TAB-Projekt: Biotechnologie für die "Dritte Welt" - Chancen und Risiken

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TAB-Projekt: Biotechnologie für die "Dritte Welt" - Chancen und Risiken

von Leonhard Hennen, TAB

Die "Auswirkungen moderner Biotechnologien auf Entwicklungsländer und Folgen für die zukünftige Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern" untersuchte das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) im Rahmen seines gleichnamigen TA-Projektes. Neben einer Darstellung des Standes von Forschung und Anwendung bilden die Diskussion der Rahmenbedingungen und angepaßter Förderstrategien einen Schwerpunkt der im vergangenen Jahr fertiggestellten Studie.

Die moderne Biotechnologie eröffnet ein weites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft, der Industrie, der Medizin, im Umweltschutz und bei der Ressourcennutzung. Die Einschätzungen und Prognosen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen, ihrer sozioökonomischen Chancen und Risiken und somit grundsätzlich ihres Beitrags zur Sicherung entscheidender Existenzgrundlagen in Entwicklungsländern - wie Ernährung, wirtschaftliche Autonomie und gesundheitliche Versorgung - gehen weit auseinander. Gerade bei einer Querschnittstechnologie wie der Biotechnologie können die potentiellen Auswirkungen verschiedener Anwendungen sich ergänzen, potenzieren oder aber sich gegenseitig aufheben.

Anwendungsbereiche und Forschungsgebiete

Im weitesten Sinne gilt für alle entwicklungsländerrelevanten Anwendungsfelder moderner Biotechnologien, aber insbesondere für den landwirtschaftlichen Bereich und dort für die Pflanzennutzung, daß vor allem die nicht-gentechnischen Verfahren wie Zell- und Gewebekulturtechniken sowie biochemische und molekularbiologische Diagnoseverfahren bereits seit längerem nutzbringend eingesetzt werden. Konkrete Erfolge in Form neuer, besonders ertragreicher oder schädlingsresistenter Pflanzensorten stehen allerdings noch aus. Die Internationalen Agrarforschungszentren als zentrale Einrichtungen, die mit der Lösung landwirtschaftlicher Probleme in Entwicklungsländern befaßt sind, verfolgen meist als einzige aufwendige und aktuelle Forschungsansätze bei Pflanzen, die zwar für die Ernährung in Entwicklungsländern eine große Rolle spielen, aber für den Weltmarkt uninteressant sind. Die bisherige finanzielle Ausstattung dieser Forschungszentren muß angesichts der Bedeutung ihrer Aufgaben als mangelhaft angesehen werden. Auch die finanziellen Mittel, die von öffentlicher oder privater Seite weltweit für eine auf die landwirtschaftlichen Erfordernisse in Entwicklungsländern zugeschnittene biotechnologische Forschung zur Verfügung gestellt werden, müssen als marginal im Vergleich zur Förderung biotechnologischer Forschung insgesamt bezeichnet werden.

Auf die Entwicklung gentechnisch veränderter streßtoleranter Pflanzen setzt man bezogen auf Entwicklungsländer derzeit große Hoffnungen. Sie könnten durch die Erschliessung bisher nicht nutzbarer Flächen zur Entlastung von landwirtschaftlich übernutzten Gunststandorten und/oder zur Steigerung der Erträge beitragen. Mit dem Einsatz solcher neuen Sorten ist aber auch die Gefahr einer Reduktion der Arten- und Sortenvielfalt sowie einer Zerstörung der letzten unberührten, bisher landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen verbunden. Gerade im Hinblick auf die zukünftige Ernährungssicherung ist der Erhalt der Zentren höchster Biodiversität, aber auch lokaler standortangepaßter Sorten, dringlich. Hierzu ist es notwendig, ganze Ökosysteme großflächig zu schützen.

In der Nahrungsmittelproduktion ist zunehmend mit einem verstärkten Einsatz moderner biotechnologischer Methoden in den Industriestaaten zu rechnen, vor allem in der großmaßstäblichen industriellen Produktion, die auch für die Ernährung der wachsenden Zahl "westlich orientierter", in Großstädten lebender Menschen in den Entwicklungsländern immer wichtiger wird. Neben der möglichen Weiterentwicklung und Optimierung traditioneller biotechnologischer, fermentativer Verfahren zur Lebensmittelproduktion werden moderne Methoden insbesondere zur Substitution bislang nur sehr aufwendig und teuer produzierbarer Stoffe (Enzyme, Aroma-, Geschmacks- und Farbstoffe u.ä.) zum Einsatz kommen. Biotechnologisch hergestellte Produkte können hier langfristig solche, die aus der landwirtschaftlichen Produktion in Entwicklungsländern stammen, ersetzen.

