Zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Zukunft der Medien"

Schwerpunktthema: Theorie und Praxis der Informationsgesellschaft

Politische Chance Multimedia - und wie die Fraktionen des Bundestages sie nutzen.

Zum Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Zukunft der Medien"

von Gerhard Vowe, Freie Universität Berlin

1.Multimedia - das sind neuartige Technikkonfigurationen, Dienstleistungsangebote, Nutzungsarten, Inhaltskombinationen, Akteurskonstellationen im tripolaren Spannungsfeld von Rundfunk, Telekommunikation und Computer. Die innovativen Kommunikationsmuster stellen unsere hergebrachten Begriffe und Routinen auf die Probe. So bilden sich auf den Internetforen Spielarten von Gruppenkommunikation, kommunikative Gemeinschaften, die mit dem tradierten Dualismus von Individual- und Massenkommunikation begrifflich nicht aufzufangen sind. Und so wie sich technisch und sozial aus den drei Polen neue medial vermittelte Kommunikationsformen herausbilden, so bilden sich auch neue politische Konstellationen: Neue Akteure betreten die Arena; die hergebrachten Domänengrenzen kommunikationspolitischer Akteure wanken; die Karten der kommunikationspolitischen Spieler werden neu gemischt. Sie müssen sich nun in einem veränderten, dem tripolaren Spannungsfeld verorten. Auch die politischen Entscheidungen oszillieren zwischen den drei Polen, denn jeder dieser Pole steht auch für eine spezifische Akteurskonstellation und eine spezifische Regulierungstradition mit ihren jeweiligen Gestaltungsroutinen, Auseinandersetzungsmustern und Ordnungsformen. Dem hoch regulierten und mit politischen Mythen geradezu überfrachteten Rundfunkbereich steht der schwach regulierte und auch vergleichsweise nüchtern wahrgenommene Computerbereich gegenüber. Dazwischen rangiert der Telekommunikationsbereich - mit mittlerweile stark ausgedünnter Regulierungsdichte. Jeder Bereich hat andere Domänenabgrenzungen mit zum Teil anderen Akteuren. Eine Multimediapolitik kann sich also an verschiedenen Traditionen orientieren, wenn sie vor der Aufgabe steht, hier gestaltend zu wirken, bzw. wenn Akteure die Chance nutzen, ihre kommunikationspolitische Domäne zu sichern oder zu erweitern.

2.Nun hat eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags (s. Anm. 1) (EK) die Aufgabe übernommen, in diesem Spannungsfeld politikfähige Positionen zu markieren, also im Wettbewerb der Parteien Strittiges und Gemeinsames auszuloten, in ausreichender Distanz zum politischen Alltagsgeschäft den Dingen auf den Grund zu gehen und sachlich angemessene, aber zugleich politisch durchsetzungsfähige Strategien zu entwerfen.

Das ist, wie andere plural zusammengesetzte Kommissionen in diesen und anderen Feldern gezeigt haben, möglich, und es ist notwendig - notwendig für den Bundestag, der als Parlament auch bei Multimedia Flagge zeigen muß, notwendig für die Parteien, die in diesem Zukunftsfeld ihr Profil schärfen müssen, notwendig aber auch für die Kommunikationspolitik insgesamt, die oft den Eindruck erweckt, zwischen den drei Polen hin- und hergerissen zu sein, und die bislang nicht zu einer ausbalancierten Multimediapolitik gefunden hat.

Diese EK hat im November 1996 einen ersten Zwischenbericht vorgelegt und ihm das Thema gegeben: "Meinungsfreiheit - Meinungsvielfalt - Wettbewerb. Rundfunkbegriff und Regulierungsbedarf bei den Neuen Medien" (s. Anm. 2). Auf den ersten Blick erstaunt der Zwischenbericht, auf den zweiten enttäuscht er, wirkt aber beim dritten doch recht anregend.

Erstaunen läßt zunächst die Form: Es wurden gleich vier Berichte vorgelegt, und zwar nicht zu vier einzelnen Aspekten des Themas oder zu vier Problembereichen, sondern jede Fraktion hat einen eigenen Bericht erstellt. Einer davon ist durch die Mehrheit der Koalition in der Kommission zum "eigentlichen" Zwischenbericht deklariert, während die drei Zwischenberichte von SPD, Bündnisgrünen und der "Gruppe der PDS" zu Anhängen degradiert sind (s. Anm. 3).

