FTU/VITO-Studie zu einer dauerhaft-umweltgerechten Forschungs- und Technologiepolitik

Schwerpunktthema: Nachhaltige Entwicklung II- nationale Pläne und Strategien

FTU/VITO-Studie zu einer dauerhaft-umweltgerechten Forschungs- und Technologiepolitik

von Sigrid Klein-Vielhauer, ITAS

Die - in französischer Sprache - vorliegende Veröffentlichung von zwei belgischen Forschungseinrichtungen - der Fondation Travail-Université, Namur, und der Vlaamse Instelling voor Technologisch Onderzök, Mol, - stellt den Abschlußbericht zu dem Forschungsprojekt "Implikationen des Konzepts der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung für die wissenschaftliche Forschung" dar. Die von den "Services Fédéraux des Affaires Scientifiques, Techniques et Culturelles (SSTC)" koordinierten und finanzierten Forschungsarbeiten haben vor allem zum Ziel, dem "Conseil National du Développement Durable (CNDD)" Empfehlungen zu Schwerpunkten und Organisation der wissenschaftlichen Forschung in Belgien zu unterbreiten. Untersuchungsgegenstand sind insbesondere die Natur-, Human- und Sozialwissenschaften, mit internationalem und eher lokalem Bezug, die Grundlagen- und die angewandte Forschung sowie die Beziehungen zwischen Forschung und technologischer Innovation. Nicht einbezogen sind vor allem technische und industrielle Entwicklungen, Prototypen, Demonstrationsprojekte und die unternehmenseigene Forschung, die in Belgien drei Viertel der inländischen FuE-Ausgaben repräsentiert.

Durchgeführt wurden Literaturstudien - auf die Erfassung und Strukturierung aller wesentlichen Aspekte des vorgegebenen Themas ausgerichtet -, die Analyse konkreter Maßnahmen, Interviews mit "Schlüsselpersonen", ein zur Vorbereitung der Schlußfolgerungen veranstalteter Workshop - unter Beteiligung der für die Umsetzung des Konzepts der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung verantwortlichen Hauptakteure - und eine schriftliche Befragung der Mitglieder des CNDD über Erwartungen, Notwendigkeiten, Kapazitäten und Wünschenswertes im Bereich "Forschung und Nachhaltigkeit".

Die in drei Abschnitte unterteilten Schlußfolgerungen bestehen zunächst aus Feststellungen allgemeiner Art. Denen zufolge ist die Wissenschaft nicht das wichtigste Instrument im Hinblick auf die Bemühungen der Gesellschaft, eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung voranzubringen, sie kann nur eines von mehreren zielgerichteten Instrumenten sein. Die Implementationslücke (d.h. die Diskrepanz zwischen den Konzepten und ihrer Anwendung) ist in der Diskussion über die dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung ein vorherrschendes Thema. Gefordert wird, der Rolle des wissenschaftlichen Know-how besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die Wissenschaft kann einerseits an der Erarbeitung des Kozepts einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung mitarbeiten, andererseits wird ihr vor allem eine instrumentelle Bedeutung zugesprochen. Über den Charakter dieser instrumentellen Bedeutung besteht aber Uneinigkeit - die Wissenschaft kann nützlich sein, einen notwendigen Hebel oder auch eine unabdingbare Voraussetzung für die dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung darstellen.

Aus analytischen Gründen ist prinzipiell zwischen der Forschung über und der Forschung für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung zu unterscheiden. Bezüglich des erstgenannten Punktes geht der Bericht u.a. auf die Ableitung einschlägiger Indikatoren für verschiedene räumliche und sektorale Abgrenzungen ein. Die Forschung hierzu ist in Belgien gut entwickelt und sollte noch intensiviert werden. Zur Forschung im Dienste einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung ist vor allem festzustellen, daß diese im Rahmen bereits vorhandener Forschungsrichtungen, Methoden und Ansätzen durchgeführt wird; die Klima- und die Umweltforschung haben einen enormen Aufschwung genommen; aufgrund des bisweilen festzustellenden Phänomens der Umetikettierung von Forschungsthemen wird empfohlen, auf die Authentizität der jeweils behandelten Problematik und der Forschungsziele hinreichend zu achten.

