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Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung, Wien, zur Sozialverträglichkeitsbestimmung im österreichischen Gentechnikgesetz
Die amtlich verbotene Unverträglichkeit
Zur Sozialverträglichkeitsbestimmung im österreichischen Gentechnikgesetz
von Helge Torgersen und Franz Seifert
Wie in allen Staaten der Europäischen Union müssen auch in Österreich gentechnisch veränderte Organismen vor einer Freisetzung auf Gefahren für die Gesundheit und Umwelt beurteilt werden, ebenso ein 'gentechnisches' Produkt vor dem Inverkehrbringen. Das österreichische Gentechnikgesetz sieht als weiteres Kriterium vor, daß derartige Produkte nicht zu einer "sozialen Unverträglichkeit" führen dürfen. Die Sozialverträglichkeitsklausel stellt im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung ein Novum dar. Im Rahmen des vom Österreichischen Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz geförderten Projektes "Möglichkeiten für die umfassende Beurteilung der Gesundheits-, Umwelt- und Sozialverträglichkeit von Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen in Österreich unter besonderer Berücksichtigung des EFTA-Vorbehaltes" ging das Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, der Frage nach, "was bedeutet Sozialverträglichkeit" und "wie läßt sich dieses Konzept auf 'gentechnische' Produkte anwenden, wenn es sich überhaupt darauf anwenden läßt?".
Erzeugnisse, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder solche enthalten, müssen in Österreich neben der Unbedenklichkeit für Gesundheit und Umwelt ein weiteres Kriterium erfüllen: Nach § 63 des österreichischen Gentechnikgesetzes kann das Inverkehrbringen durch Verordnung verboten werden, wenn "aufgrund sachlicher Grundlagen anzunehmen ist, daß solche Erzeugnisse zu einer nicht ausgleichbaren Belastung der Gesellschaft oder gesellschaftlicher Gruppen führen könnten, und wenn diese Belastung für die Gesellschaft aus volkswirtschaftlichen, sozialen oder sittlichen Gründen nicht annehmbar erscheint."
Die Sozialverträglichkeits-Bestimmung stellt im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung ein Novum dar, indem außertechnische Zulässigkeitskriterien normiert werden. Der Begriff "Sozialverträglichkeit", der keine Entsprechung in anderen Sprachen hat, ist aber von einer einheitlichen Definition weit entfernt und die Klausel daher auch nicht präzise formuliert, so daß sie auf interpretativem Weg bloß tendenziell einzugrenzen ist. Vom juristischen Standpunkt ließe sich somit einwenden, daß sie gegen das Legalitätsprinzip des Art. 18 BVG verstoßen könnte. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen auch im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Rechtspositionen, so daß das rechtliche Umfeld alles andere als einfach ist.
Das gilt insbesondere für die Kompatibilität mit den Bestimmungen der EU. Während es für die Beurteilung von Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt Erfahrungen und ein festgelegtes Procedere gibt, stößt die Einschätzung sozioökonomischer Kriterien bei der Zulassung "gentechnischer" Erzeugnisse auf Schwierigkeiten und wird in der EU abgelehnt. Die Freisetzungs-Richtlinie 90/220 erfaßt nur Gesundheits- und Umweltschutzaspekte. Allerdings ist der gesamte Rechtsbestand zum freien Warenverkehr zu beachten; für Einschränkungen ist lediglich das Kriterium der ethischen Vertretbarkeit zulässig, aber nur, wenn keine versteckte Diskriminierung zu vermuten ist und die Behörde keinen zu großen Ermessensspielraum hat.