Diese Sammlung wirkt dann bei näherem Hinsehen enttäuschend: Die Gemeinsamkeit der Demokraten erschöpft sich in der vorgegebenen Gliederung. Es ist nicht einmal gelungen, bei den stärker deskriptiven Teilen zu technischen Potentialen oder zum ökonomischen Stellenwert eine gemeinsame Linie zu ziehen. Erst recht divergieren die Zwischenberichte in den Punkten "Regulierungsbedarf bei den Neuen Diensten", "Zukunft des dualen Rundfunksystems", "Medienkonzentration". Selbstverständlich kann es hier ebensowenig wie in anderen Politikfeldern darum gehen, Formelkompromisse zu fordern oder einen gemeinwohlbasierten Konsens zu beschwören. Im Gegenteil: Es ist Vorsicht geboten, wenn besonders nachdrücklich das Gemeinwohl propagiert wird, weil auf diese Weise gerne Klientel- und Eigeninteressen geschützt werden. Auch eine EK setzt sich aus konkurrierenden Interessenvertretern zusammen, aber man kann von einer EK erwarten, daß aus dem fairen Wettstreit transparenter Interessen und Sichtweisen eine nachvollziehbare Analyse des jeweiligen Problemfeldes entwickelt wird und sowohl sachlich angemessene als auch politisch durchsetzbare Strategien geformt werden - dies kann ja als Bündel von Optionen formuliert sein. Der Zwischenbericht bleibt im Vorfeld einer solchen Argumentation; Pluralismus verkommt hier zur unverbundenen Addition von Positionen, und das ist enttäuschend. Der Zwischenbericht zeugt von der Monologfähigkeit der Parteien. Man mag nicht glauben, daß dieser Dissensgrad der Sache geschuldet ist, denn es behauptet niemand, bei Multimedia seien letzte Werte berührt. Dies wurde im Falle der Kernenergie und im Falle der Gentechnik immer behauptet, und dennoch sind die entsprechenden Enquete-Kommissionen weit über eine Addition von Positionen hinausgelangt. Wenn dies im Falle Multimedia - zumindest beim ersten Zwischenbericht - nicht gelungen ist, dürfte dafür, so läßt sich vermuten, das Beziehungsmuster der Mitglieder die Ursache bilden.

Wie auch immer: der Bericht ist aber auf den dritten Blick gerade deshalb anregend, weil man aus dem Bericht ersehen kann, wie unterschiedlich die Herausforderung im politischen Raum aufgenommen wird. Man kann den Zwischenbericht wie ein Album aufblättern und sich ansehen, wie unterschiedlich die veränderte Situation wahrgenommen wird und wer wie die politische Chance nutzt, die Multimedia (auch) beinhaltet. Der Bericht gerät auf diese Weise zu einer Momentaufnahme der politischen Auseinandersetzung in diesem Feld. Jede Partei hat ihre Argumentationen modernisiert, erweitert, differenziert - aber es sind die guten alten Lager noch erkennbar.

3.Zu den Positionen im einzelnen: Das eine Ende des Spektrums markieren die Fraktionen der Regierungskoalition, also CDU, CSU und FDP. Ihr Zwischenbericht ist von einem konsequenten Liberalismus durchdrungen. "Deregulierung" ist das Motto - aber nicht nur im Bereich der online-Dienste, wo Zulassungsfreiheit als Selbstverständlichkeit formuliert wird (vgl. Zwischenbericht, S. 16). Die Verwerfungen durch Multimedia werden zugleich als Anlaß genommen, um auch im Rundfunkbereich der Gewerbefreiheit die Fesseln des Rundfunkrechts abzustreifen, ihn damit der Telekommunikation anzugleichen. Die doppelte Sicherung gegen Marktmacht durch Kartellrecht und Rundfunkrecht sei überholt; der Rundfunk sei an die allgemeinen Konzentrationsregelungen, wie sie die übrige Wirtschaft kennt, anzugleichen - weit über die jüngste Novellierung des Rundfunkstaatsvertrages hinaus. Die Konvergenz von privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk sei so weit vorangeschritten, daß die mit den Aufgaben der "Grundversorgung" begründete Privilegierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überholt sei. Zumindest die Werbefinanzierung solle nun ganz den Privaten überlassen werden (ebenda, S. 19). Damit nicht genug: Auch die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern habe sich überholt (ebenda, S. 22 f.).

