbegriff durch einen bundesgesetzlichen Ordnungsrahmen möglichst eng zu fixieren und so das Gewicht der Länder zu verringern.
Die Medienpolitiker der Länder protestierten umgehend und heftig gegen dieses Ansinnen und gaben eine Überarbeitung des Btx-Staatsvertrages in Auftrag, der selbst ein Relikt aus einem ähnlich gelagerten Streit Anfang der 80er Jahre ist. Seinerzeit hatten die Länder sich gegen den Bund durchgesetzt, der Bildschirmtext als Annex der Fernmeldetechnik und daher Gegenstand der Bundesgesetzgebung sehen wollte. Der inzwischen längst veraltete Btx-Staatsvertrag soll nun durch einen ,,Staatsvertrag über Mediendienste`` abgelöst werden. Trug der erste Entwurf vom vergangenen Frühjahr noch allzu deutlich die Züge des Btx-Staatsvertrages, so ist zwischenzeitlich die schubladenhafte Rollenverteilung zwischen Teilnehmern, Anbietern und Betreibern etwas aufgeweicht worden, wie sie, für den Bildschirmtext typisch, sich auch im Vertrag fand. Im Dezember stimmte die Ministerpräsidentenkonferenz dem Entwurf vom 20. November im Grundsatz zu.
Gleiches tat das Bundeskabinett mit dem Entwurf eines ,,Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetzes`` (IuKDG) aus dem Hause des Forschungsministers Jürgen Rüttgers. Der hatte, marketingmäßig besser beraten als die Länder, im 1996 ein als ,,Eckpunkte`` betiteltes Papierchen präsentiert und darin die multimediale ,,Gewerbefreiheit`` ausgerufen. Demgegenüber erschienen die Länder plötzlich als regelungswütig und kleinkariert, obwohl deren Regelungsabsichten sich in der Substanz vom erst im Juni vorgelegten Rüttgers-Entwurf nur unwesentlich unterschieden. In zähen Gesprächen arbeiteten Bund und Länder bis zum Spätherbst an Kompromißentwürfen.
Zulassungsfreiheit und gesetzliche Verantwortung
Kern des anhaltenden Streits sind also nicht die geplanten Regelungen, sondern die Frage, wer für was zuständig ist. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht das ,,Teledienstegesetz``, eines der drei neuen Gesetzeswerke, die der Bund plant. Unter dem Kürzel IuKDG firmiert ein Paket, das Rüttgers' Referenten aus insgesamt drei Gesetzen und sechs Änderungen vorhandener Gesetze geschnürt haben. Der im Herbst gefundenen Kompromißformel zufolge wollen die Länder im Mediendienstestaatsvertrag ,,an die Allgemeinheit gerichtete`` elektronische Informations- und Kommunikationsdienste regeln, während das Teledienstegesetz des Bundes für vergleichbare Dienste zuständig sein soll, wenn sie für eine ,,individuelle Nutzung`` bestimmt sind.
Die durch solche butterweichen Abgrenzungskriterien zu erwartenden Schwierigkeiten in der Rechtspraxis sollen dadurch entschärft werden, daß die beiden Gesetzeswerke in zentralen Passagen weitgehend wortgleich formuliert wurden. So sieht inzwischen keiner der beiden Entwürfe mehr eine Zulassungs- oder Anmeldepflicht vor. Und auch die Regeln zur Verantwortlichkeit sind nahezu identisch, müssen jedoch als dürftig und wenig hilfreich eingestuft werden. Um festzustellen, daß Anbieter für eigene Inhalte ,,nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich`` sind, bedürfte es keiner neuen Rechtstexte.
Als Antwort auf die überaus heikle Frage hingegen, wieweit die Anbieter eines Dienstes für fremde Inhalte verantwortlich sind, haben Bund wie Länder nur einen Gummiparagraphen zu bieten: ,,Wenn sie von diesen Inhalten Kenntnis haben und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern``, dann trifft sie die gesetzliche Verantwortung. Inwieweit sich daraus im Alltag des Internets eine umfassende Kontrollpflicht für Provider ergeben würde, ist noch nicht abzusehen und dürfte weitgehend der konkreten Rechtssprechung überlassen bleiben. Sofern lediglich der Zugang zur Nutzung vermittelt wird, stellt das Gesetz die Anbieter von eigener Verantwortung für fremde Dienste frei.