Die Anwendung der medizinischen Biotechnologie ist in den Entwicklungsländern unterschiedlich weit fortgeschritten. Die meisten Schwellenländer, jedoch nur wenige ärmere Länder, z.B. Kenia und Simbabwe, verfügen über moderne biotechnologische Forschungseinrichtungen. Ziel vieler Vorhaben in diesen Einrichtungen ist jedoch nicht die Entwicklung und Produktion tropenmedizinischer Präparate für die arme Bevölkerungsmehrheit, sondern die Herstellung von Nachahmprodukten für den Pharmamarkt in Industrieländern oder für reiche Bevölkerungsschichten im Lande. Im Rahmen internationaler tropenmedizinischer Forschungsprogramme werden biotechnologische Methoden dafür eingesetzt, die Erforschung einiger in den Tropen weit verbreiteter Krankheiten, wie Malaria, Bilharziose und Filariose, zu verbessern und Bekämpfungsmethoden zu entwickeln. Es wäre wünschenswert, ein Netz internationaler Forschungszentren in Entwicklungsländern aufzubauen, die - in der Aufgabenstellung ähnlich den Internationalen Agrarforschungszentren - die Erforschung der Krankheiten vor Ort in Angriff nehmen könnten. Dies würde allerdings erhebliche Mittel erfordern.

Umweltrelevante biotechnologische Anwendungen finden sich im Bereich Biogas- und Bioalkoholproduktion, beim Abbau von Schadstoffen in Boden und Wasser sowie bei der bakteriellen Erzlaugung. Gentechnische Ansätze spielen auf diesen Gebieten noch keine besondere Rolle. Darüber hinaus werden biotechnologische Methoden seit Mitte der 80er Jahre vermehrt für die Konservierung genetischer Ressourcen in Genbanken und die weltweite Verteilung von genetischem Material verwendet. Für den internationalen Austausch von vegetativ vermehrbarem Pflanzenmaterial, das z.B. vor Virusbefall geschützt werden muß, stellen insbesondere Gewebekulturverfahren die Mittel der Wahl dar.

Gestalten der Rahmenbedingungen

Von einem weitreichenden und wirksamen Schutz geistigen Eigentums (Patent- und Sortenschutz) werden positive Impulse für die Entwicklung der Biotechnologie in Industrie- und Schwellenländern erwartet. Sehr arme Entwicklungsländer könnten jedoch - beim Fehlen nationaler Sonderkonditionen - z.B. durch finanzielle Forderungen für Lizenzverträge vom Zugriff auf gerade für sie wichtige, patentierte biotechnologische Verfahren und Produkte ausgeschlossen werden. Nationale und internationale Patent- und Sortenschutzsysteme sollten Ausnahmeregelungen für arme Entwicklungsländer enthalten, die es diesen Ländern ermöglichen, bestimmte biotechnologische Erfindungen dann nicht unter Patent- und Sortenschutz zu stellen, wenn dies für die Ernährung, die medizinische Versorgung oder die wirtschaftliche Entwicklung des entsprechenden Landes nützlich ist. Eine Lücke in den bisherigen Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums ist die rechtliche und finanzielle Behandlung indigenen Wissens, z.B. über medizinische Wirkungen von Heilpflanzen und Eigenschaften von Nahrungspflanzen.

Die Frage der Biologischen Sicherheit stellt sich angesichts einer erwartbaren Zunahme des Transfers gentechnologischer Verfahren und Produkte in die Länder des Südens mit besonderer Dringlichkeit: Zum einen, weil besondere Risiken einer ungewollten Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in den Zentren biologischer Vielfalt nicht auszuschließen sind; zum anderen, weil rechtliche Regelungen zur Biologischen Sicherheit sowie Infrastruktur und Know-how für entsprechende Kontrollen in den Entwicklungsländern größtenteils fehlen. Für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen sollten daher in den Entwicklungsländern mindestens so strenge Maßstäbe angestrebt werden wie in Industrieländern.

Bisher standen genetische Ressourcen für die Suche nach Wirkstoffen (z.B. für Medikamente) weitgehend kostenlos zur Verfügung. Vor dem Hintergrund des steigenden Wertes von Genen und der immer notwendiger werdenden Schutzmaßnahmen für artenreiche Gebiete versuchen neuere Strategien, die Nutzung vorhandener Genressourcen an gleichzeitige Schutzmaßnahmen zu binden (sog. Nutzen-Schutz-Konzepte). Im Interesse einer zukunftsfähigen wirtschaftlichen Entwicklung muß langfristig die eigentliche Wertschöpfung aus der Nutzung genetischer Ressourcen in den Ländern des Südens selbst erfolgen. Zur Finanzierung der dafür notwendigen Maßnahmen, die von umfangreichen Kartierungs- bzw. Inventarisierungsmaßnahmen über die Dokumentation der biologischen Vielfalt bis zum Aufbau entsprechender eigener Industrieunternehmen reichen könnten, müßten dringend praktikable und international anerkannte Konzepte entwickelt werden.