Man fragt sich, was das soll. Hier wird versucht, längst und jüngst geschlagene Schlachten neu aufzurollen, womit man Loyalität zum VPRT demonstrieren, nicht aber ein politisch durchsetzungsfähiges Konzept entwickeln kann, wie die Reaktionen aus Bayern und von anderen Landesregierungen deutlich gezeigt haben (vgl. epd vom 19.10.96; Funkkorrespondenz vom 31.10.96; Frankfurter Rundschau vom 17.10.96). Rundfunkpolitik, ob als Regulierung oder als Deregulierung, kann nur mit den Ländern und mit dem Bundesverfassungsgericht, nicht gegen sie geschehen.

Am anderen, dem etatistischen Ende des Spektrums sind die Bündnisgrünen zu finden. Während die Koalition den gesamten Informations- und Kommunikationsbereich, einschließlich des Rundfunks, nach dem Muster der Telekommunikation deregulieren will, wollen die Bündnisgrünen den gesamten Informations- und Kommunikationsbereich, einschließlich der Computernetze, nach dem Muster des Rundfunks regulieren: Leitbild ist die "triale Informationsordnung" (s. Anm. 4), deren eine Säule ein dem Gemeinwohl verpflichteter Public Service auch in den Netzen bildet, flankiert von kommerziellen und nichtkommerziellen privaten Anbietern. Das Gegenstück im Rundfunkbereich bildet ein auf Gebührenfinanzierung gestützter kleiner, aber reiner öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der hier zum organisationsgewordenen Gemeinwohl stilisiert wird (ebenda, S. 81). Nicht ganz klar wird, inwieweit Multimediaanbietern ein freier Zugang zu den Netzen zugestanden wird bzw. ein Zulassungs- und Anmeldeverfahren gefordert wird (ebenda, S. 76).

Die Einschätzungen und Bewertungen der Bündnisgrünen sind von einem tiefen Mißtrauen gegen Selbstregulierung geprägt, insbesondere gegen solche marktvermittelter Art und dann vor allem in politisch sensiblen Bereichen wie der Meinungsbildung (vgl. ebenda, S. 67, 75). Allenthalben gilt es da, von Staats wegen die Sozialverträglichkeit zu prüfen ("fortlaufend") (S. 71), "vorbeugend zu evaluieren" (S. 73), zu quotieren (S. 88), zu sichern, gegenzusteuern, aktiv anzugehen, Regelungen zu verschärfen und zu differenzieren, anzuwenden, auszuweiten, Vorkehrungen zu treffen "für den Fall eines möglichen Marktversagens" (S. 67) - offensichtlich das kommunikative Pendant zur Kernschmelze in der Energietechnik.

Schwach hingegen soll der Staat da sein, wo er Straftatbestände im Kommunikationsbereich verfolgen will. Dagegen werden Legitimitätsargumente (Datenschutz) und/oder Praktikabilitätsargumente (grenzüberschreitende Kommunikation) ins Feld geführt (vgl. ebenda, S. 74, 77). Den Bündnisgrünen schwebt also ein starker Vorsorgestaat vor, der zugleich ein schwacher Sanktionsstaat ist: autoritär und liberal zugleich.

Zwischen Koalition und Bündnisgrünen rangiert und laviert die SPD. Sie betont - auf Basis eines gedämpften Optimismus über die weitere Entwicklung von Angebot und Nachfrage im Multimediabereich - die Chancen, die Multimedia eröffnet, und hält die Risiken für beherrschbar, d.h. politisch gestaltbar (siehe S. 42). Also: freier Marktzugang im online-Bereich, aber auch hier soll ein der "Grundversorgung" äquivalentes Moment vom Staat gewährleistet werden, nämlich ein "Universaldienst", der gesetzlich garantiert allen offen gehalten wird und der weiter als in den Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes gefaßt wird (siehe S. 44, 47 f.). Also: Beibehaltung des Dualen Systems, aber evtl. Aufhebung der 20-Uhr-Grenze (siehe S. 52). Also: Beibehaltung der "doppelten Demokratiesicherung" (S. 27) im Rundfunkbereich, aber in Gestalt der jüngst verabschiedeten Konzentrationsregelung. Also: Akzeptanz des Föderalismus, aber Sicherung "bundeseinheitlicher Rahmenbedingungen", garantiert durch einen "neuen Regelungsschirm" (S. 60), der Bund, Länder und EU verbindet und durch ein europäisches (!) Gegenstück zur amerikanischen Federal Communications Commission (FCC) als oberster Regulierungsinstanz garantiert wird.