Das schmale Teledienstegesetz enthält daneben nur noch eine Art ,,Impressumspflicht`` für Anbieter. Der Staatsvertragsentwurf der Länder unternimmt hingegen den Versuch, althergebrachte Regelungen des Presserechts wie Sorgfaltspflicht, Trennung von Bericht und Kommentar, Gegendarstellungsrechte, Werbebestimmungen oder Auskunftsrechte gegenüber Behörden in die Welt der ,,Mediendienste`` zu übertragen. Dazu kommen Regeln für den Jugendschutz, ähnlich denen, die der Bund ins Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften aufnehmen will (Artikel 6 IuKDG).
Die Länder planen jedoch, über die bundesgesetzlichen Regelungen hinauszugehen und nicht nur Angebote zu untersagen, die nach dem Strafgesetzbuch ohnehin strafbar sind, sondern auch jugendgefährdende Inhalte zu verbieten, solange nicht durch Sendezeit oder andere Mittel dafür gesorgt ist, daß Jugendliche sie ,,üblicherweise`` nicht zu Gesicht bekommen. Der Bund will demgegenüber nur das gewohnte Verfahren der Indizierung auf die neuen Medien ausdehnen.
Datenschutz und Signaturgesetz
Weitreichende Übereinstimmung herrscht hingegen auch bei den Datenschutz-Vorschriften im Teledienstedatenschutzgesetz (Artikel 2 IuKDG) und im III. Abschnitt des Mediendienste-Staatsvertrags. Neben den herkömmlichen Schutzvorschriften für personenbezogene Daten sowie Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten, schreiben beide Entwürfe die Möglichkeit vor, die neuen Dienste anonym oder mittels Pseudonym verschleiert zu nutzen und zu bezahlen. Nutzungsprofile dürfen nur über Pseudonyme erhoben werden und nicht mit persönlichen Daten des Pseudonymträgers zusammengeführt werden. Die Nutzer erhalten Auskunftsrechte über alle Daten, die über sie gespeichert werden.
Die digitale Unterschrift, im Alltag der Computernutzung bislang nur ansatzweise präsent, soll mit dem neuen Signaturgesetz (Artikel 3 IuKDG) einen rechtlichen Rahmen erhalten. Der Gesetzentwurf basiert auf Authentifizierungsverfahren mit öffentlichen und privaten Signaturschlüssel-Paaren, schreibt jedoch kein konkretes Verfahren vor. Es ist vorgesehen, Lizenzen für Zertifizierungsstellen zu vergeben, von denen die Zuordnung öffentlicher Schlüssel zu Personen bestätigt wird. Das Signaturgesetz wird es möglich machen, rechtlich verbindliche digitale Unterschriften zu leisten, und ist die einzige wirkliche Innovation in all den neuen Rechtswerken.
Allgemeine Unzufriedenheit
Es kommt nicht allzuoft vor, daß sich Kritik aus dem grünen Lager mit nahezu gleichlautender aus dem Unternehmerlager trifft. Die Medienpolitiker von Bündnis90/Grüne geißeln die ,,willkürliche`` Trennung zwischen ,,Telediensten``, die das IuKDG regeln soll, und ,,Mediendiensten``, die unter den Länderstaatsvertrag fallen würden, ebenso wie die Trennung zwischen Mediendienste- und Rundfunkstaatsvertrag (epd medien 13/1997). Der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) beklagt die anhaltende ,,völlige Rechtsunsicherheit`` in Regulierungsfragen und die noch immer ungeklärten Zuständigkeiten. Nachdem der Bund im Teledienstegesetz den Geltungsbereich des Mediendienste-Staatsvertrags der Länder nicht mehr ausdrücklich ausschließe, seien ,,keinerlei Abgrenzungen`` zwischen den Entwürfen mehr erkennbar.
Die schärfste und zugleich am weitesten verbreitete Kritik richtet sich also nicht gegen die Substanz der geplanten Regulierung, sondern gegen das Verfahren, mit dem Bund und Länder das Prinzip des Föderalismus ad absurdum geführt haben. Von einem einheitlichen Kommunikationsrecht, zu Beginn des vergangenen Jahres von Experten jeglicher Couleur gefordert (vgl. Der Rat für Forschung, Technologie und Innovation [1995], Hege [1996], Stammler [1996], Glotz & Thomas [1996] u.a.), ist das Land weiter denn je entfernt. Dabei war die Gelegenheit günstig wie selten.