Angesichts der ungenauen Formulierung der Klausel dürfte dieser Spielraum aber beträchtlich sein. Der Gesetzestext gibt zwar gewisse Kriterien an, wann mit einer sozialen Unverträglichkeit zu rechnen ist, diese bleiben aber vage. Die Formulierung "nicht ausgleichbare Belastung" deutet auf Kompensationen. "Volkswirtschaftliche" Gründe dürften streng genommen aus EU-rechtlichen Überlegungen überhaupt nicht gelten. "Soziale" Gründe sind bereits im Begriff enthalten, die Definition wäre zirkulär. "Sittliche" Gründe erscheinen noch am plausibelsten. Wer aber definiert allgemeinverbindlich, was sittlich ist, und aufgrund welcher Kriterien? Die Anwendbarkeit der Bestimmung ist somit fraglich und die Sanktionsandrohung unglaubwürdig. Zwar wird die Forderung nach Sozialverträglichkeit als legitim und notwendig erachtet, weil die zugrundeliegenden Ideen auf konstruktive Vorschläge zur Bewältigung von Problemen moderner Industriegesellschaften verweisen. Eine allgemeingültige Definition und das Aufstellen verbindlicher Kriterien durch Experten ist aber unmöglich. Die österreichische Bestimmung könnte somit höchstens als "Notbremse" interpretiert werden, mit deren Hilfe gewisse gesellschaftliche Konflikte vorübergehend entschärft werden sollen. Es besteht allerdings der Verdacht, daß der Begriff wegen seiner Uneindeutigkeit leicht mißbraucht wird und zu Rhetorik oder "symbolischer Politik" verkommt. Ist die Bestimmung also obsolet?
Auf der Suche nach Möglichkeiten der Umsetzung wurde der Begriff der Sozialverträglichkeit näher untersucht. Geprägt in den 70er Jahren in Anlehnung an das Konzept der Umweltverträglichkeit, ist er zwar nicht genau zu definieren, läßt sich aber anhand der Begriffe "Akzeptabilität", "Akzeptanz" und "Partizipation" interpretieren. Das Sozialverträglichkeitskonzept erweist sich aber als unfertig, weil jeder dieser Ansätze erhebliche Schwächen hat.
Akzeptabilitätsüberlegungen gingen ursprünglich davon aus, daß angesichts ihrer Risiken großtechnische Systeme nicht mehr im trial-and-error-Verfahren eingeführt werden konnten, sondern eine politische Entscheidung zu treffen war, wobei nicht zu einem technischen System die passende Gesellschaftsordnung, sondern die zur Wahl stehenden Optionen auf ihre Verträglichkeit mit der gesellschaftlichen Ordnung und Entwicklung hin zu untersuchen wären. Was "sozial verträglich" wäre, sollte nach objektivierbaren Kriterien zu beurteilen sein. Es zeigte sich aber, daß Akzeptabilität nicht von vorneherein anhand wissenschaftlich gültiger Kriterien festgestellt werden kann. Mittlerweile gab es, z.B. in Norwegen, einige Versuche, Akzeptabilitätskriterien auch für die Zulassung gentechnischer Versuche und Produkte zu etablieren - zentrale Begriffe waren die "Förderung einer nachhaltigen Entwicklung", "gesellschaftlicher Nutzen" und ethische Gesichtspunkte. Die Schwierigkeiten in der Umsetzung waren aber beträchtlich.
Unter dem Begriff "Akzeptanz" müßte, so die zweite Auslegung, jenes Risikoausmaß gefunden werden, das vor der breiten Öffentlichkeit erfolgreich vertretbar war. Angesichts breiter Nichtakzeptanz war klar, daß auch geringe Restrisiken noch zu groß waren, um als akzeptabel gelten zu können - ausschlaggebend war das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in Experten. Die Beurteilung der Akzeptanz konnte zwar als Barometer für Fragen der Sozialverträglichkeit dienen, bestimmte aber nicht allein deren Maß. Da über die Akzeptanz der Gentechnik in Österreich bis 1994 wenig bekannt war, wurde eine repräsentative Umfrage in Österreich (zwecks europaweiter Vergleichbarkeit mit dem Wortlaut der Eurobarometer-Studie von 1993) durchgeführt, die die Einstellung vor der breiten öffentlichen Debatte von 1996 illustrierte: Bio- bzw. Gentechnologie fanden bereits damals weit weniger Zustimmung als in den meisten anderen EU-Staaten. Die Österreicher wußten deutlich weniger über Bio/Gentechnologie als die Bürger anderer EU-Länder; das Risikobewußtsein war allerdings geringer als etwa in Deutschland, ebenso die Forderung nach staatlicher Kontrolle. Diese Ergebnisse waren vor dem Hintergrund einer generell deutlich geringeren Erwartung bezüglich neuer Technologien - von der Solarenergie bis zur Weltraumfahrt - als in allen anderen EU-Ländern zu sehen.