Hier werden die alten Grundkonflikte sozialdemokratischer Kommunikationspolitik deutlich: Widersprüche zwischen industriepolitischen und medienpolitischen Zielen, zwischen Oppositionsrolle im Bund und Regierungsrolle in den Ländern, zwischen standortpolitisch motivierter Förderung des privaten Rundfunks und parteipolitisch motiviertem Schutz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Daß sich die SPD-Position weder in der einen noch in der anderen Richtung auf eine wahre Lehre zurückführen läßt, also weder konsequent etatistisch noch konsequent liberalistisch argumentiert wird, dieser Pragmatismus macht die SPD-Linie vielleicht unattraktiv für Diskurse, aber politikfähig (s. Anm. 5).

4.Fazit und Ausblick: Die Fraktionen haben die Chance Multimedia in unterschiedlicher Weise genutzt. Sie haben ihre kommunikationspolitischen Positionen in einigen Teilen neu bestimmt, in anderen Teilen tradierte Haltungen bekräftigt. Man wünscht sich von der weiteren Arbeit, daß sich die Kommission in ihrer Auseinandersetzung 

Für all dies wäre es notwendig, daß sich in der EK mehr, als es bisher der Fall zu sein scheint, eine Mitte bildet, die zentrifugal wirkt. Nur ist nicht zu sehen, wo dieses Gegengewicht zum Fraktionswettbewerb anzusiedeln wäre. Die Sachverständigen haben in bemerkenswerter Selbstverständlichkeit jeweils mit der Fraktion gestimmt, die sie berufen hat. Sie sind sozusagen in den "Bänken" verschwunden. Ein verbindendes Ethos des Wissenschaftlers oder des "Verstehens der Sache" scheint gegenüber der trennenden Fraktionsbindung zurückzustehen. Auch das Sekretariat scheint die Rolle des Kerns der Kommission nicht spielen zu können oder zu wollen. Es bleibt die Leitung - und die hat schon den Zerfall in vier Zwischenberichte nicht verhindern können.

Von daher wird voraussichtlich auch diese EK den Bundestag nicht zu einem kommunikationspolitischen Akteur werden lassen - was die aufeinander mehr oder weniger gut eingespielten kommunikationspolitischen Akteure nicht sonderlich bedauern dürften.

Anmerkungen

  1. Am 7.12.1995 hat der Bundestag die Enquete-Kommission "Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft - Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft" eingesetzt. Die Initiative zu dieser EK hatte der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen (im folgenden Bündnisgrüne) Rezzo Schlauch ergriffen. Vorsitzender der Kommission ist Siegmar Mosdorf (SPD). Eine EK setzt sich aus Abgeordneten (proportional zur Stärke der Fraktionen im Bundestag) und von den Fraktionen benannten Sachverständigen zusammen. Diese Enquete umfaßt 12 Abgeordnete als ordentliche und 12 weitere Abgeordnete als stellvertretende Mitglieder sowie 11 Sachverständige, darunter Wissenschaftler, Verbandsvertreter und Unternehmensvertreter. Unterstützt wird die Kommission durch ein Sekretariat mit fünf wissenschaftlichen Mitarbeitern, ebenfalls von den Fraktionen ausgewählt. Zu den Erwartungen an die Kommission siehe Gerhard Vowe: Der Bundestag als kommunikationspolitischer Akteur? Eine neue Medienenquete steht ins hohe Haus. In: TA-Datenbank-Nachrichten 4 (1995) 3, S. 19-24 
  2. Siehe Drucksache 13/6000 des Deutschen Bundestages vom 07.11.1996 - im folgenden zitiert als "Zwischenbericht".
  3. Die Gruppe der PDS hat keinen eigenen Berichtsentwurf vorgelegt, sondern eine Stellungname zum Zwischenbericht veröffentlicht (siehe Zwischenbericht, S. 92 ff.). 
  4. Vgl. Zwischenbericht S. 84. Der Begriff ist von Kleinsteuber im Anschluß an Hoffmann-Riem und Kubicek entwickelt worden. 
  5. Zur Stellungnahme der PDS nur soviel: Sie hält die Fahne der Kapitalismuskritik zunächst ganz, ganz hoch, um sich dann aber auf der Ebene der politischen Forderungen an den meisten Stellen mit den Bündnisgrünen zu treffen.