Wichtiges inhaltsbezogenes Kennzeichen der Forschung für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung ist die Berücksichtigung sowohl intergenerationeller als auch weltweiter Problemdimensionen. Diese Forschung sollte stets vor dem Hintergrund eines "größeren" Gesamtzusammenhangs erfolgen. Formales Kennzeichen dieser Forschungsrichtung ist die Multidisziplinarität und die gesellschaftlich-kommunikative Dimension, wobei es sowohl um die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern als auch um die zwischen Wissenschaftlern bzw. Wissenschaftspolitikern einerseits und der Öffentlichkeit, also den gesellschaftlichen und politischen Handlungsträgern andererseits geht.

Die Empfehlungen am Schluß der Studie sind in vier Hauptpunkte gegliedert. Aufgrund der in Belgien stark regionalisierten Kompetenzen im Bereich Wissenschaft und Technik sind die Empfehlungen nicht nur an Bundesministerien, sondern auch an regionale oder kommunale Einrichtungen gerichtet.

Zunächst wird empfohlen, in Belgien ein günstiges institutionelles Umfeld herzustellen, indem internationale Verträge, wie z.B. verschiedene Konventionen in der Nachfolge der Rio-Konferenz, ohne weiteren Zeitverzug unterschrieben werden, so daß Belgien seinen Beobachterstatus in eine aktivere Rolle belgischer Wissenschaftler in internationalen Kommissionen, Programmen und Agendas umwandeln kann. Ebenso wird es als notwendig erachtet, den Wissenschaftlern der Entwicklungsländer die Möglichkeiten und Mittel für die Durchführung wissenschaftlicher Forschung zur Verfügung zu stellen. Der belgische Rat CSD strebt mit seinen Maßnahmen eine Korrektur der weltweiten Ungleichverteilung wissenschaftlicher Kapazitäten an. Weiterhin soll die belgische Forschung verstärkt in die internationalen Programme integriert und jedes Ministerium (auf Bundes- und regionaler Ebene) mit einer Kontaktstelle für dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung ausgestattet werden. Aufgabe dieser Kontaktstellen, die sich auch zu einer ständigen Arbeitsgruppe zusammenfinden sollen, wäre es, die Ideen der Agenda 21 in die Fachpolitikbereiche hinein zu verbreiten.

Die zweite Gruppe von Empfehlungen bezieht sich auf die zu unterstützende Forderung nach einem interdisziplinären Ansatz. Bisher weist Belgien ein weitgehendes Defizit an Kommunikation zwischen den Disziplinen und deren gemeinsamen Methoden auf. Im wesentlichen wird ein Rahmenkonzept für multidisziplinäre Forschung befürwortet, das von der Konzeption von Forschungsprogrammen bis hin zur Verbreitung von Forschungsergebnissen angewandt wird. Auch die Ausbildung junger Forscher sollte bereits Aspekte der Interdisziplinarität berücksichtigen.
Die mittel- und langfristige Neuausrichtung der Forschung entlang neuer Entwicklungslinien ist Gegenstand der relativ umfassenden dritten Gruppe von Empfehlungen. Es wird darauf hingewiesen, daß die Schwierigkeiten und Grenzen bei der Aufstellung von Forschungsprioritäten zu beachten sind. Hierbei soll trotz einer notwendigen Neuorientierung der Themenauswahl und des Mitteleinsatzes der wissenschaftliche Pluralismus erhalten bleiben. Außerdem werden zwei vorrangige Themenkomplexe identifiziert, die im Zeitablauf unterschiedlich ausgestaltet sein können: allgemeine Schwerpunkte, die aufgrund des wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der Dringlichkeit auf der politischen Tagesordnung zu ermitteln sind, und spezifisch-belgische Schwerpunkte, die von denen anderer Länder oder internationaler Organisationen abweichen können. Auf die Notwendigkeit, Methoden zur Schwerpunktsetzung unter Berücksichtigung der Erwartungen der Gesellschaft zu entwickeln, wird verwiesen.