Partizipation - z.B. mittels öffentlicher Diskussionsprozesse und partizipativer Technikfolgen-Abschätzung und -Gestaltung - gilt heute als wesentlicher Bestandteil und Voraussetzung für Sozialverträglichkeit. Unter dem Stichwort "Partizipation" (bei der Einführung von I&K-Technologien) wurde ursprünglich keine objektivierbare Definition von Sozialverträglichkeit festgeschrieben, sondern diese blieb vorläufiger Arbeitsbegriff und mußte in einem kollektiven partizipatorischen Prozeß jeweils konkretisiert werden. Zwar war die Übereinstimmung mit den Normen der Verfassung und den grundlegenden Werten der Gesellschaft gefordert, aber es traten weitere Aspekte hinzu - insbesondere sollten sich die Betroffenen zur Geltung bringen können. Ob eine Technologie sozialverträglich war, ließ sich demnach nicht allgemein, sondern nur bezogen auf einen konkreten Fall ermitteln. Beispiele für Partizipation unter dem Stichwort Gentechnik zeigten drei sehr unterschiedliche Modelle in anderen Ländern: die partizipative Technikfolgenabschätzung von herbizidresistenten Pflanzen des WZB in Deutschland, die Konsensus-Konferenz über Pflanzen-Biotechnologie des Science Museums in Großbritannien und die Stiftung "Consument & Biotechnologie" in den Niederlanden. Gemeinsam war diesen Versuchen, daß ordnungspolitische Maßnahmen vermieden und der Dialog in den Mittelpunkt gestellt wurde, um auch andere als technische oder kommerzielle Ziele in die Technikentwicklung einzubringen. Der Erfolg dieser Modelle hing aber nicht zuletzt von der jeweiligen politischen Kultur ab.
Der Versuch im Gentechnikgesetz, "soziale Unverträglichkeit" als Kriterium für die Zulassung von Produkten einzuführen, ist aus dieser Sicht inadäquat, weil die Umsetzung der Ansprüche mittels amtlicher Prüfung anhand unbestimmbarer Kriterien nicht gewährleistet werden kann, solange kein Raum für einen zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung bleibt. Die Begriffe Akzeptanz, Akzeptabilität und Partizipation bedingen sich wechselweise; Voraussetzung für jede Annäherung an "Sozialverträglichkeit" sind daher Anstrengungen, alle drei Begriffe gemeinsam umzusetzen. Dazu wurden einige Optionen aufgezeigt. So könnte eine "Checklist", die sich an der Vorgangsweise bei Technikfolgenabschätzungen orientiert, Informationen über denkbare Auswirkungen neuer Produkte und damit über deren mögliche Akzeptabilität liefern - allerdings keine Bewertung. Zur Partizipation wurde als Beispiel ein Modell vorgeschlagen, das Szenariotechniken mit Konsensus-Konferenzen kombiniert.