Förderung angepaßter Biotechnologien

Mögliche positive Effekte angepaßter biotechnologischer Verfahren für die ländliche Bevölkerung, aber auch - soweit verfügbar - angepaßter Sorten werden kaum unmittelbar und von selbst zum Tragen kommen. Die Rahmenbedingungen kleinbäuerlicher Produktion wie auch soziale, politische und kulturelle Strukturen in den ländlichen Regionen des Südens (Dominanz lokaler Eliten, Disparitäten der Landverteilung, geringe formale Bildung, Mangel an funktionierenden lokalen Verwaltungsstrukturen) werden den Zugang zu den neuen Technologien erschweren. Diese werden wahrscheinlich eher von bereits mit westlichem Know-how vertrauten Plantagenbetrieben oder sogenannten "Progressive Farmers" (bäuerliche Mittelschicht mit guter Land- und Kapitalausstattung) genutzt werden als von Kleinbauern/bäuerinnen. Angesichts dieser Situation und der Tatsache, daß generell die wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Menschen in armen Entwicklungsländern beschränkt sind, sollten bevorzugt angepaßte oder zumindest anpaßbare biotechnologische Verfahren gefördert werden. Dabei wird es sich - zumindest zur Zeit - kaum um gentechnologische Verfahren handeln.

Voraussetzungen für erfolgreichen Technologietransfer sind grundlegende Maßnahmen wie Bildungsförderung, die Stärkung der Finanzierungs-, Produktions- und Vermarktungssysteme sowie die Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen. Bei der Konzeption von Förderkonzepten sollte insbesondere geachtet werden auf:

- eine Orientierung der geförderten Maßnahmen an den Bedürfnissen von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, wobei ihr traditionelles Wissen miteinbezogen werden sollte;

- eine spezielle Förderung der Frauen, da sie durch (technische) Innovationsschübe besonders benachteiligt werden können;

- die Förderung nationaler und lokaler Forschungseinrichtungen sowie einheimischer Saatgutunternehmen, da diese die züchterische Weiterentwicklung angepaßter Sorten im Blick auf die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Landes und die Umsetzung biotechnologischer Ergebnisse und Fortschritte vor Ort am besten gewährleisten können.

Schlußfolgerungen für die (deutsche) Entwicklungszusammenarbeit

Insgesamt gesehen sind zwei Leitlinien für die deutsche bzw. "nördliche" Entwicklungszusammenarbeit und -politik zu erkennen: Einerseits sollten sie helfen, die möglichen negativen Folgen des Einsatzes moderner Biotechnologie für Entwicklungsländer abzufedern, andererseits sollten sie es den Entwicklungsländern ermöglichen, biotechnologische Methoden und Verfahren für ihre eigenen Ziele nutzbar zu machen. Ein übergreifender und grundlegender Schritt wäre es, die Koordination sowohl der deutschen als auch der internationalen Entwicklungsprogramme zu verbessern. Auch müßte Entwicklungszusammenarbeit als Querschnittsaufgabe der Politik verstanden werden, die eine Integration von Maßnahmen der verschiedenen Ressorts (Wirtschaft, Gesundheit, Bildung und Forschung etc.) erfordert.

Das Ziel entsprechender Fördermaßnahmen kann nicht sein, lediglich die Ergebnisse bzw. Produkte moderner Biotechnologie in Entwicklungsländer zu transferieren. Fördermaßnahmen sollten vielmehr so angelegt werden, daß sich biotechnologische Anwendungen in die sozialen, kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen eines Landes einfügen und so einen Beitrag zur Weiterentwicklung seiner Eigenständigkeit leisten können.

Manche Entwicklungsländer werden auf Dauer vermutlich am stärksten nicht durch die Anwendung moderner biotechnologischer Verfahren im Land selbst betroffen, sondern infolge des Einsatzes entsprechender Methoden in Industrie- oder konkurrierenden Entwicklungsländern vor allem im Bereich der industriellen Substitution landwirtschaftlicher Produkte. Um den Ländern des Südens, die hierdurch wichtige Produktionsbereiche verlieren können, zu helfen, auf solche Entwicklungen rechtzeitig zu reagieren, sollte eine Arbeitsgruppe aus Vertretern/innen staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen (Universitäten, NGOs, Wirtschaft etc.) gebildet werden, die die weltweite Entwicklung der Biotechnologie beobachtet, im Hinblick auf Folgen für Länder der "Dritten Welt" analysiert und versucht, strategische nationale Konzepte zur Generierung von Produktionsalternativen zu erarbeiten.

Bibliographische Angaben

Ch. Katz, J. J. Schmitt, L. Hennen, A. Sauter: Biotechnologie für die "Dritte Welt" - Eine entwicklungspolitische Perspektive? Berlin: edition Sigma, 1996. 230 S., DM 36,--. (Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung; 2) ISBN 3-89404-811-5.

Kontakt

Leonhard Hennen
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 228 30818-34
E-Mail: leonhard hennen∂kit edu