Unter einer Überschrift, die die Bedeutung, die Anliegen der Gesellschaft zu berücksichtigen, noch einmal hervorhebt, wird u.a. eine Liste von Themenschwerpunkten aufgeführt, deren begrenzte Aussagekraft nach Meinung der Autoren der Studie jedoch zu beachten ist. Diese Liste verweist auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Aspekte der dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, die auch in ähnlichen Studien aus den Niederlanden, Baden-Württemberg und Österreich eine wichtige Rolle spielen. Dies sollte aber nicht bedeuten, daß die mit den Naturwissenschaften verbundenen Aspekte zu vernachlässigen seien.

Speziell an die Adresse des belgischen CNDD werden Empfehlungen zu den Methoden der Prioritätenfestlegung ausgesprochen. Dieser Rat sollte unter entsprechender Beteiligung gesellschaftlicher Gruppen eine Studie über - hier nicht näher gekennzeichnete - Szenarien für ein "Sustainable Belgium" nach dem Vorbild ausländischer Initiativen und Veröffentlichungen wie "Sustainable Netherlands" und "Zukunftsfähiges Deutschland" erstellen. Weiterhin werden vorbereitende Schritte vor der Formulierung von Forschungsprogrammen empfohlen.

Die vielfältigen Empfehlungen für die Umsetzung von Prioritäten heben die Entwicklung integrierter Programme hervor. Als besonders bemerkenswert sei auf die Passage verwiesen, in der die Pflichten der Wissenschaftler einerseits und der Gesellschaft andererseits und die Notwendigkeit des in zwei Richtungen verlaufenden Dialogs zwischen diesen beiden Gruppen angesprochen werden.

Diese Forderung wird unter der Überschrift der vierten Gruppe von Empfehlungen "Die Funktion der Gesellschaft stärken" noch einmal explizit aufgenommen. Unter anderem wird auf die in Belgien mögliche hervorragende Rolle des "Conseil National du Développement Durable" hingewiesen. Alle wichtigen belgischen Akteure seien in ihm vertreten. Dieser scheine aber ein Imageproblem zu haben. Selbst im Wissenschaftsbereich sei er kaum bekannt.

Dieser letzte Abschnitt der Studie enthält auch die Feststellung, daß nicht alle Fragen der Gesellschaft an die Wissenschaft Forschungsfragen seien. Sie umfassen gleichzeitig Forderungen nach einer allgemeinverständlichen Darstellung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Forderungen nach wissenschaftlichen Expertisen zu speziellen Fragen und Erwartungen an die Forschung im eigentlichen Sinne.

Bibliographische Angaben

VITO/FTU: "Développement durable et recherche scientifique". Rapport final. Hrsg. v. Services Fédéraux des Affaires Scientifiques, Techniques et Culturelles (SSTC), Brüssel, März 1996. 137 S.

Kontakt

SSTC - Services Fédéraux des Affaires Scientifiques, Techniques et Culturelles
Rue de la Science, 8, B-1000 Bruxelles

FTU Fondation Travail-Université
Unité de recherche "Travail & Technologies"
Rue de l'Arsenal, 5, B-5000 Namur
Gérard Valenduc (Koordinator)

VITO - Vlaamse Instelling voor Technologisch Onderzoek
Boeretang, 200, B-2400 Mol
Jan Van Rensbergen (Koordinator)

CNDD - Conseil National du Développement Durable
Rue de la Loi, 56, B-1000 Bruxelles

Der Bericht ist über die ersten beiden Adressen erhältlich.