Abschließend wurden zwei mögliche Vorgangsweisen bei Freisetzungsvorhaben skizziert und bezüglich ihrer Folgen diskutiert: Bei der Strategie des "Business as usual" beschränkt sich die Beteiligung der Öffentlichkeit lediglich auf das rechtstaatlich eingeräumte Minimum. Im Gegensatz dazu steht ein aktives, staatlich forciertes Publikmachen mit möglicher Auseinandersetzung. Die Ereignisse des Jahres 1996 (erste Freisetzungsanträge in Österreich, die zu einer beträchtlichen öffentlichen Kontroverse führten und schließlich - obwohl nicht "riskant" nach EU-Kriterien - zurückgezogen oder abgelehnt wurden), bestätigten diese Szenarien: Von den zuständigen Behörden intendiert war wohl eine Art "Business as usual", gegen das verschiedene NGOs die latente Aversion der Österreicher zu mobilisieren vermochten. Als ein Antragsteller seine transgenen Kartoffeln freisetzte, ohne die Genehmigung abzuwarten, kam es zum Eklat, der das amtliche Procedere aushebelte.
Die öffentliche Debatte kreiste vielfach um generelle Optionen der Landwirtschaft. Dabei wurde die Möglichkeit eines österreichischen Sonderwegs im EU-Agrarmarkt mit dem Schwergewicht auf biologischer Landwirtschaft propagiert. Dazu steht Gentechnik in der Landwirtschaft in Widerspruch. Hier ging es um eine politische Grundsatzentscheidung; der Risikoaspekt war bloß einer von vielen. Es wäre also anzunehmen gewesen, daß die Sozialverträglichkeitsbestimmung des Gentechnikgesetzes, die ja außertechnische Kriterien festlegt, zumindest in der Debatte eine Rolle gespielt haben würde - dies war aber nicht der Fall. Auch auf dem Höhepunkt der Kontroverse, als ein Volksbegehren gegen Gentechnik in der Landwirtschaft angekündigt wurde (das in diesem April stattfinden wird), blieb es um die Sozialverträglichkeitsklausel still. Nicht einmal als es darum ging, tatsächlich gentechnische Produkte (nämlich Soja und Mais, die in der EU zum Inverkehrbringen zugelassen wurden) vom österreichischen Markt fernzuhalten, erinnerte man sich der Bestimmung. Im Mittelpunkt stand die Kennzeichnung und - insbesondere im Fall des Mais - der Risikoaspekt. Als die offizielle österreichische Position, nämlich Ablehnung und Einleitung des Artikel 16-Verfahrens feststand, ebbte auch die öffentliche Kontroverse ab.
Somit zeigte sich, daß die Sozialverträglichkeitsbestimmung zumindest bisher entbehrlich war. Weder leistete sie einen Beitrag, die öffentliche Diskussion in konstruktiver Weise zu befördern, noch konnte sie Kontroversen aufgrund unterschiedlicher Werthaltungen und Interessen vermeiden, geschweige denn auflösen. Das spiegelte sich auch in der Rezeption der Studie wider: Das Interesse an der Studie war in Österreich eher gering, in anderen Ländern hingegen durchaus vorhanden - entweder, weil es in den betreffenden Ländern keine derartige Bestimmung gibt, die Forderung nach der "vierten Hürde" aber immer wieder erhoben wird, oder, im Fall von Norwegen, weil man sich ähnlichen Problemen mit sozioökonomischen Kriterien gegenübersieht.
Bibliographische Angaben
Helge Torgersen, Franz Seifert (unter Mitarbeit von M. Waldhäusl): "Die Sozialverträglichkeitsbestimmung von gentechnischen Produkten zwischen Anspruch und Umsetzbarkeit." Studie im Auftrag des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz, Endbericht. Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien, Oktober 1995. 139 S., ca. DM 30,--.
Kontakt
Dr. Helge Torgersen
Institut für Technikfolgen-Abschätzung der
Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ITA / OEAW)
Strohgasse 45, A-1030 Wien, Österreich
Tel.: +43 1 51581-6588
E-Mail: torg∂oeaw.ac.at
Homepage: http://www.oeaw.ac.at/ita/