Ende Januar 1996 verabschiedete der US-Kongreß den Telecommunications Act of 1996. Der amerikanischen Regulierungstradition folgend, bietet er ein Vorbild für ein solches einheitliches Rahmenwerk. Gleichzeitig wurde in Deutschland nicht nur das neue Telekommunikationsgesetz (Tk-Gesetz) beraten, sondern auch über eine Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages debattiert. Damit standen die beiden Eckwerke der Medien- und Telekommunikationsgesetzgebung auf dem legislativen Prüfstand. Es hätte sich angeboten, nach dem Vorbild der Federal Communications Commission eine neue Bundesbehörde mit einheitlichen Kompetenzen für die Regulierung von Medien und Telekommunikation zu schaffen. In jedem Fall aber hätte eine Zersplitterung der Zuständigkeiten, wie sie nun ins Haus steht, vermieden werden müssen.
Zwar korrespondiert es mit der im Zuge der Digitalisierung zunehmenden Komplexität von Medien- und Telekommunikationssystemen, neue Gesetze zwecks Regulierung einzuführen; gleichzeitig erhöht sich aber auch deren wechselseitige Interdependenz und erschwert damit die Abgrenzung zwischen den beiden Politikfeldern. Mit dem Übergang zum digitalen Zeitalter ist immer seltener entscheidbar, welche der beiden Politiken jeweils ,,zuständig`` ist. Der Medienstaatsvertrag in der vorliegenden Fassung ist ein einziges Rückzugsgefecht einer Form von Regulierung, die von Auflösung bedroht ist: der Medienaufsicht als Wertentscheidung, mit der knappe Ressourcen nicht durch wirtschaftlich-monetäre, sondern durch hoheitlich verfaßte gesellschaftlich-politische Allokationsverfahren und nach inhaltlichen Kriterien vergeben werden.
Medien- und Kommunikationspolitik sollte künftig daran arbeiten, den Zugang zu den Infrastrukturen offen zu halten, der im digitalen Zeitalter zur entscheidenden Hürde wird, wichtiger als der Zugang zu speziellen Angeboten. Dies muß nicht zwangsläufig eine Bundesaufgabe sein und die Länder zur medien- und telekommunikationspolitischen Kapitulation zwingen. Projekte wie BayernOnline zeigen deutlich, welche Bedeutung die Länder gerade bei Fragen des freien und allgemeinen Zugangs haben können.
Diese künftig essentiellen Probleme werden jedoch, von allgemein gehaltenen Formeln abgesehen, weder im neuen Rundfunkstaatsvertrag noch in den beiden Multimedia-Gesetzeswerken adressiert. Mit dem Zugang zur Telekommunikationsinfrastruktur allein, im neuen Tk-Gesetz umfangreich und differenziert geregelt, ist es nicht getan. Zugangsfragen sind stets dreifaltig, handeln vom Zugang bestimmter Inhalte ebenso wie vom Zugang als Anbieter und als Konsument. Mit dem staatlichen Verzicht auf Anmeldung oder Zulassung, obgleich nicht falsch, ist keine dieser Fragefacetten beantwortet.
Eine Klausel, die im früheren Länderentwurf noch enthalten war, wurde inzwischen gestrichen: Sie hätte marktbeherrschende Anbieter von Telekommunikations- und Mediendiensten dazu verpflichtet, anderen zu gleichen Bedingungen Zugang zu gewähren. Ungeregelt bleiben nun auch diverse Fragen, die an der juristischen Schnittstelle zwischen Telekommunikations- und Medienrecht liegen: Die Neutralität technischer Dienstleistungen gegenüber Inhaltsanbietern thematisieren Bund und Länder nun ebensowenig wie die Fragen der Zusammenschaltung von Medien- und Telediensten. Ein Zusammenschaltungsrecht wird es nur im Telekommunikationsrecht geben, eine Neutralität der Dienstleister nur im Rundfunkstaatsvertrag. Die Trennung dieser beiden Sphären wandelt sich immer mehr von der Problemlösung zum Problem, das durch die neuen Gesetze nicht gelöst, sondern noch verschärft wird.
Literatur
Der Rat für Forschung, Technologie und Innovation [1995],
Informationsgesellschaft. Chancen, Innovationen und Herausforderungen. Feststellungen und Empfehlungen.
Glotz, P. & Thomas, U. [1996],
Höchste Zeit. Für ein Medienordnungsrecht aus einem Guß, epd/Kirche und Rundfunk 48(12), 3-8.Hege, H. [1996],
Für Wort, Schrift und Bild gleichermaßen. Bund und Länder müssen einen Multimedia-Pakt schließen, epd/Kirche und Rundfunk 48(8), 5-11.Stammler, D. [1996],
Abschied vom Lagerdenken. Medienstaatsvertrag: Bund und Länder sollen zusammenwirken, epd/Kirche und Rundfunk 48(3), 3-7.